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15.05.2009
Mark Johnson: The Meaning of the Body. Aesthetics of Human Understanding
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The University of Chicago Press, Chicago London 2007
326 S., geb.
Preis: 26,99 €
ISBN-10: 0226401928
ISBN-13: 978-0226401928 |
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The University of Chicago Press
Michael B. Buchholz, Göttingen:
Ob Computer denken können oder es doch wenigstens eines Tages lernen, ist eine höchst umstrittene Frage. Alan Turing, der große Mathematiker und Informatiker, hatte in einer geselligen Runde an einem Gesellschaftsspiel teilgenommen, das ihn zu einem interessanten Gedankenexperiment inspirierte. Gespielt wird, dass eine fremde Person sich in einem Nebenzimmer aufhält, ihr können schriftlich Fragen gestellt werden, auf die sie schriftlich antwortet. Die Aufgabe ist, heraus zu finden, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelt. Diese Person darf lügen, sie muß zwar auf alle Fragen antworten, aber nicht unbedingt mit der Wahrheit herausrücken. Fragt man beispielsweise nach dem Beruf, kann die Antwort Chirurg lauten, obwohl sie Chirurgin ist; fragt man nach der Gravur auf der Krawattennadel, kann die Antwort irgendein Symbol sein, obwohl sie weder Krawatte noch Nadel trägt. Die Ratenden sind also mächtig herausgefordert, jene Fragen zu finden, bei denen sich jemand ungewollt als Mann oder Frau verrät.
Turing dachte sich nun, es müsse möglich sein, eine Maschine auf die gleiche Weise zu prüfen; Können Zuhörer herausfinden, ob die von der Maschine gelieferten Antworten von einem menschlichen Wesen kommen oder nicht? Wenn nein, dann bliebe nur, einer Maschine so etwas wie Bewusstsein zuzusprechen. Wären die Antworten der Maschine nicht als solche identifizierbar, dann, so Turing, müßte man wohl annehmen, dass die Maschine selbst in der Alltagspraxis wie ein humanes Subjekt handeln könnte, mindestens jedoch so wahrgenommen würde. Sich also aufregt, wo auch Menschen sich aufregen; sich beschämt fühlte, wenn es peinlich war und flirten könnte, wenn die entsprechende „Anmache“ ins Spiel käme.
Nun, man weiß aus Untersuchungen (Grande, Wilke und Nübling 1992), dass Leser der ersten 3 Minuten von therapeutischen Gesprächsanfängen (wenn man nur genau transkribiert) imstande sind, aus diesen wenigen Interaktionszügen sicher zu identifizieren, ob die Sprecher männlich oder weiblich sind. Der Unterschied zum Gesellschaftsspiel und zu Turings Gedankenexperiment liegt sofort auf der Hand: Man sieht sich, man hört sich im therapeutischen Gespräch. Aber selbst damit greift man natürlich noch entschieden zu kurz: denn in den Untersuchungen haben die Leser ja auch nur schriftliche Gesprächswiedergaben! Also muß etwas im Sprechen sein, was die männliche oder weibliche Körperlichkeit (mitsamt ihrer kulturellen Codierung) ins transkribierte Reden hinein transportiert, sodass wir uns selbst dann, wenn wir uns weder sehen noch hören, ziemlich sicher wechselseitig als Mann oder Frau identifizieren!
Von diesen aufregenden Zusammenhängen handelt das Buch des renommierten Philosophen Mark Johnson. Schon früher hat er zu Fragen des Verhältnisses von Leib und Seele mit Titeln („The Body in the Mind“ 1987) sich Gehör verschafft, welche die traditionelle Denkweise radikal veränderten; aus der Zusammenarbeit mit dem kognitiven Linguisten George Lakoff entstanden Bücher wie „Philosophy in the Flesh“ (1999), die ebenfalls die Verkörperung des Denkens zum Thema hatten, selbst in so abstrakten Domänen wie der Mathematik! Wer also Interesse hat an den Fragen, deren Beantwortung derzeit von manchen Neurowissenschaftlern imperial vordiktiert wird, der kann sich hier schönste Argumente für gänzlich neue Betrachtungen besorgen – und zugleich lernen, wie ein kundiger Autor seine Leser auf die angenehmste Weise mitnimmt auf eine Reise durch die Philosophie und ihr Antworten entnimmt, die für die therapeutische Praxis von größter Bedeutung sind.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. In einem wichtigen Vorspann wird unter Rückgriff auf die Philosophie des amerikanischen Pragmatismus klar gestellt, was für ein Irrtum es ist, Bedeutung an Wörter allein heften zu wollen. Bedeutung, die Menschen existentiell anspricht und über die Generationen und Jahrhunderte hinweg bewegt hat, ist tiefer als Konzepte und mehr als Worte – unsinnig also, der Philosophie allein die Kontrollaufgabe zuweisen zu wollen, ob andere (v.a. andere Wissenschaftler) Propositionen richtig zusammenfügen. Philosophie spricht Menschen an in genau dem Ausmaße, als ihre „visceral connection to the world“ selbst ausgesprochen wird.
