Verlag Klett-Cotta
Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:
„Wir sollten uns die Psychotherapie nicht wie ein Planschen in warmem Wasser vorstellen, sondern besser wie das kraftvolle Schwimmen in einem kalten, kristallklaren See“(S. 43).
Mentalisieren gehört zu denjenigen Konzepten, die in den letzten Jahren sowohl „an sich“ Karriere gemacht wie auch in unterschiedlichen Therapiemodellen Anklang gefunden haben, nicht selten mit einem erstaunlichen Wiedererkennungswert – da war doch was, hatten wir das nicht schon?! Allen, Fonagy und Bateman machen in erfreulicher Offenheit klar, dass sie selbst nicht davon ausgehen, ein neues Therapieverfahren entwickelt zu haben. Sie sprechen eher davon, bereits Bekanntes und Bewährtes zu vertiefen und zu verbessern, nicht zuletzt dadurch, dass sie die aktuellen entwicklungspsychologischen Befunde mit denen aus dem Bereich der Neurobiologie zusammenführen. Auf diese Weise entsteht der Eindruck eines ungemein praxistauglichen Zugangs zu dem Bereich, in dem sich psychische und soziale Systeme begegnen und wechselseitig beeinflussen.
Die Autoren gehen mit verwandten Begriffen ebenso respektvoll wie klar unterscheidend vor. Empathie und Achtsamkeit werden weiterhin als wichtige Bestandteile therapeutischer Beziehungen angesehen, unterscheiden sich jedoch vom Mentalisieren sowohl im Fokus als auch durch fehlende explizite Verwurzelung in der entwicklungspsychologischen Forschung. Beinahe behutsam führen die Autoren an die Erkenntnis heran, dass Mentalisieren „alles andere als einfach“ ist und sich nicht ohne weiteres, sozusagen als Beiwerk einstellt. Das von mir als Anfangsmotto gewählte Zitat mag das zum Ausdruck bringen.
Als Voraussetzung für „gekonntes Mentalisieren“ nennen die Autoren „exaktes, differenziertes und flexibles Beobachten und Interpretieren mentaler Zustände und ihrer Bedeutung“ (S.105). Die Autoren geben sich davon überzeugt, „dass unsere klinische Arbeit von gründlichen Kenntnissen über das Mentalisieren profitiert, weil es in der kindlichen Entwicklung gründet: Das Verständnis der Entwicklung wirft Licht auf die Art der Beziehungen, die das Mentalisieren fördern oder untergraben, und ermöglicht es uns, die notwendige Entwicklungshilfe bereitzustellen – im Idealfall eher früher als später“ (S.153). Psychotherapie als Entwicklungshilfe – eine Gleichung, die sich durch das Buch zieht. Die Autoren verweisen auf Anna Freud als Patin dieser Perspektive (S.307).
Die offensichtliche Verwandtschaft zu vielen vergleichbaren Begriffen scheint zunächst geeignet, Mentalisieren als selbstverständlichen Bestandteil je eigener bevorzugter Therapiemodelle zu beanspruchen. Auf eine Art könnte das an die Erfahrungen aus früheren Familientherapiezeiten erinnern. Dass sie „schon lange Familien in Therapie genommen“ hätten, hörte man damals von VertreterInnen unterschiedlicher Schulen. Und auch „systemisch“ dürfte mittlerweile ein Begriff sein, der gerne als Vademecum ohne weitere Verpflichtung genommen wird. Was die besonderen Anschlussbedingungen der Kommunikation sind, die sich bei Verwendung des Begriffs „systemisch“ ergeben, und die sich von denen unterscheiden, die beim Bevorzugen anderer Begrifflichkeiten entstehen, spielt dann keine Rolle mehr. Dies im Hinterkopf, finde ich es besonders hilfreich und erhellend, dass und wie die Autoren des vorliegenden Bandes sich Mühe geben, so differenziert wie verständlich herauszuarbeiten, was aus ihrer Sicht Mentalisieren kennzeichnet und wie sich das dann zeigt. Als Kurzfassung könnte gelten: „Beachtung eigener und fremder mentaler Zustände und entsprechende Interpretation des