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13.11.2011
Heinz von Foerster: "Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen" - und: "Teil der Welt. Fraktale einer Ethik - oder Heinz von Foersters Tanz mit der Welt"
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Heinz von Foerster: Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen. Eine Selbsterschaffung in sieben Tagen. Hrsg. von Albert Müller und Karl H. Müller
Kadmos-Verlag, Berlin 2008
256 S., broschiert
Preis: 10,00 €
ISBN-10: 3865990525
ISBN-13: 978-3865990525
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Heinz von Foerster, Monika Bröcker: Teil der Welt. Fraktale einer Ethik - oder Heinz von Foersters Tanz mit der Welt
Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2007, unter Mitarbeit von Georg Ivanovas. 2., korr. Aufl.
368 S., broschiert
Preis: 29,95 €
ISBN-10: 3896705571
ISBN-13: 978-3896705570
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Tom Levold, Köln: Der Heinz-Sound
Heute wäre Heinz von Foerster 100 Jahre alt geworden. Dieser Tage liest und hört man viel von ihm, ein Zeichen dafür, welchen großen Eindruck er bis heute auf viele Menschen macht - und welchen Einfluss er nach wie vor auf die Diskurse in unterschiedlichen Disziplinen ausübt. Neben seinen philosophischen und kybernetischen Arbeiten, denen er im Feld der Systemischen Therapie am stärksten seine Bekanntheit und Beliebtheit verdankte, hat er sich während seiner wissenschaftlichen Laufbahn mit den unterschiedlichsten Themen, Fragestellungen und Disziplinen beschäftigt, der Physik und Mathematik, Gedächtnisforschung, Biologie, Neurologie, Hämatologie, Computerforschung, Künstlicher Intelligenz, Kommunikationstheorie und anderen. Dabei war seine Position weniger multidisziplinär als transdisziplinär: ihn hat die Auflösung der Disziplingrenzen und die Suche nach den verbindenden Kontexten immer mehr interessiert als die jeweiligen disziplinären Lehrgebäude mit ihren Macht- und Statusambitionen. Das hat allerdings auch dazu geführt, dass er in der akademischen Welt niemals eine besonders starke Position inne hatte - ein Schicksal, das er mit den meisten Pionieren der Kybernetik geteilt hat.
Die Liste seiner Veröffentlichungen, die von der Wiener Heinz-von-Foerster-Gesellschaft editiert wird, umspannt 193 Titel aus all diesen Bereichen, beginnend 1943 mit einer Arbeit „Über das Leistungsproblem beim Klystron“ [Berichte der Lilienthal Gesellschaft für Luftfahrtforschung] und endend mit einem Beitrag für die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ am 1.1.2000, in dem als „Mein wunderbarstes Erlebnis“ die erste Begegnung mit seiner Frau Mai beschrieb.
Eine Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen entlang dieser Veröffentlichungen kommt an dieser Stelle schon aus Kapazitätsgründen nicht in Frage. Will man sich seinem Werk und seinem Leben nähern, gibt es aber einen nicht weniger bedeutsamen Zugang, der Heinz von Foerster selbst immer besonders wichtig war, nämlich die persönliche Begegnung im Gespräch. Eine ganze Reihe von Veröffentlichungen aus diesen Jahrzehnten - und das ist kein Zufall - sind Interviews, Vorträge und Transkripte längerer Gespräche, die einen wunderbaren Eindruck von der besonderen Persönlichkeit Heinz von Foersters verschaffen.
Wer Heinz von Foerster persönlich erlebt hat, wird sofort wissen, was damit gemeint ist. Seine enorme Präsenz in der Begegnung mit Menschen, ob auf dem Podium oder im privaten Gespräch, ist einfach unvergesslich und wird einem sofort wieder gewahr, wenn man Aufzeichnungen seiner Gespräche heute liest. Sein unglaublicher Charme und Witz, seine Schnelligkeit und Gedankentiefe, seine Lust am Verdrehen und Neu-Betrachten von Gewohntem, seine Zuneigung und Wärme sprudelten zusammen zu dem, was ich den „Heinz-Sound” nennen möchte, und mit dem er, der ja ein ausgebildeter Zauberer war, die Menschen um sich herum be- und verzaubern konnte. Dieser Sound zieht sich durch seine gesamte Kommunikation mit KollegInnen, Schülern und seinem Publikum hindurch.
