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06.02.2009
Dirk Baecker: Nie wieder Vernunft. Kleinere Beiträge zur Sozialkunde
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Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2008
634 S., kartoniert
Preis: 39,00 €
ISBN-10: 3896706225
ISBN-13: 978-3896706225 |
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Carl-Auer-Verlag
Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:
Der vorliegende Band sammelt publizistische Arbeiten des Autors über einen Zeitraum von 15 Jahren (1992-2007). Insgesamt sind es 123 Beiträge, mit pointierten Reflexionen zu Themen aus Kultur, Politik, Wirtschaft und Profession, sowie über einzelne Personen (Luhmann, von Foerster, Habermas, u.a.). Es macht keinen Sinn, das inhaltlich zusammenfassend zu rezensieren, zum einen übersteigt Baeckers Reflexionshorizont locker und schön den herkömmlichen Kriterienzaun, zum anderen wäre das wohl auch dem spirit dieses Buches nicht angemessen. Das sind Anregungen, die wie die sprichwörtlichen Mücken tanzen und Schönwetter anzeigen (gut: hier geht es nicht um Schönwetter, wohl noch nicht einmal um Schöngeistiges, was ich meine ist: Aussicht auf intelligente Unterhaltung, die zu weiterer Unterhaltung führt, die sich wie von selbst weiter mit Sinn füllt und neuen stiftet, so etwa).
Den Buchtitel gibt Baecker als ein Luhmann-Zitat zu erkennen, aus einem Zusammenhang, in dem Luhmann einmal „die vergeblichen Bemühungen schildert, eine polykontexturale Welt auf einheitliche Prinzipien der Vernunft festzulegen“ (S.9.). Als Alternative zu einer Vernunftgenährten Vereinheitlichung von Beobachtungsperspektiven stünde das Zulassen und Nutzen von deren Unterschiedlichkeit. Im kleinen Passus über „Vernunft“ (S.446f.) macht Baecker das noch einmal schön deutlich. Es klingt bei aller Vertracktheit so wunderbar leicht, wenn Baecker das Wesen einer Kultur beschreibt als Streben danach, „einen gemeinsamen Nenner zu finden und aufrechtzuerhalten, der die tatsächliche Vielfalt einer Gesellschaft nicht verletzt, sondern im Gegenteil sogar zu würdigen erlaubt“. Man könnte natürlich auch erstarren angesichts einer Erkenntnis, wie der, die Baecker im Nachruf auf Heinz von Foerster formuliert: „Unsere Phänomene sind uns operativ voraus und daher auf eine prinzipielle Weise unzugänglich. Unser Denken kommt zu spät und ist nie auf der Höhe seiner selbst“ (S.270). Anstelle zu erstarren macht Baecker deutlich, wie lebendig der Umgang mit diesem Nach-Denken sein kann, wie spannend, wie überraschend und auf eine wundersame Art nährend und kräftigend. Die Alternative zu Vernunft ist eben nicht Unvernunft, sondern das Anerkennen des Unvertrauten als Frag-Würdiges.
Ich möchte hier nicht vorenthalten, was Baecker selbst als einen gemeinsamen Nenner seiner Sammlung beschreibt. Das fasst auf eine Art zusammen, dass daraus wieder ein Spektrum wird. „Der allgemeine Nenner“, schreibt Baecker, „ist eine Suche nach, wenn man so will, intelligenten Beobachtern. Intelligente Beobachter sind Beobachter, die in der Lage sind, die Besonderheit und damit auch Beschränktheit ihrer Perspektive mitzureflektieren. Sie rechnen jederzeit mit einer Ergänzung ihrer Perspektive. Sie rechnen mit Kommunikation. Jede Beobachtung ist für sie ein Experiment, in dem es darum geht, ein Angebot zu machen und daraus etwas zu lernen, wie und von wem dieses Angebot aufgenommen wird. In der genauen Kenntnis um die Gefahren des allzu Unverbindlichen arbeiten sie an Einsätzen, die sich dazu eignen, offene Milieus zu stiften“ (S.9f.). Wäre das nicht auch ein schönes Motto für unsere Profession?! Ich bin mir sicher, dass ich dieses Buch immer wieder zur Hand nehme.
