Kap. 1: Eine binokulare Theorie der Veränderung (1) (S. 39-58).
Isomorphie
Sobald die Therapeuten des Teams hinter dem Spiegel diese Barriere durchbrochen und sich von Beobachtern zu Teilnehmern verwandelt hatten, wurde offensichtlich, dass eine ökosystemische Epistemologie (Keeney 1979; Wildon 1972) notwendig war (siehe Einleitung). So kam es, dass man anfing, die Grundelemente der Therapiesituation als Muster zu sehen, welche die Familien ebenso wie die Therapeuten (oder, genauer gesagt, das Therapieteam) und die Interaktion oder den Informationsaustausch zwischen diesen beiden Komponenten des therapeutischen Systems umfassten. Man könnte sagen, dass die beiden Subsysteme (das der Familie und das des Therapeutenteams) durch ihre Interaktion ein neues (oder mehrere neue) Muster und damit ein Suprasystem erzeugen.
»Diese Sicht der miteinander verflochtenen Beziehungsfelder [relational fields] des Therapeuten und des Patienten könnte man mit Moiré-Mustern vergleichen, bei denen zwei unabhängige Muster durch Interaktion ein neues Muster erzeugen« (Keeney 1979, p. 126).
Diese grundlegende Veränderung unserer Beschreibungen und unserer Beobachtungsmethoden impliziert eine Modifikation der allgemeinen Struktur der therapeutischen Bemühungen und der ihnen zugrunde liegenden Theorie, was eine neue Theorie oder ein neues Modell der Veränderung notwendig macht, welches der »Unmöglichkeit, den wissenschaftlichen Beobachter von den beobachteten Phänomenen zu trennen« (Capra 1983, S. 276), Rechnung trägt.
Da die beiden Subsets von Mustern (das der Familie und das des Therapeutenteams) miteinander verflochten werden, muss die Theorie der Veränderung, die den Therapeuten bei der Planung seiner Interventionen leitet, auf dem neuen Muster basieren, dessen Entwicklung beobachtet wird. Die Theorie muss die Beschreibung des auftauchenden Musters lenken, und dieses Muster muss im Hinblick auf die Interaktion der beiden Subsysteme beschrieben werden. Weiterhin muss die Beschreibung zunächst das Beschwerdenmuster (complaint pattern) der Familie einbeziehen, außerdem das Interventionsmuster, den Bericht der Familie über ihre Reaktion auf die Intervention, dann auf die nächste Intervention und so weiter. Es ist notwendig, diese Beschreibung der Muster, die sich im Laufe der Therapie entwickeln, einzubeziehen, damit das Therapeutenteam zumindest in einem gewissen Maße feststellen kann, ob seine Interventionen von Nutzen gewesen sind.
Dieser konzeptuelle Entwurf suggeriert, dass irgendetwas am Interventionsmuster und am Beschwerdenmuster der Familie sowie an der Interaktion zwischen diesen beiden Mustern Veränderung zuwege bringen kann. Zwei primäre Konzepte, die gleichberechtigt nebeneinanderstehenden (concurrent) Konzepte des »Isomorphismus« (2) und des »Kooperierens«, haben sich entwickelt, seit die Mitglieder des Therapeutenteams zu Teilnehmern wurden, die definieren können, was jenes »Etwas« an der Interaktion zwischen den Subsystemen zu sein scheint und wie es den Veränderungsprozess einleiten kann.
Eine Idee Batesons deutet darauf hin, wie jenes »Etwas« der entstehenden Muster beschrieben werden muss.
»Wenn Sie mit Muster A herumlaufen und auf Muster B treffen, so ist das Einzige, was dabei herauskommt, dass Sie Ihr Muster A sehen und eine Hybridform von A und B. Sie sehen niemals B« (Keeney 1979, p. 126).
Deshalb wird die Familie, wenn die therapeutische Intervention als »Muster B« beschrieben werden kann und das Beschwerdenmuster der Familie als »Muster A«, bestenfalls eine Mischung aus beiden empfangen: aus A und B. Ebenso kann das Therapeutenteam, dessen Sicht von Muster B bestimmt ist, wenn es auf das Muster A der Familie trifft, niemals A sehen. Das Team wird bestenfalls eine Mischung aus B und A empfangen. Der Unterschied zwischen der »Mischung aus B und A« und der »Mischung aus A und B« ist von entscheidender Bedeutung für die binokulare Theorie der Veränderung. Wenn dies eine zutreffende Beschreibung dessen ist, was geschieht, wird die Familie, die die therapeutische Intervention empfängt, die Botschaft niemals empfangen, es sei denn als Bestandteil einer Mischform. Wenn bei diesen entstehenden Mustern Veränderung eine Rolle spielen soll, muss Muster B in einer engen Beziehung zu Muster A stehen, damit die Intervention den Zweck erfüllen kann, Muster A umzudeuten (to reframe) oder umzudefinieren. Die konkreten Fakten der Situation bleiben bestehen, doch der Zusammenhang, in dem sie gesehen werden, könnte sich ändern. Dies ist für die Familie relativ akzeptabel, da die Intervention sich auf bekanntes Gebiet (Territorium) bezieht.
Das Konzept des Isomorphismus kann ebenfalls dazu beitragen, die Definition dessen zu verfeinern, was jenes »Etwas« der Muster und der Beschreibungen der Muster umfassen muss.
»Das Wort ›Isomorphie‹ ist anwendbar, wenn zwei komplexe Strukturen aufeinander abgebildet werden können, und zwar so, dass es für jeden Teil der einen Struktur einen entsprechenden Teil der anderen Struktur gibt, wobei ›entsprechend‹ bedeutet, dass die beiden Teile in ihren jeweiligen Strukturen eine ähnliche Rolle spielen. Dieser Gebrauch des Wortes ›Isomorphie‹ ist von einem präziseren mathematischen Begriff abgeleitet« (Hofstadter 1985, S. 54).
