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systemagazin Zeitschriftenarchiv: Soziale Systeme Heft 1/2004
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1/2004 - 2/2004 - Übersicht
Baecker, Dirk (2004): Einleitung: Wozu Gefühle? In: Soziale Systeme 10(1), S. 5-20
abstract: Obwohl Talcott Parsons die Vermutung formuliert hat, dass Gefühle zusammen mit Intelligenz und Einfluß Austauschmedien im Handlungssystem sind, die in ihrer Bedeutung für die Motivation und Selektion von Handlung in der modernen Gesellschaft an die Stelle, immerhin, der sozialen Schichtung getreten sind, gibt es keine soziologisch prominente Theorie der Gefühle. Erst in jüngerer Zeit wird der Gegenstand wieder entdeckt und etwa unter dem Gesichtspunkt des „emotion work“, der Kompetenz des sozial dosierten Umgangs mit Gefühlen, des Näheren erforscht. In dieser Einleitung in das Themenschwerpunktheft „Soziologie der Emotion“ werden einige Aspekte einer Soziologie der Gefühle vorgestellt. Im Zentrum steht die Frage, welche Perspektiven die Theorie sozialer Systeme in der Fassung, die Niklas Luhmann erarbeitet hat, für eine Soziologie der Gefühle bereithält. Dabei stellt sich heraus, dass die Soziologie der Gefühle bei Luhmann ebenfalls keinen prominenten Stellenwert hat, mit der Theorie ihrer Funktion bei der normativen Amplifikation von Erwartungen zu Ansprüchen und als Immunsystems des Bewusstseins jedoch weiterführende Hinweise vorgelegt hat. Die Einleitung stellt die verschiedenen Beiträge des Heftes vor und konzentriert sich dabei auf eine Theorie der Attributionsambivalenz der Gefühle.
Ciompi, Luc (2004): Ein blinder Fleck bei Niklas Luhmann? Soziale Wirkungen von Emotionen aus Sicht der fraktalen Affektlogik. In: Soziale Systeme 10(1), S. 21-49
abstract: Dynamische Wirkungen von Emotionen auf das kollektive Denken und Verhalten wurden bisher soziologisch kaum hinreichend erfasst. Dies wird im ersten Teil des Artikels anhand der kritischen Analyse ihres Stellenwerts im Werk von Niklas Luhmann paradigmatisch aufgezeigt. Luhmann versteht Emotionen fast nur als individuelle Störphänomene, die grundsätzlich nicht Gegenstand der Soziologie seien. Dieser Sichtweise wird anschliessend das Konzept der fraktalen Affektlogik (Ciompi 1982; 1997) gegenübergestellt, welches Affekte als gerichtete energetische Zustände evolutionären Ursprungs auffasst, die mit spezifischen Verhaltenstendenzen und Kognitionen gekoppelt sind und sich – u.a. dank dem Phänomen der emotionalen Ansteckung – auf verschiedenste soziale Ebenen ausbreiten. Emotionen beeinflussen das kollektive Denken und Handeln sog. selbstähnlich wie das individuelle. Sie lenken Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis auf Ausserordentliches, regulieren das Alltagsverhalten und vermögen auch plötzliche nichtlineare Umschläge von Fühlen, Denken und Verhalten in global neue Funktionsmuster zu bewirken. Anhand von sozialen Schlüsselphänomenen wie kontingenter Kommunikation, Selbstreferenz, Komplexitätsreduktion, Sinn- und Wertbildung wird weiter gezeigt, dass kollektive Affekte im Dienst der Autopoiese sozialer Systeme stehen. Sie sind biogene Grundenergien, die letztlich alle soziale Dynamik mobilisieren und strukturieren. Diese Sichtweise ergänzt einen "blinden Fleck" in der Luhmannschen Soziologie und führt zu neuen Fragestellungen.
Wimmer, Manfred (2004): Gestörtes Gleichgewicht, symbolische Ordnung: Biologische und soziokulturelle Dimensionen der Interaktion von Emotion und Kognition. In: Soziale Systeme 10(1), S. 50-72
abstract: Eine evolutionär–phylogenetische Perspektive hinsichtlich des Verhältnisses von Emotion und Kognition macht deutlich, dass deren Wurzeln in basalen regulativen Aktivitäten zu finden sind und beide untrennbar zusammenwirken. Phylogenetische Entwicklung ist dabei durch jeweils spezifische Formen der Affekt–Kognition Interaktion gekennzeichnet, wobei der affektive Anteil immer eher auf die organismusinternen Zustandsformen hin ausgerichtet ist, welche die äußerlich sichtbaren Verhaltensakte massiv beeinflusst. So wirken beispielsweise im Bereich instinktiver Verhaltensorganisation die emotionalen Verhaltenskomponenten als jene richtungsgebenden Instanzen, welche sensorische, motorische und ganz allgemein kognitive Prozesse massiv beeinflussen. Als zentrales Charakteristikum menschlichen Verhaltens erscheint die Fähigkeit zur Symbolbildung, welche ein völlig neue Dynamik der Affekt–Kognition Interaktion zur Folge hat. Affektiv–kognitive Prozesse sind nun nicht mehr unmittelbar an die paläopsychische Nahwelt gebunden, sondern bewegen sich innerhalb komplexer Symbolsysteme welche auch umfassende psychische Destabilisierungen bedingen, die wiederum zur Entstehung weiterer (vielfach kompensatorischer) Symbolsysteme beitragen. Trotz der massiven Veränderungen und Transformationen welche das biologisch angelegte Affektrepertoir dabei erfährt, wirkt es fortwährend als limitierender Rahmen und bildet damit gleichsam „Tiefenstrukturen“ der entstehenden symbolischen Räume.
