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systemagazin Zeitschriftenarchiv: Soziale Systeme Heft 1/2011
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1/2011 - 2/2011 - Übersicht
Luhmann, Niklas (2011): Strukturauflösung durch Interaktion. Ein analytischer Bezugsrahmen. In: Soziale Systeme 17 (1): S. 3-30.
abstract: Die folgenden Überlegungen gehen von der Erkenntnis aus, dass mit der Wahl einer Systemreferenz alle anderen Systeme und deren Umwelten als Umwelt des Bezugssystems impliziert sind. Dies gilt auch für Interaktionssysteme, die sich stets in einer Umwelt anderer Systeme, seien es Personen oder andere Sozialsysteme, befinden. In ganz verschiedenen Kontexten trifft man immer wieder auf die Erwartung, dass eine gezielte Auflösung und Rekombination von Systemstrukturen möglich ist, wobei die Forcierung dieses Prozesses zur Sache eines Interaktionssystems wird, das sich auf die Systemänderung eines anderen Systems spezialisiert. Um zu verstehen, wieso Strukturen Änderungen Widerstand entgegensetzen, muss ein komplexitätstheoretisches Verständnis zugrunde gelegt werden: Ein System ist komplex in dem Sinne, dass es eine Vielzahl von qualitativ verschiedenartigen Elementen in nichtbeliebiger Weise verknüpft. Strukturauflösung heißt dann: Wiederherstellung des quantitativen Überschusses an Relationierungsmöglichkeiten. In dem Maße, als Strukturauflösung gelingt, wird die Aktivierung einzelner Relationen im System zur Sache externer, mit dem System nicht mehr abgestimmter Determination. Ob und unter welchen Voraussetzungen Strukturänderung durch Interaktionen möglich ist, hängt daher nicht nur von den Strukturen selbst ab, sondern auch von der Einwirkungskapazität des Interaktionssystems. Die wichtigsten Voraussetzungen dafür sind die eigene Temporalität des Interaktionssystems sowie die Kombination von Wahrnehmung und Kommunikation. Ob die Strukturauflösung durch die Interaktion trotz ihrer beschränkten Systemkomplexität selbst thematisiert werden kann, hängt einerseits davon ab, dass das Interaktionssystem besonderen Bedingungen (Professionalisierung, organisatorische Disziplinierung, öffentlichkeit) unterliegt, und andererseits davon, dass das von Strukturauflösungen betroffene System in wesentlichen Hinsichten (Interdependenzformen, Geschichtslosigkeit) entgegenkommt, das heißt Strukturauflösung selbst ermöglicht.
Kurtz, Thomas (2011): Der Professionsansatz von Niklas Luhmann. In: Soziale Systeme 17 (1): S. 31-52.
abstract: Während für Talcott Parsons der professionelle Komplex die bedeutendste Einzelstruktur in der modernen Gesellschaft darstellte, werden die Professionen heute nicht mehr als wichtiger Mechanismus gesellschaftlicher Strukturbildung angesehen – in den neueren Gesellschaftstheorien etwa tauchen sie gar nicht mehr auf. Eine Ausnahme bildet hier die Systemtheorie mit den Schriften von Rudolf Stichweh. Weniger bekannt ist, dass auch Niklas Luhmann insbesondere in den 1970er Jahren im Kontext der Entwicklung seiner Theorie der Gesellschaft ein Professionskonzept ausgearbeitet hat. Der Beitrag fragt dabei, was Luhmann unter Professionen verstand und wie und wo er sie in seine Theoriearchitektur eingebaut hat.
Riese, Juliane (2011): Functions, communication, and perception of emotions in Luhmannian theory: Emotions as reflection resources of social systems. In: Soziale Systeme 17 (1): S. 53-72.
abstract: Um die in der bestehenden Literatur beschriebenen Effekte von Emotionen in der sozialen Sphäre in Luhmanns Theorie autopoietischer sozialer Systeme integrieren zu können, ist es notwendig zu zeigen, wie Emotionen – laut Luhmann psychische Phänomene – im Bereich des Sozialen relevant werden können, auch wenn nicht über sie kommuniziert wird. Der vorliegende Aufsatz nimmt Bezug auf Weinbachs Person/Habitus-Konstrukt und schlägt vor, dass Emotionen via die Adresse von „Personen“ kommuniziert und/oder via die Adresse von „Habitus“ wahrgenommen werden können, wobei sie in beiden Fällen soziale Relevanz erlangen. Emotionen dienen der Absicherung der Autopoiesis organischer, psychischer und sozialer Systeme. Sie stützen die Fortschreibung viabler sozialer Strukturen und regen die Veränderung solcher sozialer Strukturen an, die nicht mehr viabel erscheinen. Daher können sie als Reflexionsressourcen nicht nur psychischer, sondern auch sozialer Systeme gesehen werden. Diese Konzeptualisierung von Emotionen lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Körpern für das Soziale. Sie legt nahe, dass die Rolle der Emotionen zu idiosynkratisch ist, um Emotionen einem anderen Begriff wie dem der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien zu subsumieren. Sie eröffnet darüber hinaus zusätzliche Möglichkeiten der Integration der psychologischen und psychotherapeutischen Literatur in die Luhmannsche Theorie.