Dem widmen sich nun die drei großen Abschnitte des Buches. Der erste über „Bodily Meaning and Felt Sense“ unterstreicht die immense Rolle der Emotionen und der Lebensbewegungen, darin den modernen Befunden informiert folgend. Aber es gibt ein Prinzip der Kontinuität (Dewey) von den Emotionen aufwärts zum Denken, dessen Stellung entgegen dem Gefühl dann als eine Art historische Verdrängung wahrgenommen werden kann. Dass Denken und Gefühl in Opposition zueinander stünden, ist selbst eine historische Erfindung von Philosophen der Aufklärung, die sich hier schlicht geirrt haben dürften.
Was dann so nahe an psychoanalytische Kerngedanken heranführt, wird im nächsten Kapitel fortgeführt, weil hier die körperlichen Bewegungen – vom reflektorisch zappelnden und krabbelnden Kind bis zu den verschiedenen Gesten – als Bewegung des Lebens und auch der Gestaltbildung von Emotionen beschrieben werden. Bedeutung (S. 25) reicht tief in unsere körperliche Begegnung mit Umwelten. „Spannung“ beispielsweise hat eine körperliche Vorbedeutung in körperlicher Ausdehnung und in den Muskelsinnen, „Linearität“ enthält Bedeutung durch die räumlichen und gerichteten Qualitäten körperlicher Bewegung, „Amplitude“ wird uns verständlich (vor aller Sprache) als körperliche Wahrnehmung der Expansion und Kontraktion bei der Ausweitung einer Bewegung. Und „Projektion“ wird verstanden als eine vektorale Qualität gewisser kräftiger, körperlicher Handlungen wie z.B. dem Werfen eines Gegenstandes; proicere hieß, wie ich noch lernen mußte, im Lateinischen „den Hunden etwas vorwerfen“. Von daher leitet sich unser deutsches Wort „Vor-Wurf“ noch ab und erst viel später kommt die quasi filmische Bedeutung der Projektion hinzu.
Und als wäre er ein Psychoanalytiker schreibt Johnson (S. 33): „Adults are big babies“. Wer mit der Säuglingsforschung auch nur etwas vertraut ist, kann hier erkennen, wie ein kundiger Philosoph deren epistemischen Gehalt für die Philosophie sichtbar macht – Bewegungen des Säuglings sind primär „emotion displays“, nämlich hin zu oder weg von einem Objekt. Dann wird der Körper des Babies selbst bewegt. Oder aber dass das Objekt herkommen oder weggehen soll. So lassen sich Emotionen wie Freude verstehen, aber auch Emotionen wie Ekel, die eine Bewegung des „weg von“ implizieren und noch die Körperbewegung in der entsprechenden erlebbaren Phantasie mitteilen. Warum haben manche Menschen Ekel, wenn sie Haare aus dem Spund der Badewanne ziehen? Weil da eine Phantasie der körperlichen Bewegung im Spiel ist, die andere nicht oder überwunden haben.
Mit dem Dichter E.E. Cummings also liesse sich sagen, dass der, der einem Bedeutung über die Syntax beibringen will, vergißt, dass einen die Syntax nicht küssen kann. Ein drittes Kapitel dieses ersten Teils widmet sich der kognitiven Neurowissenschaft der Emotionen und sammelt argumentative Unterstützung für die vorgeführte Gedankenführung. Und im nächsten Kapitel greift Johnson auf Eugene Gendlins Konzept der „felt situation“ zurück, um daraus den „key to meaning“ zu schmieden. Bedeutung ist nicht im Gehirn! Sie ist im Körper eines lebendigen Subjekts, das sich emotional ansprechbar mit Umwelterfahrungen (Eltern v.a.) auseinandersetzt und das keineswegs begrifflich oder propositional, sondern existentiell, weil es sonst nicht überleben könnte. Hier ist Johnson den Positionen von Thomas Fuchs („Das Gehirn – ein Beziehungsorgan“, 2008) sehr nahe, der gegen den neurowissenschaftlichen Reduktionismus ebenfalls mit einem philosophisch tiefgründigen Personkonzept argumentiert.
