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McGoldrick, Monica; Randy Gerson
Genogramme in der Familienberatung
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Verlag Hans Huber, Bern
2002
2., durchges. u. neu gestaltete Auflage 2000. 206 S., Kt
ISBN: 3456834888
Preis: 22,95 € |
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Verlag Hans Huber

Tom Levold, Köln:
1985 legten Monica McGoldrick und Randy Gerson mit „Genograms in Family
Assessment“ einen wirklichen Klassiker der familientherapeutischen
Literatur vor, der mittlerweile (2000) in einer überarbeiteten und vor
allem auf angenehmste Weise neu gestalteten deutschen Übersetzung (von
Irmela Erckenbrecht) im Schweizer Huber-Verlag erschienen ist und nun
(2005) im zweiten Nachdruck erscheint.
Laut Vorwort ist es das Ziel des Buches, „eine Standardisierung von
Genogrammen und Genogramm-Interviews voranzutreiben und die Prinzipien,
die der Interpretation und Anwendung von Genogrammen zugrunde liegen,
klar zu umreißen. Auf diese Weise soll Familientherapeuten, Ärzten,
Schwestern, Pflegern und anderen Fachkräften, die mit Familien
arbeiten, die Anwendung von Genogrammen erleichtert werden“.
Diesen Zweck hat das Buch in seiner nunmehr 20jährigen Geschichte wohl
bereits vielfach erfüllt. Die Symbole für unterschiedliche
Familienmitglieder und ihre Beziehungen sind heute weitgehend
Allgemeingut geworden, es dürfte zumindest für die wenigsten der
genannten Fachkräfte ein Problem sein, ein nach diesen Richtlinien
entworfenes Genogramm zu entziffern. Genogramme haben sich als
ausgesprochen gute Möglichkeit erwiesen, Informationen, die ansonsten
in einer Akte nur sequentiell aufzufinden sind, in einer einzigen
Zeichnung zusammenhängend darzustellen und auf diese Weise klinische
Hypothesenbildung zu erleichtern und zu fördern. Dennoch bin ich immer
wieder als Supervisor verblüfft, dass dieses Instrument z.B. in
psychiatrischen Kontexten noch viel zu wenig eingesetzt wird, so dass
dann dickleibige Akten in der Fallbesprechung herangezogen werden
müssen, um rekonstruieren zu können, aus welchen Familienkontext die
Patienten stammen und welcher Art die aktuellen Familienbeziehungen
sind, falls das mit dem erhobenen Aktenwissen überhaupt möglich ist.
Das Buch führt auf einleuchtende und anregende Weise in die Erstellung
von Genogrammen ein, wobei sowohl die einzelnen Symbole für alle
möglichen Konstellationen erklärt als auch Hinweise gegeben werden, wie
die benötigten Informationen in einem „Genogramm-Interview“
systematisch erhoben werden können: Entlang den Dimensionen des
präsentierten Ausgangsproblems und des unmittelbaren Haushaltes der
Index-Person, der aktuellen Lebenssituation, des umfassenderen
Familienkontextes und des sozialen Umfeldes, der objektiven Daten bzgl.
Geburt, Heirat, Trennung, Scheidung, Krankheiten, Religion, Beruf und
Ausbildung etc. der familienhistorischen Perspektive, innerfamiliärer
Rollen usw.
Der Clou dabei ist, dass zur Illustration dieser Technik keine
klinischen Beispiele aus der Praxis der Autoren herangezogen werden,
sondern ausschließlich Familien berühmter Personen der Zeitgeschichte,
die den Lesern fast durchweg bekannt sein dürften, wie etwa Sigmund
Freud, Henry Fonda, Virginia Woolf, Elizabeth Taylor und Richard
Burton, die Kennedys usw. Die Beispiele sind daher lehrreich und
unterhaltsam zugleich und demonstrieren zudem das Potential des
Genogramms, nämlich die Komplexität von Familienverhältnissen in einem
Bild zu verdichten, deren sprachliche Entfaltung viel Text erfordern
würde.
