Wie Klienten zu Akteuren werden
"The medium is the message"
Marshal McLuhan
Klienten als Gestalter der therapeutischen
Situation
Die wichtigste Aufgabe von Therapie
besteht darin, Klienten in eine aktiv gestaltende Position zu sich selbst und
zu ihrer Umgebung zu bringen. Das beginnt idealerweise mit der therapeutischen
Situation. Die Arbeit mit Aktionsmethoden bietet den Vorteil, dass Orte frei
gewählt und unterschiedlich eingerichtet werden können (Szenenaufbau → II.1. S. 161). Da es keine
vorgegebenen Ordnungen von Möbeln und Menschen im Raum gibt, können Klienten
und Therapeuten alle möglichen Positionen im Raum einnehmen und die Situation
kreativ gestalten. Die Metaphorik des Raumes, Aktionen im Raum und die
wechselnden Konstellationen im Raum - all dies kann gezielt genutzt und
gestaltet werden. Die Therapeutin fragt nicht nur, sie macht Vorschläge, etwas
zu tun, zum Beispiel: "Angenommen, der verstorbene Großvater Paul könnte
hier bei uns sein, wo wäre er dann? Können Sie (1) das bitte mit einem Stuhl
zeigen? - Wer möchte sich mal auf den Stuhl setzen und die Rolle des Großvaters
einnehmen?". Ein solches Vorgehen wird gern als erlebnisorientiert
beschrieben. Der tiefere Sinn solcher Interventionen liegt aber darin, Klienten
in eine Position zu bringen, in der sie sich selbst, ihre Lebenswelt und die
therapeutische Situation aktiv gestalten können.
Wie werden Klienten zu Akteuren und kommen
in eine aktiv gestaltende Position? Diese Frage verweist zunächst zurück auf
die Person des Therapeuten, der Therapeutin.
Spontanes Handeln und kulturelles Zögern
Ein lebendiges Modell ist allemal die überzeugendste Botschaft. Die einfachste Form, Klienten in Bewegung zu bringen,
besteht daher darin, sich als Therapeut selbst zu bewegen. Stehen Sie einfach
auf, wenn Sie den Impuls dazu haben, und laden Sie Ihre Klienten ein, ebenfalls
so zu handeln, wenn ihnen danach ist. Das ist offensichtlich einfacher gesagt
als getan. In Ausbildungssituationen mit Rollenspielfamilien lässt sich leicht
experimentieren, aber in der alltäglichen Arbeit mit echten Paaren und Familien
scheinen starke Kräfte der Beharrung (→ I.7. S. 111) zu wirken: Da "klebt man am
Stuhl", "kommt nicht in die Hufe", "steht wie der Ochs vorm Berg" oder "wird
von einer geheimen Macht niedergehalten". Solche oder ähnliche Metaphern werden
von Kollegen genannt, wenn man nach den typischen Lähmungserscheinungen fragt. Wenn
solche Metaphern in Szene gesetzt (→ III. S. 244) und szenisch exploriert
werden, kommt in Seminaren oder Supervisionen regelmäßig Freude auf.
Ich erinnere mich an einen Kollegen, der
von einer Paartherapie berichtete, in der er regelmäßig von lähmender Müdigkeit
geplagt wurde. In der szenischen Rekonstruktion legt er sich zum Schlafen auf
den Boden seiner Praxis (Konkretisierung und Verstärkung der Müdigkeit) und
provoziert damit - während die zuschauenden Kollegen sich vor Lachen
ausschütten - das empörte Erstaunen des sich streitenden (Rollenspiel-)Paares.
(Die in der Müdigkeit gebundene Aggression des Therapeuten wirkte in Aktion
umgewandelt als Unterbrecher des Streit-Beobachter-Musters.) Der Therapeut wird
plötzlich ganz wach und es ergibt sich ein interessantes und erfrischendes
Gespräch über Zuhören und verlorene Leidenschaft in der Beziehung des Paares.
Eine andere Kollegin wechselt auf der Bühne in die Rolle des "Riesen, der mich
zurückhält" (der Lehranalytiker aus vergangenen Zeiten). In dieser Rolle
entwickelt sie ungeahnte Energien, die sie nach dem Zurückwechseln in ihre
eigene Rolle nutzen kann, um als Therapeutin in Bewegung zu kommen und den
Klienten ein Spielangebot zu machen.
Die szenische Exploration und
Dynamisierung typischer Blockaden macht aber nicht nur persönliche Hindernisse
und technische Unsicherheiten deutlich, die die Anwendung von Aktionsmethoden
erschweren. Vielmehr zeigt sich in den auftauchenden Hemmungen ein allgemeines
kulturelles Zögern, das körperlich empfunden wird und aktives Handeln
behindert. Es gibt kulturelle Gebote, die zum Stillhalten auffordern - in der
Familie, in der Schule, im öffentlichen Leben. Dieses Zögern muss man verstehen
und aufheben, wenn man mit Aktionsmethoden arbeiten und spontanes
Handeln ermöglichen will.
Menschen suchen normalerweise den Schutz
von Intimität, wenn sie sich über Gefühle und wichtige zwischenmenschliche
Themen austauschen: die Anonymität eines Tisches im Café, einen Spaziergang im
Wald oder das Bett. Natürlich gibt es auch die Kehrseite, den Wunsch nach
Veröffentlichung von Intimem - auf Familienfeiern, wenn Paare zusammensitzen,
in Talkshows - und dennoch ist es ungewöhnlich genug, sich im Beisein
professioneller Helfer über Intimes auszutauschen. In dieser Situation gewährt
das klassische und im Erwartungshorizont liegende Gesprächssetting als
gewohnter Rahmen Halt und Schutz. Der Einsatz von Handlungsmethoden durchbricht
solche Erwartungen und erscheint zunächst ungewöhnlich.