Verhaltens“ (S.68). Ebenfalls prägnant: „Mentalisieren als Bedenken und Nachfühlen des Denkens und Fühlens“ (S.97)(1). Gegen Ende des Buches bieten die Autoren eine Kurzbeschreibung an: „sich Gedanken und Gefühle vergegenwärtigen. Das Mentalisieren verlangt Aufmerksamkeit und mentale Arbeit; es ist eine Form der Achtsamkeit, weil es Rücksicht darauf nimmt, was andere denken und fühlen und was man selbst denkt und fühlt. Insofern hat das Mentalisieren Ähnlichkeit mit der Empathie. Doch geht es über die Empathie hinaus, weil es auch bedeutet, sich über den eigenen psychischen Zustand Klarheit zu verschaffen – sich in sich selbst einzufühlen“ (S.392).Und etwas später: „Mentalisieren bedeutet, sich selbst von außen und andere von innen zu betrachten. Das Mentalisieren in Bezug auf andere kostet bewusste Anstrengung: Sie können nicht einfach davon ausgehen, dass Ihr Gegenüber genauso denkt und fühlt wie sie selbst – auch wenn es möglich ist. Sie müssen einen anderen Blickwinkel einnehmen und versuchen, die Situation mit den Augen des Anderen zu sehen“ (S.393). Dieser andere Blickwinkel wiederum sollte einerseits dicht genug am Original bleiben, sollte andererseits nicht völlig übereinstimmen. Hier zeigt sich die enge Verzahnung mit entwicklungspsychologischen Erkenntnissen. Ab dem dritten Lebensmonat „bevorzugen Säuglinge nicht mehr die perfekten, sondern hohe, aber weniger-als-perfekte Kontingenzen, das heißt Stimuli, die mit ihren eigenen Reaktionen nicht ganz synchron, sondern neu und unvorhersagbar sind“ (S.116). In der therapeutischen Situation sorgen diese ‚hohen, aber weniger-als-perfekten Kontingenzen’ dafür, dass KlientInnen nicht statt der eigenen eine ihnen fremde Erfahrung internalisieren (vgl. S. 132). Aus dem Bereich der systemischen Perspektiven kann man sich hier an die Idee der "angemessen ungewöhnlichen Intervention" erinnern, wie sie Tom Andersen vorschlug (2).
Der generelle Fokus auf psychische Vorgänge wird beim Mentalisieren darüber hinaus spezifiziert durch die verstehen wollende Aufmerksamkeit für Intentionen. Und so definieren die Autoren „’Mentalisieren’ als ein imaginatives Wahrnehmen oder Interpretieren von Verhalten unter Bezugnahme auf intentionale Zustände“ (S.24). Mentale Zustände gelten den Autoren als „intrinsisch intentional; das heißt, sie sind repräsentational, auf etwas bezogen oder über etwas“ (S.24). Mit einfacheren Worten: „Mentalisierend interpretieren Sie Verhalten, indem Sie es auf mentale Zustände zurückführen, auf Wünsche, Überzeugungen und Gefühle“ (S.391).
Es scheint mir kaum möglich, das vorliegende Buch in seiner Fülle und in seinem Anregungsreichtum auch nur ansatzweise angemessen nachzuzeichnen. Daher ergänze ich die bisherigen Eindrücke nur noch um eine Skizze des inhaltlichen Aufbaus und eine abschließende Einschätzung. Der erste Hauptteil „Das Mentalisieren verstehen“ führt zunächst ein in den Facettenreichtum des Mentalisierens und leistet Unterscheidungshilfe gegenüber verwandten Begriffen und Konzepten. In einem nächsten Kapitel geben die Autoren einen lebendigen und informativen Überblick über die entwicklungspsychologischen Wurzeln des Mentalisierens. Ergebnisse de Bindungsforschung kommen gesondert zur Sprache. In diesem Kapitel wird besonders deutlich, wie sehr Mentalisieren als klinische Anwendung sich auf den Topos der Entwicklung bezieht. Dies sowohl im Hinblick auf eine isomorphe Bedeutung einer sicheren Bindungserfahrung für das Aufwachsen von Kindern, wie auch für Hilfesuchende in der Therapie als auch im Hinblick auf die Konsequenzen einer ge- bzw. verstörten Entwicklung für das Entstehen umfassender Probleme.
