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Neuvorstellung zur Übersicht
26.10.2008
John C. Norcross, Marvin R. Goldfried (Hrsg.): Handbook of Psychotherapy Integration
Norcross Handbook Oxford University Press, New York 2005 (2d. edition)

548 S., Hardcover

Preis: 55,99 €

ISBN-10: 019516704X
ISBN-13: 978-0195167047
Oxford University Press





Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:

Liegt Integration auf der Hand? Zur Neuauflage des „Handbook of Psychotherapy Integration“ (1)

In seiner bibliometrischen „Studie über die Anfänge der deutschsprachigen Familientherapie“ diskutiert Ludwig Reiter (2005) „die Bedeutung der Idee einer schulenübergreifenden Integration für die in der AGF zusammenarbeitenden deutschsprachigen Pioniere der Paar- und Familientherapie“ (S.24 f.). Man kann annehmen, dass der geistigen Souveränität und fachlichen Wissbegier der Pioniere die eigenen Denk- und Handlungsräume nur als Ausgangspunkte für weitere Erkundungen dienen konnten, nicht als Einrichtung dauerhafter Festungen. Reiter macht jedoch deutlich, dass – aus unterschiedlichen Gründen – die Vision der Pioniere nur bedingt Fahrt aufnehmen konnte. In einer Bestandsaufnahme aus neuerer Zeit (Wirsching & Scheib 2002) gibt es zwar viele Hinweise auf ein Weiterbestehen der Integrationsbemühungen, doch wird in einem Beitrag von Wirsching über „Integration oder Schulenstreit“ die Voraussetzungslastigkeit dieses Unternehmens sehr deutlich. Die Idee der Integration dürfte „angesichts der harten Auseinandersetzungen zwischen Schulen, Fachdisziplinen und Berufsgruppen, in einem Streit, der nicht um Ideen, sondern um Anteile am Ausbildungsmonopol und letztlich um Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand geführt wird“ als eher weiche Realität angesehen werden (Wirsching 2002, S.142). Das hat Tradition: John Norcross, einer der beiden Herausgeber des neuen Handbuchs zur Psychotherapie-Integration, das hier vorgestellt werden soll, weist auf die bis zu Freud selbst zurückreichende Geschichte der Rivalität im Bereich der Psychotherapie hin. Es habe bis vor wenigen Jahrzehnten ein „ideologischer Kalter Krieg“ geherrscht, deutbar als prä-paradigmatische Krise im Sinne Kuhns (S. 3).
Offensichtlich ist das Thema Integration auch für Konflikte gut. Zunächst einmal könnte das verwundern, lässt doch der Wortursprung eher an etwas Heilendes denken, an die „Herstellung eines Ganzen“ (2). Das Herausfordernde am eigentlich Heilenden ergibt sich – wie meist – aus den Besonderheiten der Kontexte, in denen etwas gelten oder werden soll. Wenn es etwa in Bezug auf Sozial- und Wirtschaftswissenschaften heißt, Integration benenne „allgemein den Zusammenhalt von Teilen in einem systemischen Ganzen und die dadurch erzeugte Abgrenzung von einer unstrukturierten Umgebung“, mag das allgemein unverfänglich klingen, im Einzelfall möchte man jedoch womöglich nicht „unstrukturiert“ genannt werden, wenn man sich „dem Ganzen“ nicht anschließen möchte. Oder wenn es sich betriebswirtschaftlich um das „Zusammenfassen von Betrieben unter einer einheitlichen Unternehmensführung“ handelt, dann wüsste man schon gerne, wen das seinen Arbeitsplatz kostet, wen nicht, und wer anschließend mehr verdient als man selbst. Zum Beispiel. Integration, so könnte deutlich werden, lässt sich ohne Bezug zu Wünschen nach Integrität und zu Bedingungen für konstruktive Kooperation nicht wirklich anschlussfähig diskutieren.
Zur Integration im Bereich der Psychotherapie und zur Lage der Dinge, wie sie sich in der neuen Ausgabe des diesem Thema gewidmeten Handbuchs darstellen. Dreizehn Jahre nach der ersten haben die beiden Herausgeber eine gründlich überarbeitete und aktualisierte zweite Auflage vorgelegt:

John C. Norcross, Marvin R. Goldfried (2005): Handbook of Psychotherapy Integration. 2nd ed. Oxford University Press, New York, 548 S.