Der Vorschlag, etwas zu zeigen oder in
eine Rolle zu wechseln, führt in unbekanntes Gelände, in dem die Umgangsregeln
nicht bekannt sind. Schon ein offener Stuhlkreis ohne Tisch als schützende
Barriere wirkt für manche Klienten verunsichernd. Stellen Sie sich für einen
Moment vor, Sie gehen mit Ihrer Familie in Therapie oder zur Beratung. Wechseln
Sie kurz in die Rolle aller Familienmitglieder und nehmen Sie aufmerksam alle
Widerstände und €ngste wahr, die auftreten können. Im Rollenwechsel mit
Klienten wird schnell deutlich, wie wichtig es ist, als Therapeut für einen
respektvollen Rahmen zu sorgen und eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich
Klienten eingeladen, ermuntert und sicher begleitet fühlen.
Der Therapeut, die Therapeutin als
Botschaft
Therapeuten müssen als Person und in ihrer
Rolle als Therapeut überzeugen. Sie stehen dabei vor der komplexen Aufgabe,
immer wieder zwischen Person und professioneller Rolle klar zu unterscheiden,
und zwar während sie in die Welt ihrer Klienten eintauchen, sich
emotional verwickeln lassen und wieder auf Distanz gehen, um den Überblick zu
behalten. Ohne klare Differenzierung zwischen Person und professioneller Rolle
verlieren Therapeuten nicht nur ihr wahres Selbst, sondern schädigen auch ihre
Klienten. In diesem Rahmen sollten Therapeuten authentisch sein und als Persönlichkeit überzeugen, und das können sie nur, wenn sie sich mit den Methoden, die sie
anwenden, identifizieren. Aber auch hier - in der Anwendung von Methoden - ist
eine Distanzierung immer wieder notwendig. Ohne Identifikation mit den
angewandten Methoden wirkt man nicht authentisch und überzeugend, aber ohne
eine angemessene Distanz zur Methodik erlebt man Widerstände (→ I.7. S. 107) gegen eine
Technik leicht als Angriff auf die eigene Person (mit fatalen Folgen für die
Beziehung und das Arbeitsbündnis).
Die Arbeit mit Aktionsmethoden erfordert
also eine gewisse Leidenschaft und gleichzeitig die Gelassenheit, andere
Methoden anzuwenden, wenn das besser passt (Pragmatische Grundregel → I.7. S. 113). In diesem
Rahmen wirken Aktionsmethoden überzeugend, wenn der Therapeut oder die
Therapeutin als lebendiges Modell handelt und auf diese Weise zur Botschaft
wird.
Die Freude zu schauen und die Freude sich
zu zeigen
Die Arbeit mit Aktionsmethoden erfordert
Freude an Bewegung und Aktion. Szenisches Arbeiten beginnt aber - entgegen
einem weit verbreiteten Irrtum - mit der Einnahme der Beobachterposition und
dem Üben einer frei schweifenden szenischen Aufmerksamkeit (→ II.2. S. 201). Die Kunst
des Zeigens beginnt mit der Kunst des Zuschauens.
Zuschauen
Setzen Sie sich in ein CafŽ, auf einen öffentlichen Platz oder in die Bahnhofshalle und schauen Sie einfach zu. Man
kann beim Beobachten mit verschiedenen Perspektiven experimentieren und allein
dadurch Vielfalt erzeugen. Wechseln Sie bewusst in verschiedene Rollen
(Detektiv, einsame Frau, Putzmann, eine Verliebte) und nehmen Sie wahr, wie
sich die Sichtweise verändert und damit das, was Sie sehen und erleben. Üben
Sie vor allem, genau zu beobachten, was passiert, und nicht irgendetwas in das
Geschehen hineinzuinterpretieren, was Sie aufgrund psychologischer
Erklärungsschemata, die Ihnen am Herzen liegen, glauben zu sehen. Vielleicht
wechseln Sie in die Rolle eines Choreographen. Welche Gesten und
Konstellationen tauchen in diesem Theater ohne Worte auf? Wie bewegen sich die
Leute, gibt es wiederkehrende Muster, Konstellationen, Rhythmen, Ereignisse?
Versuchen Sie zu beschreiben, was Sie sehen, ohne etwas zu erklären oder zu
bewerten. Sie werden sehen, das ist gar nicht so einfach. Aber allmählich
werden Sie Spaß daran finden, weil immer mehr Details und Facetten der
Interaktionen auftauchen, die bisher hinter einem Schleier von psychologischen
Interpretationen verborgen waren.
Sich zeigen
Wer mit Aktionsmethoden arbeiten will,
muss auch lernen, sich von anderen beobachten zu lassen. Man muss Freude daran
entwickeln, sich in angemessener Form selbst zu zeigen. Stellen Sie sich vor,
der Raum wird geteilt in einen Zuschauerraum und eine Bühne. Betreten Sie nun
in der Vorstellung die leere Bühne, stehen Sie nur einfach da für ein paar
Minuten und lassen sich von einer Gruppe von Menschen beobachten. Und
beobachten Sie die Zuschauer aus dieser Perspektive. Diese einfache Übung hat
in der Praxis eine starke Wirkung. Sie werden erleben, dass Sie durch ein
Wechselbad von Gefühlen gehen und sich mit allen möglichen aufsteigenden
Empfindungen auseinander setzen müssen. Genau so geht es Ihren Klienten, wenn
sie Ihre Praxis betreten; und Aktionsmethoden intensivieren diesen Effekt.
Aktionsmethoden beginnen mit der Teilung
des Raumes in Zuschauerraum und Bühne (→ II.1. S. 158), und als Therapeut müssen
Sie lernen, sich in beiden Teilen des Raumes souverän und sicher zu bewegen.