Im nachfolgenden Kapitel über Neurobiologie imponiert mir insbesondere die enge Verzahnung von Mentalisieren und der Aktivität derjenigen neurobiologischen Prozesse, die mit sozialer Aktion zu tun haben. Die Abhängigkeit der Fähigkeit zu mentalisieren von Variablen der Stressverarbeitung erscheint mir dabei ein besonders praxisrelevanter Aspekt zu sein.
Der zweite Hauptteil „Das Mentalisieren praktizieren“ beginnt mit einem Caveat! Die Autoren erläutern „die Grenzen der Verbindlichkeit unserer Empfehlungen“ (S.201). Sie tun dies auf eine Art, die ich nicht nur für bemerkenswert, sondern geradezu für vorbildlich halte. Wenn ich bis zu dieser Stelle noch keine Sympathie für das Buch entwickelt hätte, spätestens hier wäre es soweit gewesen. Allen, Fonagy und Bateman entscheiden sich dafür, das praktizierte Mentalisieren als eine Kunst zu betrachten und nicht als Wissenschaft (S.201). Die „Quintessenz der mentalitätsfokussierten Therapie [findet] nicht in einer bestimmten Technik Ausdruck […], sondern in einer charakteristischen Einstellung des Klinikers zum Prozess, die wir als mentalisierende Haltung bezeichnet haben“ (S.201). Sie ziehen daraus die Konsequenz, die „Kunst des Mentalisierens“ lasse sich „nicht auf Regeln oder Vorschriften reduzieren“ und „aus diesem Grund ist Psychotherapie über die Formulierung allgemeiner Prinzipien hinaus nicht manualisierbar“ (S.216).
Im nachfolgenden Kapitel „Mentalisierende Interventionen“ illustrieren Allen et al. nachvollziehbar, was geschieht, wenn etwas „Mentalisieren“ genannt werden kann. Auch hier unterstreichen die Autoren, dass diese Interventionen nicht an sich wirken, sondern eher Ausdruck einer bestimmten Art sind, „über die Durchführung der Psychotherapie nachzudenken“ (S.218). Dazu passt, dass es neben – teilweise tabellarisch zusammengefassten – Hinweisen deutlich heißt: „schlau sein zu wollen ist in der mentalisierenden Therapie eine Todsünde“ (S.232). Die im Feld systemischer Therapie prominent angeführte Haltung des Nicht-Wissens wird auch hier empfohlen (S.239f.) und „auf dem Teppich“-Bleiben gilt als Tugend. In einer Tabelle zur Selbstbeurteilung der Adhärenz zur Mentalisierungsbasierten Therapie lassen sich einzelne Items auf einer Mikroebene nachvollziehen und reflektieren.
Es folgen Kapitel über „Die Behandlung von Bindungstraumata“ und „Mutter-Kind-Therapie und Familientherapie“. Im Zentrum dieses Kapitels steht für mich der Rekurs auf einen Aufsatz von Fraiberg et al aus dem Jahr 1975, in dem auf ungemein dichte, anrührende Weise illustriert wird, wie es möglich wird, mit transgenerational vermittelten Bindungstraumata im Mutter-Kind-Setting umzugehen. Das Besondere der Leistung von Fraiberg et al. wird m.E. besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sie ihr Vorgehen ohne Vorlagen entwickelt haben. Es handelt sich um einen Bericht aus der Aufbauzeit eines Zentrums für die Betreuung von traumatisierten Müttern und Kindern.
Den inhaltlichen Teil bewährten Anwendungswissens runden Kapitel über „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ und „Psychoedukation“ ab. Was dann folgt, ist noch einmal vom feinsten. In einem „Exkurs: Was ist Mentalisieren und warum ist es wichtig?“ fassen Allen, Fonagy und Bateman das in diesem Buch Versammelte noch einmal zusammen, aber so, dass dies nicht wie eine einfache Zusammenfassung wirkt, sondern wie eine Krönung, mit einfachen Worten, wie bei einem Spaziergang, und dennoch voll konzentriert. Das ist große Kunst und dürfte dem spirit dessen, was die Autoren hier vorstellen, ziemlich nahe kommen.
