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Vorabdruck aus Ariane Bentner & Marie Krenzin: Erfolgsfaktor Intuition. Systemisches Coaching von Führungskräften (

Bentner Krenzin Intuition Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008 (Oktober)

217 S., kartoniert, 30 Abb.

Preis: 22,90 €

ISBN-10: 3525403232
ISBN-13: 978-3525403235


Verlagsinformation: "In den letzten Jahren wurde Intuition – auch als emotionale Intelligenz bekannt – zunehmend zum Forschungsgegenstand. Verschiedene Studien haben zeigen können, dass Intuition eine zentrale Rolle in Entscheidungssituationen spielen kann, dass es oftmals besser ist, intuitiv auf sein »Bauchgefühl« zu hören, anstatt sich zu lange mit Gedanken zu befassen. Insbesondere für Führungskräfte, die zunehmend komplexe und unübersichtliche Situationen unter großem Druck managen müssen, kann Intuition bei der Planung, Entscheidung und Problemlösung eine wichtiges Handwerkszeug und eine gute Ergänzung zu rational-analytischem Vorgehen sein. Dieses Buch geht der Frage nach, was Intuition wissenschaftlich betrachtet genau ist, wo sie im Coaching nützlich eingesetzt werden kann, wie intuitive Prozesse im Coaching aus Sicht der Klienten verlaufen und welchen Einfluss sie auf den Coachingerfolg haben. Dazu haben die Autorinnen über 40 Führungskräfte zu deren Erfahrungen interviewt und die Ergebnisse ausgewertet. Fallstudien demonstrieren Coaching mit Intuition in der Praxis. Dabei werden auch lösungsorientierte Tools vorgestellt."

Inhalt

Ariane Bentner und Marie Krenzin
Coaching zwischen Seelentrost und Strategie-Beratung? Zur Einleitung

Marie Krenzin
Braucht der flexible Mensch einen Coach? Oder muss er auf die Couch?

Marie Krenzin
»Dass wir etwas wissen, ohne zu wissen, warum ...« Intuition im Coaching

Molly von Oertzen
Führen Erstgeborene anders? Geschwisterposition und Führungsverhalten

Ariane Bentner
Coaching als Lernformat für Führungskräfte. Systemische und lösungsfokussierte Perspektiven für die Einzelberatung

Marie Krenzin
»... und diese positive Sicht – danach bin ich süchtig«. Was erleben Führungskräfte im Coaching?

Ariane Bentner und Marie Krenzin
Team- und Leitungs-Coaching mit der Methode der systemischen Stukturaufstellungen

Literatur

Die Autorinnen

Literaturliste



Vorabdruck aus:

Ariane Bentner und Marie Krenzin: Team- und Leitungs-Coaching mit der Methode der systemischen Strukturaufstellungen

Die systemische Strukturaufstellung als eigenständiges Format in der lösungsorientierten Beratungsarbeit eignet sich nicht nur besonders für die Einzelberatung. Sie stellt aus unserer Erfahrung auch eine geeignete Methode zur Förderung der intuitiven Prozesse des Klienten bei der Suche nach Lösungen dar. Darüber hinaus führt sie oftmals zu eigenen Lösungsbildern des Klienten und stärkt dadurch die Selbstwirksamkeit und das Selbstvertrauen mit Hilfe der Intuition. Strukturaufstellungen sind aber auch geeignet, lösungsfokussierte Prozesse bei Gruppen und Teams anzuregen.
Im Folgenden geht es um einen Fall aus unserer Beratungspraxis, in der eine Leitungskraft den Wunsch an uns herantrug, gemeinsam mit ihrem kleinen Team im Rahmen einer Miniklausur zu reflektieren, wo die Abteilung nach verschiedenen Umstrukturierungsmaßnahmen steht, wohin sie sich entwickeln will und was ihr dabei noch fehlt. Es handelt sich um eine interne Personalentwicklungsabteilung, in der alle Beteiligten daran gewöhnt sind, sehr eigenständig zu arbeiten und zu entscheiden. Das Arbeitsklima wird als gut geschildert. Der Führungsstil der Leiterin ist partizipativ, wenn auch ihre Entscheidungen den Mitarbeiterinnen nicht immer ganz transparent erscheinen. Da das Team sehr reflektiert und eloquent auftritt, entsteht der Wunsch nach einer Methode, bei der man nicht so viel reden muss und dennoch neue Erkenntnisse gewinnen kann. So kommen wir auf die Idee, diesem Team eine systemische Strukturaufstellung anzubieten.