Das kann man nicht aus Büchern lernen. Experimentieren Sie damit, wie es ist,
sich vor anderen zu zeigen und Ideen spontan in Handlung umzusetzen. Probieren
Sie, kleine Aktionen in Ihren therapeutischen Alltag einzustreuen (einen Stuhl
verrücken, eine Geste spielerisch aufgreifen, einen Ball werfen) und selbst in
Bewegung zu kommen. Das Ziel systematischen Trainings besteht darin,
Aktionsmethoden wie selbstverständlich anzuwenden. Ihr Einsatz verläuft dann
eher unterbewusst, während man sich auf den therapeutischen Prozess
konzentriert - wie das Schalten beim Autofahren. Mit der Zeit beginnt man,
intuitiv szenisch zu handeln, gewinnt Vertrauen in die Methode und wird auf
diese Weise zum ansteckenden Modell.
Sinnproduktion und Vertrauen in die
Methode
Aber wie gewinnen Klienten Vertrauen in
Aktionsmethoden? Zunächst muss man dafür sorgen, vom System aufgenommen
zu sein und als Autorität anerkannt zu werden (was Virginia Satir "in
and up" nennt). Ohne gegenseitigen Respekt (→ I.8. S. 127) kann man leicht mit
Vorschlägen scheitern. Ein tragendes Arbeitsbündnis macht die Annahme von
Vorschlägen wahrscheinlicher. Auf dieser Basis führt man wie ein guter
Gastgeber mit Humor durchs Programm (→ II.2. S. 183). Es reicht aber nach meiner
Erfahrung nicht aus, Klienten einfach in Bewegung zu bringen und ihre
Spiellaune zu fördern. Spielfreude ist gut, aber längerfristig müssen Methoden
einen Sinn ergeben, der über den Prozess hinausweist und sich im Alltag der
Klienten manifestiert. Therapeuten sollten mit ihrer Spontaneität anstecken,
aber die eigentliche Aufgabe besteht darin, Spielräume bereitzustellen, in
denen Klienten in Aktion Sinn erfinden können. Die Therapeuten betreten
die Bühne, um den Raum als begehbar und bespielbar einzuführen und dorthin
einzuladen. Viel entscheidender ist jedoch der Schritt an den Rand der Bühne,
eine Geste, die den Raum freigibt. Nun füllen die Klienten mit ihren
Darstellungen selbst den Raum.
Aber auch die Bereitstellung eines
Spielraums reicht nicht aus. Schließlich kommen viele Klienten gerade deshalb,
weil sie einen übergreifenden Sinn aus den Augen verloren haben und in ihrem
Leben keine Spielräume mehr erkennen. Kein Feuerwerk an Methoden kann auf Dauer
den Sinn ersetzen, den das Spiel irgendwann im wirklichen Leben haben muss (das
ist auf den Bühnen des Theaters nicht anders als in der Therapie). Daher muss
der Therapeut, wenn das Geschehen sich entfaltet, eine nachdenkliche Position
einnehmen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen auf einem Hügel und überblicken von
dort entspannt das Treiben. Jetzt geht es darum zu verstehen, was vor sich geht
und wie die Geschichte weitergehen könnte. Selbstverständlich können Sie als
Therapeut Klienten ebenfalls in eine solche Position versetzen. "Die
Küchenszene hat Ihr Problem plastisch beleuchtet. Lassen Sie uns da einen
Schnitt machen. Können Sie mir einen Ort nennen, an dem Sie entspannt
nachdenken können? Dann richten wir diesen Ort hier ein und überlegen
gemeinsam, wie eine Lösung aussehen könnte".
Klienten sind aber auch auf die Einfälle
von Therapeuten angewiesen. Wirksame Therapeuten entwickeln wie gute
Drehbuchautoren und Dramaturgen (→ II.2. S. 180) ein Gespür für die
Entwicklungsdynamik einer Geschichte, sie erkennen die Möglichkeiten, die in
einer Konstellation liegen, und lassen sich dann von den Figuren und dem
Geschehen leiten. In der zurückgenommenen, überschauenden Position erkennt man
Schlüsselstellen, Umkehrpunkte, Risiken und Chancen. Therapeutische
Interventionen müssen der inneren Logik der beteiligten Personen folgen, an die
Systemdynamik anschließen und diese Dynamik nutzen. Dann werden
Aktionsvorschläge wie selbstverständlich angenommen und das szenische Arbeiten
geht leicht von der Hand. Damit man diesen Zustand erreicht, muss das Spiel über sich selbst hinausweisen und spürbar in den Alltag ausstrahlen.
Beispiel
Irgendwie war es dem Therapeuten gelungen,
ein depressiv zerstrittenes Paar zu einer Rauferei anzustiften, und im Gerangel
ging die verbal verklemmte Spannung merklich in eine körperlich getönte
erotische Spannung über. (Die Sekretärin beobachtete später verwundert, wie das
Paar nach der Therapiestunde umschlungen von dannen zog.) Dem Therapeuten ging
es deutlich besser als bei den Treffen zuvor. Die nächste Stunde eröffnete die
Frau mit den Worten: "Die Rauferei neulich war ziemlich komisch, hat aber Spaß
gemacht und uns für eine Weile auf ganz andere Gedanken gebracht". Die
Musterunterbrechung - vom ätzenden Streit zur lustvollen Rauferei - lieferte
diverse Ansatzpunkte. Der Therapeut schlug den Klienten vor, die jeweiligen Familienhintergründe
in Bezug auf Kampfsituationen zu explorieren. Der Mann inszeniert eine typische
sonntägliche Mittagessensszene im elterlichen Pastorenhaushalt. Laute Worte,
Streit oder gar körperliche Gewalt sind in dieser Kultur verpönt: "Wenn ausgeteilt
wird, dann eher verdeckt und subtil". Die Frau dagegen zeigt eine typische
Situation heftiger und direkter Auseinandersetzung zwischen den Eltern: "Wir
Geschwister haben uns häufiger geprügelt." Es wird deutlich, dass beide auf
sehr unterschiedliche Art und Weise gelernt haben zu streiten.