Zu guter Letzt riskieren die Autoren noch einen umfassenderen Blick auf Implikationen und Möglichkeiten für größere „Soziale Systeme“. Sie wahren dabei eine Haltung der Bescheidenheit. Es ist ihnen klar, dass Mentalisieren allein die Welt nicht retten kann, und doch vermag man sich dem Gedanken nicht zu entziehen, was wäre wenn…?!
Ich kann das vorliegende Werk nur empfehlen. Ich finde, dass die Autoren es beispielhaft verstehen, ein komplexes inhaltliches Feld einladend zu beschrieben. Über weite Strecken hatte ich das Gefühl, jemand mache sich bewusst die Mühe, seinem Gegenüber die Furcht vor einer unüberschaubar erscheinenden Fülle zu nehmen und stattdessen die Neugier für die Ideen zu wecken, die hier versammelt sind, und ein Interesse daran zu verstehen, wie das genau hilfreich werden kann in der klinischen Praxis. Ich finde das beispielhaft gemacht (und muss wohl auch – ohne das Original zu kennen – der Übersetzerin Elisabeth Vorspohl dafür ein Kompliment machen. Sie hat den freundlich-einladenden Ton der Autoren kongenial aufgegriffen). Die einladende Sprache wird flankiert und unterstützt von zusammenfassenden Tabellen, sowie einer kurzen, verständlichen Zusammenfassung an jedem Kapitelende (Rekapitulation, Klinische Schlüsselbegriffe). Ein differenziertes Sachregister erleichtert das Nachschlagen, ein Glossar der wichtigsten Begriffe hilft ebenfalls weiter.
Mir scheint, dass die im vorliegenden Buch dokumentierte Art der Auseinandersetzung mit dem, was der Begriff ausdrücken soll, sehr hilfreich dafür ist, sowohl Ideen darüber zu bekommen, wo und wie sich Mentalisieren mit systemischen Perspektiven überschneidet als auch darüber, wo sich Unterschiede auftun. Überschneidungen ergeben sich zum Beispiel ganz besonders in der interpersonellen Ausrichtung des Konzepts. Das Bedenken und Nachfühlen intentionaler Prozesse bezieht sich stets auf beide Seiten, TherapeutInnen und KlientInnen. Zum anderen „räumt die Fokussierung auf das Mentalisieren dem Prozess Vorrang vor dem Inhalt ein“ (S.34). Der Bezug auf eine Haltung des Nicht-Wissens findet sich ebenfalls als Baustein systemischen Denkens, wie auch die Asymmetrie in Richtung Haltung anstelle Technik. Wenn die Autoren an einer Stelle zusammenfassen: „Mentalisieren bringt Mentalisieren hervor, und Nicht-Mentalisieren bringt Nicht-Mentalisieren hervor“ (S.46), erinnert mich das sehr an das lösungsorientierte Mantra ‚solution-talk creates solutions, problem-talk creates problems’.
Im Unterschied zu den Aufmerksamkeitsschwerpunkten systemischer Perspektiven scheint Mentalisieren auch auf extern abgeleitete Zielvorstellungen Bezug zu nehmen im Vergleich zur Zielklärung im Bereich systemischer Ansätze, die sich auf die Bevorzugungen der KlientInnen konzentriert. Die in Psychoanalyse und Bindungstheorie wurzelnden Überlegungen zur Entwicklungspsychopathologie sprechen dafür. Während sich (manche) systemische Perspektiven möglicherweise davon anregen lassen (ohne sie als quasi-normative Leitlinien anzunehmen), scheinen mir mentalisierende Ansätze die Annahme einer Pathologie „an sich“ nicht wesentlich in Frage zu stellen. Aus der historischen Entwicklung des Konzepts heraus erscheint dies durchaus plausibel. Die frühe und grundlegende Auseinandersetzung mit Autismus als einem beispielhaften Fall gehandicapter Fähigkeit zum Mentalisieren, und später die Arbeit mit Borderline-Konstellationen lässt das nachvollziehen. Insbesondere unterscheidet sich Mentalisieren von genuin systemischen Perspektiven durch die charakteristische und zentrale Bezugnahme auf entwicklungspsychologische, insbesondere bindungstheoretische Forschung.
