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20.10.2013
Kurt Ludewig: Entwicklungen systemischer Therapie. Einblicke, Entzerrungen, Ausblicke
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Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2013
251 S., Kt.
Preis: 29,95 €
ISBN 978-3-8497-0008-9 |
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Carl-Auer-Verlag
Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach
Dieses neueste Buch von Kurt Ludewig ist nicht nur eine Aktualisierung seiner Positionen zur Systemischen Therapie. Es bringt nicht nur den Fundus an Konzepten und Erfahrungen auf den neuesten Stand. Das Besondere an diesem Buch ist für mich, dass es erkennen lässt, wie die Person und das Thema sich miteinander entwickelt haben. Während systemisches Denken und seine vielfältigen Anwendungen dem Anschein nach zu Allgemeinplätzen geworden sind, gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit für den Mainstream tauglich, gehört Kurt Ludewig zu denjenigen, die konsequent verdeutlichen, was mit „systemisch“ im Bereich professionellen Helfens in psychosozialen Problemlagen gemeint sein soll. Das hat er vielfältig publiziert – und die verstreuten Beiträge gelegentlich in Buchform gebündelt. Im vorliegenden Buch sind über das hinausgehend Ludewigs neuere Beiträge zu psychischen Systemen und das von ihm in diesem Zusammenhang vorgeschlagene Konzept der Polyphrenie eingearbeitet. Auf diese Weise ergibt sich insgesamt ein dichtes und anregungsreiches Gesamtbild eines systemischen Verständnisses des Menschlichen.
Das Buch beginnt mit „prägenden Begegnungen“, die Ludewig auf den Weg zum systemischen Denken brachten. Von Beginn an Zeuge der Entwicklung und bald auch, auf eine Art „märchenhaft“ eingebunden, mitten im Geschehen, wird Kurt Ludewig zu einem prägenden Vordenker des Systemischen hierzulande. Seine Erfahrungen mit alter Heimat (Chile) und neuer (Deutschland) verweben sich wie von selbst zu gelebter Multiperspektivität.
In der Folge beschreibt Ludewig die Entwicklung eines systemischen Menschenbildes. Der Weinberg des systemischen Denkens wird unerschrocken ein weiteres Mal umgegraben, und trotz der eigentlich gesättigten Neugier auf solches wirkt das frisch und als ob man noch einmal begänne, sich dieses Feld zu erschließen. Die neueren Arbeiten Ludewigs zeugen dabei von einer auch intuitiv nachvollziehbaren Gesamtheit, die – sprachlich weiterhin anspruchsvoll – als polysystemische Kontextualität beschrieben werden kann.
Während Ludewigs neuere Arbeiten über psychische Systeme und Polyphrenie wohl noch für einige Zeit Anstoß zu Diskussion, vielleicht Widerspruch, doch sicher zu umfassenderer Auseinandersetzung geben werden, sind viele seiner bisherigen Arbeiten bereits zum Standard geworden. Der sachgerechte Umgang mit dem Therapeutendilemma auf dem Weg des Unterscheidens von Anlässen, Anliegen, Aufträgen steht hier für vieles weitere. Ebenso wie das Ausgehen von den Evaluationskriterien Nutzen, Schönheit und Respekt. Ein Begriff wie „Überlebensdiagnostik“ entzerrt wie von selbst sämtliche verbissenen Diskussionen um Sinn und Unsinn systemischer Diagnostik. Und das Ausgehen davon, dass als „real“ alles das angesehen werden könne, was reale Konsequenzen nach sich ziehe, scheint ebenfalls anschlussfähig – und bringt ins Spiel, dass es nicht zum Fundus systemischen Denkens gehört, „die“ Realität zu definieren, sondern „Realitäten“ zu respektieren.