Hofstadter tritt vehement dafür ein, »dass es derartige Entdeckungen von Isomorphien sind, die im menschlichen Gehirn Bedeutungen schaffen« (Hofstadter 1985, S. 54; Hervorh. im Orig.) Und in der Therapiesituation kann die Bedeutung als »Veränderung« beschrieben werden. Verallgemeinernd kann man sagen, dass der Prozess der Veränderung mit einer »Idee« oder der Nachricht von einem Unterschied beginnt, welche ein »Ergebnis« der Umdeutung (reframing) oder Veränderung der kontextuellen Bedeutungen einer Reihe konkreter »Tatsachen« ist (Watzlawick, Weakland u. Fisch 1974). Doch ist die Umdeutung keine Handlung, sondern ein Prozess (de Shazer 1979a), der die Wahrnehmung der Familie von ihrer Situation verändert und neue Verhaltensweisen ermöglicht (was die Veränderung der Wahrnehmung anzeigt), die wiederum neue subjektive Erfahrungen möglich machen. Das Konzept des Isomorphismus beinhaltet: Wenn die Beschreibung des Therapeutenteams von Muster B einem Muster A ähnlich ist (einer umgedeuteten Version des Musters A), nimmt die Familie Sinn in der Hybridform von A und A wahr, wodurch es wahrscheinlich zu einer Veränderung kommt.
Eine Metapher, die näheren Aufschluss über jenes »Etwas« an der Beschreibung des Teams und des Interventionsprozesses gibt, ist der »Bonus« (3) der Tiefenwahrnehmung, die entsteht, wenn wir mit zwei Augen die gleichen Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln sehen. Die Perspektive des rechten Auges lässt sich im Sinne des Isomorphismus auf der Perspektive des linken Auges abbilden, wodurch der »Bonus der Tiefenwahrnehmung« entsteht. Das Gehirn empfängt also zwei Botschaften: (1) die beiden Perspektiven der beiden Augen von der gleichen Sache – Isomorphismus – und (2) die »Nachricht vom Unterschied« zwischen den Perspektiven der beiden Augen – eine Beziehung, durch welche die Tiefenwahrnehmung entsteht. Diese »Nachricht vom Unterschied« ist ein wichtiger Teil der Epistemologie hinter der binokularen Theorie der Veränderung und ein wichtiger Bestandteil davon, wie wir erkennen und verstehen.
Das Konzept des Isomorphismus lässt sich somit, bezogen auf die Therapie, anwenden als die Fähigkeit des Teams, die familiären Muster (A) so zu beschreiben, dass die umgedeutete Beschreibung dieser Muster (A1) als Anleitung (guide) zur Entwicklung einer Intervention dienen kann, die sich auf dem Muster abbilden lässt, das die Familie beschrieben (described) und gezeigt (shown) (4) hat (A). Die Elemente der Beschreibung des Teams müssen den Elementen der Beschreibung der Familie sowie den Mustern entsprechen, die die Familie dem Team in der Therapiesitzung (oder in den Therapiesitzungen) gezeigt hat. Außerdem muss die Beschreibung des Teams (A1) aus einem anderen Blickwinkel als dem der Familie erfolgen, sodass die Familie (zumindest potenziell) die »Nachricht von einem Unterschied« empfangen kann. Das bedeutet, dass es zu einer Veränderung der Wahrnehmung kommt, was wiederum zu einer Veränderung der familiären Muster führt. Die so zustande kommende Verhaltensänderung führt ihrerseits zu einer Veränderung des subjektiven Erlebens. Diese isomorphe Beschreibung ermöglicht es dem Therapeutenteam, isomorphe Interventionen zu entwickeln, insbesondere das als »Kompliment und Hinweis« (clue) bestehende »Kompliment-Subset« des Interventionsteils der Therapiesitzung.
Wird das Konzept des Isomorphismus als Bestandteil der binokularen Theorie der Veränderung verwendet, ohne dass Batesons Ideen über die »Nachricht vom Unterschied« einbezogen werden, so besteht die Gefahr, dass der therapeutische Fehler des »in das Familiensystem Sich-aufsaugen-Lassen« gemacht wird. Dieser Vorgang könnte auch als »zufälliger Isomorphismus« beschrieben werden, und er ist weder für die Familie noch für die Therapie von Nutzen, weil dann jener veränderte Blickwinkel nicht zustande kommt, der die gewünschte Tiefenwahrnehmung oder jenen »Bonus« ermöglicht, der zur Veränderung führt.
Kooperieren
Im Laufe der Entwicklung der binokularen Theorie der Veränderung gesellte sich zum Konzept des Isomorphismus das Konzept des »Kooperierens«. Jede Familie (ebenso wie jedes Individuum und jedes Paar) versucht auf einzigartige Weise zu kooperieren. Die Arbeit des Therapeuten besteht darin, jene spezielle Art des Kooperierens, die die Familie zeigt, aus seiner eigenen Sicht zu beschreiben und dann damit zu kooperieren, um Veränderung zuwege zu bringen. Das heißt, dass die Art einiger Familien zu kooperieren dem Team so präsentiert wird, dass sie das Ausführen von Aufgaben umfasst, die die Veränderung fördern. Die Art der Familie, solche Aufgaben zu nutzen, wurde früher aus der Perspektive des Widerstandes beschrieben: Einige Familien führten die Aufgaben unumwunden aus, einige »drückten sich« um die Ausführung, andere modifizierten die Aufgaben, und wieder andere taten das genaue Gegenteil von dem, was die gestellte Aufgabe beinhaltete. Vermeiden, Modifizieren oder »das Gegenteil tun« wurden als Widerstand beschrieben. Auf die Nutzung von Aufgaben sowie auf die allgemeinen Kategorien des Kooperierens geht Kapitel 4 ein. Beim Begriff »Kooperieren« wurde bewusst die Tätigkeitsform des Worts gewählt in der Absicht, den Therapeuten ständig daran zu erinnern, dass zwischen den beiden Subsystemen ein Prozess kontinuierlicher Interaktion stattfindet. Das Konzept des Kooperierens scheint nützlicher zu sein und einer ökosystemischen Epistemologie besser zu entsprechen als das Konzept des Widerstandes, an dessen Stelle es getreten ist. Während sich der Begriff des Isomorphismus hauptsächlich auf die Bedeutungen und Zusammenhänge oder auf die konzeptuellen oder emotionalen Hintergründe (settings) bezieht, in bzw. vor denen die betreffende Situation erlebt wird, bezieht sich das Konzept des Kooperierens hauptsächlich auf die konkreten Verhaltensweisen, die in einer Situation eine Rolle spielen. Es sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beide Konzepte gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Das bedeutet, dass sie nicht getrennt (d. h. entweder Isomorphismus oder Kooperieren), sondern stets zusammen benutzt werden (d. h. sowohl Isomorphismus als auch Kooperieren). Therapeutische Veränderung umfasst sowohl Veränderungen der Wahrnehmung als auch solche des Verhaltens.