Die angesprochene Auseinandersetzung der Person mit ihrer Umwelt ist zweipolig: selbstreferentiell auf die Person und ihren Körper bezogen, fremdreferentiell auf die Weltereignisse bezogen und diese systemtheoretische Unterscheidung, so lernen wir, stammt aus den beschriebenen Bewegungen schon selbst. „The logic we humans have is an embodied logic of inquiry, one that arises in experience and must be readjusted as situations change“ (S. 105)
Ein zweiter Teil nutzt nun umfangreich die entwickelten Perspektiven, um die Fehler eines Repräsentationsmodells zu analysieren, wonach wir uns „Modelle“ von der Welt machen und diese, in Analogie zu Hypothesen-testenden Wissenschaftlern, ständig überprüfen. Johnson zeigt vielmehr, dass die an Lebensbewegungen einsetzende phänomenologische Betrachtung mit ziemlich modernen und neuen Einsichten der kognitiven Wissenschaften gestützt werden kann. Diese Einsichten zeigen, dass „mind“ keineswegs auf der Basis von „internal representations“ operiert, sondern immer in offenem Umweltbezug. Es ist diese repräsentationale Sicht, die den Dualismus begründet und versteckte Redeweisen begünstigen das, etwa wenn wir sagen, dieser oder jener Gedanke sei „über“ ein bestimmtes Geschehen. Johnsons Anliegen ist zu zeigen, dass es eine realistische Alternative zu dieser klassischen repräsentationalen Sicht gibt. Man muß dazu die menschliche Kognition nur in den breiteren Kontext der tierischen Kognition stellen und kann dann sehen, wie Organismus-Umwelt-Kopplungen operieren, ohne dass man einen „mind“ annehmen muß, der aufgrund interner Repräsentationen operiert. Zieht man diese Linie nun aus, von den tierischen Organismen und deren neuralen Ensembles bei der Auseinandersetzung mit Welt bis hin zu der Art der Umweltauseinandersetzung und –bewältigung auf humanem Level, dann kann man sehen, wie die körperlichen Grundierungen über kognitive Schemata und Metaphernbildungen (auf vorsprachlichem Niveau!!) selbst abstrakte Konzepte ausfüllen und ihnen Bedeutung geben.
Jemand mag einwenden, vorsprachliche Metaphern? Das gäbe es nicht? Metaphern kommen doch erst spät und setzen sich als sprachlich verzierendes Sahnehäubchen oben auf die ausgebildete Begriffshierarchie drauf! So mag jemand im Brustton der geschwollenen Überzeugung daher kommen. Nichts jedoch ist falscher als das und nichts beweist besser, wie sehr manche Schreibtischdenker durch Empirie belehrt werden müssen. Beobachtet man nämlich kleine, vorsprachliche Kinder, dann kann man sehen, dass sie etwa einen kleinen Holzklotz nehmen, ihn hin und her über den Teppich schieben und dazu „brumm, brumm“ machen – sie kreieren eine Metapher: Der Holzklotz ist ein Auto. Man wende nicht ein, das würden nur wir Beobachter hinein deuten. Nein!, es ist die Mutter, die dann einen Schlüssel nimmt oder einen Stift und den als Spaziergänger ins Auto-Spiel hineingibt. Die Mutter kreiert ihrerseits eine Metapher: Der Schlüssel ist ein Spaziergänger. Und beide tun das, haben keine Repräsentation von diesem Vorgang und wenn das Spiel vorbei ist, zerfällt die Metaphorik. Aber die eine beantwortet die andere und das belehrt uns darüber, dass die Metapher und mit ihr das Bild weit vor dem Begriff kommen. Das gemeinsame Bild vom gemeinsamen Spiel führt die affektive Bewegung in beides ein und verbindet die Beteiligten in höchst befriedigender Weise miteinander.