Ganz besonders spannend finde ich das Konzept des Mentalisierens, weil es mir einen anderen Blick auf ein zentrales Thema der systemischen Therapie eröffnet: die Spannung und konstruktive Produktivität im Grenzbereich zwischen psychischen und sozialen Systemen. Ich habe das hier besprochene Buch kurz nach der Lektüre von Peter Fuchs’ Buch über die „Verwaltung der vagen Dinge“ gelesen, ein Buch, das in seiner fast unerbittlichen Prägnanz und Konsequenz die Fortsetzungsbedingungen von Kommunikation thematisiert, wenn es um Psychotherapie gehen soll, insbesondere, wenn es sich dabei um systemisch verstandene Psychotherapie handelt (3). Während genuin systemische Perspektiven, wie sie von Fuchs und Kurt Ludewig( 4) ausgearbeitet wurden, auf die formale Grammatik fokussieren und sie genau dadurch für die denkbare Vielfalt inhaltlicher Themen öffnen ohne dies weiter theoretisch oder normativ bestimmen zu müssen (5), geht Mentalisieren theoretisch und thematisch kohärent direkt an den Grenzbereich zwischen psychischen und sozialen Systemen. Das „Verstehen des Selbst und das Verstehen anderer Menschen“ seien „eins“ (S.108). Mit Bezug auf entwicklungspsychologische, insbesondere bindungstheoretische Erkenntnisse erarbeiten die Autoren eine interpersonelle Prozesslogik des Mentalisierens und setzen sie unmittelbar und inhaltlich-logisch bezogen um auf spezifische Beschwerden und Leidenskonstellationen. „Mentalisieren“, so schreiben sie, „fokussiert auf unsere klinischen Bemühungen, den komplizierten und facettenreichen Erschwernissen stabiler Bindungsbeziehungen und den Störungen der Selbstregulation entgegenzuwirken“ (S.106).
Wenn ich nun die Lektüre dieses Buches systemischen TherapeutInnen und BeraterInnen ans Herz legen möchte, dann möchte ich damit nicht die Begriffsbildung und die inhaltliche Kontextualisierung der Autoren an die Stelle systemischer Perspektiven setzen. Ich empfehle die Lektüre des Buches jedoch sehr, weil ich denke, dass die Autoren vormachen, wie man ein Konzept und die sich daraus ergebenden Anregungen für die Praxis klar, verständlich, plausibel, einladend, unprätentiös und ganz besonders: redlich beschreiben kann. Es geht mir nicht darum, systemischen KollegInnen die (womöglich überzeugte, konvertierte) Übernahme der Inhalte des vorliegenden Buches vorzuschlagen. Ich gehe zwar davon aus, dass die vertiefte Beschäftigung mit den Inhalten dieses Buches auch für systemische Perspektiven hilfreich und gut ist, doch nicht ohne weiteres, zum Beispiel nicht ohne durchgängige Bereitschaft zur Klärung des jeweiligen eigenen Standes der Auseinandersetzung mit Fragen, Themen und Konzepten des Systemischen. Daher sehe ich den Wert der vertieften Beschäftigung mit diesem Buch vor allem in der dadurch beförderten Möglichkeit, die zur Verfügung gestellten Anregungen zu durchdringen und auf diesem Weg darüber hinaus zu kommen. Womit gemeint sein soll: nicht im Versuch einer 1:1-Umsetzung zu erstarren, sondern dem eigenen Beisteuern zum professionellen Tun kontinuierlich auf der Spur zu bleiben, ihm nahe zu kommen, so dass es transparent gemacht werden kann und einem gemeinsamen Nachdenken zur Verfügung gestellt werden kann. Dies wäre dann aus meiner Sicht das, was professionelles Handeln im Kern ausmacht. Und das hier vorgestellte Buch entspricht diesem Ideal auf das Vorzüglichste.