Ein kurzer Blick noch auf den Gesamtinhalt. Jeweils in Unterkapitel differenziert geht es um
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ein systemisches Menschenbild (u.a. Autopoiese und Kognition, Soziale Systeme, psychische Systeme und Polyphrenie, relationale Pluralität, sowie ethische und klinische Folgerungen),
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Realitäten, Konstruktionen, klinische Theorie (u.a. das Dilemma der Diagnostik, Ethik),
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Entwicklungen (u.a. Störungsspezifisches Vorgehen, Vor- und Nachteile eines Regelwerks),
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Störungen und Lösungen (u.a. Grundelemente systemischer Therapie, Systemische Psychiatrie),
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Anwendungen (u.a. Hilfreiche Unterscheidungen wie Anliegen und Auftrag, Hilfe und Fürsorge, Familientherapie und Systemische Familientherapie; aber auch: Polyphrenie, „Teilearbeit“ und Systemische Einzeltherapie),
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und schließlich ein Rückblick und ein Ausblick.
Das Buch wechselt zwischen grundlegenden Diskussionen zentraler Begriffe (insbesondere „alles“, was sich aus Maturanas biologischer Erkenntnistheorie, aus konstruktivistischen Positionen und aus Luhmanns Theorie sozialer Systeme ableitet), Ableitungen spezifischer systemischer Praxis aus Positionen seiner Klinischen Theorie, allgemeinen Positionsbestimmungen (etwa zur Frage einer spezifischen systemischen Ethik) und essayistischen „Entzerrungen“, in denen sich Ludewig mit Pseudo- und Missverständnissen systemischer Positionen auseinandersetzt. Das Ganze in wichtigen Passagen eingeleitet, kommentiert und illustriert mit Erinnerungen und Begebenheiten aus dem Fundus eines intensiv gelebten Lebens für die Systemische Therapie.
Dieses Buch informiert auf eine persönliche Weise über die Entwicklung und den erreichten Stand systemischen Denkens und Systemischer Therapie. Es zeigt einen glaubwürdigen und spannenden Weg, wie ein umfassendes theoretisches Modell mit den stets umgrenzten menschlichen Möglichkeiten in eine fruchtbare Beziehung gebracht werden kann. Unbedingt empfehlenswerte Lektüre.
(mit freundlicher Genehmigung aus ZSTB 4/2013)
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Verlagsinformation:
Kurt Ludewig gestaltet seit mehr als 30 Jahren die Entwicklung der systemischen Therapie an entscheidenden Positionen mit. In seinem neuen Buch fasst er persönliche Beobachtungen und Erkenntnisse aus dieser Zeit zusammen und wagt einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen. Ludewigs Betrachtungen führen dabei vom „systemischen Menschenbild“ über das Verhältnis von Realität und Konstruktion sowie von Sinn und Ethik in der klinischen Theorie bis zur differenzierten Auseinandersetzung mit dem mittlerweile etablierten Regelwerk. Der Autor setzt sich kritisch mit manchen Selbstverständlichkeiten der therapeutischen Praxis auseinander und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der systemischen Arbeit. Gerade im Hinblick auf die Diskussionen über die Reform der Psychotherapieausbildung und die Aufnahme in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung ist Ludewigs Buch eine Pflichtlektüre für alle an systemischer Therapie Interessierte.