Ursprünglich war das Konzept des Widerstands Bestandteil verschiedener Therapiemodelle und Teil einer anderen Epistemologie und damit auch anderer Theorien der Veränderung. Das Konzept wurde dafür benutzt, gewisse Verhaltensweisen des Klienten zu erklären, der als »äußeres« Studienobjekt gesehen wurde. Das Verhalten eines Klienten wurde als Ergebnis einer inneren Dynamik erklärt, und den Begriff »Widerstand« verwendete man, um das Widerstreben des Klienten zu beschreiben, gewisse angsterzeugende Erfahrungen dem Bewusstsein wieder zugänglich zu machen. Nach diesem Ansatz bestand die Aufgabe des Therapeuten darin, dieses verdrängte Material wieder bearbeitbar zu machen. Doch wenn der Therapeut mit diesem verdrängten Bereich im Leben des Klienten in Berührung kam, wurde nach dieser Sichtweise Widerstand gegen die therapeutischen Bemühungen geweckt. Dieses lineare Konzept wurde später auf Therapiemodelle übertragen, die als stärker um Interaktion bemüht beschrieben wurden, und im Zusammenhang damit wurde auch der Begriff »Widerstand« übernommen, obgleich die Definition des betreffenden Sachverhalts schon in diesem Stadium der Entwicklung anfing, sich zu verändern.
Einer der großen Innovatoren im Bereich therapeutischer Arbeit ist Milton H. Erickson. Sein Werk lieferte »Nachricht von einem Unterschied«, die die Entwicklung der Familientherapie und der Kurztherapie erheblich beeinflusst hat (siehe Kapitel 2). Von seinem hypnotischen Ansatz aus entwickelte Erickson eine Definition, die den Begriff »Widerstand« erweiterte, sodass sie einen Teil des Verhaltens des Therapeuten in der betreffenden Situation umfasste.
»Sie [als Therapeut] suggerieren, dass sie [die Patienten] etwas verschweigen werden, und sie tun es. Und Sie suggerieren auch, dass sie erzählen werden, und sie tun es. Sie verschweigen und erzählen aber auf Ihr Geheiß. Solange sie etwas verschweigen, sollten Sie die Klienten zum Verschweigen ermuntern …« (Haley 1978a, S. 101).
Da Verschweigen (withholding) als eine Art von Widerstand beschrieben werden kann, wurde dieses Konzept verallgemeinert zu dem, was man als »Ericksons erstes Gesetz« bezeichnen könnte: Solange sie Widerstand üben, sollten Sie sie dazu ermutigen, Widerstand zu üben. (Dieses Gesetz war zumindest implizit über viele Jahre ein bestimmendes Element für Ericksons Arbeit.)
Die Arbeit der Kurzzeittherapeuten am Mental Research Institute (MRI) basiert sehr stark auf Weiterentwicklungen von Ericksons Methoden. Man verfeinerte seine Konzepte, indem man die Reaktionen des Therapeuten auf den Widerstand gegen die Veränderung in die Betrachtung mit einbezog:
»Diese Art von Problemlösung kommt in mehr als einer Hinsicht der Philosophie und der Technik des Judo nahe, in der ja auch der Stoß des Gegners nicht mit einem Gegenstoß mindestens gleicher Stärke beantwortet wird, sondern wo die Reaktion im Nachgeben und Verstärken des Angriffs liegt. Und eben auf dieses Mitgehen ist der Gegner nicht gefasst, er spielt das Spiel von Gewalt gegen Gewalt, von mehr desselben, und nach den Regeln dieses Spiels erwartet er einen Gegenstoß und nicht ein Spiel mit völlig anderen Regeln« (Watzlawick, Weakland u. Fisch 1974, S. 129).
Der Widerstand wird hier also immer noch im Klienten »lokalisiert« und als etwas beschrieben, das der Klient tut, also nicht als ein Produkt der Interaktion zwischen Klient und Therapeut. Diese Definition des Konzepts des Widerstandes ergibt sich aus der Spaltung des Ökosystems, welche durch Ziehen einer Grenze zwischen Therapeut und Klient entsteht, wodurch »imaginäre Gegensätze« (Wildon 1972) zwischen den beiden Bestandteilen des Ökosystems geschaffen werden. Das Konzept des Kooperierens hingegen definiert diese Verhaltensweisen als Bestandteil des Musters der Interaktionen zwischen den Subsystemen der Familie und des Therapeuten bzw. des Therapeutenteams.
Obwohl die Gruppe hinter dem Spiegel im BFTC (Brief Family Therapy Center) immer noch Ericksons Definition benutzte, versuchte sie herauszufinden, wie man »den Widerstand ermutigen und utilisieren könnte«, um darauf hinzuarbeiten, dass sowohl die Familie als auch der Therapeut zu dem von der jeweiligen Partei gewünschten Ergebnis kämen. Der Widerstand der Familie wurde als natürlicher Bestandteil ihres Systems (oder Subsystems) und als Bestandteil des normalen »homöostatischen Mechanismus« verstanden.
Um diese homöostatischen Mechanismen in umfassenderer Weise zu beschreiben, entwickelte der Autor ein Modell, das auf der Theorie des Gleichgewichts (balance theory) (de Shazer 1978, 1979b) beruht. Dieses Modell beschrieb das Problem so, als basierte es auf dem Gleichgewichtszustand der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern, ungeachtet ihres Wunschs, sich zu verändern. Die homöostatischen Mechanismen wurden als Gleichgewichtszustand der Beziehungen verstanden. Weiterhin ermöglicht dieses Modell, die Interaktion der Familie (die homöostatischen Mechanismen) mit einer gewissen Genauigkeit zu beschreiben, und man kann es benutzen, um den derzeitigen Zustand des (Sub-)Systems der Familie so zu beschreiben, wie der Therapeut es wahrnimmt. Außerdem umfasst dieses Modell Leitlinien, die dem Therapeuten helfen sollen, in der Familie Veränderungen zu initiieren, die sie von einer Art der Organisation (einem bestimmten Zustand des Gleichgewichts) zu einer anderen Art der Organisation (einem anderen Zustand des Gleichgewichts) führen; es beschreibt Ungleichgewichtszustände in dem Sinne, dass sie die Tendenz haben, sich auf einen Gleichgewichtszustand hinzubewegen. Das heißt, das Modell der Theorie des Gleichgewichts umfasst ein Konzept der Veränderung, das sich von den meisten Modellen unterscheidet, die auf homöostatischen Konzepten basieren. Sobald die Beziehung zwischen Menschen sich verändert, versucht das System, einen stabilen Zustand (irgendeinen stabilen Zustand) zu erreichen, der sich vom vorherigen Gleichgewichtszustand unterscheidet.