Aufstellungsarbeit als Methode zur Teamberatung?

Lange Zeit galt es in der Teamberatung als unmöglich, eigene Anliegen mit Betroffenen und Anwesenden gleichermaßen aufzustellen. Es galt als verpönt, Personen, die betroffen waren, selbst aufzustellen. Matthias Varga von Kibed (Sparrer u. Varga von Kibed, 2000) hat gemeinsam mit seiner Frau Insa Sparrer (Sparrer, 2001; 2006) eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, genau dies zu tun und den Betroffenen dabei das Einnehmen einer neuen Perspektive zu ermöglichen.
Eigentlich gilt die Aufstellungsarbeit als eine klassische Form der Arbeit mit Einzelnen, die ein Anliegen visualisieren und neue Erkenntnisse gewinnen wollen. Wie wir zeigen möchten, eignet sich diese Methode jedoch auch sehr gut für die Arbeit mit (kleineren) Teams.
Die Wurzeln der Aufstellungsarbeit liegen eindeutig im therapeutischen Bereich und lassen sich auf den Begründer des Psychodramas, Jakob Moreno, sowie auf eine der zentralen Pionierinnen der Familientherapie, Virginia Satir, zurückverfolgen.
Populär wurde die Aufstellungsarbeit erst in den letzten zwei Jahrzehnten durch den Theologen und – umstrittenen – Familientherapeuten Bert Hellinger, der das sogenannte Familienstellen mit großem Erfolg seit den 1990er Jahren praktiziert hat und der durch Gunthard Weber von der Heidelberger Schule erst populär wurde. Parallel dazu und lange Zeit unentdeckt haben die Satir-Schülerin Insa Sparrer und ihr Mann, der Mathematiker und Philosoph Mathias Varga von Kibed in München seit ca. 1986 den integrativen Ansatz der (Organisations-)Strukturaufstellungen entwickelt, den sie als eine Grammatik mit bestimmten erlernbaren Regeln definieren und der systemisches, konstruktivistisches und lösungsfokussiertes Arbeiten auf elegante Weise verbindet, dabei allerdings hoch anspruchsvoll ist.
Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Aufstellungsansätze verbindet alle die Gemeinsamkeit, dass diese Methode der Aufstellungsarbeit es in einzigartiger Weise erlaubt, bisher unsichtbare oder unbesprechbare, verborgene Strukturen in einem System mit Hilfe von Symbolen sichtbar und damit erlebbar zu machen. Wir arbeiten mit Varianten dieser Strukturaufstellungen der – wie wir sie nennen – Münchener Schule. Dabei wird methodisch bei der Aufstellung die falleinbringende Person oder in unserem Beispiel die Personen als Ganzes sinnlich so berührt, dass ihr »weniger Raum zu intellektueller Distanz und damit verbundenen Abwehrmanövern« (König, 2004, S. 314) bleibt, als dies bei anderen Methoden wie etwa der reinen Gesprächsführung der Fall wäre. Dabei bewegt sich der Klient in den Dimensionen Raum und Zeit, Nähe und Distanz, Hier und Jetzt, dann und zukünftig und kann – im wahrsten Sinne des Wortes – etwas Sinnliches erleben.