Therapeut: "Die Regeln der Streitkulturen,
aus denen Sie kommen, scheinen ziemlich unterschiedlich zu sein. Vielleicht
macht das einen Teil der gegenseitigen Anziehung aus, die Sie miteinander
verbindet!? Andererseits kommen Sie in Ihren Streits immer wieder an Punkte, an
denen es einrastet und nicht weitergeht. Dann fehlt jedem ein geeignetes
Gegenüber für die Auseinandersetzungen, die für die Weiterentwicklung in einer
Partnerschaft so wichtig sind. Das ist etwa so, als träte ein Boxer gegen einen
Redner zum Wettstreit an; beide werden um einen befriedigenden, fairen Kampf
betrogen, sind frustriert und schlagen mit ihren jeweiligen Waffen umso mehr um
sich. Da beide die fremde Kampfart nicht beherrschen und auch nicht wissen, wie
sie sich vor den Attacken des Anderen schützen können, kommt es zu heftigen
Verletzungen, ohne dass die Auseinandersetzung irgendwelche produktiven
Ergebnisse hätte oder mal zum erschöpfenden Ende käme." Diese Interpretation
konnten beide Partner gut annehmen. Die Geschichte ihrer Kränkungen ergab in
diesem Kontext einen neuen Sinn - jenseits individueller Schuldzuweisung - und
eröffnete neue Lösungswege. Mit Hilfe des Therapeuten trainierten beide Partner
sich gegenseitig in den verschiedenen Auseinandersetzungsformen und bald
konnten Themen besprochen werden, die für die Paarepigenese bedeutungsvoll
waren - ein Prozess, der vorher durch das Kränkungsmuster blockiert worden war.
Manchmal reicht eine Verlebendigung durch
Aktion aus, um Lösungsprozesse anzuregen. Daher sollte man dem Prozess Zeit
geben und aufmerksam beobachten, wie weit die angestoßenen
Selbstorganisationsprozesse tragen und ob ein System von sich aus Sinn
produziert. Oft kehren Systeme jedoch nach einer kurzen Irritation in die Ausgangslage
zurück. Erst wenn Aktionsmethoden nachhaltig Sinn erzeugen, entwickelt sich das
Vertrauen in die Methode.
Prozessnahe Auftragsklärung
Die Frage nach dem Sinn des
therapeutischen Geschehens kann man nutzen, um Aufträge und Ziele im Prozess
zeitnah zu überprüfen und flexibel auszuhandeln. Das Verhandeln über Ziele und
Wege zum Ziel wird damit zu einem wichtigen Element, das den therapeutischen
Prozess voranbringt. Deutlich wird das am Umgang mit Aktionsvorschlägen.
Beispiel
Ein Paar wollte unbedingt den Streit vom
Vortag im Rollenspiel nachspielen. Vertraut mit Aktionsmethoden waren beide
eigentlich schon im Spiel und kaum zurückzuhalten. Die Therapeuten riskierten
aber den Unmut der Klienten (nicht ins Spiel zu kommen) und blieben hartnäckig
dabei, die Frage nach dem Sinn dieser Übung zu stellen. Nach einigem Hin und
Her fand das Paar als gemeinsames Symbol für den Sinn der Inszenierung einen
Blumenstrauß. Einer der Therapeuten besorgte einen echten Blumenstrauß aus dem
Sekretariat, um die Wichtigkeit des Symbols zu unterstreichen. Das Paar zeigte
sich von dieser Geste berührt und wechselte in eine gänzlich andere Stimmung
(einen anderen emotionalen Modus). Den Rest der Zeit war das Paar damit
beschäftigt, dem Blumenstrauß einen Ort zwischen sich zu geben (Wo sind wir? Wo
der Blumenstrauß? Was fehlt? Stimmt es so? Was bedeutet diese Konstellation für
mich? Für uns? usw.). In der nächsten Stunde bauten die Therapeuten die
Szenerie wieder auf und führten das Thema Geben und Nehmen ein, was sich als
spannendes und weiterführendes Thema herausstellte.
Therapeuten können immer fragen "Wozu
machen wir das jetzt?" oder "Ich bin mir nicht sicher, ob ich ausreichend
verstehe, wozu dies jetzt gut sein soll."
Die Freude, sich zu zeigen, und die Angst
vor Beschämung
Die Freude, sich zu zeigen, ist ein ebenso
elementares menschliches Bedürfnis wie das Bedürfnis nach Geborgenheit.
Menschen möchten geschützt, aber auch gesehen, erkannt werden. Wir erkennen uns
im Anderen und der zustimmende Glanz in den Augen der Anderen beflügelt uns.
Das gilt selbstverständlich auch für die therapeutische Situation. Die
Kehrseite zeigt sich in der Angst, beschämt zu werden. Freude und Scham
intensivieren sich mit der Anzahl der Zuschauer und beide Gefühle werden in der
Arbeit mit Aktionsmethoden besonders deutlich erlebt (vgl. Tabelle).