In seiner Einführung erwähnt Norcross, dass es zu Anfang der 1990er Jahre erste Bewegungen weg von Rivalität gegeben habe, hin zu größerer Bereitschaft, voneinander zu lernen. Die Gründung der Society for the Exploration of Psychotherapy Integration (SEPI) (3) im Jahr 1983 gilt als Meilenstein auf diesem Weg. In einem spannend zu lesenden „kritischen Dialog“ über SEPI, über deren Struktur, deren Sitten und Gebräuche, Träume und Alpträume zeichnen Paul Wachtel und Marvin Goldfried ein attraktives Bild. Bei aller Heterogenität der Mitglieder ist das Ziel offenbar nie das Unterordnen bestimmter Ideen unter andere, sondern das Eröffnen eines Raums für Dialoge, der es erlaubt, Zusammengehöriges in der Vielfalt zu entdecken. Wachtel betont, es gehe nicht darum, eine neue Orthodoxie zu schaffen, selbst wenn es eine „Orthodoxie der Integration“ wäre (S.497). Und doch: auch die beiden Altgedienten kommen nicht an der Erkenntnis vorbei, dass die Differenzen zwar meist gering sind, wenn sich KollegInnen als PraktikerInnen begegnen, doch in der Regel groß, wenn sie sich als Mitglieder oder VertreterInnen von Organisationen äußern. Dieses Gespräch bildet das vorletzte Kapitel des Buches, eignet sich jedoch auch als Lektüre zum Einstimmen.
Norcross bringt das steigende Interesse am Thema Integration in den letzten 20 Jahren in Verbindung mit der Erkenntnis, dass keine der geschätzt „400-plus“-Therapien in der Lage sei, alles abzudecken. Ebenfalls sei von Bedeutung, dass durch das Aufkommen von Kurztherapien (und Kontexten, die Kurztherapien einfordern) die Möglichkeiten größer geworden sei, Therapie mit überschaubarerem Aufwand zu evaluieren und verschiedene Formen miteinander zu vergleichen. Außerdem sei es die „Realität“ in der Praxis, dass sehr viele TherapeutInnen sich selbst als integrativ orientiert beschreiben, bzw. als eklektizistisch handelnd (4).

Begriffsklärungen: Integration und Eklektizismus

Auch wenn die beiden Begriffe oft im gleichen Atemzug genannt werden, markieren sie unterschiedliche Bedeutungsräume. Norcross fasst das griffig zusammen: Während Integration auf das Bestreben verweise, für die Theorie gemeinsame Faktoren zu erfassen und „idealistisch“ auf etwas Umfassenderes hin zu konzipieren, beziehe sich Eklektizismus auf die Praxis. Es gehe beim Eklektizismus um das praktische „realistische“ Bemühen um passendes Vorgehen in bestimmten Konstellationen auf der Basis genauer Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Ansätzen.
Beide Begriffe kennzeichnen unterschiedliche Zugänge zum gleichen Themenraum: wie kann es dazu kommen, dass die offensichtliche Vielfalt von Ideen und Praktiken zu therapeutischem Handeln sich zu einer alles umfassenden Gestalt schließen lassen? Dass diese Frage aus unterschiedlichen Motiven heraus gestellt werden und in unterschiedlichen Motivkontexten womöglich sehr unterschiedliche Folgen mit sich bringen kann, lässt sich denken und scheint sich mir auch aus der Lektüre des Handbuchs zu erschließen. Grundsätzlich stellt das Buch Vier Wege zur Integration vor: Technischer Eklektizismus, Theorie-Integration, „Common Factors“, und Assimilative Integration.
Norcross bemüht sich darum, Integration auch denen schmackhaft zu machen, die es bevorzugen, wenn Konzepte unterscheidbar bleiben. Therapien in Reinform seien „Teil und Rahmen“ („part and parcel“) der Integrationsbewegung (S.16): Wenn man eine umfassendere Perspektive anlege, zeige sich, dass Therapien in Reinform „unser Verständnis klinischer Prozesse bereichern, sowie die Prozess- und Ergebnisforschung hervorbringen, aus denen sich Integration bedient. Man kann nicht integrieren, was man nicht kennt“ (S.16) (5). Er erinnert daran, dass auch Therapien in Reinform „Phänomene einer zweiten Generation“ seien: „Alle Psychotherapieformen können als Produkt einer unausweichlichen historischen Integration angesehen werden - ein oszillierender Prozess von Assimilation und Akkomodation“ (S.16). Norcross’ Werben ist jedoch nicht frei von Schärfe: eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur Integration seien ein „partisanenhaft übersteigerter Glaubenseifer und territoriale Interessen von TherapeutInnen, die ihr System rein halten wollen“ (S.17) (6). Und: „Das sprichwörtliche Zeichen des Erfolgs einer Bewegung ist nicht, wie lange sie andauert, sondern, was sie hinterlässt“ (S. 19).