Seyfert, Robert (2011): Atmosphären – Transmissionen – Interaktionen: Zu einer Theorie sozialer Affekte. In: Soziale Systeme 17 (1): S. 73-96.
abstract: In der Geschichte der Soziologie sind Gefühle, Emotionen und Affekte auf die verschiedenste Art und Weise konzipiert worden. Im sozialpsychologischen Paradigma entstammen Emotionen individuellen Triebwünschen und gewinnen in erster Linie in konflikthaften Auseinandersetzungen ihren sozialen Charakter (Sublimation, etc.). Dem gegenüber bringt die Soziologie der Emotionen die Denkfigur der Interaktion in Anschlag, die es möglich macht ganz neue unpersönliche Emotionen zu konzipieren, Emotionen, die aus zwischenmenschlichen Begegnungen erst hervorgehen. Seit den 1990er Jahren lässt sich nun die Entstehung der Affect Studies beobachten, die mit der Soziologie der Emotionen zwar den interaktionistischen Ansatz teilen, jedoch deren anthropologischen Reduktionismus überwinden wollen. Bei der Entstehung sozialer Emotionen und Affekte spielen nicht nur individuelle Triebwünsche und soziale Stimmungen eine Rolle, sondern auch affektive Atmosphären, die der jeweiligen Umwelt entstammen. Obwohl die vorliegende Arbeit die Ansicht teilt, dass eine Theorie sozialer Affekte die Rolle nicht-menschlicher Elemente zu berücksichtigen hat, hält sie den Atmosphärenbegriff für problematisch, weil er deterministische Tendenzen impliziert und die Spezifizität aller beteiligten Körper unberücksichtigt lässt. Aus diesem Grund wird der Begriff der affektiven Interaktionen vorgeschlagen, der keine undifferenzierte Hintergrundstimmung annehmen muss, sondern die genauen Affektverhältnisse zwischen den anwesenden Körpern beschreiben kann. Dabei steht die Frage im Vordergrund, auf welche Art und Weise die jeweils anwesenden Körper miteinander interagieren (symbolisch, olfaktorisch, elektrisch, akustisch, etc.). Die Beantwortung dieser Frage verweist dann zugleich auf die Konstitution der beteiligten Körper und auf den jeweiligen Affekt, der aus der Interaktion von Körpern hervorgeht. Hinsichtlich affektiver Interaktionen greifen wir auf die Theorie der Transmission von Jean-Marie Guyau zurück, bezüglich des Konzepts des Körpers als distributives Ensemble beziehen wir uns auf Spinoza. Das affektive Milieu, aus dem Affekte entspringen, nennen wir Affektif.
Miebach, Bernhard (2011): Computer und soziale Systeme: Strukturelle Kopplung oder Material Agency? In: Soziale Systeme 17 (1): S. 97-119.
abstract: Ausgehend von Luhmanns Konzept der Technik als Form hat sich in den 1990er Jahren eine soziologische Diskussion entwickelt, die den Computer als Maschine und als Medium beschrieben hat. Innerhalb der Techniksoziologie hat sich die Auffassung durchgesetzt, den Computer im Sinne einer Material Agency als Element der soziomateriellen Konfiguration zu betrachten, die sowohl die Maschine als auch die Handlungen der Anwender umfasst. Die neueren systemtheoretischen Analysen halten an dem Modell der strukturellen Kopplung fest, wonach die Maschine nicht Bestandteil des sozialen Systems ist, das den Computer zur Datenverarbeitung und Kommunikation verwendet. Dieses Konzept der strukturellen Kopplung erfordert allerdings mehrere systemtheoretische Erweiterungen: Erstens die Einbeziehung der Telekommunikation mit Internet, zweitens die Umstellung des Technikbegriffs von der funktionierenden Simplifikation fester Kopplungen auf das Theorem selbsterzeugter Ungewissheit und drittens die Rekonstruktion der Computeranwendung innerhalb des sozialen Systems, für die der Begriff Social Interface neu eingeführt wird.
Esposito, Elena (2011): Kann Kontingenz formalisiert werden? In: Soziale Systeme 17 (1): S. 120-137.
abstract: Der Artikel rekonstruiert die Rolle und die Bedeutung des Begriffs der Form in der Theorie sozialer Systeme vom Problem der Autologie aus, also von dem Umstand, dass die für das System verfügbaren Möglichkeiten vom System selbst und von seinen Operationen abhängig sind. Wie kann die Theorie diese Zirkularität und die damit korrelierte Kontingenz berücksichtigen, ohne in Willkür abzugleiten? Könnte ein Kalkül der Formen hilfreich sein? George Spencer Browns Formenkalkül bietet eine Formalisierung der Art und Weise, wie die Operationen (und die Beobachtungen) eines autopoietischen Systems vom System selbst abhängig sind. Er betrachtet jedoch explizit nur die Beobachtung erster Ordnung. Die Figur des re-entry, bei der ein System seine eigene Beobachtungsoperation beobachtet, markiert auch das Ende des Kalküls und den Eingang in einen Bereich der Unbestimmtheit. Um die Beziehungen zwischen verschiedenen Beobachtungsperspektiven zu formalisieren, die sich gegenseitig anerkennen, aber getrennt bleiben, können Gotthard Günthers Überlegungen über Mehrwertigkeit wichtige Anreize anbieten – sie selbst bieten aber keinen Kalkül. Durch Kombination beider Ansätze kann man jedoch einen Ansatzpunkt gewinnen, um die enorme Komplexität der zunehmend verbreiteten Lagen zu behandeln, wobei man berücksichtigen muss, dass die für ein System verfügbaren Möglichkeiten (z.B. die Offenheit der Zukunft) auch von den Operationen des Systems produziert werden, das sich dessen bewusst ist.