Vorteilhaft wirkt auch, dass durch die eigentliche Aufstellungsarbeit eine Art hypnotischer Trance entsteht, in der sich der Klient bewegt. Dieser Tranceraum ist besonders im Lösungsbild wichtig, weil dieses den Klienten in einen unmittelbaren Kontakt bringt mit dem, was sein könnte. Das Medium dazu ist die sogenannte repräsentierende Wahrnehmung, eine Umschreibung dessen, was in der Psychoanalyse als Übertragung bezeichnet wird. Repräsentierende Wahrnehmungen werden von den Repräsentanten gespiegelt, die quasi in der Rolle eines anderen stehen und dabei weniger Rollen spielen sollen, als vielmehr rückmelden, welche (v. a. körperlichen) Wahrnehmungsimpulse sie empfinden. Interessanterweise zeigen sich durch diese Methode häufig neue Systemebenen des als problematisch erlebten Musters, die über das Wissen des falleinbringenden Protagonisten hinausgehen und in kurzer Zeit mehr Informationen generieren, als dies durch Interviews möglich wäre. Auch dies macht einen Gutteil der Faszination der Aufstellungsarbeit aus.
Methodisch zentral für die Aufstellungen der Münchner Schule ist der Vierschritt:
  1. Lösungsfokussiertes Interview mit Auftragsklärung,
  2. Auswahl der aufzustellenden Elemente/Personen,
  3. Stellen des Ist-Bildes sowie
  4. des Lösungsbildes.
Gestellt wird grundsätzlich ein Ist-Bild, das die problematische Situation im Hier und Jetzt abbildet aus der Sicht des Klienten und analog zum Anliegen oder in unserem Fall des ganzen Teams. Anschließend wird ein Lösungsbild gestellt, das die gewünschte Wirklichkeit des Klienten zeigt. Hier spielt die quasihypnotische Wirkung des neu entstehenden Tranceraums eine entscheidende Rolle. Das dabei entstehende Bild ist nicht die Wirklichkeit, sondern am ehesten mit einem Kunstwerk vergleichbar, das es ermöglicht, komplexe Zusammenhänge zu visualisieren. Die Münchner Schule hat die Methodik der Strukturaufstellungen mittlerweile so verfeinert, dass dabei über 80 verschiedene Aufstellungsformate entstanden sind.
Weshalb fördert gerade diese Methode der Aufstellungen die intuitive Suche nach Lösungen bei Klienten? Klienten haben beim Aufstellen die Möglichkeit, ihre eigene Sicht auf die Problemsituation räumlich darzustellen und alle davon betroffenen Anteile zu visualisieren. Dadurch wird die zuvor als häufig übermächtig und undurchschaubar erlebte Problemsituation in ihrer Komplexität zunächst reduziert und visuell vereinfacht dargestellt.
Durch das Ist-Bild bekommen Klienten zudem die Möglichkeit, ihre als schwierig erlebte Situation erstmals auch aus einer räumlichen Distanz heraus – wie von der Metaebene herab – zu betrachten und sie nicht weiter in sich tragen zu müssen. Dadurch entsteht eine Distanz, die erforderlich ist für das Entstehen von Lösungen. Es können allein durch die Aufstellung des Ist-Bildes schon früh mögliche Lösungsimpulse generiert werden.
Für Beratende ergibt sich daraus die Möglichkeit, ein transparentes, manifestes Bild der Situation der Klienten zu erhalten. Dieses »aufgestellte« Bild kann sich durchaus von dem unterscheiden, was der Klient dem Berater beim Erzählen vermittelt hat. Hier zeigt sich sehr anschaulich die von der Heidelberger Schule entwickelte Unterscheidung von Erlebtem und Erzähltem (vgl. Retzer, 2004).