»Der auf diese Weise entstehende stabile Zustand ist das, was Bateson als ›Selbstheilungstautologie‹ (selfhealing tautology) bezeichnet. Das bedeutet, dass jedes von seiner Organisation her geschlossene System insofern tautologischen Charakter hat, als jeder Aspekt des Systems den Rest des Systems impliziert. Deshalb kann man an jedem Punkt in einem System intervenieren: Wenn irgendein Aspekt des Systems verändert wird, verändert sich dadurch die gesamte Organisation des Systems« (Dell 1980).
Obgleich die Beziehung zwischen dem Therapeuten und der Familie im Modell der Gleichgewichtstheorie kurz erwähnt wird, wird der Therapeut immer noch so beschrieben, als sähe er die Klienten »irgendwo da draußen«, ähnlich wie es Erickson und die Therapeuten des MRI getan hatten. Das Modell der Gleichgewichtstheorie ist im Prinzip das Modell eines geschlossenen Systems, das eine Grenze zwischen Komponenten eines Ökosystems zieht. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Gleichgewichtszustände der Beziehungen mit Nichtveränderung oder mit Widerstand gegen Veränderung gleichgesetzt werden, weshalb sich dieses Konzept für die Familientherapie nicht sonderlich eignet.
Als das Team anfing, sich auf Familien als »das Therapieteam« einzulassen, wurde das Konzept des Widerstands durch das Konzept des Kooperierens ersetzt. Sobald die Beratungspause (consulting break) als fester Bestandteil der Therapieprozedur eingeführt wurde, bemerkte das Team, dass der Begriff »Widerstand« ebenso wie der Ausdruck »Utilisieren (Nutzen) und Ermutigen des Widerstandes« aus dem Vokabular verschwand. Das Team nahm nun voll am Geschehen teil und machte es sich zur Gewohnheit, nach der Beratungspause wichtige Umdeutungsbotschaften (unter Einbeziehung von »Hausaufgaben«) zu übermitteln. Meist wurden diese Botschaften so formuliert, dass darin zum Ausdruck kam, dass sie vom Team als Ganzem stammten: »Wir sind alle sehr beeindruckt …« Oder: »Wir alle meinen …« Das Team war nun in die Therapiesituation einbezogen, und die Familie wurde nicht mehr als »draußen « wahrgenommen. In diesem Modell wird der Therapeut nicht als in einem Kampf zwischen Veränderung und Nichtveränderung befindlich beschrieben, weil das Team das Familien-(Sub-)System nicht mehr als Widerstand leistend, als im »Beton« homöostatischer Mechanismen festsitzend oder als sich aufgrund des Gleichgewichtszustandes der Beziehungen nicht verändernd darstellt. Aufbauend auf dem Konzept des Ökosystems als einem offenen System, konzentrierten sich die Gespräche des Teams allmählich darauf vorauszusagen, wie die Familie auf die Intervention, die eine Veränderung bewirken sollte, reagieren und mit dieser Veränderung kooperieren würde. Die entscheidende Frage lautete nun: Was zeigt die Familie dem Team hinsichtlich der Frage, wie es ihr helfen könnte, eine Botschaft anzunehmen, die wiederum dem Team helfen würde, die Familie aus ihrem ursprünglichen Bezugsrahmen herauszubefördern, sodass es zu einer Veränderung kommen könnte?
An dieser Stelle sollte noch einmal klar gesagt werden, dass Widerstand nur eine Metapher ist, die dazu dient, gewisse Regelmäßigkeiten von Phänomenen zu beschreiben, und dass man statt ihrer auch andere Metaphern benutzen kann. Widerstand ist nichts Greifbares, sondern nichts weiter als ein Begriff (oder Konzept), der (oder das) als Erklärungshilfe dient. Widerstand ist nur eine unter vielen Möglichkeiten (zu denen auch »Kooperieren« gehört), zu beschreiben, was der Beobachter beobachtet. Man kann allerdings nur jeweils ein bestimmtes deskriptives Werkzeug wählen und muss dann die Konsequenzen in Kauf nehmen, die sich aus dieser Wahl ergeben.
»Und Konsequenzen hat eine solche Entscheidung. Die Entscheidung des Therapeuten darüber, was das System ›ist‹, kann sehr wohl das Ergebnis der Therapie beeinflussen. Auch hier jedoch muss wieder daran erinnert werden, dass wir, wenn die betreffende Interpunktion oder Beschreibung des Systems ›funktioniert‹ (d. h., wenn sie eine erfolgreiche Intervention ermöglicht), lediglich sagen können, dass sie eben ›funktioniert‹ hat, dass sie von Nutzen war. Die Tatsache, dass sie ihren Zweck erfüllt hat, bedeutet jedoch nicht, dass sie ›richtig‹ oder ›wahr‹ ist, sondern eben nur, dass sie ›funktioniert‹« (Dell 1980).
Das Konzept des Kooperierens ist nützlicher für eine Therapie, die auf einer ökosystemischen Epistemologie und auf der binokularen Theorie der Veränderung basiert, als es das Konzept des Widerstandes wäre. Die speziellen Verhaltensweisen, die früher als Widerstand definiert wurden, werden nun als Kooperieren definiert. Diese Verhaltensweisen werden jetzt als ein Ergebnis der interaktiven Situation beschrieben, nicht als Eigenschaft des Familiensubsystems. Die Beziehung zwischen dem Konzept des Widerstandes und dem Konzept des Kooperierens könnte man als zwei Seiten der gleichen Münze betrachten. Doch ist dies eine einschränkende Sichtweise, die imaginäre Gegensätze schafft. Wenn ein Therapeut sich dafür entscheidet, den Widerstand des Familiensystems zu sehen, ist er nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass das System zu kooperieren versucht, da diese beiden Sichtweisen einander ausschließen. Wenn ein Therapeut nach dem Aspekt des Kooperierens Ausschau hält, vermag er den Widerstand nicht mehr zu sehen. Das heißt, beide Sichtweisen – beide Arten von Werkzeugen der Beschreibung – versuchen zunächst, verschiedene Aspekte der gleichen Verhaltensweisen zu beschreiben. Das Konzept des Kooperierens, das auf der binokularen Theorie der Veränderung basiert, kodiert die Information anders als das Konzept des Widerstandes. Deshalb beeinflusst die Benutzung des Konzepts des Kooperierens gemäß dem systemischen Prinzip der Ganzheit (wholism) auch den Rest des konzeptuellen Gefüges (eines Systems), weil es im Laufe der Zeit auf die Prozesse der Therapie abgestimmt wird.