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Die Scham
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sich kompetent, erfolgreich, mutig zu zeigen, gewürdigt zu
werden, einen Sieg davon
zu tragen, ermutigt zu werden
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sich inkompetent, versagend, entmutigt zu zeigen, entwürdigt
zu werden, eine Niederlage zu erleiden, gedemütigt zu werden
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wenn Selbstbild, Idealbild und Performance übereinstimmen
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wenn sich Diskrepanzen zwischen Selbstbild, Idealbild und
Wirklichkeit zeigen
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die man spürt, wenn man eine Situation aktiv gestaltet und
kontrollieren kann
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die man spürt, wenn plötzlich Anteile sichtbar werden, die
unbewusst/unterbewusst sind oder unkontrollierbar erscheinen (Tics)
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die man erlebt, wenn man sich frei und unabhängig zeigt
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die man erlebt, wenn sich tatsächliche oder fantasierte
Abhängigkeiten zeigen
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die man empfindet, wenn man sich geschützt fühlt und Grenzen
eingehalten werden
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wenn man sich entlarvt (bloßgestellt) fühlt und
Intimitätsgrenzen verletzt werden
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die man empfindet, wenn man anderen beim erfolgreichen
Handeln zuschaut (Sieg, Erhoben werden, Würdigung, Ermutigung)
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die man empfindet, wenn man andere, die sich in peinlichen
Situationen befinden, beobachtet (Niederlage, Erniedrigung, Entwürdigung,
Demütigung)
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die man erlebt, wenn man selbst und andere, jenseits von
Unterschieden, Respekt erfahren
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die erlebt werden kann, wenn sich Status- und
Milieuunterschiede zeigen
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Die man erleben kann , wenn man gelobt
wird
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Die man erleben kann , wenn man gelobt wird
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die man erlebt, wenn erkenntlich wird, dass man etwas getan
hat, was man tun sollte
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die man erlebt, wenn man beschuldigt wird, etwas getan zu
haben, was man nicht tun sollte
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die man erlebt, wenn man selbst oder andere belohnt werden
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die man erlebt, wenn man selbst oder andere bestraft werden
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die man erlebt, wenn man eine gute Figur macht
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Die man erlebt, wenn man keine gute Figur macht
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die man erlebt, wenn man in Applaus badet
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die man erlebt, wenn man ausgebuht wird
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Scham und Schuld sind nicht umsonst zentrale
Themen der Psychotherapie (Wurmser, 1990, Seidler, 2001, Stierlin, 2001,
Bleckwedel et al., 1991, Möller, 2002). Beschäämungsszenarien können
Vernichtungsimpulse auslösen, besonders dann, wenn Einzelne oder Gruppen
gedemütigt werden. Andererseits ist die Entwicklung von Respekt und
Verantwortung eng mit der Entwicklung der Schamempfindung verbunden. Die
Schamempfindung bildet entwicklungspsychologisch die Basis für Schuldgefühle,
und ohne Scham und Schuld (Stierlin, 2001) gäbe es weder Moral noch Verantwortung.
Nur wer Scham empfindet, kann sich schuldig fühlen, und nur wer sich schuldig
fühlt, wird der Gemeinschaft in Form sozialer Verantwortung etwas von dem, was
er bekommen hat, zurückgeben.
Wenn die kleinen Kinder der Inuit sich der
gefährlichen Eiskante zu weit nähern, läuft die ganze Gruppe zusammen, um die
Kleinen aus sicherem Abstand (Erwachsene würden im dünnen Eis einbrechen)
kollektiv zu verlachen. Die Inuit setzen die Häme gezielt und sehr wirkungsvoll
als fern wirkendes pädagogisches Mittel ein, um die Kinder vor dem Ertrinken im
eiskalten Wasser zu schützen. Das Beispiel zeigt, wie intensiv und nachhaltig
Beschämung wirken kann. Der Schamaffekt berührt den Kern der Persönlichkeit und
setzt starke Impulse in Gang: "Wer sich schämt, möchte am liebsten im Boden
versinken oder den Zuschauenden die Augen auskratzen", sagt Nietzsche.
Die Gefahr der Beschämung - auch der
subtilen Beschämung, wenn nur gesprochen wird - ist in therapeutischen
Situationen immer gegeben. Und doch ist es so, dass die meisten Menschen sich
auf einer Bühne ungeschützter fühlen als im Medium der Sprache. Nicht umsonst
steigt auf dem Weg zum Rednerpult der Adrenalinspiegel. In dieser Situation öffnet sich ein zutiefst menschlicher Zwiespalt: Die Angst vor Beschämung kann
dabei ebenso groß sein wie der Wunsch nach Applaus. Das macht den von Michael
Balint beschriebenen Thrill, die Angstlust, aus, die im Lampenfieber besonders
spürbar wird.
Aktionsmethoden können sowohl Freude als
auch Beschämung intensivieren. Der Einsatz von Aktionsmethoden sollte daher
besonders sorgfältig gerahmt werden, um vor Beschämung zu schützen.
Andererseits fühlen sich Kinder im Spiel oft besser aufgehoben und auch
Jugendliche und Erwachsene, die einer elaborierten Sprechweise eher fremd gegenüberstehen
(Beschämung durch Status- und Milieuunterschiede) fühlen sich mit
handlungsorientierten Methoden oft wohler (→ I.3. S. 58). Aktionsmethoden eigenen sich
hervorragend zur grenzenwahrenden Steuerung von therapeutischen Prozessen und
können auf vielfältige Weise dazu beitragen, Freude zu erzeugen und
Schädigungen durch Therapie zu vermeiden.
Therapie als zu schützender Lösungsraum
Die Grundidee von Therapie besteht darin,
einen sicheren Ort zu gestalten, an dem Klienten und Therapeuten sich ausreichend
geschützt fühlen, um kreativ an Konflikten und Lösungen zu arbeiten. Es muss
dabei auch Raum geben für schwierige Gefühle, Krisen, Probleme oder Konflikte,
allerdings ohne den Ort als Lösungsraum zu gefährden. In der Arbeit mit
Familien und Paaren passiert es relativ häufig, dass Therapeuten sich plötzlich
live in Szenen wiederfinden, in denen entwertende oder destruktive Muster
aktiviert werden. Es wäre auch weltfremd anzunehmen, die therapeutische
Situation könnte vom ganz normalen Wüten der Welt freigehalten werden. Das
Paar- oder Familiendrama braucht seinen Platz, um dargestellt, um belebt zu
werden. Therapie hat auch eine Containing-Funktion. Aber wenn sich in der
therapeutischen Situation ausschließlich wiederholt oder widerspiegelt, was sonst
auch als nervtötend, kränkend oder problematisch erlebt wird, dann wird der
therapeutische Raum als Lösungsraum beschädigt. Das muss gestoppt werden. Eine
der großen Stärken von Aktionsmethoden liegt in den Möglichkeiten, Situationen
gezielt zu unterbrechen und kreativ umzuwandeln.
