Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
Helmut Kuntz, Saarbrücken:
Die menschliche Seele hat ihre ganz eigene Sprache. Ein Weg, über den sich unbewusste seelische Inhalte mitteilen, sind unsere Träume. Sofern es zu unserer eigenen Welt und unserem Menschenbild gehört, dass wir die Botschaften unserer Träume ernst nehmen, können sie uns zu verborgenen inneren Schätzen geleiten und »wichtige Heilungs- und Entwicklungsprozesse« anstoßen. Wer allerdings der Ansicht ist, Träume seien bloß Schäume, steht sich in der Entschlüsselung ihrer Bilderwelt selbst im Wege.
Als analytisch wie systemisch arbeitender Familientherapeut hat mich auf Anhieb der Titel des Buches von Christa Schmidt angesprochen: »Meine Familiengeschichte in Träumen«, insbesondere durch den Zusatz: »Spurensuche über Generationen«, der auf die Mehrgenerationenperspektive der Spurensuche verweist. Als Therapeut, der selbst gerne mit der Fülle wirksamer Methodenschätze arbeitet, war zudem meine Neugier geweckt, wie Christa Schmidt mit ihren Patientinnen und Patienten zusammen das Lesen der Spuren über deren Träume betreibt.
Ein Buch zu besprechen ist immer ein sehr persönliches Unterfangen. Können wir seine Inhalte verstehen, teilen, akzeptieren und würdigen? Schätzen wir Form und Sprache? Oder fühlen wir uns berufen zu mäkeln und abzuwerten, beziehungsweise schlimmer noch von höherer Warte herunter Spott und Häme auszuschütten? Insofern ist eine Rezension immer auch eine Übung in Respekt und Achtsamkeit. Christa Schmidt macht es mir mit ihrem Buch da sehr einfach. Ihr Werk ist in meinen Augen in jeder Hinsicht rund und gelungen.
Nachdem ich das Buch zur Besprechung erhalten hatte, habe ich seine 152 Seiten in einem Rutsch gelesen, nur unterbrochen durch einen Spaziergang, weil ich mich halb schwindelig gelesen hatte. Die Spannung, welche von dem Buch ausgeht, macht das leicht möglich. Wer sich ein theoretisches Fachbuch erwarten würde, wäre vielleicht enttäuscht. Die Autorin beherrscht die ganz eigene Kunst, ihr Thema so in Worte zu fassen, dass es beim Lesen gleichzeitig unterhält. Es ist keineswegs ein Nachteil, wenn ein Buch, welches schwierige Inhalte transportiert, dennoch einen gewissen Unterhaltungswert besitzt, der dem inhaltlichen Verstehen zugute kommt. Christa Schmidt schreibt ganz nahe an den Menschen, die ihr als Patientinnen ihr Vertrauen schenken, und ihrer Geschichte. Sich selbst will sie dabei auch nicht distanziert abstinent halten, läuft jedoch an keiner Stelle Gefahr, sich in Übertragungsverstrickungen zu verlieren. Ihre innere Haltung, die sich in und zwischen den Zeilen mitteilt, spricht sowohl für Professionalität wie Menschlichkeit.
In einem kurzen theoretischen Überblick schlägt Christa Schmidt zu Beginn ihres Buches den Bogen von der sumerischen Traumdeutung über das Alte und Neue Testament bis zu den Anfängen der psychoanalytischen Traumdeutung als Königsweg zum Unbewussten bei Sigmund Freud und Carl Gustav Jung. In C. G. Jung mit seinem tiefen Verständnis für wohl verstandene Spiritualität, seinen Gedanken zum kollektiven Unbewussten und seiner Methode der aktiven Imagination findet sie eine gute Basis für die von ihr entwickelte Arbeit mit Träumen, die sie auf zwei Thesen gründet (S. 23 f.):
»1. Da Träume Personen, Zeiten, Ereignisse, Gefühle und Orte verdichten, stellen sie auch Verbindungen zwischen Generationen dar und helfen, diese zu bearbeiten.