Methodisch kann dieses Vorgehen Beratungsprozesse enorm verdichten und verkürzen, da mit Hilfe der Visualisierung in der Aufstellungsarbeit sichergestellt wird, dass Berater oder Beraterin und Klienten sich über das Gleiche unterhalten. Missverständnisse können so schneller ausgeräumt werden, als dies mit Hilfe einer reinen Interviewtechnik der Fall wäre.
Wir haben uns entsprechend dem Auftrag für eine sogenannte trifokale Teamaufstellung mit Bodenankern entschieden (zur Arbeit mit Bodenankern vgl. die hervorragende Einführung von Brick u. Horn, 2001).
Um angesichts der Vielfalt der Aufstellungsformate als Aufsteller nicht den Überblick zu verlieren, wer und was genau aufgestellt werden sollte, empfiehlt sich aus unserer Erfahrung eine minimalistische Herangehensweise mit der Beschränkung auf das Notwendigste. Dazu gehören aus lösungsfokussierter Sicht:
  • Fokus (= Perspektive der falleinbringenden Personen),
  • weitere Beteiligte,
  • Ressourcen,
  • (mögliche) Hindernisse,
  • Ziel(e).
In der folgenden trifokalen Teamaufstellungsarbeit haben wir die anwesenden Teammitglieder als Repräsentanten genutzt und sie mit Bodenankern kombiniert. Bodenanker sind Papierbögen, die auf den Boden gelegt werden und auf die die Repräsentanten sich dann stellen. Die Bodenanker haben eine Blickrichtung eingezeichnet, um eine räumliche Orientierung zu geben, genauso wie Personen als Repräsentanten in eine bestimmte Richtung schauen würden. Dieses Vorgehen ist erforderlich, weil wir sonst wahrscheinlich den Überblick verloren hätten. Die Bodenanker werden in Abstimmung der Teammitglieder von ihnen gemeinsam auf dem Boden »aufgestellt«. Schon diese gemeinsame Aufstellungsarbeit hat eine integrative Wirkung auf ein Team, das sich über alle Schritte abstimmen muss. Denn auch wenn wir mehrfokal arbeiten, wie in diesem Fall, so wird doch nur ein Bild aufgestellt. Grundsätzlich wird bei dieser Art von Teamaufstellungen anschließend jede Position von mindestens zwei Teammitgliedern auf ihre repräsentierende Wahrnehmung hin getestet. Dies macht die Aufstellungsarbeit langwieriger, aber auch valider und intensiviert das Entstehen eines gemeinsamen Tranceraumes für das Team, das die Bereitschaft erhöht, gemeinsam Lösungen zu finden.
Vom Ablauf her wird zunächst also ein Ist-Bild gelegt und mittels repräsentierender Wahrnehmung getestet, dann kann ein Zwischenraum entstehen zwischen Problembild und Lösungsbild, indem die Beraterin ihre Klienten dabei unterstützt, sich in die verschiedenen Positionen hineinzuversetzen. Der Klient achtet dabei besonders auf seine Körperwahrnehmungen aus der jeweiligen Position und Perspektive heraus und weniger auf seine Kognitionen. Dieser Perspektivwechsel stellt somit eine sinnvolle systemische Intervention dar und die Klienten werden dazu angehalten, besonders auf ihr Körper- oder Bauchgefühl als intuitive Ressource zu achten. Abschließend wird ein Lösungsbild gelegt, das für möglichst alle Beteiligten eine Verbesserung darstellen sollte und das ebenfalls mittels repräsentierender Wahrnehmung validiert wird.