Beispiel
Die Therapeuten arbeiten mit einer Familie
(Eltern, 2 Kinder) in deren Wohnung (aufsuchende Familientherapie). Dabei kommt
es immer wieder zu gegenseitigen Beschimpfungen und dramatischen
Gefühlsausbrüchen. Mutter: "Wir streiten uns wie die Kesselflicker, so ist das
eben." Vater: "Ja, das is'n bisschen direkter hier bei uns." - Therapeut: "Direkt ist gut, aber verletzend ist nicht so gut, das hat Folgen". Auf
Vorschlag wird in der Wohnung eine Kesselflickerecke eingerichtet und eine
Ecke als Beratungsraum. Während der Treffen wird nun zwischen beiden
Räumen hin und her gependelt. In der Kesselflickerecke darf es derbe zur Sache
gehen, im Beratungsraum gelten andere Regeln. Alle, die wollen, können die
Kesselflickerecke verlassen und sich in den Beratungsraum als Schutzraum
zurückziehen. Die Therapeuten begleiten und unterstützen die Transfers.
Allmählich etablieren sich neue Umgangsformen. Die Familie berichtet, wie auch
im Alltag Kesselflickerecke und Beratungsraum genutzt werden, um Unterschiede
zu machen und neue Kommunikationsstile und Umgangsformen auszuprobieren.
Therapie muss dem Leiden oder der Störung
einen Platz einräumen und gleichzeitig Lösungen entwickeln - oder zumindest
Hoffnung vermitteln. Wenn das nicht geschieht, verlassen Klienten den
therapeutischen Raum mit dem Gefühl, umsonst da gewesen zu sein. Im ungünstigen
Fall verlassen Klienten den Ort der Therapie mit dem Gefühl, nicht gehört,
nicht verstanden, nicht ausreichend geschützt, zusätzlich gekränkt, überfahren,
vorgeführt, gebraucht oder gar missbraucht worden zu sein. Da sowohl dem
therapeutischen Ort als auch seinen Hütern, den Therapeuten, enormes
Vorschussvertrauen entgegengebracht wird, können Beschädigungen in Therapien,
mehr noch als im normalen Leben, zu einer erheblichen Verletzung des
Grundvertrauens führen und gravierende Folgen haben. Leider wird das Risiko von
Schädigungen durch therapeutische Prozesse immer wieder unterschätzt oder
bagatellisiert (2). Im Paar- oder Familiensetting erhöht sich die Gefahr der
Schädigung vor allem dann, wenn Therapeuten über kein geeignetes
Instrumentarium verfügen, destruktive Prozesse zu erkennen, zu stoppen und
umzuwandeln.
Achtsamkeit und Selbstreflexion
Um Beschädigungen durch einen nicht
angemessenen Einsatz von Aktionsmethoden weitgehend zu vermeiden, kommt es
meiner Erfahrung nach besonders darauf an, genau darauf zu achten, ob man sich
als Beobachter während einer szenischen Bearbeitung wohl fühlt oder nicht. Wenn
man achtsam ist (Interaktive Präsenz → II.4. S. 194), kann man Zustände des
Unbehagens (oder negative Resonanzen) bei sich selbst und anderen früh erkennen
und die Situation verändern. Wie richtet man die Situation so ein, dass man
gern zuschaut? Die Frage klingt im ersten Moment banal und verweist doch auf
ein wichtiges Kriterium. Ich habe in vielen Situationen die Erfahrung gemacht,
dass ich mich am besten auf meine Intuition verlasse und mich kontinuierlich
frage: Wie kann ich als Therapeut diese Situation so gestalten, dass ich mich
dabei wohl fühle? Das hat nichts mit Spaßtherapie zu tun. Freude in der
Arbeit empfinde ich, wenn die Beteiligten gern kommen und aktiv dabei sind.
Dann kann das therapeutisch Notwendige - vom Lachen bis zum schmerzlichen
Weinen, von der spontanen spielerischen Aktivität bis zum Schweigen -
geschehen. Wenn dieses Gefühl gestört wird, sollte man versuchen, die Situation
anders zu gestalten: "Peter, du siehst nicht gerade so aus, als wenn du gern
da wärst, was müssten wir hier tun, damit dir das hier was bringt? - Keine
Ahnung, blöde Frage - Therapeut (zu den Eltern): Haben Sie eine Idee? - Nein,
das ist hier genau wie zu Hause (etwas betretenes Schweigen). Vater zögernd:
Früher sind wir immer zusammen in den Werkraum gegangen ... - Peter: Das ist
doch bescheuert - Therapeut: "Ich frage mich grade, was 14-jährige Söhne mit
ihren Müttern und Vätern überhaupt so machen können, außer dass es 'bescheuert'
ist und nervt."
Emotionale Achtsamkeit als Kompass für die
Gestaltung der therapeutischen Situation setzt voraus, dass man in Kontakt mit
sich bleibt und offen ist für die Themen, die Familien und Paare bewusst und
unbewusst einbringen. Das setzt ein Interesse, sich selbst zu erforschen,
voraus. Vielleicht haben die ersten Generationen von Therapeuten die Passion
zur Selbsterfahrung übertrieben, aber diese Passion lässt sich nicht durch eine
Passion für Techniken ersetzen. Denn die Grenzen für nachhaltige
Veränderungsprozesse in Therapien liegen zu einem guten Teil im Unbewussten der
Therapeuten. Ein unbearbeiteter Konflikt oder ein blinder Fleck birgt immer die
Gefahr, Klienten bewusst oder unbewusst für eigene Zwecke zu gebrauchen und
damit die therapeutische Situation zu missbrauchen.
Beispiel
Ein Psychotherapeut litt unter einem
unbearbeiteten Autoritätskonflikt. Unerfüllte Sehnsucht nach Führung und
Rebellion gegen jede Führung blockierten sich gegenseitig und behinderten eine
selbstbestimmte Entwicklung. Der Grundkonflikt zeigte sich trotz
verschiedenster Bearbeitungen immer wieder in der Beziehung zum eigenen Vater.