(mit freundlicher Erlaubnis aus systhema 3/2008)
Zur website von Dirk Baecker
Verlagsinformation:
Ganz begreifen werden wir uns nie." Mit diesem Aphorismus des Dichters Novalis führt Dirk Baecker in die Sammlung seiner publizistischen Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte ein. Ob Universität, Netzwerke, der Zusammenhang von Sardinenschwärmen und Leitkulturdebatte, Theaterbesuche oder das Schicksal der Intellektuellen in einer Gesellschaft, die sie nicht mehr braucht – vor Baeckers nachhaltigen Momentaufnahmen bleibt nur wenig sicher. Das Konzept des intelligenten Beobachters, der dort Anpassungsleistungen vollbringt, wo Kritiker an der Vernunft des Ganzen zweifeln, liegt den gesammelten Beiträgen zu Grunde. Neben zahlreichen unveröffentlichten Kommentaren stehen Beiträge zu Kultur, Ökonomie und Politik, Management und Reformversuchen, die in der Kolumne "sozialkunde" der TAZ erschienen sind. Das Buch kann als Beitrag zum akademisch-wissenschaftlichen Diskurs ebenso dienen wie als Anregung für den kulturell interessierten Leser.
Inhalt:
Vorwort
Bevölkerungswachstum
Schwarzer Feminismus
Kapital
Buddhismus
Die Wette I
Im Theater I
Kulturkonflikt
Rauschen
Soziologie I
Kultur I
Kultur II
Kultur III
Wissenschaft
Kreativität
Management I
George Spencer-Brown
Niklas Luhmann I
Intellektuelle I
Intellektuelle II
Intellektuelle III
Netzwerke
Politik I
Ein Unfall
Heinz von Foerster I
Die Politik II
Die Universität
Niklas Luhmann II
Politik III
Niklas Luhmann III
Kultur IV
Im Theater II
Die Familie
Der Krieg I
Der Krieg II
Jürgen Habermas
Politik IV
François Jullien
Die Wette II
Bielefeld
Korruption
Friedrich Nietzsche
Roboter
Der Ingenieur
Heinz von Foerster II
Im Theater III
Ökonomie I
Elite
Management II
Und?
Ökonomie II
Ökonomie III
Pierre Bourdieu
Im Theater IV
Heinz von Foerster III
Heinz von Foerster IV
Stadt
Kommunikation
Ökonomie IV
Im Theater V
Management III
Theodor W. Adorno
Reform I
Das Dosenpfand
Kultur V
Erziehung I
Erziehung II
Erziehung III
Erziehung IV
Erziehung V
Erziehung VI
Der Architekt
Das Spiel
Soziologie II
Reform II
Management IV
Buchdruck
Politische Ökologie I
Gewalt I
Gewalt II
Tanz
Soziologie III
Management V
Soziologie V
Management VI
Politik V
Lektüre
Ich I
Politik VI
Europa
Das Holocaustdenkmal
Politik VII
Der Schlaf
Witten
Der Schwarm
Leitkultur
Vernunft
Kultur VI
Kultur VII
Niklas Luhmann IV
Die Hauptschule
Politische Ökologie II
Politik VIII
Palast der Republik
Kulturkritik
In der Oper
Ich II
Autokultur
Paul Watzlawick
Die Klause I
Die Klause II
Klimawandel
Reform III
Die taz
Regionalisierung
Kultur VIII
Furcht
Hauptverwaltung
Kunst und Öffentlichkeit
Umweg über China
Medienbanken
Zukunft
Im Theater VI
Nähe
Vorwort des Autors:
Titel dieses Buches ist ein Zitat. "Nie wieder Vernunft!", auf diesen Ausruf spitzt Niklas
Luhmann seine Erkundung der gesellschaftlichen Bedingungen einer "europäischen Rationalität"
zu (in: "Beobachtungen der Moderne", 1992), die die vergeblichen Bemühungen schildert, eine
polykontexturale Welt auf einheitliche Prinzipien der Vernunft festzulegen. Kann man für den
Versuch, an einem normativen Konzept der Vernunft angesichts einer immer
unübersichtlicheren Welt und Gesellschaft festzuhalten, noch Verständnis aufbringen, so muss
man doch deskriptiv nachtragen, dass auch dieser Versuch nur als Versuch eines Beobachters
auffällt und so die unübersichtlich Vielfalt der Beobachterperspektiven nur um eine weitere
ergänzt.
