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12.07.2013
Walter Schwertl: Der Blues des Herrn von Stockham
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Mackinger Verlag, Bergheim (Österreich) 2012
136 S., gebunden
Preis: 22,00 €
ISBN: 978-3-9503214-6-3 |
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Mackinger-Verlag
Vanessa Pulch, Offenbach: Wo die Sprache versagt…
Walter Schwertl macht in seinem neuesten schriftstellerischen Werk
Der Blues des Herrn von Stockham das Nicht-Besprechbare zum zentralen Erzählgegenstand. Schweigen und Flucht werden zu den wirkungsvollsten Mitteln des Protagonisten im Versuch, sich von den Etikettierungen der Vergangenheit zu lösen und zum Autor der eigenen Lebensgeschichte zu werden. Am Ende bleibt ein versöhnlicher Blick auf das Unvermögen, Teile der eigenen Biografie in der Auseinandersetzung mit sich selbst radikal zu zensieren.
Dank eines bürokratischen Verwaltungsfehlers der spanischen Behörden erfährt der Protagonist beim Aufbruch in ein neues Leben eine Namensänderung - aus Mathias, geboren in Stockham, wird: Mathias von Stockham. Absurderweise bildet diese Namensänderung die Eintrittskarte in ein Leben, das ihm seiner Herkunft wegen von anderen immer versagt wurde.
Als ein für unehrenhaft erklärter Bastard, aufgewachsen bei Maria, die ihm eine liebevolle Mutter wird, verlebt Matthias seine Kindheit und Jugend in einem österreichischen Dorf, indem er nur als presslauterndes Hiasl bekannt ist. Er wächst mit der schmerzlichen Erfahrung auf, dass diejenigen, die sich als die vermeintlich Normalen definieren, bereits zu wissen glauben, welches Leben ihm vorbestimmt ist. Mathias macht immer wieder den Versuch, sich und den anderen das Gegenteil zu beweisen. Ob als gewiefter Schachspieler, talentierter Boxer oder in seiner Freundschaft zu Monika, der Tochter des Grafen, die auf dem Schloss lebt und bei der er sich sprachgewand und unberschwert erlebt – für Momente lässt ihn all dies das Hiasl-Dasein vergessen.
Alle unternommenen Versuche werden jedoch konsequent durch Spott und Ausgrenzung von der Dorfgemeinschaft sanktioniert und führen dazu, dass Mathias sich seiner Heimat zeitlebens vertraut und fremd gleichermaßen verbunden fühlt.
Die ihn geiselnde Lehre, die geistige Enge des Dorfes, die Demütigungen und das allgegenwärtige Gefühl, nicht dazuzugehören, lassen die Sehnsucht in ihm reifen, der Heimat endgültig den Rücken zu kehren.
Mathias holt das Abitur nach, promoviert und lebt schließlich in seiner neuen Wahlheimat Andalusien. Während dem Hiasl Sprache als Mittel nicht zur Verfügung stand, führen ihn letztlich sein gutes Spanisch, seine Eloquenz und seine Durchsetzungskraft in ein neues, ersehntes Leben.
Der ambitionierte Mathias, der in der neuen Heimat Don Mateo genannt wird, wird schließlich zum erfolgreichen, angesehen Geschäftsmann und erwirtschaftet ein beachtliches Vermögen in der Lebensmittelbranche. Er hat sich ein Leben geschaffen, fernab der verordneten Beschränkungen durch Zuschreibungen anderer. Er wird von den Menschen in Andalusien geschätzt und ist eng verbunden mit der Kultur des Landes, liebt den Flamenco und findet in Francisco einen treuen Freund. Das Unvermögen, in tief bewegenden Momenten Erlebtes mit Sprache fassbar zu machen, bleibt jedoch allgegenwärtiges Thema für Don Mateo, den sowohl Fremde als auch enge Vertraute oft als verschlossen, nicht selten grob, kühl-kalkulierend und mit einer ihn ständig begleitenden Einsamkeit erleben. Eine alte Boxverletzung, die eine Verstopfung des Tränenkanals zur Folge hat, macht sich in so manchen Momenten mit tränenden Augen bemerkbar, und scheint ihm, ähnlich dem Schweigen, der Flucht und den Zornesausbrüchen, den größtmöglichen Schutz für die eigene Integrität zu bieten.
Sinnbildlich äquivalent zu Don Mateos wiederkehrender Verschlossenheit geht dem alternden Freund und Flamencosänger Francisco nach und nach die Stimme verloren, und auch dessen Existenz wird bedroht durch das Unvermögen, sich - dem eigenen Anspruch genügend - anderen durch den stolz gesungenen cante hondo verständlich zu machen. Mit seinen Texten über schmerzlichen Verlust, die Unerreichbarkeit der Liebe, das Leid und die Ungerechtigkeit, ist der Flamencogesang wie ein Spiegel für Don Mateos Leben.
Dieser kauft letztlich eine Finca und verpachtet das entstandene erstklassige Restaurant an seinen Freund und rettet ihm damit Existenz und Ehre.
