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Neuvorstellung zur Übersicht
30.04.2010
Edward L. Deci & Richard M. Ryan: Handbook of Self-Determination Research
Deci & Ryan: Handbook of Self-Determination Research University of Rochester Press, Rochester (NY), 2002 (2004 softcover)

470 S., kart.

Preis: 24,50 €

ISBN-10: 1580461565
ISBN-13: 978-1580461566
University of Rochester Press





Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:

Wie kommt es, dass einem manchmal eine Zustimmung die Lust am Weitermachen verhageln kann? Wieso ist es manchmal so diffizil, die richtigen Worte zu finden, wenn man einen doch „nur“ unterstützen möchte? Und was wäre eigentlich ein plausibler Hintergrund für die gängige (auch von mir oft) genutzte Wendung, dass die Botschaft stets von den EmpfängerInnen bestimmt werde? Mit solchen und ähnlichen Fragen ist man dicht an dem, was mir seit einiger Zeit unter dem Namen „Self-Determination Theory“ (SDT, Theorie der Selbstbestimmung) eine ziemlich hilfreiche und weiterführende Anregung geworden ist. Als Edward Deci und Richard Ryan im Jahr 2000 die SDT einem umfassenderen Fachpublikum vorstellten, konnten sie auf die Ergebnisse von etwa 30 Jahren Forschung zurückgreifen. Das vorliegende Buch verdankt sein Entstehen dann dem offenbar fruchtbaren Impuls, den 1999 eine erste, exklusiv der SDT gewidmete Konferenz setzte. Die meisten der hier versammelten Beiträge entstammen diesem Umfeld. Mittlerweile ist die zur Verfügung stehende Literatur weiter angewachsen, etwa zur allgemeinen Frage der menschlichen Autonomie (Ryan & Deci 2006), bis hin zur Perspektive einer Makrotheorie menschlicher Motivation (Deci & Ryan 2008, Ryan & Deci 2008).
Grundlegend für die SDT ist die Annahme eines Organisationsprinzips, nach dem Menschen als aktive, wachstums-orientierte Organismen gelten, gekennzeichnet durch eine Tendenz, die allfälligen unterschiedlichen Erfahrungen zu einem vereinheitlichten regulatorischen Prozeß zu integrieren. Diese integrative Tendenz wird in notwendiger Wechselwirkung mit aufbauenden, bzw. hinderlichen Einflüssen aus der sozialen Umgebung gesehen. Mit einem solchen Intro dürfte sowohl die Verflochtenheit mit Konzepten der humanistischen Psychologie kenntlich werden, wie auch eine einigermaßen fremde Beziehung zu neueren systemtheoretischen Betrachtungsweisen. Dennoch möchte ich das vorliegende Buch, stellvertretend für den Ansatz an sich hier vorstellen und dafür plädieren, dass viele der über die SDT angestoßenen Fragen, Hypothesen und Ergebnisse auch für systemische Überlegungen von Nutzen sein können.
Als für die Praxis m.E. attraktive Kernzelle der SDT dürfte die Konzentration auf die drei Begriffe Autonomie, Bezogenheit und Kompetenz gelten. Diese Begriffe stehen in der Diktion der SDT für drei Grundbedürfnisse, deren Erfüllung als notwendige Basis für ein wohlbehaltendes Leben gilt. Entscheidend ist dabei die wechselseitige Bezogenheit der drei Begriffe. Nur in ihrer Gesamtheit können sie die Basis bilden für ein Wohlbefinden, das sich in einem ebenso selbstwirksam erlebten wie sozialverträglich