»Jeder Teil eines Systems ist mit den anderen Teilen so verbunden, dass eine Änderung in einem Teil eine Änderung in allen Teilen und damit dem ganzen System verursacht. Das heißt, ein System verhält sich nicht wie eine einfache Zusammensetzung voneinander unabhängiger Elemente, sondern als ein zusammenhängendes, untrennbares Ganzes« (Watzlawick, Beavin u. Jackson 1969, S. 119).
Die binokulare Theorie der Veränderung mit ihren gleichberechtigt nebeneinander bestehenden Konzepten des Isomorphismus und des Kooperierens tritt für ein Modell der Therapie ein, das nicht vom Gedanken des Wettstreits (des Kampfes) geprägt ist, da diese Theorie das Konzept des Widerstands ausschließt.
Exkurs: Widerstand, Wettstreit, Kampf
Seit ihrer Frühzeit ist die Psychotherapie des 20. Jahrhunderts immer wieder als Wettstreit oder Kampf beschrieben worden, und zwar im Allgemeinen als Kampf zwischen den »Kräften« der Veränderung und den »Kräften«, die sich der Veränderung widersetzen. Der Kampf bestand darin, dass der Therapeut (der Repräsentant der Veränderung) den Widerstand des Klienten (eine Kraft, die sich der Veränderung widersetzte) zu »brechen« versuchte. Sobald der Therapeut diese Schlacht »gewonnen« hatte, galt der Widerstand des Klienten als »besiegt«, und es war nun von »Heilung« die Rede; das Problem galt damit als nun lösbar.
Es erscheint mir als ein unglücklicher Umstand, dass ein so großer Teil der Psychotherapie und der Kurzzeittherapie (basierend auf dem Konzept des Widerstandes) häufig mithilfe von Begriffen aus dem militärischen Bereich und/oder dem Bereich des Wettkampfs beschrieben wird (Haley 1978, 1976; Rabkin 1977; Watzlawick, Weakland u. Fisch 1974). Aus dieser Sicht plant der Therapeut eine »Strategie« und versucht, mithilfe von »Taktiken« den Widerstand der Familie gegen Veränderung zu »brechen« und auf diese Weise eine Veränderung zu bewirken. Größtenteils ist diese Art des Sprachgebrauchs auf das Konzept des Widerstands selbst zurückzuführen, teilweise beruht sie aber auch auf dem Einfluss von Haleys (1978c) Hervorhebung des Problems der Kontrolle in der Therapie.
Haleys Modell (1978c, 1981) basiert weitgehend auf der alten Epistemologie, die Konzepte der Macht und Kontrolle umfasste. Sein Modell hat sich logisch aus jener Grundlage heraus entwickelt sowie aus seiner frühen Arbeit mit Familien, in denen ein Mitglied als »schizophren« diagnostiziert worden war. Einem Menschen zu helfen, sich zu verändern, ist besonders schwierig, wenn er so verwirrt ist, wie Schizophrene es sind. In diesem Licht betrachtet, handelte es sich um einen Wettstreit, der wegen der vagen Weltsicht des Schizophrenen und seiner Familie vonseiten des Therapeuten Macht und Kontrolle erforderte. Für diese Situation ist es von zentraler Bedeutung, wer die Kontrolle über was erlangt. Von dieser speziellen Situation ausgehend, verallgemeinerte Haley die Notwendigkeit von Macht und Kontrolle auf alle Therapiesituationen (Haley 1976, 1981). Auch hier wieder kann man sagen, dass diese Sicht der Therapie auf dem epistemologischen Irrtum der Aufspaltung des Ökosystems basiert, wodurch imaginäre Gegensätze entstehen. Natürlich erfordert das Familiensystem des Schizophrenen und seiner Familie, wenn man es im Sinne eines geschlossenen, homöostatischen Systems beschreibt, machtvolle Techniken, will man Veränderung induzieren. (An dieser Stelle sei angemerkt, dass Haleys Techniken, wenn man die Konzepte Macht und Kontrolle ausklammert, im Sinne des ökosystemischen Ansatzes der Herbeiführung von Veränderung nützlich sein können.)
Obgleich die Kurzzeittherapeuten des MRI das Konzept der Macht oder das Konzept der Kontrolle nicht auf die gleiche Weise benutzen, wie Haley es tut, sind ihre »Judotechniken« (Watzlawick, Weakland u. Fisch 1974) ebenfalls eine Metapher für einen Wettkampf. Ebenso wie Haley verstehen sie Therapie als Kampf zwischen Veränderung und Widerstand gegen Veränderung. (Auch die MRI-Techniken lassen sich so formulieren, dass sie dem ökosystemischen Ansatz gerecht werden.) Sowohl Haleys Arbeit als auch die des MRI sind Bestandteile der historischen und kontextuellen Grundlagen für das Familien-Kurzzeittherapie-Modell des Autors, welches der Ansicht Ausdruck gibt, dass Therapie nicht als Kampf verstanden zu werden braucht. Die ökosystemische Sichtweise – welche das Konzept des Kooperierens umfasst – macht es überflüssig, Begriffe zu verwenden, die aus dem Bereich des Kampfes und des Wettstreits stammen.