Kabalak, Alihan & Markus Rhomberg (2011): Neutralität der Medien als Systembedingung? Massenmedien und Politik aus den Perspektiven von Systemtheorie und Politischer Ökonomie. In: Soziale Systeme 17 (1): S. 138-161.
abstract: Politik in der modernen Gesellschaft ist in der Regel eine massenmedial vermittelte Veranstaltung. Theorien der Politik und politische Theorien dürfen sich diesem Umstand nicht verschließen. Eine der Hauptaufgaben der politischen Kommunikationsforschung ist es, das Verhältnis zwischen Politik, Bürgern und Medien zu analysieren. Wir argumentieren zunächst, dass das in der Medien- und Kommunikationswissenschaft verbreitete Nachrichtenwertkonzept dafür spricht, dass profitorientierte Medienunternehmen in ihrer politischen Berichterstattung um Neutralität bemüht sein müssten. Medienunternehmen sind grundsätzlich keinen Anreizen ausgesetzt, selbst politisch zu steuern. In ihrer Agenda-Setting-Funktion für das politische System und die Öffentlichkeit geben die Medien Themen zur Kommunikation vor und strukturieren so eine politische Agenda. Sie sorgen für einen steten Kommunikationsfluss und Anschlusskommunikationen. Durch ihre Vielfalt können sie verschiedene Meinungen stärken und so politische Debatten quasi als Stellvertreter führen, aber nicht mit dem Ziel der Beendigung aller Konflikte, sondern auf eine Weise, die weitere politische Kommunikationen und die Bereitschaft zu deren Rezeption weiterhin erhält.
Wagner, Elke (2011): Kulturen des Kritischen. Zum Strukturwandel des Öffentlichen am Beispiel medizinkritischer Publika. In: Soziale Systeme 17 (1): S. 162-185.
abstract: Kritik am Arzt als professionelle Autorität hat es in der Geschichte schon immer gegeben. Neu ist aber, wie diese Kritiker in der Öffentlichkeit miteinkalkuliert werden und aufeinander Bezug nehmen: an der öffentlichen Kritik am Arzt werden unterschiedliche Kulturen des Kritischen sichtbar, die sich nicht mehr länger allein im Sinne eines bürgerlichen Meinungsstreits beschreiben lassen. Der Disput über Wahrheitsfragen wird symmetrisiert zum Austausch von Wahrnehmungsfragen; anstelle einer Verknappung von Argumenten zu einem gemeinsam geteilten Konsens stellt sich eine unabschließbare Pluralisierung von Sprechkulturen ein, die eher auf den differenten Ort des Sprechers verweisen als auf gemeinsam zu diskutierende Wissensfragen. Der Beitrag diskutiert diesen Wandel aus einer mediensoziologischen und zugleich praxeologischen Sicht anhand historisch und gegenwärtig unterschiedlicher öffentlicher Diskurs-Praktiken über den Arzt. Kritik wird nicht im Sinne eines öffentlichen Meinungsstreits als gegebene Form vorausgesetzt. Vielmehr wird die praktische Herstellung kritischer Publika nach ihren gesellschaftlichen und medialen Bedingungen befragt. Der Beitrag zeigt, dass Demokratisierung von Öffentlichkeit auch zur Demokratisierung dessen führt, was diese miterzeugt hat: das bessere Argument einer vernünftigen Rede.
Mascareño, Aldo (2011): The Function of Ethics from the Perspective of the Individual. In: Soziale Systeme 17 (1): S. 186-210.
abstract: Als Theorie der Moral wird die Ethik zu einer Reflexion darüber, wie der moralische Code auf unterschiedliche gesellschaftliche Zusammenhänge angewendet wird. Dieser Aufsatz versteht ergänzend die Funktion der Ethik als eine lose Kopplung zwischen individueller Motivation und sozialer Selektivität, i.e. zwischen einer individuell skizzierten gesellschaftlichen Projektion und der sachlichen Erfahrung in der Gesellschaft. Als eine lose Kopplung besteht die Funktion der Ethik darin, vor eventuellen Entkopplungen individueller Motivation und sozialer Selektivität zu warnen, so dass eine institutionell nicht akzeptierte individuelle Wünschbarkeit zumindest in der Ethik Akzeptanz findet. Der Aufsatz illustriert dies anhand vier unterschiedlicher Inklusion/Exklusions-Konstellationen.
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