2. Träume entspringen dem kollektiven, dem individuellen und dem familiären Unbewussten.«
Familientherapeuten ist die Mehrgenerationenperspektive in der Regel vertraut, nicht jedoch unbedingt die Arbeit mit Träumen. Wie mit dieser Sprache der Seele sinnvoll und stimmig zu arbeiten ist, verdeutlicht die Autorin an drei Behandlungsverläufen mit zwei Frauen und einem Mann. Es spricht für die Darstellungsweise von Christa Schmidt, dass sich die Behandlungsverläufe nachvollziehbar erschließen und sich darüber hinaus lesen wie spannende Entwicklungsromane. Die Leiden und Symptome der Patientinnen und des Patienten ließen sich alleine aus deren aktueller Lebenssituation und ihrer individuellen Biographie nicht hinreichend verstehen. Wer als Behandelnder oder Therapeut den Blick nicht über Generationen hinweg zu weiten und »Blutspuren«, Traumata, Geheimnisse, Mythen, Untergründiges, kurz: das gesamte familiäre Unbewusste nicht zu enträtseln vermag, riskiert in solchen Therapien zu scheitern. Vieles lässt sich aus den Träumen unserer Patient/-innen verstehen, sofern wir uns zusammen mit ihnen auf die Spurensuche begeben. Die Bildersprache und Symbolkraft der geschilderten Patiententräume sowie die sich darin mitteilende Findigkeit der menschlichen Seele sind beeindruckend. Die Entschlüsselung ihrer verdichteten Botschaften setzt innere Suchbereitschaft und ein Verstehen auf unter- schiedlichen Ebenen der Wahrnehmung voraus. Viele Trauminhalte können anfangs unerklärlich erscheinen, »weil die Patienten die zugrunde liegenden Ereignisse nicht selbst erlebt haben. Sie können daher keine Bezüge zu ihrer eigenen Biographie her- stellen« (S. 26). Wie das kollektive und familiäre Unbewusste vererbt wird, über welche Kanäle es bis zu seiner Verarbeitung weiter wirkt, lässt sich rein rational oder psycho- logisch oft nicht erfassen. Da sind zusätzliche Ebenen am Werk. Weil es zum therapeutischen wie menschlichen Selbstverständnis von Christa Schmidt gehört, dass sie solche Ebenen berücksichtigt, gelingen im therapeutischen Miteinander auch die exemplarisch ausgewählten Behandlungsverläufe. Die »Heilungsprozesse durch die familienorientierte Arbeit mit Träumen« als Sprache des Unbewussten werden so verstehbar als eine unschätzbare Ressource, welche die Therapeutin zusammen mit ihren Patientinnen »aus dem Nebel zur Klarheit« geleiten.
Dass Träume eine Deutung auf der Objekt- wie Subjektstufe erlauben, dürfte mittlerweile therapeutisches Allgemeingut sein, selbst wenn das Arbeiten mit Träumen nicht zum eigenen Methodenrepertoire gehört. Für mich findet sich die Objekt- und Subjektstufe auch im Buch von Christa Schmidt wieder. Da gibt es klar dargestellte Inhalte auf einer Objekt- oder Sachebene zu lesen. Andere wesentliche Botschaften für das Gelingen der therapeutischen Beziehungsarbeit finde ich aber auch in einer subjektiven Tiefenstruktur des Textes, zwischen den Zeilen und hinter den eigentlichen Worten auf der atmosphärischen Ebene, da wo spürbar wird, wie die Seele im Buch atmet und spricht, und die innere Haltung der Therapeutin sich zeigt. Stärker der Rationalität verhaftete Leserinnen oder Leser, die eine weniger gefühlsgeladene Sprache bevorzugen, können sich so mit manchen Stellen im Buch vielleicht schwer tun. Persönlich schätze ich das innere Mitgehen der Autorin sehr, weil es Authentizität vermittelt. Sie lädt ein, ihr Buch nicht bloß mit dem zum Denken fähigen Kopf, sondern zeitgleich mit dem fühlenden Herz zu lesen. Eine solche Sprache ist in der wissenschaftlichen Gemeinde längst nicht selbstverständlich.