Emrich, Hinderk M. (2004): Neurokognitive und psychologische Aspekte einer Gefühlstheorie sozialer Bindungen. In: Soziale Systeme 10(1), S. 73-88
abstract: Der Frage, auf welche Weise Gefühlszustände in die neurokognitiven Prozesse bei sozialem Bindungsverhalten implementiert sind, wird auf verschiedenen Ebenen der Wahrnehmungspsychologie und der Interpersonalbeziehung nachgegangen. Prototypisch werden die Befunde aus der Synästhesie-Forschung vorgestellt und hinsichtlich der von R. Girard entwickelten Mimesis-Theorie der Begehrenskopplung diskutiert. Ein wesentliches verbindendes Element hierbei ist die Frage nach Prozessen intrapsychischer Kohärenzbildung. Es wird vermutet, dass soziale Bindungs-Stabilisierungsprozesse mit gefühlshaften Kohärenzsteigerungen einhergehen, die mit Elementarprozessen der Versprachlichung zu tun haben.
Fuchs, Peter (2004): Wer hat wozu und wieso überhaupt Gefühle? In: Soziale Systeme 10(1), S. 89-110
abstract: Üblicherweise versteht man unter Gefühlen, Emotionen oder verwandten Konzepten einen Phänomenbereich, der sich soziologischer Beobachtung entzieht, es sei denn, diese Beobachtung bezieht sich auf die analysierbare Semantik von Gefühlen. In diesem Aufsatz wird der Versuch gemacht, Gefühle oder Emotionen funktional zu bestimmen. Das Ergebnis ist, daß das, was wir Gefühle nennen, sich der asketischen Konstitution eines Bewußtseins verdankt, daß in Koproduktion mit Kommunikation seine Unfähigkeit registriert, direkt und vollständig seine wahrgenommenen komplexen Körperzustände in soziale Systeme ‚einzuspiegeln‘. Es benutzt ja nichts weiter als Zeichen für seine eigene Reproduktion. Deshalb entwickelt es in Zusammenarbeit mit Kommunikation Zeichen, die für das einstehen, wofür kein Zeichen einstehen kann.
Simon, Fritz B. (2004): Zur Systemtheorie der Emotionen. In: Soziale Systeme 10(1), S. 111-139
abstract: Emotionen als psychische Ereignisse, die nicht von außen beobachtbar sind, müssen von der Kommunikation von Emotionen unterschieden werden. In ihrer sozialen Funktion lassen sie sich als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien verstehen, die – je nach Typ der kommunizierten Emotion – die Entstehung charakteristischer Interaktionssysteme wahrscheinlich oder unwahrscheinlich machen. These ist, dass eine ihrer zentralen Funktionen darin besteht, als "Außenseite" die Bildung von Organisationen zu fördern, die einer nicht-emotionalen Logik der Entscheidungsbildung und Konfliktlösung dienen. Die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktionssysteme läßt sich als Institutionalisierung der Negation der Kommunikation von Emotion im Rahmen des Zivilisationsprozesses erklären. Emotionen spielen eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung kultureller Muster, da ihre Befolgung oder der Verstoß gegen sie von den Interaktionsteilnehmern der jeweiligen Kultur mit der Kommunikation von positiven oder negativen Emotionen beantwortet wird.
Staubmann, Helmut (2004): Der affektive Aufbau der sozialen Welt. In: Soziale Systeme 10(1), S. 140-158
abstract: Der blinde Fleck der Soziologie in Bezug auf Emotionen liegt keineswegs in einer schlichten Ignorierung von Emotionen, sondern darin, dass Emotionen als etwas Präsoziales oder Präkulturelles aufgefasst werden, also ihr genuin sozialer Charakter nicht erkannt wird. In der Sprache Luhmanns: Emotionen gelten als Teil der Umwelt des sozialen Systems. Was damit ausgeblendet wird, sind die affektiven Prozesse und Strukturen sozialer Systeme, der affektive Aufbau der sozialen Welt. Der Grund liegt in einer essentialistischen Definition der Soziologie und ihrer daraus abgeleiteten Grundbegriffe. Im Falle Luhmanns ist es die definitorische Bindung der elementaren sozialen Operation Kommunikation an Sinn und konsequenterweise der sozialen Struktur an Semantik. Die Bedingung der Möglichkeit der Wahrnehmung von Emotionen als soziale Phänomene besteht in einer begrifflichen Differenzierung, die am Beispiel von Simmels Form/Inhalt-Unterscheidung und Parsons' funktionaler Definition des ”Handlungssystems” demonstriert wird. Im Anschluss an die Parsons'sche Theorie wird weiters durchaus im Sinne des für Luhmann zentralen Autopoiesis-Konzeptes dafür argumentiert, Affektivität als eine strukturell unabhängige Komponente sozialer Kommunikation/Handlung zu begreifen.
Stenner, Paul (2004): Is Autopoietic Systems Theory Alexithymic? Luhmann and the Socio-Psychology of Emotions. In: Soziale Systeme 10(1), S. 159-
abstract: Nach einer kritischen Sichtung der Luhmann'schen Überlegungen zum Phänomen der Emotionen wird eine Theorie entwickelt, die emotionale Prozesse in einer Zone der strukturellen Kopplung von organischem, psychischem und sozialem System lokalisiert. Die Theorie lenkt die Aufmerksamkeit auf einen substantiellen historischen Zusammenhang von (legalen oder moralischen) Rechten und Emotionen. Dieser Zusammenhang wird durch einige Beispiele illustriert, die sich mit spezifischen Emotionen und einem allgemeinen Konzept von Emotionen beschäftigen.
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