Aus diesem Grund möchte ich heute zwei Bücher vorstellen, die besonders gut geeignet sind, von Leben und Werk Heinz von Foerster aus erster Quelle, nämlich aus seinen Erzählungen, zu erfahren.
Das erste Buch, „Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen“, ist aus einer Idee von Albert Müller und Karl H. Müller (die nicht miteinander verwandt sind) aus Wien entstanden, die beide hierzulande für ihre Arbeiten zur Geschichte der Kybernetik bekannt geworden sind. Ihr Buch ist zuerst 1997 in Wien im Döcker-Verlag erschienen, war aber dann schnell vergriffen und nicht mehr verfügbar. Der Berliner Verleger Wolfram Burckhardt initiierte eine Neuausgabe 2002 im Kadmos-Verlag und konnte dann 2005 eine zweite Ausgabe herausbringen - eine segensreiche Entwicklung! Seit 2008 ist das Buch in einem etwas kleineren Format und zum günstigen Preis von 10,00 € in der Reihe „Ableger“ des Kadmos Verlages erhältlich.
Karl H. Müller ist Philosoph und Nationalökonom und Leiter des Wiener „Instituts für sozialwissenschaftliche Dokumentation und Methodologie”, darüber hinaus ist er Präsident der Heinz von Foerster-Gesellschaft, die ein umfangreiches Archiv zu von Foerster verwaltet. Albert Müller ist Historiker am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und Generalsekretär der Heinz von Foerster-Gesellschaft. „Die Grundidee zu diesem Buch war zwar einfach und klar umrissen: Das Lebenswerk eines Biokybernetikers aus dem seinerzeitigen ‚größeren Österreich’, Heinz von Foersters, sollte mit seinen spezifischen historischen und wissenschaftshistorischen Kontexten gesprächsweise Revue passieren. Doch das Potpourri an Foersterschen Themen sollte im Kontext eines bio-kybernetischen Grundproblems - der Herstellung von ‚DenkMaschinen‘ - arrangiert und komponiert werden. Anders formuliert wollten wir unsere ‚Trialoge' mit Heinz von Foerster an der Frage ausrichten, welche Schritte, Vorrichtungen, Heuristiken, Programme, ‚Hardware-Materialien‘ notwendig wären, um eine ‚Denk-Maschine‘ zu konstruieren, die - und da wird eine stark selbstbezügliche Schleife wirksam - auf ähnliche Weise denkt und operiert wie Heinz von Foerster selbst“ (S. 13).
Sie trugen ihr Vorhaben eines siebentägigen (!) Gesprächs Heinz von Foerster vor, der bereitwillig zustimmte. Aber wie kann man die Gedanken eine „DenkMaschine” wie Heinz von Foerster darstellen? Die Zirkularität seiner Begriffe, die aufeinander verweisen, aufeinander folgen und sich wechselseitig zur Voraussetzung machen, machen eine lineare, sequentielle Darstellung, die für einen wissenschaftlichen Text ja der Normalfall ist, problematisch. Eine andere Form der Ordnungsbildung wäre die biografische Abfolge von Interessen und Themen. Wie auch immer, die Wahl der Perspektive ist eine folgenreiche Entscheidung und Konstruktion. Wie anfangen? Und was folgt daraus? Das Gespräch macht die Sache einfacher. Ein Anfang wird gesetzt und alles Weitere ergibt sich aus dem Verlauf des Gesprächs.
In den Worten von Foersters: „Was Anfänge betrifft, sollten wir sehen, dass wir hier sitzen, und jeder Moment ist immer, immer, ein Anfang. ‚Alles ist jetzt und hier‘, das ist für mich wie ein Zauberspruch, den ich von meiner Großmutter Marie Lang gelernt habe. ‚Alles ist jetzt und hier.‘ Daher sind für mich auch Geschichtsprobleme, die ferne Vergangenheit, der Anfang des Universums immer jetzt und hier, die Geschichten darüber immer hier und jetzt konstruiert. Jedes Mal, wenn wir darüber sprechen, haben diese Geschichten eine andere Form, besitzen einen anderen Kontext; sie werden anders, wenn ich zu Albert spreche oder zu Karl oder wenn ich zu beiden spreche. Das Jetzt und das Hier, das ist für mich ein zentraler Punkt, es ist der Anfang jeden Anfangs” (S. 27).