Neben diesen unterschiedlichen Informationen schlagen die Autoren auch
vor, die Qualität von Beziehungen in das Genogramm einzutragen (als
„sehr eng“, „distanziert“, „konfliktreich“, „entfremdet“ etc.). Dagegen
lässt sich mit Recht einwenden, wie Bruno Hildenbrand in seiner
„Einführung in die Genogrammarbeit“ verdeutlicht (s. Rezension im systemagazin),
dass eine solche Einzeichnung qualitativer Daten schnell dazu führt,
die Dimension der Veränderung im Beziehungsverlauf auszublenden und der
Beziehung einen quasi ontologischen Status zuzuweisen, damit aber die
Komplexität und Ambivalenz von Beziehungen im Verlauf der Zeit zu wenig
in Rechnung zu stellen und auch zu vernachlässigen, dass es sich immer
um die Charakterisierung durch die jeweiligen Informanten handelt und
nicht um „objektive“ Daten. Dennoch kann die Markierung solcher
Beziehungsqualitäten in bestimmten klinischen Situationen hilfreich
sein und die Hypothesenbildung strukturieren.
Das umfangreichste Kapitel des Buches behandelt die Interpretation von
Genogrammen anhand von sechs system- und familientherapeutisch
bewährten Kategorien.
Die Kategorie der Familienstruktur erfasst die Bedeutung der
Haushaltszusammensetzung und Geschwisterkonstellationen. Hier werden
Hinweise gegeben, auf welche klinisch relevanten Themen zu achten ist,
je nach dem, ob es sich um eine intakte Kernfamilie oder um andere
Haushaltskonstellationen handelt, welche Position in der
Geschwisterfolge eine Indexperson einnimmt, welche Rolle
Geschlechterverhältnisse und Altersunterschiede in der Geschwisterreihe
spielen usw.
Die zweite Kategorie betrifft Übergänge im familialen Lebenzyklus (z.B.
Ablösung vom Elternhaus, Heirat, Familiengründung, Bildungs- und
Karriereverläufe, Tod) und fokussiert auf mögliche
Anpassungsschwierigkeiten, die zu erwarten sein können, wenn die
entsprechenden Daten im Genogramm den allgemein üblichen normativen
Erwartungen der Kultur widersprechen.
Die Identifikation von generationenübergreifenden - funktionalen oder
dysfunktionalen - Mustern ist Thema der dritten Kategorie
„Beziehungsmuster“. Die vierte Kategorie nimmt kritische und
traumatische Lebensereignisse sowie soziale, ökonomische und politische
Ereignisse und ihre Funktionalität für die Entwicklung von
Familienbeziehungen in den Blick.
Ausführlich werden Beziehungsmuster und Dreiecke in
Familienkonstellationen (als fünfte Kategorie) untersucht. Die
Problematik von triadischen Beziehungskonstellationen, in denen es ja
immer auch um Einschließung und Ausschließung geht, ist eines der am
gründlichsten untersuchten Themen in der Geschichte der
Familientherapie, das die pathogene Bedeutung von heimlichen
Koalitionen über die Generationsgrenzen hinweg ebenso wie von
triadischen Konfliktbeziehungen innerhalb der Erwachsenengeneration
(Außenbeziehungen, Feindschaften zwischen früheren und aktuellen
Partnern usw.) in den Vordergrund stellt. Problematische
Beziehungsdreiecke lassen sich auch zwischen leiblichen und Adoptiv-
oder Pflegefamilien finden, auch Helfer und ihre Einrichtungen sind
oftmals in triadische Beziehungsmuster eingebunden, ohne sich dessen
immer bewusst zu sein.
Die letzte Kategorie betrifft die Idee des Gleichgewichtes bzw.