gestalteten Leben zeigt. Autonomie bezieht sich auf das Ausmaß, in dem man sich als Quelle des eigenen Tuns erlebt. Das Ausmaß, in dem man sein eigenes Leben als kompatibel und konkordant mit dem erlebt, was einem wichtig ist, und was den eigenen Wertvorstellungen entspricht. Bezogenheit findet sich dem Ausmaß wieder, in dem jemand sich mit (ihm/ihr) wichtigen anderen verbunden fühlt, beachtet, unterstützt und diesen wiederum mit Achtung, Aufmerksamkeit, Zuvertrauen begegnen kann. Kompetenz schließlich findet sich als Ausmaß der eigenen Erfahrung, sich im eigenen Umgang mit der umgebenden Welt sicher genug als Ursache erwünschter Wirkung betrachten zu können. In ihrem einleitenden Überblick nennen die beiden Herausgeber vier „Mini-Theorien“, die sich im Lauf der Zeit zum Gesamtbild der SDT zusammengefügt haben: die Theorie der kognitiven Evaluation (Effekte sozialer Kontexte auf den Grad der intrinsischen Motivation), die Theorie der organismischen Integration (Konzept der Internalisierung insbesondere im Hinblick auf extrinsische Ausgangsmotivation), die Theorie der Verursachungs-Orientierung (individuelle Unterschiede in den Tendenzen, sich selbstbestimmt zu verhalten und nach entsprechenden Hinweisen dafür zu suchen), und die Theorie der grundlegenden Bedürfnisse (s.o.).
Der Reader enthält neben der Einführung (I) und den abschließenden Kommentaren (V) der beiden Herausgeber drei jeweils ausführlich bestückte Themenbereiche: Theoretische Abhandlungen und Betrachtungen (II), Selbstbestimmung in verschiedenen Lebenskontexten (III), sowie Verwandte Blickwinkel (IV). Im Theorieteil geht es u.a. um ein hierarchisches Modell intrinsischer und extrinsischer Motivation (Vallerand & Ratelle), die Integration von Selbst und bewußter Erfahrung (Hodgins & Knee), eine vertiefende Diskussion von Introjektion, Identifikation und intrinsischer Motivation (Koestner & Losier). Von besonderem heuristischem Wert scheint mir Sheldons „Selbstkonkordanz-Modell eines gesunden Zielstrebens: Wenn persönliche Ziele die Person korrekt repräsentieren“. Sheldon unterscheidet grundsätzlich zwischen Zielen, die aus autonomen Gründen, und solchen, die auf der Basis äußerer Kontrolle verfolgt werden. Der lange Atem, das auch Widrigkeiten nicht scheuende Dranbleiben zeigen sich eher beim Verfolgen von Zielen, die mit der eigenen Person als vereinbar erlebt werden, je mehr, um so zentraler sie Bedeutung gewonnen haben für das eigene Erleben von sich als einer in sich stimmigen Person. Das heißt nicht, dass extrinsisch motivierte Ausgangspunkte keine Chance hätten. Es kommt darauf an, ob ein von außen herangetragenes Ziel und die Form, in der es herangetragen wird, grundsätzlich akzeptierbar sind oder nicht. Auch hier zeigt sich die Verwobenheit von Autonomie, Bezogenheit und Kompetenz. Unter geeigneten Bedingungen entsteht durchaus Spielraum dafür, ein inneres Adoptieren von Perspektiven ernsthaft zu erwägen und zu übernehmen, die zunächst nicht aus dem eigenen Stall kommen. Wie sonst könnte individuelle Zustimmung zu überindividuellen Notwendigkeiten entstehen, die per se Abstriche von eigenen Maximalvorstellungen verlangen?