Der Therapeut stellte in einer Großgruppe seine Familie nach Hellinger-Art auf
und erlebte in diesem Akt eine "tiefe Befreiung" (Verneigung vor den Eltern).
In der Einzeltherapie mit einem Patienten, der von seinem Vater sexuell
misshandelt worden war, ging es nicht recht weiter, und darauf bot der
Therapeut diesem Patienten an, an einem Wochenende seine Familie unter seiner
Regie aufzustellen. Obwohl der Patient in der Inszenierung starke Widerstände
zeigte, setzte der Therapeut seine ganze Autorität ein - getreu nach Hellinger
- und stellte die Familie in der üblichen, vorgegebenen Ordnung auf, brachte
den Patienten zur üblichen Verneigung und ließ ihn die üblichen Sätze sprechen.
Nach dem Wochenende dekompensierte der Patient in einer psychotischen Episode
und musste in eine Klinik eingewiesen werden. Der Therapeut war erschrocken und
brachte diesen Fall in die Supervision ein, mit der Frage: "Wie konnte ich
einen solchen autoritären Zwang ausüben, ich kenne mich selbst nicht
wieder?" In der Bearbeitung stellte sich heraus, dass der Therapeut bei
der Aufstellung seiner Familie zwar ein intensives Gefühl von Befreiung erlebt
hatte, in der realen Beziehung zum Vater eine versöhnliche Geste jedoch
weiterhin sehnlich vermisste. "Ich wollte, dass der Patient sich neigt wie ich
selbst und der Vater in der Inszenierung eine versöhnliche Geste zeigt. Etwas,
was ich von meinem eigenen Vater nie erfahren habe: Autorität und
Zugewandtheit." Der Kollege konnte in der Supervision erkennen, dass er den
Patienten in der therapeutischen Situation stellvertretend zu etwas verführt
hatte, was er selbst gern erleben wollte. Wie viele Angehörige der zweiten
Generation nach dem Faschismus hatte der Therapeut eine Fremdheit gegenüber
seinem Vater entwickelt und vermisste gleichzeitig schmerzlich das Gefühl, den
eigenen Vater lieben und als Autorität anerkennen zu können. Die "Befreiung"
aus dieser Ambivalenz zum Vater war allerdings in der Hellinger-Prozedur
erkauft worden durch die Unterwerfung unter eine autoritäre und absolutistische
Führung, und das hatte er weitergegeben. Der Therapeut hatte den Patienten
seine eigene Lösung spielen lassen und ihm dadurch den Raum verwehrt,
selbstbestimmt seinen eigenen Weg zu finden. Der Therapeut fuhr mit dieser
Einsicht in die Klinik und entschuldigte sich bei dem Patienten für seine
autoritäre Manipulation. Daraufhin verbesserte sich der Zustand seines
Patienten erheblich.
Gespür für Intimität und Zuschauerfreude
Wenn die eigenen Empfindungen und Gefühle,
die als Resonanz in einer Situation auftauchen, beachtet, reflektiert und
bearbeitet werden, entwickelt sich die Sensibilität im Umgang mit
Intimitätsgrenzen. Intimitätsgrenzen können von Kulturen oder Familien sehr
unterschiedlich gesetzt und empfunden werden. Für die Familientherapie ist ein
angemessener Umgang mit diesen Grenzen allerdings zentral (→ I.4. S. 74 u. I.5. S. 91).
Offensichtlich verfügen wir über ein feines Gespür für Intimität, ein Gefühl,
das sozial, kulturell und rollenspezifisch geformt wird. Dieses Gespür schützt
uns vor den destruktiven Kräften, die freigesetzt werden können, wenn
Intimitätsgrenzen überschritten oder verletzt werden. Das Gespür für Intimität
(3) begrenzt - wenn es ausgebildet ist und nicht durch ungezügelten Voyeurismus
und Exhibitionismus außer Kraft gesetzt wird - die therapeutische Neugier, den
methodischen Ehrgeiz oder gar den Hang, Klienten in öffentlichen
Schauveranstaltungen für eigene Zwecke zu gebrauchen.
Neben dem Gespür für Intimität gibt es ein
zweites emotionales Kriterium für die Beurteilung der Angemessenheit von
Aktionsmethoden. Ich meine die entspannte Zuschauerfreude, die sich einstellt,
wenn wir Zeuge von Wachstum, Integration, Lösungsprozessen und Entwicklung
werden. Wenn der Rahmen stimmt, wenn Klienten Vertrauen gewinnen und sich
Aktionen wie selbstverständlich ergeben und entwickeln, entsteht eine
entspannte, spielerische Atmosphäre. Als Therapeut spürt man deutlich eben jene
Zuschauerfreude, die es ganz leicht macht, die Aufmerksamkeit und die Gedanken
frei schweifen zu lassen und Lösungsfantasien zu entwickeln (→ II.2.S. 187).Wenn sich
dagegen ein ungutes Gefühl einstellt, kann man die Situation verändern, stoppen
oder direkt fragen "Mir ist gerade nicht klar, ob die Situation so in
Ordnung ist. Können wir so weitermachen oder sollten wir etwas verändern? Wie
können wir die Situation hier so gestalten, dass Sie sich gut aufgehoben fühlen
und wir vorankommen?"
Passend ungewöhnlich intervenieren
Bei allem Gespür für die Situation steht
man doch immer wieder unvermeidlich vor der Frage, für welches Vorgehen man
sich in einem bestimmten Moment entscheiden soll. Die goldene Regel lautet: wenig
ist mehr. Das gilt vor allem dann, wenn man aus einer Fülle von
Interventionsideen das Passende auswählen kann. Keinesfalls sollten
Aktionsmethoden als eitles Feuerwerk eingesetzt werden. In der Arbeit mit
Familien und Paaren können schon kleine Aktionen, die gut durchdacht sind und
mit dem richtigen Timing eingesetzt werden, weit reichende Wirkungen erzielen.