Ungleichgewichtes in Familien und nimmt balancetheoretische
Überlegungen auf, die postulieren, dass zur Herstellung befriedigender
Familienbeziehungen eine gewisse Ausgeglichenheit der Ressourcenlage
Voraussetzung ist. Ivan Boszormenyi-Nagy hat diese Perspektive zum
Ausgangspunkt seiner Theorie der Kontenführung von Schulden und
Verdiensten in der Familie gemacht.
Jede dieser Kategorien erhellt etwas davon, was Familie bedeutet und
dunkelt andere Aspekte eher ab. Sicherlich könnten auch andere
Gesichtspunkte gefunden werden, unter denen ein Genogramm untersucht
werden kann. Aber die Reichhaltigkeit der in diesem Buch angebotenen
Ideen und Beispiele sollte in jedem Fall Anregungen genug geben, um in
der eigene Arbeit mit Familien Ideen zu entwickeln, wie angebotene
Probleme mit dem Familienkontext in Beziehung gesetzt werden könnten -
und darin liegt genau die heuristische Funktion der Genogrammarbeit:
nämlich nicht, familiendynamische Festlegungen im Sinne einer
„objektiven Diagnostik“ zu vollziehen, sondern Einfälle
hervorzubringen und zu organisieren, die wiederum ermöglichen, im
therapeutischen Prozess anschlussfähige Fragen zu stellen.
Zwei recht kurze Abschnitte behandeln die klinischen
Einsatzmöglichkeiten von Genogrammen (als Ressourceninventar oder als
Dokumentationsmöglichkeit) sowie die „Zukunft des Genogramms“, wobei es
in erster Linie um den Einsatz als Forschungsinstrument und die
computergestützte Erstellung von Genogrammen geht - eine Aufgabe, die
1985 noch am Anfang stand. Mittlerweile gibt es einige Programme, die
die Erstellung von Genogrammen am Computer ermöglichen, übrigens auch
eines vom mittlerweile verstorbenen Co-Autor Randy Gerson, das unter
dem Namen „Genogram-Maker Millennium“ in einer völlig neu
programmierten Fassung für unterschiedliche Betriebssysteme erhältlich
ist (s. Rezension im systemagazin).
Der Band wird mit einem ausführlichen Anhang abgerundet, der eine
Zusammenfassung der standardisierten Symbole und Konventionen zur
Erstellung von Genogrammen, einen Fragenkatalog zur Durchführung eines
kurzen Genogramm-Interviews und alle Kategorien und Unterkategorien zur
Interpretation von Genogrammen enthält. Neben dem Literaturverzeichnis
sind die Quellen separat aufgeführt, die zur Erstellung der
„Prominenten-Genogramme“ verwandt wurden. Schließlich findet sich noch
ein ausführliches und gründliches Sachregister sowie ein Verzeichnis
aller Abbildungen.
Wer einen Einblick in die Genogrammarbeit sucht und selbst mehr
Sicherheit im Umgang mit der Erstellung von Genogrammen erlangen
möchte, sollte diesen Band zur Hand nehmen. Aber auch die erfahrenen
PraktikerInnen können immer wieder davon profitieren, indem sie öfter
einmal nachschlagen - und den Band als Handbuch benutzen.

Monica McGoldrick ist im Internet über ihr Multicultural Family Therapy Institute zu finden. Dort gibt es auch einige Informationen zur ihrer Berufsbiografie
und zahlreiche andere Genogramme von bekannten Persönlichkeiten, u.a.
die Kandidaten der jüngsten amerikanischen Präsidentschaftswahlen.
Einen kleinen englisch-sprachigen Kursus über "Understanding, creating,
and intepreting genogramms" von Kathleen M. Galvin und Carma L. Bylund finden Sie hier.
Eine weitere Anleitung zur Erstellung von Genogrammen (in Verbindung mit der Genogrammsoftware genopro) ist hier zu lesen - ebenfalls in Englisch.
Und noch ein ausführlicherer deutscher Text von R. Genc mit dem Titel "Zugang der Genogrammarbeit für die Heilpädagogik"
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