Der einkehrenden Friedlichkeit und der Möglichkeit sich mit Francisco, seiner Frau Pilar und Mateos Ehefrau Nora die Gabe des gemeinsamen Schweigens zu teilen, folgt ein Anruf und bringt mit aller Wucht die Konfrontation mit der Vergangenheit zurück. Als Mathias erfährt, dass Maria gestorben ist, begibt er sich mit Nora für die Beerdigung nach Österreich. Mit der Distanz eines fernab gelebten Lebens, das gegensätzlicher kaum sein könnte, erlebt er ein Wiedersehen mit Stationen und Menschen seiner Jugend. Er ist nicht mehr der, der das Dorf einst hinter sich gelassen hat, trotz kursierender Gerüchte würde ihn hier niemand mehr mit dem einstigen Hiasl in Verbindung bringen, zugleich kann er sich nun umso schwerer der Konfrontation mit den alten Dämonen entziehen, die ihn nie verlassen haben.
Das Leben von Mathias spannt sich auf als Zerreißprobe zwischen dem Streben nach Autarkie und dem Begehren nach Verbundenheit - ein Leben als Boxkampf gegen den eigenen Schatten, bei dem letztlich kein Sieger, sondern nur der Kampf als solches zu erwarten ist.
Walter Schwertl beweist in seinem Roman einen fein-nuancierten Umgang mit Sprache, gerade da wo sie unzulänglich erscheint und durch die Etablierung eines Raumes des Unbesprechbaren abgelöst wird.
Getragen von der unaufdringlichen, aber intimen Stimmung des Blues, wird dem Leser vergegenwärtigt, welche Macht und welche Ohnmacht in der menschlichen Fähigkeit, sich anderen durch Sprache verständlich zu machen, enthalten ist.
Der Autor selbst profitiert hierbei von seinem reichen Erfahrungsschatz als langjähriger Berater, Coach und Therapeut und der für sich bereits in der Jugend entdeckten Leidenschaft für das Schreiben und das Theater, und somit für den Umgang mit Sprache als Mundwerkskunst. Schweigen in den Raum an Bewältigungsmöglichkeiten einzuführen, deutet auf einen tiefen Respekt vor den Grenzen im Umgang mit den eigenen Unwägbarkeiten und der Intimität jedes Einzelnen hin und verweist darauf, dass das Begreifen und Bilanzieren des eigenen Lebens nur auf einzigartige Weise geschehen kann.
Ein lesenswertes Stück Literatur, bewegend und tiefgründig und ein ambitioniertes Plädoyer für das Begreifen des Schweigens als Möglichkeit mit den eigenen Dämonen umzugehen, entgegen der existierenden Maxime, die Bewältigung bestimmter biografischer Ereignisse sei bedingungslos mit Versprachlichung selbiger gleichzusetzen.
Interview mit Walter Schwertl im Coaching Magazin 2/2011: "Menschen verändern zu wollen, ist ein Anspruch, an dem man nur scheitern kann"
Verlagsinformation:
Im südlichen Spanien hat sich Don Mateo ein erhebliches Vermögen erwirtschaftet. Gleichzeitig lebt er in inniger Verbindung mit den dortigen Menschen und ihrer Kultur: Stiere, Flamenco … Dem alternden Flamenco-Sänger Francisco, dessen Stimme ihn zunehmend Stich lässt, schenkt er eine alte Finca, und damit Existenz und persönliche Ehre. Mit Nora verbindet ihn eine große gegenseitige Liebe. Und dennoch liegt über dem, was so sehr nach Idylle aussieht, ein Schatten. Don Mateo versteckt seine Vergangenheit hinter einer Mauer des Schweigens; man kennt den erfolgreichen, arroganten, hilfsbereiten wie unnahbaren „Don“ nur oberflächlich. Eines Tages kommt ein Anruf aus Österreich: Seine geliebte Mutter ist gestorben, und damit wird für ihn eine Konfrontation mit seiner Kindheit und Jugend unausweichlich. Er reist mit Nora nach Österreich, und dort prallt er auf das Drama seiner Kindheit: Auf die geistige Öde des Dorfes und die faschistoide Enge, die in Schule, Wirtshaus, und Gemeindestube eingenistet waren, und die den jungen Don Mateo – damals wurde er noch mit dem Namen „Hiasl“ punziert –mit voller Wucht trafen. Ihm bleib die Luft weg; der „Presslauter“ wurde in eine Richtung gedrängt, die zwangsweise entweder im Suff oder im Knast endet, falls man nicht von sich aus „aus der Ostandwand fällt“. Das „Hiasl“ schlägt sich durch: im Boxclub, mit Hilfe erotischer Versprechungen, vor allem aber hat sich in seinem Kopf ein Überlebenswille festgekrallt: Zwischen trotziger Unverwundbarkeit und kindlicher Empfindsamkeit taumelt er durchs Dorf und seine Lehrjahre, bis er schließlich entkommen kann – nach Spanien. Mit größtem Einfühlungsvermögen stellt uns Walter Schwertl mit dem „Hiasl“ – alias Don Mateo – eine Person vor, die im Leser gleichermaßen Sympathie, Mitleid, wie Unverständnis hervorruft. Ein großartiges Debut des Schriftstellers.
Über den Autor:
Walter Schwertl, geb. 1947 in Österreich, entdeckte sehr früh die Liebe zur Literatur. Im Alter von zwölf Jahren schrieb er sein erstes Theaterstück, es foltgen Aufsatzwettbewerbe, Straßentheater und zahlreiche Gedichte. Ausbildung zum Handwerker. Übersiedlung nach Frankfurt a.M.; Studium der Psychologie und Soziologie im zweiten Bildungsweg. Erfolgreiche Karriere als systemischer Berater und Psychotherapeut. W. Schwertl lebt heute in Deutschland. |
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