Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
Neuvorstellung |
zur Übersicht |
02.12.2012
Jürgen Hargens & Arist von Schlippe (Hrsg.): Das Spiel der Ideen. Reflektierendes Team und systemische Praxis
|
|
|
Dortmund 2002, Borgmann (2. Aufl.)
237 S., brosch.
Preis: 19,50 €
ISBN-10: 3861451573
ISBN-13: 978-3861451570
|
|
Verlag borgmann
Johannes Herwig-Lempp, Merseburg:
Wer lässt sich schon bei der Arbeit gerne über die Schulter schauen? - Kaum eine(r), vermuten fast alle. Interessanterweise aber wissen diejenigen, die sich bei der Arbeit von KollegInnen beobachten lassen, dies nicht nur zu schätzen, sondern auch zu nutzen. In der Familientherapie sind Einwegspiegel seid langem bekannt. Das Gespräch zwischen TherapeutIn und KlientInnen wird von KollegInnen und AusbildungsteilnehmerInnen hinter der Scheibe beobachtet, in den Pausen berät sich die TherapeutIn mit dem Team. Verschiedentlich gab es kleine Weiterentwicklungen, etwa wenn die BeobachterInnen mit Telefonanrufen sich direkt in das Gespräch einschalten konnten. Die wohl bislang gravierendste Veränderung wurde in den achtziger Jahren von dem Norweger Tom Andersen und seinen Teams erfunden, indem er die BeobachterInnen und ihre Reflektionen veröffentlicht: nach einem Gesprächsabschnitt wechselt die Richtung der Durchlässigkeit der Einwegscheibe, indem nun das Beobachtungsteam beleuchtet wird und die Familie sich samt TherapeutIn im Halbdunkel zurücklehnt und nunmehr für einige Minuten zuhört und -sieht. Das Team spricht über das, was es beobachtet und wahrgenommen hat, kommentiert es respektvoll, entwickelt vorsichtig Ideen oder Denkvorschläge - bevor das Licht abermals umgeschaltet wird und nun wieder Familie und TherapeutIn das eben Gehörte kommentieren und besprechen.
Was sich vielleicht hier etwas umständlich und langwierig anhört, ist für alle Seiten überaus anregend und spannend. Die Familie ist - ebenso wie Paare oder EinzelklientInnen - neugierig auf das, was hinter der Scheibe gesagt wird, auf die Beobachtungen und Kommentare. In der Regel wird es als positiv empfunden, im Mittelpunkt zu stehen und dies aus der Distanz beobachten zu können. Von Vorteil ist dabei, dass man nicht unmittelbar Stellung beziehen muss. Für das reflektierende Team ist neben der Möglichkeit, einer KollegIn bei der Arbeit zuzusehen, jedes Gespräch in Anwesenheit der Familie eine Herausforderung. Tom Andersens Modell machte nicht umsonst schnell Schule. Dabei beschränkt sich die Anwendung keineswegs nur auf therapeutische Kontexte. SozialarbeiterInnen wissen ebenso wie LehrerInnen, ManagementberaterInnen und AusbilderInnen dieses realtiv einfache und doch vielfältige Konzept für sich zu nutzen. Zumal es sich unkompliziert für den jeweils eigenen Praxiskontext verändern läßt, etwa indem in Ermangelung eines Einwegspiegels das reflektierende Team einfach im gleichen Raum bleibt.
Jürgen Hargens und Arist von Schlippe zeigen in ihrem Buch einen Teil der Ideen auf, die in der Praxis aus dem ursprünglichen Modell entstanden sind. Neben einem Gespräch mit dem Erfinder haben sie AutorInnen aus den Bereichen Psychiatrie, Schule, Beratung, Therapie und Supervision eingeladen, ihre Erfahrungen und Erfindungen vorzustellen. Dabei erhält die LeserIn nicht nur Einblick in verschiedene methodische Variationen, sondern bekommt auch theoretische Begründungen für das reflektierende Team und seine Wirkungsweise sowie die für die jeweiligen AutorInnen dahinterstehenden Ideen und Regeln. Und sie erfährt möglicherweise bereits beim Lesen an sich selbst, wie das Spiel der Ideen zu wirken beginnt: dieses Buch regt an und ermutigt, eigene Formen des reflektierenden Teams zu erfinden und damit - respektvoll gegenüber KlientInnen und sich selbst, aber auch mutig und lustvoll - zu experimentieren.