Jeder Anfang ist also ein Schöpfungsakt, von dem aus Weiteres erwächst. Diese Idee und die ihr zugrundeliegende Metapher der Genesis hat die Müllers nicht nur zum Untertitel des Buches („Eine Selbsterschaffung in sieben Tagen”) inspiriert, sondern auch zum Aufbau des Buches, der - gravitätisch und ironisch zugleich - an die Schöpfungsgeschichte erinnert: „Erster Tag: Bausteine Beobachter Emergenz Trivialmaschinen; Zweiter Tag: Innovation Leben Ordnung Thermodynamik; Dritter Tag: Bewegung Spezies Rekursivität Selektion; Vierter Tag: Gedächtnis Kognition Wahrnehmung Zeichen; Fünfter Tag: Sprechen Denken Fallen Lernen; Sechster Tag: Erlebnisse Heuristiken Pläne Zukünfte; Siebenter Tag: Ruhe Ruhe Ruhe Ruhe; Epilog im Himmel”. Und der Leser sah, dass es gut war…
Für Heinz von Foerster wird alles, wovon wir sprechen, durch das Gespräch erzeugt, in dem wir Regeln festlegen, was der Fall sein soll und welche Sprachspiele wir benutzen, um uns darüber verständigen zu können. Nichts ist außerhalb unserer selber festgelegt: dies gilt nicht nur für die Kommunikation, sondern genauso für die Physik oder Mathematik. Erst die Bezeichnung und Benennung eines Sachverhaltes und die Einigung darüber im Gespräch bringt reflexives Wissen über die Welt hervor. Alles läuft auf Kooperation und Dialog hinaus, vor der Bezeichnung und dem Vorschlag eines entsprechenden Sprachspiels gibt es keine Erkenntnis. „Das Unbeantwortbare zum Bereich des Anfangs ist die Frage, welches Spiel ich jetzt spielen soll. Und wenn wir uns alle für das Spiel Astrophysik oder Physik oder Schach oder Mühle oder Dame entscheiden, dann ist die unentscheidbare erste Entscheidung getroffen. Denn es war bis dahin prinzipiell unentscheidbar, welches Spiel ich spielen soll - dieses oder dieses oder jenes - etwa Arithmetik, Mathematik oder das Zahlensystem. Es ist mein Entschluss, Zahlen mathematische Gegenstände zu nennen, die diese und diese Bedingung erfüllen. Manchmal tun sie es und manchmal nicht. Was passiert dann? Dann erfinde ich ein neues Ensemble mit Zahlen!” (S. 319).
Der Titel des Buches „Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen” bezieht sich genau darauf. Heinz von Foerster erzählt: „Ihr kennt sicher das wichtige Buch „Laws of Form” von George Spencer Brown. Dieses Buch enthält auf einer der ersten Seiten ein Motto in chinesischer Schrift. Ich fragte einmal einen aus China stammenden Studenten, was es heißt, und er übersetzte mir: The beginning of heaven and earth has no name - Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen. Ein unglaublicher Satz, meint Ihr nicht?” (Dabei handelt es sich übrigens: um den ersten Vers des Tao-te-king von Lao-tse [Hier finden wir über 20 Übersetzungen alleine ins Deutsche]).