Ein Überblick in der Rückschau

Goldfried et al. geben einen in dieser Fülle schon beeindruckenden Überblick über die Entwicklung der Integrationsbemühungen bis hin zu einer erkennbaren Bewegung. Einen Startschuss stellte die Arbeit von Saul Rosenzweig dar (1936, Duncan 2002). Rosenzweig äußerte seinerzeit auf der Grundlage seiner Untersuchungen den Verdacht, dass sich das Wirksame in allen Psychotherapien ähnele, ungeachtet äußerer Unterschiede. Um dies zu illustrieren, griff er die Geschichte vom Dodo-Verdikt auf: alle hätten einen Preis verdient. Anfang der 1950er Jahre waren es dann Dollard & Miller (1950), die mit ihrem Versuch, psychodynamische und behavioristische Perspektiven zu verknüpfen, für längere Zeit das Feld beeinflussten (7).
Einen bis heute nachwirkenden Impuls setzte Jerome Frank (1961) mit seinem Buch „Persuasion and Healing“. Er richtete den Blick auf die Faktoren, die alle erfolgreichen Therapien zu verbinden scheinen. Während Frank damit ein herausragendes Beispiel für die theoretische Integration lieferte, beeinflusste Arnold Lazarus’ Ansatz der „Multimodalen Therapie“ in bedeutsamem Maß den Bereich der eklektizistischen Praxis. Einen weiteren Meilenstein bildete in den folgenden Jahren das Transtheoretische Modell (Prochaska, 1979, 1999, Prochaska & Norcross 2002). Hier steht die Suche nach einem passgenauen Berücksichtigen der jeweiligen Stadien der Veränderungsbereitschaft im Vordergrund. Von vorneherein war dieses Modell darauf ausgerichtet, größere Populationen zu erreichen, insbesondere in der Suchtprophylaxe.

‚Common Factors’ – allgemein oder gemeinsam?