„Wir haben diese Beschreibung als Therapeuten verfasst, um etwas anzuregen, das wir als mentalisierende Haltung bezeichnen: eine aufgeschlossene, forschende Haltung der Neugier auf das, was in anderen Menschen und in Ihrer eigenen Psyche vorgeht. Diese mentalisierende Haltung verlangt, dass Sie Mehrdeutigkeiten tolerieren – nicht hektisch nach Antworten suchen, sondern das Nicht-Wissen ertragen. Mentalisieren bedeutet, offen und unvoreingenommen zu bedenken, welche Möglichkeiten es gibt, und sich vor Augen zu führen, dass das letzte Wort nie gesprochen ist. So gesehen, ist auch diese kurze Beschreibung nicht mehr als eine Einführung“ (S.402)
(mit freundlicher Genehmigung aus systeme 1/2011)
Anmerkungen
(1) Hervorhebungen in Zitaten stets wie im Original (ausgenommen Anfangs- und Schlusszitat)
(2) Andersen T (Hg., 1990) Das Reflektierende Team: Dialoge und Dialoge über Dialoge. Verlag modernes lernen, Dortmund
(3) Fuchs P (2011) Die Verwaltung der vagen Dinge. Gespräche zur Zukunft der Psychotherapie. Heidelberg: Carl-Auer
(4) Ludewig K (2011) Psychische Systeme. In: Familiendynamik 36(3)
(5) (und dabei die Bedeutung von Referenztheorien aus Neurobiologie, Psychologie, Soziologie als gewichtige Kontextvariablen zwar ansprechen, diese jedoch nicht zu Trägern der therapeutischen Leitunterscheidung machen)
Zur website von Peter Fonagy
Zum Inhaltsverzeichnis, dem Vorwort und einer einführenden Vorbemerkung im Buch
Verlagsinformation:
Allen, Fonagy und Bateman veranschaulichen, was wir heute über das Mentalisierungskonzept wissen und wie wir es anwenden können. Sie erläutern zunächst die Grundlagen des Konzepts – der Schwerpunkt des Buches liegt jedoch auf der klinischen Anwendung.
Die Einsatzmöglichkeiten: - Intervention bei bestimmten Störungsbildern wie Trauma und Borderline
-Persönlichkeitsstörung
- Arbeit in Familien und mit Eltern
- Im Feld der sozialen Arbeit und der Anwendung in gesellschaftlichen Kontexten, etwa im Rahmen der Gewaltprävention oder in der Auseinandersetzung mit globalen Konflikten
ZIELGRUPPE:
- PsychotherapeutInnen aller Schulen
- PsychoanalytikerInnen
- Kognitive VerhaltenstherapeutInnen
Mentalisieren bezeichnet
- die Fähigkeit, das Verhalten anderer Menschen mit Bezugnahme auf ihre Grundhaltungen, Emotionen und Absichten zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren,
- das Wissen um die psychischen Beweggründe des eigenen Verhaltens.
Mentalisierungsfähigkeit kann trainiert werden. Sie ist ausschlaggebend für die Organisation des eigenen Selbst und die Regulierung der Affekte.
Über die Autoren:
Jon G. Allen, Ph. D., ist Professor für Psychiatrie am Menninger Department of Psychiatry and Behavioral Sciences am Baylor College of Medicine an der Menninger Klinik in Houston, Texas.
Dr. phil. Peter Fonagy, Dipl-Psych., Psychoanalytiker, ist Freud Memorial Professor für Psychoanalyse am University College London und leitet das Anna Freud Centre in Hampstead/London, der traditionsreichen Stelle, die vor ihm Anna Freud und Joseph Sandler innehatten. Zudem ist er Vize-Präsident der IPV, Mitherausgeber einer Anzahl bedeutender Zeitschriften, zum Beispiel des International Journal of Psychoanalysis, des Development and Psychopathology und des Bulletin of the Menninger Clinic. Fonagy gilt als einer der weltweit führenden Köpfe der Psychotherapieforschung.
Anthony W. Bateman, M.A., ist konsultierender Psychiater für
Psychotherapie am St. Ann’s Hospital, Barnet, Enfield und Visiting
Professor am University College in London.
|