Im zweiten Teil steht u.a. die Frage auf dem Programm, was Eltern dazu bringt zu kontrollieren (Grolnick & Apostoleris), SDT und ihre Bedeutung für Erziehungssettings (Reeve), für Umweltpolitische Fragen (Pelletier), sowie für Gesundheitsförderung- und Politik (Williams). Bei den „Verwandten Blickwinkeln“ finden sich u.a. Beiträge zum Coping (Skinner & Edge), zur Stabilität des Selbstwerterlebens (Kernis & Paradise) und eine vertiefende Betrachtung zum Bedürfnis nach Kompetenz (Elliot et al.).
Die kurze Skizze zu diesem Reader kann nicht ansatzweise die Fülle wiedergeben, die sich an Überlegungen und Forschungsergebnissen hier versammeln. Für PraktikerInnen dürfte das erst einmal auch kein Manko sein. Der Reader liest sich, wie die meisten seiner Art eher sperrig, erweist sich als seriös, nachdenklich, bei allem Enthusiasmus für SDT und seine Übersetzungsmöglichkeiten auch selbstkritisch. Es wird nicht unterschlagen, dass SDT nicht einfach (wenn überhaupt) mit postmodernen Blickwinkeln unter einen Hut zu bringen ist. Das Ausgehen von Grundbedürfnissen und das Reflektieren von Lebensumständen auf der Basis relativ kohärent erscheinender Grundlagen vermag aus neueren systemtheoretischen Blickwinkeln vermutlich wie von (vor)gestern wirken. Mag sein. Ich halte jedoch dafür, dass auch ein systemisch-konstruktivistisches (und erst recht ein systemisch-existenzielles) Herangehen an „die Dinge des Lebens“ nur dann „Sinn macht“, wenn es nicht formal oder formalistisch geschieht. D.h.: auch systemische TherapeutInnen werden eine Form finden müssen, mit sich im Reinen zu sein (auch mit dem, was nicht rund läuft), wenn sie mit dem im Reinen sein wollen, was KlientInnen von ihren so erlebten Lebenswirklichkeiten mitteilen. Dabei hat sich für mich die Möglichkeit zunehmend als hilfreich erwiesen, das miteinander in Beratung und Therapie Gestaltete danach zu befragen: in welchem Ausmaß trage ich dazu bei, dass jemand sich bestärkt fühlen kann, seine eigenen Qualitäten als gute Basis für nächste gute Schritte zu nehmen? In welchem Ausmaß trage ich dazu bei, dass jemand Vertrauen schöpft in die Möglichkeit, sich auf andere zu beziehen, und in diesem Bezogensein sowohl standzuhalten als auch sich getragen zu fühlen? In welchem Ausmaß trage ich dazu bei, dass jemand sich ermutigt fühlt, die eigenen Fähigkeiten einzusetzen, sie zu üben und weiterzuentwickeln, und weiter: sie anzuerkennen als ihren Beitrag zu einem ausreichend guten Leben für sie selbst und andere? Wenn ich das dann anschließend reflektieren kann, inwieweit sich das sinnstiftend angeschlossen hat aneinander und zur Stärkung sozialer Adressen geführt hat, um so besser. Ich kann das Buch nun nicht als Standardlektüre für PraktikerInnen empfehlen, dazu ist es wohl als Kost für die –baren Leseminuten zu komplex. Doch diejenigen, die im Forschungsbetrieb handeln, könnten ihr Betreiben mit dem vorliegenden Reader sicher befördern. Insgesamt möchte ich dazu ermuntern, den Blick offen zu halten für Möglichkeiten, die sich aus dem-SDT-Ansatz ergeben.