Die „common factors“ eignen sich zum Integrationsthema per se. Und doch: So griffig die Bezeichnung auch wirkt: sobald man sich auf die Frage nach ihnen einlässt, beginnt ein etwas verwirrendes Gelände. Das beginnt bereits damit, dass sich der Originalbegriff sowohl mit „Allgemeine Faktoren“ wie mit „Gemeinsame Faktoren“ übersetzen lässt, was bereits nach einer Klärung der eigenen Perspektive verlangt. Folgerichtig begründet Jürgen Hargens als Herausgeber der deutschen Übersetzung des Standardwerkes von Hubble et al. (1999/2001) seine Bevorzugung von „Gemeinsame Faktoren“ damit, dies solle ausdrücken, „daß diese Faktoren eben nicht als allgemein gesehen werden, sondern als wirksam in den unterschiedlichen Ansätzen, denen sie daher gemeinsam sind“ (2001, S.24 [=Fußnote 2]). Darüber hinaus weisen Hubble et al. ausdrücklich darauf hin, dass ihr Verständnis von „common factors“ über das hinausgeht, was in der Literatur als „unspezifische Faktoren“ bezeichnet wird. Und Haken & Schiepek (2006, S. 453) belegen differenziert ihre Aussage: „Unspezifische Wirkfaktoren sind spezifische Prozessmerkmale“. Es sollte also im Blick behalten werden, dass auch ein integrierend gedachtes Konzept wie das der „common factors“ ein weiteres Feld eröffnet als es denjenigen lieb sein mag, die auf eine „einfache Vereinheitlichung“ setzen (8).
Im vorliegenden Reader sind es zwei Bereiche, deren allgemeine Bedeutung für die Wirksamkeit herausgestellt wird: Zukunftsorientierung und Orientierung am KlientInnen-Feedback. Beitman et al. diskutieren Integration von Psychotherapien unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Aufmerksamkeit dafür, „wie KlientInnen in der Zukunft fühlen, denken und handeln“ (S.65). Der rote Faden für die Zukunftsorientierung von Psychotherapien liege in der Erkenntnis, dass menschliches Verhalten von seinen Konsequenzen kontrolliert werde. Zukunft sei daher denkbar als etwas Erinnertes (von bereits erlebten Konsequenzen auf zukünftige Folgen schließen). Im Detail unterschieden sich jedoch Menschen darin, wie sie diese Zukunft aus der Vergangenheit heraus konstruieren: „KlientInnen bringen ihre eigenen Ideen dazu mit, was falsch läuft und wie das in der therapeutischen Begegnung umgebogen werden soll. TherapeutInnen unterscheiden sich allerdings darin, wie unmittelbar sie diese Prädispositionen im Hinblick auf Zukunft nutzen“ (S.71). Bei Beitman et al. noch allgemein bedacht, entwickelt sich dieser Gedanke der KlientInnen-Orientierung bei Miller et al. zum bestimmenden Element.
Miller, Duncan und Hubble haben im letzten Jahrzehnt erheblich dazu beigetragen, die Idee der allgemeinen Faktoren zu verbreiten (z.B. Miller et al. 1997, Hubble et al. 1999). Es klingt schon provozierend, wenn sie anmerken, das Feld der Psychotherapie gehe nach wie vor davon aus, sein Geschäft sei Psychotherapie – im Vergleich zur Annahme, sein Geschäft sei Veränderung (S.84). Der darin versteckte Unterschied, der einen Unterschied macht, sei der zwischen Produktorientierung (Produkt: Psychotherapie) und Kundenorientierung (Kundschaftsinteresse: Veränderung). Miller et al. erwähnen in diesem Zusammenhang eine Studie, nach der 76% einer befragten Stichprobe potentieller Therapienehmer sich skeptisch im Hinblick auf den Nutzen von Therapie äußerten.
Miller et al. beschreiben auf diesem Hintergrund ihre eigene Entwicklung hin zu einem radikal feedbackorientierten Vorgehen: „Dieses Kapitel kümmert sich weniger um die Elemente einer effektiven klinischen Praxis – integriert, eklektizistisch oder sonstwie – sondern fokussiert mehr darauf, ob TherapiekundInnen („consumers“) die Art von Veränderung erfahren, die sie gerne hätten, was immer dies bedeutet“ (S.85, Hervorh. i.O.). Anstelle anzunehmen, dass der richtige Prozess zu den gewünschten Ergebnissen führe, werde jetzt konsequent auf das Feedback der KundInnen zurückgegriffen, sowohl in Bezug auf den Prozess als auch in Bezug auf erlebte Veränderungen, um auf dieser Grundlage die therapeutische Interaktion zu gestalten.
Im Hinblick auf das Thema Integration gibt es aus Sicht von Miller et al. ein einfaches Fazit: Integration lasse sich am ehesten darüber erreichen, dass Unterschiede zwischen Therapieschulen akzeptiert werden, solange sie nicht der Konzentration auf das Feedback der KlientInnen im Wege stehen. Integration heißt aus dieser Sicht: es gilt alles, was sich aus Sicht der KlientInnen bewährt – und ethische Standards nicht verletzt.

