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12.09.2005
Steve de Shazer gestorben
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Am 11.9.2005 ist Steve de Shazer, der
Begründer des so genannten "Lösungsorientierten Ansatzes" in der
Psychotherapie, im Alter von 65 Jahren in Wien an den
Folgen einer
Lungenentzündung gestorben. In Wien hielt er sich
aus Anlass eines geplanten Workshops auf. Genauere Informationen sind
dem nachfolgend zitierten Brief von Ferdinand Wolf aus Wien an die systemische Mailing-Liste zu entnehmen, der in den letzten Stunden bei Steve de Shazer war.
An dieser Stelle aber zunächst ein Nachruf von Joachim Hesse sowie ein kurzes Gedenkwort von Joachim Hinsch, Leiter des Wiener Instituts für Ehe- und Familientherapie:
Joachim Hesse, Euskirchen:
Er ist gestorben, wie er gelebt und gelehrt hat; mit Schalk in den
Augen und einem ernsten Witz schied er aus dem Leben. Nach einem von
Ferdinand Wolf gewünschten „Good night“, antwortete er: „May be not
GOOD night, but NOT TOO BAD night“.
Wer ihn als Mensch und Ausbilder gekannt hat, spürte immer, dass seine
unbestechliche Klarheit mit Liebe gepaart war. Dies hatte nichts mit
einem simplifizierenden Optimismus, geschweige denn, etwas mit
„positivem Denken“ zu tun.
Ein Beispiel für seine liebevolle Klarheit war die Art und Weise, wie
er die Wunderfrage (man muss ja nicht an Wunder glauben, damit sie
passieren) stellte. Immer wieder die gleiche Frage so neugierig und
wundersam zu stellen, dass Klient und Therapeut in Bann gezogen
werden, ist ein wirkliches Wunderwerk.
Damit sich die Kraft der Wunderfrage wirksam entfalten kann, legte
Steve großen Wert darauf, dass die Frage nicht originell, sondern
originalgetreu – also weder kopierend, noch ausinterpretierend –
gestellt wird. (Wer sich für die Originalversion der
Wunderfrage interessiert, kann sie sich von: J.
Hesse, Sternenstr. 1, 53881 Euskirchen zuschicken lassen.) In dieser
Hin-Sicht war Steve sehr genau und ganz und gar nicht
konstruktivistisch.
Die Strenge und Lockerheit von Steve’s Fühlen, Denken und Handeln
entspringt meines Erachtens einem holistischen Realismus. Unabhängig
von seinen (de-)konstruktivistischen Erkundigungen, gewann ich im Laufe
unserer mehr als 15-jährigen freundschaftlichen Zusammenarbeit den
Eindruck, dass er alles andere als ein postmoderner
Beliebigkeits-Relativist gewesen war.
Auf einem von uns veranstalteten Symposium in Köln machte er
unmissverständlich klar, dass er konstruktivistische Ideen lediglich
als nützliches Werkzeug gebrauchte, um den Therapieprozess reflexiv
beschreiben zu können. Ein normativer und unrealistischer Gebrauch
konstruktivistischer Ideen war ihm fremd. Dazu war er zu sehr Realist.
„It’s too simple, to be unrealistic“, war einer seiner Kommentare.
Er verwendete das Wort „Konstruktivismus“ im Dienste der Realität: zur
Erkundung von Wirklichkeitskonstruktionen und zu
Realisierbarkeitserkundungen realistischer Lösungswege.
In diesem Sinne reagierte Steve in den Seminaren sehr erstaunt, wenn er
nach dem Aspekt von Gefühlen im Therapieprozess gefragt wurde. Solche
Fragen empfand er als etwas Trennendes. Denn Gefühle konnten für ihn
nicht – z. B. durch „Gefühlsarbeit“ – von der Realität des Menschen
abgespalten werden. Wer ihm nah genug gegenüber saß, konnte sehen und
erleben, wie feinfühlig er z. B. mit seinen großen staunenden Augen auf
einen einging und gleichzeitig dabei frei ließ.
Diese wunderbare Art seiner Geborgenheit der Distanz werde nicht nur
ich schmerzlich vermissen. Mit ihm ist eine
Ausnahmepersönlichkeit verstorben. Sein Tod ist eine Zäsur."
Joachim Hinsch, Wien:
"Steve de Shazers plötzlicher Tod hat hier in Wien uns alle in tiefe
Bestürzung gestürzt. Die Nachricht löste sofort einen Sturm im
Telefonnetz aus. Viele Anrufe waren nicht nur Nachricht, sondern
entsprangen auch der Sorge, wen man jetzt unbedingt benachrichtigen
muss. So etwas löst nicht jemand aus, der bloß sehr bekannt oder
berühmt ist, sondern offensichtlich war er für viele, selbst wenn sie
ihn nicht persönlich gut kannten, ein lieb gewordener großer Freund,
ein großer Bruder geworden.
Seine Idee, nicht das System "Problem" sondern das System "Lösungen"
anzuschauen, hat in der Szene einen Erdrutsch ausgelöst. Danach war
nichts mehr wie vorher. Er hat damit so tiefe Spuren hinterlassen, wie
es nur ganz wenigen Menschen vergönnt ist: Er hat das Denken verändert.
Aber sein Tod lässt diesen Weg nur schwer finden. Der Verlust ist zu groß, um schnell wieder in Lösungen denken zu können."