Literatur: Deci EL, Ryan RM (2008): Self-Determination Theory: A Macrotheory of Human Motivation, Development, and Health. Canadian Psychology 49(3): 182–185

Ryan RM, Deci EL (2000) Self-Determination Theory and the Facilitation of Intrinsic Motivation, Social development, and Well-Being. American Psychologist 55(1): 68-78

Ryan RM, Deci EL (2006) Self-Regulation and the Problem of Human Autonomy: Does Psychology Need Choice, Self-Determination, and Will? Journal of Personality 74(6): 1557-1586

Ryan RM, Deci EL (2008): A Self-Determination Theory Approach to Psychotherapy: The Motivational Basis for Effective Change. Canadian Psychology 49(3): 186–193

(mit freundlicher Erlaubnis aus systeme 2/2009)





Zur umfangreichen website der Herausgeber über Self-Determination Theory




Verlagsinformation:

Over the past twenty years an increasing number of researchers from various universities have been investigating motivational issues underlying the self-regulation of behavior. Using either Self-Determination Theory or closely related theoretical perspectives, these researchers have performed laboratory experiments, as well as field studies in a variety of real-world settings, including education,work, parenting, health care, sport, and protection of the environment. In April 1999 thirty of these researchers convened at the University of Rochester to present their work, share ideas, anddiscuss future research directions. The Handbook of Self-Determination Research is an outgrowth of that important and fascinating conference. It summarizes the research programs of these social, personality, clinical, developmental, and applied psychologists who have a shared belief in the importance of self-determination for understanding basic motivational processes and for solving pressing real-world problems. Eighteen chapters, including an overview of self-determination theory, present the current state of the research in this scientifically rigorous, yet highly relevant, approach to studying motivational problems in various life domains. Researchers from eighteen universities in the United States, Canada, and Germany present concise and up-to-date accounts of their research programs concerned with the self-determination of human behavior. In these chapters, scholars also consider the relevance of the research on self-determination to other areas of inquiry such as coping, self-esteem, and interest.


Inhalt:

Ryan, Richard M. & Edward L. Deci: An Overview of Self-Determination Theory: An Organismic-Dialectical Perspective. S. 3-33.

Vallerand, Robert J. & Catherine E. Ratelle: Intrinsic and Extrinsic Motivation: A Hierarchical Model. S. 37-63.

Sheldon, Kennon M.: The Self-Concordance Model of Healthy Goal Striving: When Personal Goals Correctly Represent the Person. S. 65-86.

Hodgins, Holley S. & C. Raymond Knee: The Integrating Self and Conscious Experience. S. 87-100.

Koestner, Richard & Gaetan E. Losier: Distinguishing Three Ways of Being Highly Motivated: A Closer Look at Introjection, Identification, and Intrinsic Motivation. S. 101-121.

Kasser, Tim: Sketches for a Self-Determination Theory of Values. S. 123-140.

Wild, T. Cameron & Michael E. Enzle: Social Contagion of Motivational Orientations. S. 141-157.

Grolnick, Wendy S. & Nicholas H. Apostoleris: What Makes Parents Controlling? S. 161-181.

Reeve, Johnmarshall: Self-Determination Theory Applied to Educational Settings. S. 183-203.

Pelletier, Luc G.: A Motivational Analysis of Self-Determination for Pro-Enviromental Behaviors. S. 205-232.

Williams, Geoffrey C.: Improving Patients‘ Health Through Supporting the Autonomy of Patients and Providers. S. 233-254.

Baard, Paul R.: Intrinsic Need Satisfaction in Organizations: A Motivational Basis of Success in For-Profit and Not-For-Profit Settings. S. 255-275.

Frederick-Recascino, Christina M.: Self-Determination Theory and Participation Motivation Research in the Sport and Exercise Domain. S. 277-294.

Skinner, Ellen & Kathleen Edge: Self-Determination, Coping, and Development. S. 297-337.

Kernis, Michael H. & Andrew W. Paradise: Distinguishing Between Secure and Fragile Forms of High Self-Esteem. S. 339-360.

Elliot, Andrew J., Holly A. McGregor & Todd M. Thrash: The Need for Competence. S. 361-387.

Little, Todd D., Patricia H. Hawley, Christopher C. Heinrich & Katherine W. Marsland: Three Views of the Agentic Self: A Developmental Synthesis. S. 389-404.

Krapp, Andreas: An Educational-Psychological Theory of Interest and its Relation to SDT. S. 405-427.

Deci, Edward L. & Richard M. Ryan: Self-Determination Research: Reflections and Future Directions. S. 431-441.


Über die Herausgeber:

Edward L. Deci und Richard Ryan sind Professoren für Psychologie am Department of Clinical and Social Sciences in Psychology an der University of Rochester.



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