Mutig finde ich auch, dass sich Christa Schmidt selbst in ihrem Tun evaluiert, indem sie jedem Behandlungsverlauf einen Bericht aus dem eigenen Erleben der Patientinnen anfügt. Da klingen denn auch fragende Zwischentöne an, wenn eine Patientin resümiert : »Ich fühlte mich teilweise verstanden, teilweise verkannt und verfremdet und schwankte zwischen Dankbarkeit für die Chance einer erneuten zusammenhängenden Bearbeitung mancher Schicksalsstränge und der Verzweiflung darüber, dass möglicherweise wieder mal ein Buch und der favorisierte Inhalt der Autorin wichtiger sein könnten als mein Erleben« (S. 66). Da Christa Schmidt die Träume und Behandlungsverläufe aus ihren eigenen stichpunktartigen Mitschriften rekonstruiert, könnte sich an dieser Stelle in der Tat das Risiko einer Glättung oder Schönung im Sinne favorisierter Ergebnisse einschleichen. Auf Grund des gesamten therapeutischen und beschriebenen Kontextes scheinen jedoch nicht bloß mir als Leser, sondern auch besagter Patientin derartige Zweifel letztlich obsolet. In jedem Falle bleiben sie konstruktiv eingebunden in ihren therapeutischen Prozess der Arbeit mit Träumen, so dass die Patientin fortfährt: »Ich verlor dabei nicht ihren therapeutischen Rückhalt, sondern wir standen weiterhin in einem fruchtbaren Austausch. Das ist für mich vielleicht der wichtigste Gewinn dieser Arbeit, [...] dass eine weitere Person meinen Weg ins Leben segnet« (S. 66). Einen Segen für unseren Weg ins Leben brauchen wir alle. Dass darüber in dem Buch von Christa Schmidt ebenso selbstverständlich geschrieben werden kann wie von der Existenz der menschlichen Seele und ihren verschlungenen Pfaden, macht es auf ganz unspektakuläre Weise sympathisch. Zumal in Zeiten, in denen es die Seele gegenüber strikt rationaler Wissenschaftlichkeit nicht leicht hat. Dass es Phänomene zwischen Himmel und Erde gibt, die sich einem verbreiteten wissenschaftlichen Denken entziehen, belegen sowohl die im Buch beschriebene Arbeit mit Träumen wie in den Behandlungsverläufen nebenbei geschilderte Begebenheiten, die sich schlichtweg am ehesten mit C. G. Jungs Verständnis von »Synchronizität« erfassen lassen.
Praktisch unterstützt wird die familienorientierte therapeutische Arbeit mit Patiententräumen durch »vertiefende Möglichkeiten, mit Träumen umzugehen«. In diesem Kapitel beschreibt Christa Schmidt leicht nachvollziehbar das therapeutische Geschehen begleitende Methoden und Techniken: Das Malen der Trauminhalte als eine weitere »nonverbale Brücke zur verbalen Verständigung«, das Führen von Traumbüchern, die wichtige Traumserien besser erinnern lassen, Familienrekonstruktionen und Traumgruppen sowie therapeutisch wirksame Imaginationstechniken. Alle diese Verfahren helfen therapeutisch tätigen Menschen auch dabei, sich nicht in Übertragungsverstrickungen zu verlieren. Deshalb macht Christa Schmidt konsequent auf einen ganz zentralen Aspekt der Arbeit aufmerksam: »Da Patienten häufig belastende Erlebnisse mehrerer Familienmitglieder in sich tragen, sind Therapeuten mit dem Leid, der Wucht und Tragik mehrerer Schicksale konfrontiert und müssen dies mit den Patienten verarbeiten. Es ist wichtig, dass Therapeuten von den Träumen ihrer Patienten, die Bilder, Gefühle und Ereignisse aus mehreren Generationen symbolisieren, nicht überfordert werden« (S. 121). Um diesen Anspruch einlösen zu können, weist die Autorin eher in einem Nebensatz darauf hin, wie wesentlich es ist, dass Menschen in helfenden Berufen gut für sich selbst sorgen können. Dabei mag ihnen unter anderem helfen, was die Autorin auch ihren Patientinnen empfiehlt, und worüber eine von ihnen mit innerer Klarheit resümiert: »Wenn ich meditiere, fliegt meine Seele nach Hause, sie kommt dann geordneter und regeneriert zurück« (S. 134).