So, durch kognitive Schemata und die Universalität von Metapher und Imagination, kommt Bedeutung ins menschliche Leben und es ist nur naheliegend, dass Johnson in einem dritten Teil auf die Ästhetik zu sprechen kommt – aber wie! Nämlich ähnlich revolutionär, wie in Bezug auf die Metapher. Ästhetik ist nämlich nichts für Sonntagnachmittage mit Museumbesuchen, sondern es folgt zwingend, wenn Johnson ihre zentrale Rolle für die menschlichen Lebensformen herausstellt; nur hier, in ihrer Würdigung, erfahren wir existentiellen Sinn, Befriedigung und Befriedung und zugleich jenen Überschuß an Bedeutung, der uns nicht am Leben verzweifeln lässt. Wenn manche in Krisen deprimiert fragen, ob das Licht am Ende eines Tunnels nicht die Scheinwerfer des entgegen rasenden Schnellzuges sind, dann kann man diese Frage auf der Basis körperlicher Erfahrungen beantworten mit therapeutisch mildernden Effekten. Ästhetische Erfahrung, die Verschönerung des Grabes und der Gestaltungswille einer ästhetischen Überhöhung des Lebens statt der bloßen „facta bruta“, das waren immer schon in der Menschheitserfahrung heilsame Therapeutika. Man fragt sich, wie große Teile der Philosophie das nur vergessen konnten und fragt sich weiter, ob manche darin einer empirischen Faktenhuberei gefolgt sind, die dem Geist der Psychotherapie die Luft abzudrücken droht. Aber mit Johnson lässt sich gut leben – und argumentieren! Das Buch sollte unbedingt jemand übersetzen.
Literatur:
Grande, T.; Wilke, S.; Nübling, R. (1992): Symptomschilderungen und initiale Beziehungsangebote von weiblichen und männlichen Patienten in psychoanalytischen Erstinterviews. Zsch. psychosom. Med. 38, 31-48
Fuchs, T. (2008) Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Stuttgart (Kohlhammer)
Johnson, M. (1987) The Body in the Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason. Chicago (University of Chicago Press)
Lakoff, G., Johnson, M (1999) Philosophy in the Flesh. New York (Basic Books)
Zu einer weiteren, eher kritischen, Rezension von Adam Westra
und noch eine Rezension von Tom Sparrow
Verlagsinformation:
In The Meaning of the Body, Mark Johnson continues his pioneering work on the exciting connections between cognitive science, language, and meaning first begun in the classic Metaphors We Live By. Johnson uses recent research into infant psychology to show how the body generates meaning even before self-consciousness has fully developed. From there he turns to cognitive neuroscience to further explore the bodily origins of meaning, thought, and language and examines the many dimensions of meaning—including images, qualities, emotions, and metaphors—that are all rooted in the body’s physical encounters with the world. Drawing on the psychology of art and pragmatist philosophy, Johnson argues that all of these aspects of meaning-making are fundamentally aesthetic. He concludes that the arts are the culmination of human attempts to find meaning and that studying the aesthetic dimensions of our experience is crucial to unlocking meaning's bodily sources.
Throughout, Johnson puts forth a bold new conception of the mind rooted in the understanding that philosophy will matter to nonphilosophers only if it is built on a visceral connection to the world.
Inhalt:
Preface: The Need for an Aesthetics of Human Meaning
Acknowledgments
Introduction: Meaning Is More than Words and Deeper than Concepts
Part I: Bodily Meaning and Felt Sense
1 The Movement of Life
2 Big Babies
3 “Since Feeling Is First”: Emotional Dimensions of Meaning
4 The Grounding of Meaning in the Qualities of Life
5 Feeling William James’s “But”: The Aesthetics of Reasoning and Logic
Part II: Embodied Meaning and the Sciences of Mind
6 The Origin of Meaning in Organism-Environment Coupling: A Nonrepresentational View of Mind
7 The Corporeal Roots of Symbolic Meaning
8 The Brain’s Role in Meaning
9 From Embodied Meaning to Abstract Thought
Part III: Embodied Meaning, Aesthetics, and Art
10 Art as an Exemplar of Meaning-Making
11 Music and the Flow of Meaning
12 The Meaning of the Body
References
Index
Über den Autor:
Mark Johnson is the Knight Professor of Liberal Arts and Sciences in the Department of Philosophy at the University of Oregon. He is the author of The Body in the Mind: The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason and Moral Imagination: Implications of Cognitive Science for Ethics and coauthor, with George Lakoff, of Metaphors We Live By and Philosophy in the Flesh: The Embodied Mind and Its Challenge to Western Thought. |
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