Zusammen können diese beiden Konzepte das Therapeutenteam bei der Beschreibung der ökosystemischen Muster geleiten und ihm helfen, anschließend aufgrund dieser Beschreibung Interventionen zu entwickeln. Wenn das Team das Konzept des Isomorphismus benutzt, kann es Umdeutungsbotschaften (reframing messages) aus einer anderen Perspektive entwickeln, die möglicherweise jene zusätzliche »Tiefenwahrnehmung« erzeugt, die zur Veränderung führen kann. Mithilfe des Konzepts des Kooperierens kann das Team Aufgaben entwickeln, welche zu einer Verhaltensveränderung führen, die isomorph im Hinblick auf die Muster des Subsystems ist, jedoch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet – was zusätzlich zum Bonus der größeren Tiefe beiträgt. Das bedeutet, dass die Umdeutung (reframing) direkt zu den Bedeutungen oder zu den kognitiven Aspekten des Familiensystems vorstößt, was einer Verhaltensänderung den Weg bahnt (da Bedeutung und Verhalten dem gleichen System angehören). Die Aufgaben oder Verschreibungen gelangen direkt zum Verhaltensanteil des Systems, was einer Veränderung der kognitiven Aspekte des Systems den Weg bahnt. (Die Aufgabe muss außerdem isomorph sein, jedoch aus einem anderen Blickwinkel gesehen.) Das bedeutet, dass Kompliment und Hinweis (d. h. die Umdeutung und die Aufgabe) isomorph sein müssen, was der Intervention wegen der Beziehung zwischen den beiden Konzepten, wenn sie angewandt werden, mehr »Tiefe« gibt. Durch Nutzung der gleichberechtigt nebeneinander bestehenden Konzepte des Kooperierens und des Isomorphismus ist der Therapeut in der Lage, Interventionen zu entwickeln, die die Situation der Familie vollständig akzeptieren (wenn auch aus einem anderen Blickwinkel), weil wir von Erickson gelernt haben, dass man jede Art von Reaktion auf jede Aufgabe, über die die Familie berichtet, als einen einzigartigen Versuch der Familie zu kooperieren verstehen kann. Der Bericht über die Ausführung der Aufgabe ist ein Teil davon, wie die Familie dem Therapeuten diese spezielle Art zu kooperieren zeigt. Positive wie negative Reaktionen und sogar das völlige Fehlen jeglicher Reaktion werden allesamt als Reaktionsverhalten definiert.
»Jede dieser Möglichkeiten ist Reaktionsverhalten. Auf diese Weise wird eine Situation kreiert, in welcher der Klient seinen Widerstand auf eine konstruktive, kooperative Weise zum Ausdruck bringen kann; Manifestationen von Widerstand vonseiten eines Klienten lassen sich am besten nutzen, indem man eine Situation entwickelt, in der Widerstand einem Zweck dient« (Haley 1967, p. 20).
Obgleich Erickson den Begriff »Widerstand« benutzt, kann man an seine Stelle den Begriff »Kooperieren« setzen, und die verschiedenen möglichen Verhaltensweisen kann man als »Manifestationen des Kooperierens« verstehen. Zu Beginn jeder Sitzung – von der zweiten an – entlockt der Leiter der Sitzung (das Mitglied des Teams, das sich bei der Familie im Behandlungsraum befindet) der Familie ihre Reaktion auf die in der vorangegangen Sitzung gestellten Aufgaben und Hinweise (clues). Dadurch wird die Definition der spezifischen Art der Familie zu kooperieren, so wie sie dem Team gezeigt wird, durch die mit jeder Sitzung neu hinzukommenden Informationen weiter verfeinert. Diese Art zu kooperieren kann dem Team außerdem helfen, seine Beschreibungen zu präzisieren oder neu zu formulieren, sodass die Umdeutung und die Aufgaben in immer stärkerem Maß isomorph werden können.
Paradox
Soper und L’Abate (1977) und Dell (1981) haben die Ansicht geäußert, ein Teil der Schwierigkeiten, die Therapeuten beim Versuch, die paradoxe Intervention zu verstehen, haben, beruhe auf dem Fehlen einer umfassenden Theorie. Die binokulare Theorie der Veränderung (mit den gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Konzepten des Isomorphismus und des Kooperierens) ermöglicht es, paradoxe Interventionen als Teil einer größeren, umfassenderen Theorie zu begreifen, als sie vorher zur Verfügung stand. Zentral für diese neue Sichtweise ist, dass man paradoxe Interventionen statt als eigenständige Klasse auch als »Mitglieder« einer Klasse »isomorpher Interventionen« verstehen kann. Diese Deutung der paradoxen Intervention lenkt den Blick wieder verstärkt auf den Gegendoppelbindungs-Charakter dieser Technik und verhilft den paradoxen Interventionen zu einer ökosystemischen Basis mit einem theoretischen Rahmen. Diese Konstruktion ermöglicht es einem Therapeuten, aufgrund supra-systemischer Information zu entscheiden, wann sich eine paradoxe Intervention empfiehlt. Der bewusste Einsatz von »paradoxen Interventionen« oder Symptomverschreibungen scheint auf Dunlaps »negative Übung« (Dunlap 1928) zurückzugehen, obgleich Dunlap selbst diese Methode nicht als paradox bezeichnet hat. Frankl (1957, 1960) scheint als Erster die Bezeichnung »paradox« verwendet zu haben. Haley (1963a) beschrieb den Gebrauch paradoxer Techniken bei Tranceinduktionen, und Jackson (1963) schrieb über die Arbeit mit Paradoxen bei paranoiden Patienten. In der Folgezeit haben auch viele andere Therapeuten den Gebrauch paradoxer Interventionen beschrieben, und zwar hauptsächlich auf einem Modell aufbauend, das vom MRI stammt (Watzlawick, Beavin u. Jackson 1969; Watzlawick, Weakland u. Fisch 1974). Als paradox bezeichnete Interventionen haben sich schnell und in großer Vielfalt entwickelt. Diese Entwicklung ist in der Literatur beschrieben worden, und man hat verschiedene Arten von paradoxen Interventionen klassifiziert (Soper a. L’Abate 1977; Weeks a. L’Abate 1979), weshalb wir hier nicht näher darauf eingehen werden.
Das MRI-Modell basiert auf Russells Theorie der (logischen) Typen: »[W]as immer die Gesamtheit einer Klasse (Menge) betrifft, (darf) nicht selbst Teil dieser Klasse sein« (Watzlawick, Beavin u. Jackson 1969, S. 176). Dieses Modell setzt eine intensive Beziehung von der Art voraus, wie sie in Familien bestehen.
»In diesem Kontext wird eine Mitteilung [Botschaft] gegeben, die (a) etwas aussagt, (b) etwas über ihre eigene Aussage aussagt und (c) so zusammengesetzt ist, dass diese beiden Aussagen einander negieren bzw. unvereinbar sind. Wenn also die Mitteilung eine Handlungsaufforderung ist, so wird sie durch Befolgung missachtet und durch Missachtung befolgt; handelt es sich um eine Ich- oder Du-Definition, so ist die damit definierte Person es nur, wenn sie es nicht ist, und ist es nicht, wenn sie es ist. Die Bedeutung der Mitteilung ist also unentscheidbar […]« (Watzlawick, Beavin u. Jackson 1969, S. 196).