Der Beobachter steht im Zentrum der Foersterschen Reflexionen - und nur die Sprache ermöglicht ihm, zu beobachten. Aber der Beobachter ist nicht allein. „Für mich unterscheidet sich zunächst Sprache von einer allgemeinen Idee der Kommunikation. (…) Die Sprache ist jenes besondere Kommunikationssystem, das über sich selbst sprechen kann. (…) Sprache beginnt für mich dort, wo die Kommunikation einen Begriff von Kommunikation entwickelt und reflexiv wird. (…) Das heißt, die Strukturen, mit denen ich mich zu beschäftigen habe, werden im Falle einer Sprache anders gestaltet sein als im Falle einer Beschäftigung mit Kommunikation (…) In beiden Fällen werden Rekursionen in Bewegung gesetzt (…) Sobald man über das, worüber man kommuniziert, ebenfalls reden kann, verfügt man über die Möglichkeit der Modifikation darüber, wie man über etwas spricht” (S. 161 ff.). Den Unterschied erläutert er so: „Wenn ein Löwe ‚Wwhrrhauauuu‘ brüllt, ist er schlecht gelaunt. Hört man dagegen ‚Wwriieiiihhnn‘, ist der Löwe gut gelaunt. Soweit können auch Löwen einander verstehen. Was aber in einer solchen Kommunikation nicht ausgedrückt werden kann, sind Brüllsequenzen von der Art ‚Jetzt war ich doch besonders freundlich, nicht?” (S. 165).
Und erst dann lässt sich von Ko-Konstruktion von Wirklichkeit sprechen: „Denn was immer du mit deiner Luft tust, die durch die Stimmritzen geblasen wird und die ein Geräusch erzeugt, das aus einer Kombination von Grunz- und Zischlauten besteht, erwarte ich, da der andere - denn das ist das Spiel - versucht, damit etwas anzufangen. Deswegen spielen wir die Sprache. Und das, was einer jetzt gemeint hat, das existiert überhaupt nicht. Das Spiel der Sprache besteht darin, dass beide Parteien die Absicht haben, aus den Grunz- und Zischlauten des anderen etwas zu machen, etwas zu erfinden, etwas zu konstruieren. Beide sind jetzt Konstrukteure, die mit den Äußerungen des anderen etwas anfangen können” (S. 23).
Durch Gespräche und Dialoge in Sprache ergeben sich rekursive Phänomene, der Gebrauch der Sprache führt zu wiederholbaren und wiederholten Sprachspielen, die sich als Eigenverhalten von sozialen Systemen verstehen lassen. Das gilt auch für nicht-triviale Systeme, also Systeme, in denen keine eindeutige Input-Output-Relation festgestellt werden kann, weil der Output der Systeme (ihr Verhalten) selbst wieder als Eingangsgröße für Systemverhalten prozessiert wird. „Diese ‚Drift’ in Rekursionen ermöglicht die Prognose in nicht-trivialen Systemen. Und in einem schwachen Sinne erklärt es auch, warum es ein bestimmtes Verhalten, bestimmte Grenzwerte oder Eigenwerte gibt (…) Das synthetische Problem besteht darin, ein Modell zu bauen. Das analytische Problem liegt darin, ein Modell als einen Bereich der Welt herauszuschälen und jetzt herauszufinden, wie es funktioniert. (…) Wenn es zum Beispiel gelingt , eine Rekursion in dieses Modell hineinzubringen, sie zu erleben oder in ihr selbst zu leben, dann hat mein Hineinspielen funktioniert. Die Sprache, behaupte ich, ist ein solcher Eigenwert, sein Eigenverhalten.(…) Und Rekursionen werden pausenlos gesucht, denn ich kann mich in ihnen bewegen und wohlfühlen. Natürlich gibt es immer wieder Enttäuschungen, aber das liegt in der Natur der Rekursionen. (…) Bei Familientherapien etwa, da sieht man dieses Verhältnis auf wunderbare Weise. Da hat sich eine Familie in einen Eigenwert hineingespielt, der Mann betrinkt sich und prügelt, wenn er nach Hause kommt, jedesmal seine Frau. Das hat sich praktisch stabilisiert, ist voraussagbar. Das Problem des Therapeuten liegt nun darin, die beiden Personen aus diesem Eigenwert, aus dieser Selbsttrivialisation, herauszuziehen. Wenn ich glaube, dass eine Familie ein triviales System ist, kann ich sie nicht heilen. Wenn ich aber weiß, dass hinter diesen scheinbaren Trivialitäten tiefe Nicht-Trivialitäten lagern, kann ich mich an sie wenden und versuchen, eine Emergenz von neuen Verhaltensweisen hervorzuholen, indem ich dieses Ensemble so bewege, dass plötzlich ein neuer dynamischer Gleichgewichtszustand entsteht” (S. 53f.)