Ablauf der »Miniklausur«

Das Anliegen unserer Kundin nach einer Methode aus dem Bereich der Aufstellungen sowie die vermutete Komplexität der Thematik ließen es uns geboten erscheinen, diese Beratung zu zweit durchzuführen. Von der Arbeitsteilung her vereinbarten wir, dass Ariane Bentner die Beratung moderiert und die Aufstellungsarbeit begleitet, während Marie Krenzin als reflektierendes Ein-Personen-Team wirkt, Wahrnehmungen, wo nötig, repräsentiert und darüber hinaus unsere Arbeit schriftlich dokumentiert.
Trotz eines ausführlichen Auftragsklärungs-Vortelefonates mit der Leiterin (nennen wir sie Rita) steigen wir in diese Klausur mit einer Runde ein, in der alle Beteiligten (das sind die beiden Mitarbeiterinnen Eva und Anne; alle Namen wurden verändert) äußern können, welche Anliegen sie hierher mitgebracht haben. Die Runde startet etwas zäh:

Eva: »Ich bin nicht ausgeschlafen, ich brauche Anlaufzeit, ich würde mir lieber etwas anhören, aber das geht nicht, so fühle ich mich aber!«

Rita: »Mir geht’s gut, fühle biorhythmische Energie, ich freue mich auf die Reflexion des vergangenen Jahres.«

Anne: »Mir geht’s auch gut, bin gespannt! Es grummelt im Bauch bezüglich der heutigen Besprechung, da wir alle drei unterschiedliche Ansichten haben.«

Es zeigt sich recht schnell, dass das Team offenbar einige Befürchtungen hat bezüglich bestimmter Themen, die heute zur Sprache kommen könnten. Dies erscheint uns erst einmal normal, denn wenn es nicht auch heikle Themen zu besprechen gäbe, bräuchte uns das Team möglicherweise gar nicht dabeizuhaben. Wir entwickeln die interne Hypothese, dass es wichtig sein könnte, hier sehr genau auf das Thema Unterschiedlichkeit zu fokussieren und systematisch alle drei Perspektiven wahrzunehmen und abzufragen. An dieser Stelle ist es erforderlich, dem Team mitzuteilen, dass wir gerne trifokal arbeiten möchten, d. h., bei allem, was wir tun oder lassen werden, sollen alle drei Perspektiven von Rita, Eva und Anne einfließen können. Dies sorgt erst einmal für leichte Entspannung.
Daher laden wir im nächsten Schritt das Team zu einer Runde ein, wo wir die Anliegen der drei Frauen konkretisieren und in ihrer Unterschiedlichkeit kennen lernen können. Wir nutzen dazu das lösungsorientierte Interview der Milwaukee-Schule.

Rita: »Mein Anliegen wäre die Frage, wie wir uns in unserer Unterschiedlichkeit wertschätzen und gleichzeitig gemeinsame fachliche Standards entwickeln können.«

Ariane: »Und wo siehst du euch momentan im Hinblick auf diese Gleichzeitigkeit auf einer Skala von 0 (= gar nicht) bis 10 (= sehr groß)?«

Rita: »Im Moment sehe ich uns bei 6 ...«

Auf die Nachfrage der Beraterin, wie es zur 6 komme, meint Rita, sie seien schon immer ein offenes Team, das gut und erfolgreich miteinander arbeite und kritikfähig sei. Als Ziel wünscht sich Rita die 7 für heute. In einem Jahr wäre sie gerne auf der 8,5. Es stellt sich heraus, dass auf der 8,5 doch einiges anders wäre, was Rita momentan noch unerreichbar erscheint: In einem Jahr würde im Team ein Perspektivwechsel möglich sein sowie verbindliche Vereinbarungen und Zuversicht. Dies scheint bisher zu fehlen. Ohne das gewünschte Ziel von Rita schon genau zu verstehen, fragen wir zunächst die beiden Mitarbeiterinnen nach ihren Anliegen.

Anne: »Bei mir ist es die Frage, wie können wir unsere Standards so definieren, dass wir alle damit gut leben können?«

Ariane: »Wo siehst du euch momentan im Hinblick auf die Definition von Standards?«

Anne: »Momentan sehe ich uns bei 4.«

Ariane: »Wofür steht die 4?«

Anne: »Ich finde, wir arbeiten sehr eigenverantwortlich und eigenständig. Rita unterstützt uns gut.«