Und hier der Brief von Ferdinand Wolf im Wortlaut:
"Liebe Freunde von SYSTEM-L,
Steve sollte gestern und heute ein Seminar in Wien gestalten. Er kam
Samstag nachmittags von London nach Wien. Wir hatten vor zwei Wochen
vereinbart kurz nach seiner Ankunft - wie immer -.gemütlich bei Bier
und gutem Essen zusammenzusitzen und über Gott und die Welt zu
plaudern. Ich wurde von der Flughafenambulanz zu Hause kontaktiert
(Steve wollte alleine vom Flughafen ins Hotel kommen), daß Steve in
einem kritischen Zustand sei. Ich ersuchte, ihn mir ans Telefon zu
geben. Er übermittelte mir - bereits schwer atmend - seinen dringenden
Wunsch nach ärztlicher Hilfe. Wir entschieden, daß er sofort in ein
Krankenhaus kommen sollte. Ich kam auch dort an, als er eingeliefert
wurde.
Wir konnten noch kurz sprechen. Er war bereits an ein Beatmungsgerät
angeschlossen. Das Sprechen strengte ihn sehr an.Ich hielt ihn an der
bereits mit mehreren Schläuchen versehenen Hand. Steve sagte, daß er
sehr froh wäre, mich jetzt bei sich zu haben. Der Flug wäre für ihn
schrecklich gewesen. Er war bereits in London etwas verkühlt gewesen.
Ich sollte versuchen, ihm ein Telefon zu besorgen und wenn möglich die
Gruppe in Wien, aber auch Insoo und Harry Korman in Malmö zu
kontaktieren. Ich versprach ihm das alles zu tun. Der Arzt ersuchte
mich bald zu gehen, da Steve offensichtlich an einer schweren Pneumonie
litt. Steve ersuchte mich noch einwenig zu bleiben und ihm von meiner
Familie und meinen derzeitigen Projekten zu erzählen. Nach einigen
Worten ersuchte mich der Arzt das Zimmer zu verlassen. Wir
verabschiedeten uns in der für Steve bezeichnenden humoristischen Art.
Nach meinem "Good night!" antwortete er "Maybe not GOOD night, but NOT
TOO BAD night". Ich stellte mich den Ärzten als Verbindungsperson zur
Verfügung und ersuchte sie, mich über alles auf dem laufenden zu
halten. Zwei Stunden später erlitt er einen septischen Schock. Er wurde
in künstlichen Tiefschlaf versetzt und erhielt Antibiotika, da sein
Immunsystem nicht funktionierte. Sonntag vormittag war Steve noch immer
im Tiefschlaf. Sonntag nachmittag kam Insoo per Flugzeug von
Kopenhagen. Ich holte sie vom Flughafen ab, von wo wir sofort ins
Krankenhaus fuhren. Steve's Zustand verschlechterte sich zusehends. Er
verblieb weiterhin im Tiefschlaf unnd sollte nicht mehr aufwachen.
Insoo verblieb bei sehr lieben Freunden von uns beiden in Wien, da ich
40 km außerhalb von Wien wohne. Um 23 Uhr wurde ich vom Spital
kontaktiert, daß sich der Zustand weiter verschlechtere und in
absehbarer Zeit mit dem Tod von Steve zu rechnen sei. Ich informierte
sofort Insoo, sodaß sie noch rechtzeitig bei Steve sein konnte und er
um 23.47 in ihrem Beisein starb. Wir haben dann gestern gemeinsam mit
den beiden Freunden, Marianne Rössler und Wolfgang Gaiswinkler alle
organisatorischen Belange im Spital und auch außerhalb erledigt. Heute
wird Insoo zur Botschaft und zum Bestattungsinstitut gehen. Sie hat
entschieden eine Feuerbestattung in Wien durchführen zu lassen, um die
Urne dann nach Milwaukee zu überführen.
Es ist beindruckend wie Insoo in ihrer unnachahmlich bescheidenen Art
mit der Trauer über den Tod von Steve umgeht und zurechtkommt. Auch sie
ist froh, hier nicht alleine zu sein. Sie ist auch stark beeindruckt
und berührt über die unglaubliche Anteilnahme aus aller Welt und
ersucht mich Euch /Ihnen ihren Dank dafür zu übermitteln.
Es ist für mich noch immer unfaßbar einen derartig außergewöhnlichen
Menschen, Freund, Lehrer, Kumpel und Spiritus Rektor wie Steve verloren
zu haben. In meinem Herzen wird er immer bleiben.
Ferdinand Wolf"
Quelle:
Virtuelle Praxisgemeinschaft für Systemisches Denken und Handeln SYSTEM-L
Die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für systemische Therapie ÖAS hat auf ihrer website eine eigene Seite mit Kommentaren und Nachrufen (u.a. von Kurt Ludewig, Gerhard Walter und Rudi Kronbichler) eingerichtet.
Ein Nachruf
von Manfred Vogt, Wolfgang Eberling, Heinrich Dreesen und dem Team des
Norddeutschen Institutes für Kurzzeittherapie, NIK, Bremen
Eine Seite mit Nachrufen von Matthias Varga von Kibéd, Yvonne Dolan und anderen
Ein Nachruf von Gerd F. Müller
Der Nachruf des englischen Guardians
Eine Danksagung von Insoo Kim Berg
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