Technischer Eklektizismus

Eklektizistische Ansätze kümmern sich weniger um die theoretische Integration, sondern um die praktische Passung. Was hilft, ist erlaubt. Mit seinem Konzept der „Multimodalen Therapie“ gilt Arnold Lazarus als ein prominenter Vorreiter. Im vorliegenden Reader gibt er einen Überblick über Wurzeln, Quellen und Anwendungsmöglichkeiten seines mittlerweile weithin bekannten Ansatzes. Obwohl sich multimodal arbeitende TherapeutInnen aus effektiven Methoden sämtlicher Disziplinen bedienen, gründen sie dabei nicht auf divergierenden Theorien, sondern bleiben innerhalb der sozialkognitiven Lerntheorie. Trotz der ebenfalls sehr persönlich zugeschnittenen Vorgehensweise der multimodalen Therapie erweist sich das Konzept als deutlich unterschieden vom Ansatz von Miller et al. Während diese den persönlichen Zuschnitt der Therapie radikal aus Sicht der KlientInnen ableiten, betont multimodale Therapie die Expertise der TherapeutInnen.
Einen anderen Akzent unterstreichen Beutler et al. Die Autoren stellen ein Modell vor, das darauf zielt, die jeweilige Passung von PatientInnen und Vorgehen zu optimieren. Diese Passung sei grundlegend für die Möglichkeit therapeutischer Veränderung. Die dazu benötigte Information ergebe sich nicht aus spezifischen Theorien oder Behandlungsmodellen, sondern aus einer Vielzahl von weitgefächerten und aufeinander bezogenen Faktoren. Eine Forschung, die zu sehr auf Technik fokussiere, auf einzelne Interventionen, verfehle die Komplexität effektiver Behandlung. An Manualen orientierte Forschung kürze gerade die Faktoren weg, „die quer durch alle Theorien gehen und den Kontext für effektive Interventionen bilden“ (S.121). Bei der Suche nach Variablen, die einen Behandlungserfolg am besten voraussagen könnten, erwiesen sich folgende Faktoren für die Autoren als in diesem Sinne brauchbar: die Komplexität des Problems, das Ausmaß der Chronifizierung, das Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung, der Copingstil, das Ausmaß des Widerstands, sowie Stressfaktoren. Die Wahrscheinlichkeit positiver Ergebnisse erhöhe sich signifikant, wenn die PatientInnen angemessen darüber informiert seien, wie sie das therapeutische Angebot am besten nutzen können. Desweiteren sei es wichtig, dem Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung dadurch gerecht zu werden, dass eine ausreichend hohe Behandlungsintensität zur Verfügung stehe. Im übrigen unterstreichen die Autoren die Notwendigkeit einer Haltung der TherapeutInnen, die gekennzeichnet sei durch Respekt, Freundlichkeit, Fürsorge, Empathie, Zusammenarbeit und Gegenseitigkeit (S. 131).

Theoretische Integration

Mit ihrem transtheoretischen Modell der Veränderung haben sich Prochaska & DiClemente (und KollegInnen) insbesondere in der Konzeption und Durchführung von Strategien zur Suchtvorbeugung und –behandlung einen Namen gemacht (s.o.). Ihr Ansatz konzentriert sich auf die Stadien der Veränderungsbereitschaft und sich daraus ergebender Phasen, bzw. Stationen der Veränderung: Vorfeld (precontemplation), Erwägen (contemplation), Vorbereitung, Aktion, Aufrechterhaltung. Psychotherapie gilt den Autoren als ein Verfahren zum Ergänzen persönlicher Wege zur Selbständerung. Der Ansatz fokussiere daher in erster Linie auf das Erleichtern von selbstbestimmten Schritten zur Veränderung. Dass dies – vielleicht gerade dadurch – eine erhebliche Bürde für TherapeutInnen darstelle verschweigen die Autoren nicht.
Möglicherweise liegt es an dieser Bürde für TherapeutInnen, wenn einige der Modelle, auch der in diesem Reader vorgestellten Modelle theoretischer Integration, etwas abschreckend für Alltagsbedürfnisse klingen, unbenommen ihrer durchaus beschreibbaren und beschriebenen Praktikabilität: „Cyclical Psychodynamics and Integrative Relational Psychotherapy“ (Wachtel et al.), Assimilative Psychodynamische Psychotherapie (Stricker & Gold) oder kognitiv-behaviorale assimilative Integration (Castonguay et al.).