Auf diese Weise erschließt sich von Foersters Sicht auf die Welt, worüber immer auch gesprochen wird. Er berichtet von seinen Begegnungen mit Maturana, Niklas Luhmann, Warren McCulloch und anderen Kollegen, von seiner Arbeit mit Studenten, von allen möglichen Themen, immer verständlich und so lebendig, dass man mit dem Lesen nicht aufhören mag.
Die Suche nach der Verbindung mit dem anderen ist das, was den Leser und Hörer einnimmt, ihn sich gemeint fühlen lässt. Heinz von Foerster lädt sein Gegenüber ein, mit ihm zu tanzen. Das Geheimnis, dass man gerne mit ihm tanzt, liegt wohl hierin: „Wahrscheinlich ist es immer so, daß ich mit den anderen ein Liebesverhältnis eingehe und mich daher darum bemühe, mit den anderen zu tanzen. Und weil ich mit einem Fremden, mit einem Menschen, den ich nicht mag, wahrscheinlich auch nicht tanzen würde, sehe ich meine Partner immer sofort als liebenswerte und tanzfreudige Menschen an” (S. 223f.) Der Volltext des 6. Kapitels ist übrigens online - mit einer etwas anderen Paginierung - im Internet zu finden.
Das zweite Buch, das ich hier zur Lektüre empfehle, bezieht sich ebenfalls auf die Verbindung von Leben und Werk, orientiert sich aber mehr an der Lebensgeschichte Heinz von Foersters, die dieser Monika Bröcker erzählt hat. Monika Bröcker, die nach einem Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation eine Ausbildung am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto anschloss, pflegte 1998 bis 2002 einen engen Austausch mit Heinz von Foerster, dessen Ergebnis das Buch "Teil der Welt. Fraktale einer Ethik oder Heinz von Foersters Tanz mit der Welt” ist. Es ist ein ganz wunderbares Buch geworden, das ich wirklich verschlungen habe.
Getragen wird es von der Frage, was denn eigentlich Ethik sei, die für Heinz von Foerster eine elementare Frage ist. Ernst von Glasersfeld schreibt dazu in seinem Vorwort: „Da Heinz mit Wittgenstein übereinstimmt und erklärt, dass man über Ethik im Grunde nichts sagen kann, will er das Unsagbare anhand von Erinnerungen zeigen” (S. XI). Das ist mehr als gelungen. von Foerster zufolge zeigt sich Ethik nämlich nicht im Sprechen darüber, das unweigerlich zu Moral führt, sondern im Verhalten, im Tun. Sein Lebensbericht ist der Versuch, diese Haltung an der eigenen Geschichte zu demonstrieren.
Und was für eine Geschichte ist das! Heinz, der als Kind (aufgrund einer langen Kriegsabwesenheit und -gefangenschaft des Vaters) vor allem mit starken Frauen aufwuchs (seine Mutter Lilith war ebenso emanzipiert wie schon die Großmutter Marie Langer oder die Frau seines Onkels, die berühmte Tänzerin Grete Wiesenthal), wuchs in einem ausgedehnten gut situierten Familienclan in Wien auf und war u.a. mit Ludwig Wittgenstein als „Nennonkel” auch persönlich verbunden. Mit seinem Cousin erlernte er das Zaubern und Akrobatik, der Handstand war sein Kunststück, mit dem er seine Frau Mai für sich einnahm, mit der er bis zu seinem Tode aufs Engste verbunden war. Während der Nazizeit arbeitete er als Physiker in Deutschland, zunächst in Köln, dann Breslau und Berlin und kam dann unter abenteuerlichen Umständen nach dem Krieg nach Wien zurück, wo er sich u.a. als Rundfunkmoderator betätigte und eine Veröffentlichung (seine zweite überhaupt) über eine quantenmechanische Theorie des Gedächtnisses im Eigenverlag publizierte, die ihm durch glückliche Umstände auf einer Amerika-Reise dann die Bekanntschaft mit Warren McCulloch bescherte, die wiederum seine Eintrittskarte in die noch heute berühmten Macy-Konferenzen mit sich brachte, zu denen sich die Créme der damaligen kybernetischen Szene (Norbert Wiener, Warren McCulloch, Gregory Bateson, Margaret Mead, um nur einige zu nennen) versammelten, und die Heinz von Foerster trotz kaum vorhandener Englisch-Kenntnisse zum Konferenz-Sekretär kürten, damit er sich eine Existenz in den USA aufbauen konnte.