Inhalt:
1 Auf dem Weg zum Systemischen: Prägende Begegnungen 1.1 Die Entdeckung Mailands 1.2 Die epistemologische Revolution 1.3 Kurzzeittherapie und Lösungsorientierung 1.4 Eine märchenhafte Kongressgeschichte 1.5 Reflecting Team und Problemsystem 1.6 Besuch in einem »systemischen Paradies«
2 Der Mensch, systemisch betrachtet. 2.1 SystemischesDenken 2.1.1 Autopoiese und Kognition 2.1.2 Soziale Systeme 2.2 Ein systemisches Menschenbild 2.2.1 Psychische Systeme und Polyphrenie 2.2.2 Relationale Pluralität 2.2.3 EthischeFolgerungen 2.3 Klinische Folgerungen
3 Realitäten, Konstruktionen, klinische Theorie 3.1 Begegnung mit einem Guru und die Folgen 3.2 Realität und Konstruktion in der Psychotherapie 3.2.1 Realitäten,Konstruktionen 3.2.2 Realität und Psychotherapie 3.3 Klinische Theorie evaluiert 3.3.1 Individuelle und interaktionelle Probleme 3.3.2 Die Aufgaben des Therapeuten 3.3.3 Das Dilemma der Diagnostik 3.3.4 Die Interventionen 3.3.5 Fazit 3.4 Sinn 3.4.1 Sinnfindung/Sinngebung 3.4.2 Sinnsuche 3.4.3 Sinnkrisen 3.4.4 Professionelle Haltung 3.5 Systemische Ethik? 3.5.1 Ethik und Moral 3.5.2 Ist systemisch an sich ethisch? 3.5.3 Fazit 77
4 Entzerrungen 4.1 Psychotherapeut, bleib bei deinem Leisten! 4.2 Differenzierungen 4.2.1 Emotion, Kognition, Sprache 4.2.2 Überlebensdiagnostik – eine systemische Diagnostik 4.2.3 Biografische und mehrgenerationale Perspektive 4.2.4 Störungsspezifisches Vorgehen 4.3 Das Regelwerk – Vorteile, Nachteile 4.3.1 ZumRegelwerk 4.3.2 Fazit 4.4 Aktueller Stand und Visionen
5 Störungen und Lösungen 5.1 Gesund oder krank? – Eine erstaunliche Geschichte 5.2 Psychische Störungen 5.2.1 Grundmodelle psychischer »Störungen« 5.2.2 Grundelemente systemischer Therapie 5.2.3 Techniken 5.2.4 Fazit 5.3 Leitlinien für die Psychotherapie 5.3.1 Qualitätssicherung im Spagat 5.3.2 Die Qual der Variablenwahl 5.4 Systemische Psychiatrie 5.4.1 Voraussetzungen psychiatrischer Arbeit 5.4.2 Psychiatrische Praxis 5.4.3 Schritte zu einer Erweiterung der Perspektive
6 Anwendung 6.1 Das erste Mal 6.2 Elemente 6.2.1 Drei Grundelemente jeder Psychotherapie 6.2.2 Grundelemente der systemischen Therapie 6.2.3 Fazit 6.3 Ressourcen 6.3.1 EinFallbeispiel 6.3.2 Für und wider Ressourcenaktivierung 6.4 Hilfreiche Unterscheidungen 6.4.1 Anliegen und Auftrag 6.4.2 Hilfe und Fürsorge 6.4.3 Unliebsame Begriffe 6.4.4 Fazit 6.5 Der Beitrag systemischen Denkens in Kürze
7 Settings 170 7.1 Familienpolitik in Deutschland – ein Exkurs 7.2 Die Praxis mit Mehr-Personen-Systemen 7.2.1 Familientherapie 7.2.2 Systemische Familientherapie 7.2.3 Systemische Paartherapie 7.2.4 Ein Beispiel fließender Übergänge 7.3 Die Praxis mit Individuen 7.3.1 Psychische Systeme 7.3.2 Einheitlichkeit oder Multiplizität? 7.3.3 Polyphrenie 7.3.4 PraktischeRelevanz 7.3.5 »Teilearbeit« 7.4 Systemische Einzeltherapie 7.4.1 Fazit
8 Rückblicke, Ausblicke 8.1 Es kann auch anders sein – ein Rückblick 8.2 Brief an die nächste Generation – ein Ausblick 8.3 Zusammenfassung
Über den Autor:
Kurt Ludewig, Dr. phil., Diplom-Psychologe; 1974–1992 Klinischer Psychologe und Dozent an der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Hamburg; 1992–2004 Leitender Psychologe der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Münster. 1984 Mitgründer des Instituts für systemische Studien e. V. Hamburg, 1993–1999 Gründungsvorsitzender der Systemischen Gesellschaft e. V. (SG), 2001–2005 Vorstandsmitglied der Kammer der Nationalen Organisationen an der European Family Therapy Association (EFTA). Verfasser der Grundlagenwerke „Systemische Therapie“ (1992), „Das Familienbrett“ (zus. mit Ulrich Wilken, 2000), „Leitmotive systemischer Therapie“ (2002), „Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie“ (2005) und von mehr als 130 fachlichen Publikationen zum systemischen Denken und zur systemischen Therapie. Schwerpunkte: Systemische Therapie, Beratung und Supervision mit Einzelnen, Paaren und Familien.
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