Ariane: »Ich wundere mich dennoch über die 4 ...«

Anne: »Mein Ziel heute wäre eine 5,5. Wenn wir klarere Standards hätten, gäbe es weniger Pannen und damit weniger Belastungen für meine Kolleginnen. Wir hätten weniger Stress. Für mich wäre viel gewonnen, wenn wir uns heute auf verbindliche Standards verständigen könnten und die dann auch anwenden würden in der Praxis.«

Auch bei Anne klingt an, dass es offenbar um das Thema Verbindlichkeit und Einhaltung von Vereinbartem geht. Sie vermeidet eine qualitative Aussage darüber, wie es kommt, dass sie die bisherigen Standards nur bei 4 erlebt. Liegt es eher an der fehlenden Verbindlichkeit? Oder sind es zu wenig Standards? Das bleibt unklar. Es scheint auch immer wieder zu Fehlern und zu Pannen zu kommen, die dazu führen, dass die anderen beiden im Team aushelfen müssen. Wir können das an dieser Stelle noch nicht herausfinden. Mehr Klarheit verschafft uns die Fragestellung von Eva:

Eva: »Mir geht es darum, wie wir diese vielen unterschiedlichen Themen und Arbeiten so strukturieren, dass es nach innen und außen klarer wird.«

Ariane: »Wo siehst du euch momentan?«

Eva: »Auch eine 4. 4, weil wir es bisher geschafft haben, ohne Spannungen zu arbeiten. Wir arbeiten gerne und sehr engagiert.«

Ariane: »Hm, 4. Ich wundere mich ein bisschen über die erneute 4. Mir geht es so, dass alles, was unter 5 ist, mir erklärungsbedürftig erscheint. Ich höre einerseits eine 4 und gleichzeitig höre ich, dass ihr die 4 (mit der du nicht zufrieden bist?) ohne Spannungen schafft ... – wie macht ihr das?«

Eva: »Das würde ich ja heute gerne herausfinden. Ich käme heute gerne auf die 5. 5 hieße, eine Vorstellung darüber zu entwickeln, wie genau wir unsere Arbeit strukturieren, eine Vision zu entwickeln, wo wollen wir hin, was ist es genau, was uns hindert?«

Ariane: »Angenommen, ihr könntet das Ziel erreichen – was wäre denn dann anders?«

Eva: »Das könnte aber frühestens in einem Jahr sein. Dann würden wir hier weniger kleinteilig arbeiten, hätten mehr Klarheit und Transparenz. Statt dem Vielerlei hätten wir mehr Einheitlichkeit.«

Auffällig ist nach dieser ersten Interviewrunde, dass die beiden Teammitglieder Anne und Eva eine ganz ähnliche Sichtweise und Einschätzung abgeben, die einigermaßen paradox erscheint: Von der Bewertung her (4) können sie nicht zufrieden sein, wagen es aber nicht, das auszusprechen. Anders die Chefin: Sie sieht mehr das große Ganze und schätzt das bisherige Miteinander in Unterschiedlichkeit mit 6 ein und möchte einen kleinen Schritt vorwärtskommen. Beim ersten Meilenstein, den sie in dieser Klausur erreichen wollen, sind alle drei recht einig und würden sich Werte zwischen 5 und 6 wünschen.
Es wäre möglich, dass diese Diskrepanz mit der internen Arbeitsteilung der Abteilung zu tun hat. Die Mitarbeiterinnen müssen sich um das oft kleinteilige Tagesgeschäft kümmern und dabei offenbar noch viel improvisieren, während die Leiterin viel außer Haus unterwegs ist und sich damit nicht abmühen muss.
Wir bedanken uns beim Team für diese Informationen und geben ein erstes Feedback aus der Beratungsperspektive: Nach unserem Eindruck bringt sich hier jede engagiert in die Arbeit ein, es gibt eine hohe Akzeptanz und Wertschätzung füreinander. Es sind offenbar viele Ressourcen vorhanden wie Offenheit, Eigenverantwortung, Selbstorganisation, Kreativität und Improvisationstalent und auch Kritikfähigkeit.

mit freundlicher Genehmigung des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht



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