Die Geschichte kann hier nicht nacherzählt werden - sie sollte aber unbedingt gelesen werden. Heinz von Foersters Leben ist eine Kette von Glücksfällen, oft von glücklichen Zufällen, zumindest erzählt er sie als solche. Seine tiefe Dankbarkeit für seine Erfahrungen und Erlebnisse ist überall spürbar, eine bescheidene und demütige Haltung, die in der Konsequenz in eine unbedingte Bereitschaft zu geben mit sich zieht - oder vielleicht auch umgekehrt: weil von Foerster immer gibt, bekommt er auch ganz viel: Zuspruch, Unterstützung in den unwahrscheinlichsten Situationen, Liebe und Respekt. Das ganze ist unglaublich witzig und von sprudelndem Temperament, eine Non-Stop-Perfomance vom feinsten. Hier wird der „Heinz-Sound” auf die Spitze getrieben: Heinz erzählt nicht nur, seine Erzählungen sind voller Akteure, Er schildert keine Dialoge, er führt sie vor, macht sie gegenwärtig, verkürzt sie auf die Pointe und macht vergessen, dass die Situationen, die er schildert, wohl des öfteren auch peinvoll und schmerzlich, komplizierter oder sorgenerfüllend gewesen sein müssen.
So schildert er z.B. seinen ersten Besuch bei McCulloch in Illinois (kurz nach der Ankunft in New York - einer Reise auf gut Glück in der Hoffnung, dort eine Stellung zu bekommen), der ihn nach der Lektüre seines Gedächtnisbuches zu sich an die Universität eingeladen hatte: „Wir haben uns also sofort sehr gut verstanden. Er war von meiner Arbeit ganz entzückt. Während wir da sprechen, höre ich über das public adress system immer irgendeine Nachricht. ‚Mr. van Forster, henceodrendranmedirn‘. Also es kam mir so vor, als wäre da mein Name genannt worden. Es war aber unverständlich. Ich frage McCulloch: ‚Ist das eine Nachricht für mich?‘ - ‚Ja, ja‘, sagt er, ‚don’t pay any attention‘, also ‚achte nicht darauf‘. Zehn Minuten später: „Mr. van Forster, denhubinbakrghen.” Ich habe kein Wort verstanden. Also ich frage wieder: ‚Ist das über mich?‘ - ‚Ja, ja‘, aber ich brauche mich nicht darum zu kümmern. ‚Also doch über mich.‘ Also dann frage ich ihn noch einmal: ‚Sag, was sagt diese Nachricht?‘ - -Ach Gott’, sagt er, ‚am Nachmittag ist ein Seminar‘, ich brauche mich aber nicht darum zu kümmern. ‚Ein Seminar? Wer spricht bei dem Seminar?‘ - ‚Ja, du natürlich.‘ -‚Iiiiiiiiich?!‘ - ‚Ja, du musst deine Theorie des Gedächtnisses vorstellen.‘ - ‚Iiiiiiiiiiich?! Meine Theorie des Gedächtnisses? Auf Englisch?‘ - ‚Na ja, das ist ja kein Problem.‘. Tatsächlich also, nach einem kleinen Imbiss komme ich in das große Auditorium der Universität von Illinois. Hunderte von Ärzten sitzen dort. Jemand sagt: ‚Heinz wird jetzt über die quantum mechanical theory of memory sprechen.‘ Na ja, jetzt musste ich Englisch erfinden, denn ich konnte ja keins. Also ich fange an, mein Englisch zu erfinden. Alles lacht sich schief; all diese Ärzte. ‚Heinz‘, sagen sie, ‚du brauchst nicht Englisch zu reden. Wir kommen ja aus Wien, aus Berlin, aus München, aus Frankfurt. Es waren lauter Flüchtlinge aus deutschsprachigen Ländern”.