Nimmt man von den Hoffnungen einer Vernunftphilosophie Abschied, geht es statt dessen
darum, sich auf die Vielzahl der Beobachtungsperspektiven einzulassen und zu studieren,
mithilfe welcher Unterscheidungen sich diese Beobachter voneinander unterscheiden und
untereinander zu ihrem Nutzen und zu ihrem Schaden vernetzen. Kompliziert ist dies nicht
zuletzt deswegen, weil als Beobachter nicht nur Menschen, sondern auch soziale Systeme, und
zunehmend nicht nur soziale Systeme, sondern auch organische und künstliche Systeme in
Frage kommen. Wir haben es mit Parasitenketten zu tun, in denen jeder Wirt seinerseits darauf
angewiesen ist, eine Nische zu finden, in der er sich einnisten kann.
Mit dem Untertitel "Kleinere Beiträge zur Sozialkunde" sammelt der vorliegende Band
publizistische Arbeiten, die theoretische, künstlerische und kulturelle, politische, ökonomische
und natürlich universitäre Perspektiven unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zum Verständnis
unserer aktuellen Situation erproben. Der allgemeine Nenner ist eine Suche nach, wenn man so
will, intelligenten Beobachtern. Intelligente Beobachter sind Beobachter, die in der Lage sind, die
Besonderheit und damit auch Beschränktheit ihrer Perspektive mitzureflektieren. Sie rechnen
jederzeit mit einer Ergänzung ihrer Perspektive. Sie rechnen mit Kommunikation. Jede
Beobachtung ist für sie ein Experiment, in dem es darum geht, ein Angebot zu machen und
daraus etwas zu lernen, wie und von wem dieses Angebot aufgenommen wird. Im genauen
Wissen um die Gefahren des allzu Unverbindlichen arbeiten sie an Einsätzen, die sich dazu
eignen, offene Milieus zu stiften.
Fast alle Arbeiten sind Auftragsarbeiten. Besonders dankbar bin ich Dirk Knipphals, seinerzeit
Kulturredakteur der tageszeitung, der die Kolumne "sozialkunde" über knapp zwei Jahre in
Auftrag gegeben und zuverlässig begleitet hat. Aber auch viele andere Auftraggeber kleinerer
und größerer Texte, längerer und kürzerer Vorträge haben mit ihren Aufträgen an mich einen
bestimmten Mut an den Tag gelegt, der für mich immer etwas Verführerisches hat. Dieser Mut
sagt mir über meine Beobachtungsperspektive etwas, was ich mithilfe meiner eigenen
Unterscheidungen, wenn diese denn überhaupt personalisierbar sind, nicht zu sehen bekomme.
Publizistisches Arbeiten hat den unschätzbaren Vorteil, grundsätzlich aus mehreren
Perspektiven zugleich gedacht werden zu müssen, aus einer Autorperspektive, einer
Redakteursperspektive und einer Leserperspektive. Keine dieser Perspektiven ist eindeutig und
erst recht nicht ist es ihre Verknüpfung. Der Autor ist immer auch Wissenschaftler. Der
Redakteur steht in der Verantwortung für seine Seiten wie auch für seine Zeitung. Der Leser
sucht das Bestätigende ebenso wie das Neue. Aus dieser Gemengelage ergibt sich eine Arbeit
am Text, die diese Arbeit zugleich nicht sichtbar werden lassen darf. Das hat mich immer
besonders gereizt.
Publizistisches Arbeiten hat für mich seine Pointe darin, dass man sich wiederholen darf, ja
muss. Man kommt deswegen nicht darum herum, sich immer wieder seiner Ausgangspunkte zu
vergewissern. "Ganz begreifen werden wir uns nie", sagt Novalis zu Beginn seiner unter dem
Titel "Blüthenstaub" (1797/98) publizierten Aphorismen, "aber wir werden und können uns weit
mehr, als begreifen." Die Wiederholung trifft nur selten auf Dasselbe und hat genau darin ihren
Wert. Wenn sie sich dieses Umstands bewusst ist, ist sie eine der eleganteren Formen der
Selbstbeobachtung.
Berlin, im Juli 2007
Über den Autor:
Dirk Baecker, Prof. Dr., studierte Nationalökonomie und Soziologie an den Universitäten Köln und Paris-IX (Dauphine); Promotion und Habilitation an der Universität Bielefeld. Nach Lehrtätigkeit an der Fakultät für das Studium fundamentale der Universität Witten/Herdecke heute Inhaber des Lehrstuhls für Kulturtheorie und -analyse an der Zeppelin University, Friedrichshafen. Arbeitsschwerpunkte: soziologische Theorie, Theorie der Gesellschaft, Wirtschafts- und Organisationssoziologie. |
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