Für meinen Geschmack passt dieser Satz in seiner schönen Bildhaftigkeit zur ebenso schönen Stimmigkeit des gesamten Buches von Christa Schmidt.
Mit freundlicher Genehmigung aus "Kontext", 4/2009
Verlagsinformation:
Das Buch führt in die psychotherapeutische Arbeit mit Träumen ein und informiert über unterschiedliche Techniken, mit Träumen zu arbeiten. Anhand von drei Behandlungsberichten stellt die praxiserfahrene Psychoanalytikerin Christa Schmidt familienorientierte Arbeit mit Träumen vor. Die Fallgeschichten verdeutlichen, dass Träume schicksalhafte familiäre Verwobenheiten zum Ausdruck bringen. Verheimlichte Botschaften kehren in ihnen jahrelang wieder, bis sie bearbeitet werden. Die familienorientierte Traumtherapie hilft, belastende Geheimnisse, Tabus und Muster aufzudecken und Ablösungsprozesse zu erleichtern. Zudem finden sich in Träumen häufig Hinweise auf familiäre Fähigkeiten und Begabungen. Diese Erfahrungen bestätigen auch die Berichte der Träumenden, die die Fallgeschichten kommentieren. Methoden, um Träume besser zu erinnern und ihre Botschaften zu entschlüsseln, sind zum Beispiel die Meditation, die Imagination sowie die schriftliche und künstlerische Darstellung von Träumen. Sie bieten vertiefende Möglichkeiten, mit Träumen umzugehen. Die Leserinnen und Leser erhalten gleichsam einen Wegweiser, um sich mit ihren Träumen hinsichtlich ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen, und werden in vielfältiger Weise angeregt, diese inneren Bilder zu entschlüsseln.
Inhalt:
Träume – Quellen wichtiger Erkenntnisse
1 Von der sumerischen Traumdeutung zur psychotherapeutischen Arbeit mit Träumen
Traumdeutung und mythische Überlieferung
Die Traumdeutung – der Königsweg zum Unbewussten
Familienorientierte therapeutische Arbeit mit Träumen
Kriegserlebnisse in den Träumen von Wiltrud
2 Heilungsprozesse durch die familienorientierte Arbeit mit Träumen
Aus dem Nebel zur Klarheit (Elvira)
Der Göttertraum (Magdalena)
Ich tauche in einer Bucht und sehe Wale (Josef)
Entwicklungsprozesse in Träumen
3 Therapeutische Vorgehensweise – Träume im Gespräch entschlüsseln
4 Vertiefende Möglichkeiten mit Träumen umzugehen
Das Traumbuch
Bildnerische Darstellung von Träumen
Familienrekonstruktion: Die eigene Lebensgeschichte ergründen
Meditation
Imagination und aktive Imagination
Traumgruppen
Gedanken zum Ausklang
Über die Autorin:
Dr. phil. Christa Schmidt, Diplom-Psychologin, ist Psychoanalytikerin in eigener Praxis in der Nähe von München.
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