Außerdem kann der »Empfänger« nicht auf effektive Weise zu der Botschaft Stellung nehmen oder sich aus der Beziehung zurückziehen. Die Theorie der Typen hat bei der Entwicklung der Familientherapie und der Kurztherapie eine zentrale Rolle gespielt, seit die Theorie der Doppelbindung erstmals in Toward a theory of schizophrenia (Bateson, Jackson, Haley a. Weakland 1956) vorgestellt wurde. (5) Diese Veröffentlichung (ebenso wie ihr folgende Veröffentlichungen von anderen Mitgliedern der Gruppe) hat nicht nur die Art beeinflusst, wie Therapeuten Familien sehen und beschreiben, sondern auch, wie sie Familien behandeln. Toward a theory unterbreitet »eine neue Art, alte Probleme zu verstehen und zu beobachten«, doch handelte es sich dabei
»nicht so sehr um eine spezifische Theorie als um eine Sprache – die wie jede Sprache dazu dient, sowohl dem Denken als auch dem Beobachten eine Orientierung zu geben. (Weakland 1974, p. 275 f.; Hervorh. im Orig.).
Diese Sprache kann dazu benutzt werden, die Familiensituation zu beschreiben, in der Kommunikation
»immer unverständlicher und geheimnisvoller (wird). Man lernt schließlich sogar, offenkundige logische Widersprüche, Antinomien, die zu deutlich hervortreten würden, zu vermeiden, wobei man sich einer spezifisch menschlichen Möglichkeit bedient: der Möglichkeit, gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen, auf verbaler und nonverbaler Ebene, zu kommunizieren und ungeniert von einer logischen Klasse auf ein Element der Klasse überzuspringen, indem man so tut, als ob sich diese auf derselben logischen Ebene verstehen ließen. Auf diese Weise wird man gleichsam zu einem Tänzer auf dem Seil des russellschen Paradoxons« (Selvini Palazzoli, Boscolo, Cecchin u. Prata 1977, S. 31).
Die Sprache kann nicht nur dazu dienen, die Interaktion der Familie zu beschreiben, sondern sie kann auch dafür benutzt werden, Interventionen zu beschreiben. Im Allgemeinen werden paradoxe Interventionen als »heilende Faktoren« angesehen. »[S]ymptomatische Doppelbindungen (können) kaum durch etwas anderes als Gegendoppelbindungen gebrochen werden« (Watzlawick, Beavin u. Jackson 1969, S. 224). Deshalb hat sich die Anschauung entwickelt, dass die Behandlung »pathogener« Doppelbindungen nur mithilfe von Gegendoppelbindungen oder paradoxen Interventionen möglich ist. Strukturell betrachtet, ist eine therapeutische Doppelbindung das Spiegelbild einer pathogenen Doppelbindung. Erstens setzt die Gegendoppelbindung eine intensive Beziehung voraus, die vom Klienten als sehr wichtig eingeschätzt wird. Zweitens:
»In dieser Situation wird eine Verhaltensaufforderung gegeben, die so zusammengesetzt ist, dass sie (a) das Verhalten verstärkt, das der Patient ändern möchte, (b) diese Verstärkung als Mittel der Änderung hinstellt und (c) eine Paradoxie hervorruft, weil der Patient dadurch aufgefordert wird, sich durch Nichtändern zu ändern« (ebd., S. 225).
Drittens wird die therapeutische Situation so beschrieben, dass der Patient daran gehindert wird, sich zurückzuziehen und/oder auf effektive Weise zu dem Paradox Stellung zu nehmen.
Die Idee, die hinter dieser Vorgehensweise steht, ist, die Macht der symptomatischen Doppelbindung mithilfe einer Gegendoppelbindung zu brechen. Diese Vorstellung befindet sich in Übereinstimmung mit Russells Theorie der Typen: nämlich dass selbstreferenzielle (selbstrückbezügliche) Aussagen aus der Logik eliminiert werden müssen. Unter anderen haben Hofstadter (1985) und Spencer-Brown (1997) den willkürlichen und unnotwendigen Charakter der Theorie der Typen beschrieben. Außerdem scheint die Anwendung dieser Theorie im Bereich der Familientherapie unser Denken eingeschränkt und die Entwicklung ökosystemischer Beschreibungen der beobachteten Phänomene verhindert zu haben. Als Beispiel hierfür möchte ich anführen, dass die Faszination durch Paradox (und durch Gegenparadox) im Bereich der Familientherapie und der Familientherapieforschung manchmal beträchtliche Verwirrung hervorgerufen hat, eine Folge des häufigen »Missverstehens der Doppelbindungstheorie«, das Watzlawick untersucht (1968).
Mittels der binokularen Theorie der Veränderung kann man paradoxe Interventionen als eine Form isomorpher Intervention verstehen, die ein Therapeut entwerfen und auf eine Familie anwenden kann. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die paradoxe Intervention eine Gegendoppelbindung ist, ein Spiegelbild, das der Struktur der pathogenen Doppelbindung der Familie angemessen ist. Wenn die Beschreibung der familienspezifischen Muster durch den Therapeuten keine Doppelbindung enthält, muss seine Intervention den familienspezifischen Mustern auf eine andere isomorphe Weise folgen. Die Intervention muss zu den beobachteten Mustern im Sinne der Isomorphie passen, was bei der Gegendoppelbindung der Fall ist, wenn sie die pathogene Doppelbindung der Familie spiegelt.
In jedem Fall, ob mit oder ohne Paradox, muss die Intervention im Hinblick auf die familienspezifischen Muster isomorph sein, und die Intervention muss aus einem anderen Blickwinkel präsentiert werden, damit die Familie in den Genuss des gewünschten Bonus kommt.
Außerdem ist zu sagen, dass die Faszinationskraft des »Paradoxons« und der »paradoxen Intervention« auch darauf beruht, dass der Therapeut die sogenannte Umkehrpsychologie (reverse psychology) benutzt. Damit ist gemeint, dass der Therapeut den Klienten auffordert, etwas Bestimmtes absichtlich zu tun, um den Klienten auf diese Weise davon abzubringen, das Geforderte zu tun. Diese Vorgehensweise wird häufig (fälschlich) als paradoxes Verfahren (paradoxing) bezeichnet:
»Doch kann ein Ereignis paradox sein, wenn man es erwartet? Diese Frage ist zentral für das gesamte Konzept des Paradoxons in der Therapie. Man bedenke: Wenn man von in sich konsistenten, aber ungültigen Voraussetzungen ausgeht, so ist ein unerwartetes und paradoxes Ergebnis zu erwarten« (Dell 1981, p. 41).