Die Herausgeber vermuten, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis Träger und Institutionen den Wert schätzen lernen, den eine (manchmal) personalaufwendigere, aber zeitlich weitaus weniger intensive Beratungsarbeit bedeutet. Dieses Buch leistet sicher einen wesentlichen Beschleunigungsbeitrag für diesen Prozess, indem es zum Ausprobieren einlädt und ermutigt - und damit den ersten, wichtigen Schritt erlaubt, um die besondere Wirksamkeit und Attraktivität dieses Modells überhaupt beurteilen zu können. Und dann ist es auch nicht mehr weit, bis man erkennt, dass es überaus inspirierend und spannend sein kann, sich bei der Arbeit zusehen zu lassen.
Verlagsinformation:
Das Reflektierende Team – eine Anwendungsform systemischer Therapie, die das Wissen und Können vieler Menschen nutzt – hat seit seiner Erfindung vor zehn Jahren zunehmend Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden. Dieser Sammelband gibt einen Einblick in Anwendungsmöglichkeiten des RT, das die Vielfalt und Möglichkeiten einer gleichberechtigten und kooperativen therapeutischen Praxis betont. Neben einem kurzen Beitrag des Erfinders Tom Andersen, zeigen konkrete Anwendungsbeispiele, wie die eigene Kreativität das Spiel der Ideen in Bewegung setzen kann.
Inhalt:
Andersen, Tom: Zum Geleit. S. 7-11.
Hargens, Jürgen & Arist von Schlippe: Kontexte für Veränderungen schaffen. S. 13-19.
Hargens, Jürgen & Tom Andersen: Systemisches Denken und systemisches Handeln in Nordnorwegen. S. 20-29.
Epstein, Eugene K., M. Kellenbenz Epstein & Manfred Wiesner: Vom Reflektierenden Team zum Reflexiven Prozeß: Reflexive Kooperation in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. S. 31-52.
Höger, Christoph & Gaby Derichs: Das Reflektierende Team in der ambulanten Kinder- und Jugendpsychiatrie. S. 53-72.
Mahnkopf, Angela, Marie-Luise Dia, Jürgen Fröhlich, Günter Fuchs & Alexander Röhrig: Das Reflektierende Team in der Suizidkonferenz. Eine Methode zur Unterstützung betroffener Teams nach Patientensuiziden während stationärer psychiatrischer Behandlungen. S. 73-90.
Kubesch, Barbara: Why dont we do it in the school? Dialoge über Dialoge über den schulischen Alltag. S. 91-107.
Connemann, Ralf: Das Reflektierende Team in der Aus- und Fortbildung von Beratungslehrkräften. S. 109-122.
Deissler, Klaus G.: Dialoge im Gespräch - zur sozialen Konstruktion von Reflexionsprozessen innerhalb von Therapie und Beratung. S. 123-150.
Grabbe, Michael, Gesa Jürgens & Arist von Schlippe: Als würden wir gemeinsam einen Teppich weben. Reflektierendes Team in einer systemtherapeutischen Lehrpraxis. S. 151-177.
Nouwens, Birgit & Birgit Westermann: Brief Messages - Korrespondenz über das Reflektierende Team in der Praxis einer Erziehungsberatungsstelle. S. 179-202.
Grabbe, Michael: Reflektierende Meta-Position. Ich höre was, was Du nicht siehst - Ein Modell zur Videosupervision. S. 203-210.
Hargens, Jürgen: Wenn man hinschaut, reflektiert auch die Einwegscheibe? Reflexionen zum eigenen Umgang mit Reflektierenden Teams und Reflektierenden Positionen. S. 211-224.
Hargens, Jürgen & Arist von Schlippe: Angemessen ungewöhnlich? Ein letztes Mal: die Herausgeber im Gespräch. S. 225-234.
Über die Herausgeber:
Jürgen Hargens, Dipl.-Psych., Klinischer Psychologie/Psychotherapeut und Supervisor BDP, Familientherapeut/systmischer Therapeut und systemischer Supervisor DFS. Seit 1979 in freier Praxis. 1983 Gründer und bis 1992 Herausgeber der Zeitschrift für systemischer Therapie. Mitarbeiter bei CONTEXT, Contemporary Family Therapy, Foreign Correspondent des ANZJFam.Th. 1990-1996 Lehrbeauftragter an der Universität Kiel. 1992 Gründer und Leiter von projekt:system.
Arist v. Schlippe, Prof. Dr. phil., Dipl.-Psych., Jg. 1951, Psychol. Psychotherapeut, Inhaber des Lehrstuhls "Führung und Dynamik von Familienunternehmen" an der Privaten Universität Witten-Herdecke, davor 23 Jahre im Fachgebiet Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Osnabrück tätig. Lehrtherapeut für systemische Therapie sowie Lehrender Supervisor und Coach (SG), Lehrtrainer am Institut für Familientherapie Weinheim, Ausbildung und Entwicklung e.V. |
|
|