Bei der Auswahl kann man sich an einer
Regel orientieren, die lautet: passend ungewöhnlich intervenieren.
Interventionen sollten bestätigen (Gewohnheiten, Ideen, Gefühle) und
gleichzeitig Irritation erzeugen und Suchprozesse auslösen. Therapeuten müssen
Klienten da abholen, wo sie sich befinden, und ihre Landkarten und Gewohnheiten
respektieren. Aber das reicht nicht aus. Es braucht auch Überraschung und
eigene Initiative.
Kreative Kooperation ist keineswegs immer
harmonisch, das kann man vom Leben und der Kunst lernen: Produktionen und Werke
von außerordentlicher Harmonie und Ausgewogenheit entstehen oft in eher
schwierigen Prozessen! "The making of", die kreative Kooperation, lebt von
Spannung, Dissens, Zusammenstoß, Konflikt, Anstrengung, Disharmonie, Anstößigkeit,
Krise, Risiko und etwas Verrücktheit. Warum? Weil sonst keine Abweichungen,
keine Variationen produziert werden und weil ohne Variation alles zum
Stillstand kommt (Fehlerfreundlichkeit → I.4. S. 77). Etwas Herausforderung darf
sein. Holen Sie kleine Tüten mit Gummibärchen aus dem Schrank und lassen alle
Familienmitglieder ihre Familie (oder ein Genogramm) legen. Daran haben
die Klienten im Traum nicht gedacht, und doch wird das Gespräch über diese
Gummibärchenbilder vielleicht aufschlussreich sein.
Hypothetisieren in Aktion
Ich verstehe die Arbeit mit
Aktionsmethoden als einen Teil der Hypothesenbildung. Der Prozess der
Hypothesenbildung (→ I.8. S. 134) ist ein
prinzipiell unabgeschlossener Prozess. Das Hypothetisieren in Aktion erfüllt,
genauso wie das Hypothetisieren mit Hilfe des zirkulären Fragens (Boscolo et
al., 1988, Schwing u. Fryszer, 2006, S. 209-238), verschiedene Funktionen:
Hypothesen prüfen und entwickeln
Der Vorschlag zu einer Aktion ist mit
einer Intention, aber auch mit einer Hypothese verbunden. Es ist also wichtig,
genau darauf zu achten, wie ein Vorschlag von den verschiedenen Personen
aufgenommen wird (freudig angenommen, zögerlich akzeptiert, abgewiesen,
ignoriert, lustlos ausgeführt). Im Zweifelsfall kann ein Vorschlag immer
zurückgenommen oder eine Aktion gestoppt werden. "Ich sehe, Sie sind nicht
begeistert, lassen wir das lieber. Was passt denn besser?" Die Annahme oder
Ablehnung eines Aktionsvorschlags kann, eine Hypothese eher stützen oder in
Frage stellen. Zum Beispiel könnte die Ablehnung eines Vorschlags zeigen, dass
ein tabuisiertes Thema berührt wird. Das Vorschlagen von Aktionen und das
Verhandeln über Vorschläge (Grundregel → I.7. S. 113) ist also immer auch ein
Instrument zur Überprüfung und Entwicklung von Hypothesen. Deshalb ist auch die
Ablehnung eines Vorschlags nicht problematisch, sondern interessant. Was sagt
die Ablehnung oder die Annahme eines Aktionsvorschlags über die Hypothese?
Komplexität sinnvoll reduzieren und ordnen
Beispiel: Ein Paar ist in heftige verbale
Streits verwickelt und der Therapeut hat den Eindruck, es geht um Nähe. "Ich
schlage vor, Sie umarmen sich, ohne Worte, dann setzen Sie sich bitte hier
nebeneinander auf die Stühle und schauen gemeinsam aus dem Fenster, ohne zu
sprechen. Kommen Sie nun bitte wieder in den Gesprächskreis. Ist es das, was
Ihnen fehlt?"
Suchprozesse auslösen
Beispiel Rollenfindung als Suchprozess:
Ein zusätzlicher Stuhl wird aufgestellt "Ich möchte gern jemanden einladen,
der Sie unterstützen könnte - Nehmen Sie doch bitte auf diesem Stuhl hier Platz
- (Platzwechsel) - Guten Tag, wer sind Sie? - Nein, Sie sind jetzt nicht Herr
Wiese, Sie sind diese Person, die den Herrn Wiese unterstützen könnte! - Also,
wer sind Sie?"
Lösungen anregen
Beispiel: "Ich möchte Ihnen gern etwas
zeigen". Die Therapeutin zeigt nun der Familie in einer Skulptur oder
Aufstellung, wie sie die Familien sieht. In diesem Bild von der Familie sind
natürlich Hypothesen der Therapeutin enthalten. Angenommen, das Bild der
Therapeutin wird von allen Familienmitgliedern weitgehend akzeptiert, könnte es
so weiter gehen: "Bitte bewegen Sie sich nun alle gleichzeitig - langsam, in
kleinen Bewegungen, nicht zu schnell -, und zwar so, dass Sie sich in der
Konstellation wohler fühlen."
Anmerkungen:
(1) In der illustrativen direkten Rede
verwende ich vereinfachend das Sie, in dieser Form ist das Du (für Kinder)
immer enthalten.
(2) Zum Thema potenzieller Kunstfehler:
www.sgipt.org/gipt/kfehl.htm
(3) "… die
Eigenschaften des Herzens bedürfen des Schutzes […] gegen das Licht der Öffentlichkeit, um sich entfalten oder auch nur bleiben zu können, was sie
sind: die innersten verborgenen Antriebe, die sich zur öffentlichen
Schaustellung nicht eignen" (Hannah Arendt, Über die Revolution, Piper, München,
1963, S.122).