So beschreibt er die Macy-Konferenzen, Begegnungen mit Heinrich Klüver, Ivan Illich, Paolo Freire, Arturo Rosenblueth, Gordon Pask, Ross Ashby, Lars Löffgren, Humberto Maturana, Gotthard Günther und viele andere. Vielen hat er Stellen an seinem Biological Computer Laboratory verschafft, ähnlich, wie er selbst zu einer Stellung gekommen ist. An der University von Urbana/Champain führte er die spannendsten Forschungsprojekte durch, finanziert durch die Navy oder andere staatliche Organisation, die oft von der inhaltlichen Tragweite der Forschung keine rechte Idee hatten.
Hinter den wunderbaren witzigen Geschichten taucht im Laufe der Zeit immer wieder das Grundmotiv Heinz von Foersters auf, die Ethik zu erkennen, ohne dass darüber gesprochen werden muss. Im Kern ist dies die Grundhaltung von Liebe und Vertrauen, die Heinz von Foerster seinen Mitmenschen entgegenbringt, nicht weil sich diese das verdient hätten, sondern aus freiem und eigenen Entschluss. Ein Abschnitt, der das auf schöne und berührende Weise zum Ausdruck bringt, sei zum Schluss wiedergegeben:
„Monika: ‚Aber wenn ich alles - wie du sagst - dem anderen zuliebe tue, dem anderen seine Wünsche von den Augen ablese -; ist das dann nicht sich selbstaufopfernde Liebe?‘
Heinz: ‚Ich sehe das so, dass der andere ja auch mir meine Wünsche von den Augen abliest. Liebe ist für mich immer ein Dialog. Es sind zwei zusammen, die plötzlich eine Einheit bilden. Du und Ich sind identisch, und das ist meiner Meinung nach die Grundlage von Ethik, die Grundlage des Zusammenseins, die Grundlage für Treue, die Grundlage auch - wenn du willst - für truth.‘
Monika: ‚Warum?‘
Heinz: ‚Weil du dann dem anderen vertraust. Das finde ich so schön; diese Verschiedenheit des Ursprungs der Wörter für "Wahrheit" im Deutschen und für truth im Englischen. Das deutsche Wort kommt von veritas; aus dem Lateinischen, das heißt, eine Aussage ist verifizierbar, prüfbar. Du kannst also eine Aussage vergleichen mit dem, was der Fall ist. Im Englischen besteht eine Verwandtschaft zwischen truth, also "Wahrheit", und trust, "Vertrauen". Sie kommen von derselben Wurzel. Das heißt, ich brauche nicht festzustellen, ob das, was der andere gesagt hat, "wahr" oder "falsch" ist. Ich entscheide mich: "Das, was der andere sagt, ist der Fall." Das heißt, du brauchst nicht zu "verifizieren", was der andere sagt. Es ist so, wie er es sagt. Und da siehst du, wie eine Vorentscheidung funktionieren kann; Ich werde die Idee nicht akzeptieren, dass der andere mich jetzt hereinlegen will oder dass der andere mir etwas sagt, wovon er weiß, dass es nicht der Fall ist. Ich sage: "Der sagt das. Ich glaube ihm." Und das hat nichts mit dem deutschen Begriff der Wahrheit zu tun. Da willst du immer vergleichen, ob das, was ein anderer sagt, auch der Fall ist.‘
Monika: ‚Das finde ich sehr schön. Und in diesem Sinne ist auch, finde ich, Liebe nicht Selbstaufgabe, sondern man kann sogar …‘
Heinz: ‚… sich realisieren, sich verwirklichen; durch den anderen. Es sind immer beide zusammen.‘
Monika: ‚Aber kann ich das mit jedem anderen?‘
Heinz: ‚Nein, das kannst du nicht mit jedem anderen. Das kannst du nur mit dem, bei dem du dich entschlossen hast: "Mit dem ist das jetzt zu machen.‘”
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