Wenn der Therapeut einer ökosystemischen oder interaktionsorientierten Sichtweise folgt, erwartet er, dass die Prozedur der »Umkehrpsychologie« das Symptom beseitigt. Hingegen mag dieses Ergebnis dem Klienten oder dem uneingeweihten Beobachter als überraschend erscheinen. Doch könnte man der Ansicht sein, dass er dieses Ergebnis aus einer anderen Perspektive sieht als auf den Voraussetzungen der aristotelischen Logik basierend und dass er deshalb, aufgrund dieses Bezugsrahmens, überrascht ist, weil diese Voraussetzungen aus systemischer Sicht ungültig sind (Dell 1981). Das Ergebnis erscheint absurd oder sogar magisch. Die Schlussfolgerung klingt absurd, und die Umkehrpsychologie ist das einzige Argument, das sie stützt; deshalb kann man sagen, dass diese Art der Intervention fälschlich als paradox bezeichnet wird.
Die binokulare Theorie der Veränderung kann helfen, einige Missverständnisse im Zusammenhang mit paradoxen Interventionen aufzuklären, damit einige begriffliche Verwirrungen vermieden werden. Man hat eine Menge Untersuchungsstrategien entwickelt, um die Auswirkungen von Paradoxen und paradoxen Interventionen zu überprüfen. Doch ist es gewöhnlich nicht gelungen, auf diese Weise zu schlüssigen Ergebnissen zu kommen. Meist scheinen die Forscher die Doppelbindung oder das Paradox zu verdinglichen. Das heißt, sie scheinen ein Element eines systemischen oder interaktionsbezogenen Konzepts auf lineare Weise zu benutzen und so das Paradox oder die paradoxe Intervention aus ihrem Zusammenhang zu entfernen. Aufgrund des Fehlens einer klaren, umfassenden Theorie scheinen sie nicht erkannt zu haben, dass paradoxe Interventionen Teil eines Musters des isomorphen Abstimmens (matching) der (paradoxen) Intervention auf das (paradoxe) Muster der Familie sind. Diese Forscher und Therapeuten benutzten das verdinglichte Paradox auf eine lineare, auf Ursache-Wirkungs-Beziehungen beruhende Weise, um so das Phänomen der Veränderung zu erforschen und um Veränderungen herbeizuführen. Sie scheinen das Ding »Paradox« als treibende Kraft der Veränderung zu sehen, und deshalb »paradoxen« sie ihre Klienten, statt das Zusammenpassen des Interventionsmuster und des Musters der Familie als Schlüssel zur Herbeiführung von Veränderungen zu verstehen. Diese letztgenannte Sichtweise ist seit Toward a Theory (Bateson, Jackson, Haley a. Weakland 1956) implizit vorhanden, danach mehr (Bateson, Jackson, Haley a. Weakland 1963) und mehr explizit (Selvini Palazzoli, Boscolo, Cecchin u. Prata 1977) geworden und hat schließlich zur Entwicklung der binokularen Theorie geführt, welche paradoxe Interventionen als Gegenparadoxe in die umfassendere Klasse der isomorphen Interventionen einbezieht.
Die Erwägungen, auf die wir uns (aufgrund der Theorie der Typen und aufgrund des Verständnisses der paradoxen Interventionen als Klasse) beschränkt haben, hat unsere Wahrnehmung hinsichtlich einer nützlichen therapeutischen Vorgehensweise eingeschränkt. Die binokulare Theorie der Veränderung legt nahe, dass isomorphe Umdeutungsbotschaften (reframing messages) ungeachtet des »Typs« der beobachteten und kodierten Familienmuster nützlich sein können. Da paradoxe Interventionen als eine Form isomorpher Intervention verstanden werden können, kann der Therapeut diese spezielle Art von Intervention auf eine ihnen gemäße Weise benutzen, wenn die Muster, die er beobachtet, als paradox beschrieben werden. Werden diese Muster hingegen nicht als paradox beschrieben, so folgt die isomorphe Intervention einer anderen Landkarte (Beschreibung), da das beschriebene Gebiet ein anderes ist. Dieser Denkansatz könnte zu größerer Freizügigkeit bei der Entwicklung neuer Konzepte im Bereich der Familientherapie führen und außerdem die Entwicklung nützlicherer ökosystemischer Konzepte fördern, die es ermöglichen, einige methodische und konzeptuelle Probleme der Forschung zu lösen.
Literatur:
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Selvini Palazzoli, M., L. Boscolo, G. Cecchin u. G. Prata (1977): Paradoxon und Gegenparadoxon. Stuttgart (Klett-Cotta), 12. Aufl. 2011.
Soper, P. a. L. L’Abate (1977): Paradox as a therapeutic technique. International Journal of Family Counseling 5: 10–21. Spencer-Brown, G. (1997): Laws of Form – Gesetze der Form. Lübeck (Bohm- eier), Neuaufl. 2004. [am. Ausg. (1979): Laws of form. New York (Dutton).] Watzlawick, P., J. Beavin u. D. D. Jackson (1969): Menschliche Kommunikation. Bern u. a. (Huber), 12. Aufl. 2011. Watzlawick, P., J. Weakland u. R. Fisch (1974): Lösungen. Bern u. a. (Huber), 7. Aufl. 2008.
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Anmerkungen:
(1) Ich möchte an dieser Stelle Bradford Keeney dafür danken, dass er eine frühere Version dieses Materials gelesen und den Namen für diese Theorie vorgeschlagen hat. (2) »Isomorphie« ist die konkrete, einzelne Strukturgleichheit, »Isomorphismus« ist die kontinuierliche Erzeugung solcher Gleichheiten. (3) d. h. die Zusatzinformation (Anm. d. Übers.). (4) Die Termini »beschreiben« (to describe) und »zeigen« (to show) spielen im gesamten weiteren Verlauf des Buches eine wichtige Rolle (Anm. d. Übers.). (5) Die Theorie der Typen war ein Versuch, Logik und Mathematik von selbstreferenziellen Paradoxen zu befreien. Spencer-Brown (1979) löste dieses Problem und präsentierte -Russel »den Beweis dafür, dass diese Theorie sich erübrigt. Zu meiner Erleichterung war er begeistert. Diese Theorie, so sagte er, sei das Willkürlichste gewesen, was er und Whitehead jemals zustande gebracht hätten, eigentlich gar keine richtige Theorie, sondern eher ein Notbehelf, und er freue sich, dass er lange genug gelebt habe, um noch zu erleben, dass das Problem gelöst worden sei« (ebd., p. XIV). Trotzdem bleibt die Theorie der logischen Typen als deskriptives Werkzeug weiterhin brauchbar.
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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages Carl-Auer-Systeme
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