Integrative Psychotherapie für spezifische Störungen und Zielgruppen

Teil III des vorliegenden Handbuchs thematisiert Fortschritte der Psychotherapie-Integration im Hinblick auf spezifische Ideen zu Störungen und Zielgruppen. Angststörungen kommen zur Sprache (Wolfe), chronische Depression (McCullough) und Integrative Therapie mit KlientInnen aus unterschiedlichen Kulturkreisen (Ivey & Brooks-Harris). Größere Bekanntheit dürfte mittlerweile der Ansatz von Linehan (et al.) zu Hilfen für PatientInnen mit einer Borderline-Diagnose gewonnen haben. In ihrem Beitrag im vorliegenden Handbuch über Integrative Therapie bei Borderline-Störungen skizzieren Heard & Linehan „Dialektische Verhaltenstherapie“ (DBT) als einen dialogischen Prozess mit „offenem Ende“, in dessen Verlauf Unterschiede näher beleuchtet und neue Integrationsideen begrüßt werden. „Während daher DBT zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine eigenständige, einheitliche Psychotherapie begründet, ist sie ebenfalls ein kontinuierlicher Veränderungsprozess, in dessen Verlauf neue Entwicklungen akzeptiert werden anstelle vermieden, ganz ähnlich wie eine KlientIn, die effektiv an einer Therapie partizipiert“ (S. 299).

Integrative Behandlungsmodalitäten

In Teil IV des Handbuchs werden einzelne Modalitäten therapeutischer Prozesse im Hinblick darauf untersucht, in welchem Ausmaß und wie sie von Integrationsbemühungen profitieren. J.F. Clarkin geht wie die meisten der hier versammelten AutorInnen davon aus, dass ein evidenz-basierter Behandlungsansatz für praktische klinische Zwecke zu allgemein sei. Er plädiert für eine differenzierte Anwendung von Methoden. Dies in der Absicht, die in Forschung und klinischer Anwendung entwickelten Prinzipien „für die je individuellen PatientInnen in ihrem jeweils individuellen Lebenskontext zu dem effektivstmöglichen Verfahren zuzuschneiden“ (S.343).
Das Verfahren, das Clarkin hier vorstellt, entstand innerhalb eines Arbeitskontextes eines psychiatrischen Krankenhauses in einer Großstadt, mit Notfalldienst, Ambulanz, Tagesklinik und stationärer Belegung. Der Ansatz wird sowohl im Hinblick auf einen Mikro- als auch im Hinblick auf einen Makrolevel diskutiert. Zum Makrolevel gehören: Setting (hier = Einsatzort), Format (individuell, Gruppe, Familie), Strategien und Techniken (allgemeine, spezifische), Dauer und Häufigkeit ( Krisenintervention, Kurzzeit, Langzeit) und Medikation. Zum Mikrolevel gehören: Komplexität des Problems, Copingstile, Ausprägung von Widerstand. Clarkin illustriert das an den Beispielen von „Depression“ und „Borderlinestörung“, bei letzterer wird explizit davon ausgegangen, dass sie „wie die meisten DSM Diagnosen polythetisch“ sei, d.h. bei der Bestimmung von Ähnlichkeit werden alle Merkmale gleichzeitig berücksichtigt. Daher komme es unweigerlich zu heterogenen Problembeschreibungen. Die individuelle Ausrichtung des Ansatzes bringe es mit sich, „dass die Anzahl möglicher Kombinationen von PatientInnen im Hinblick auf Typ, Diagnose, Behandlung nahezu unbegrenzt ist, und dass wir nicht für alle Kombinationen der Forschung planen können (nach herkömmlichen Kriterien, Anm. WL)“ (S. 358).
In weiteren Beiträgen geht es um ein Modell für die Integration von individueller, Familien- und Gruppentherapie (Feldman & Feldman), um Integrative problemzentrierte Therapie (Pinsof), und um die Integration von Psychopharmakotherapie und Psychotherapie (Beitman & Saveanu). Passend zur aktuell fortgeschrittenen Bedeutung von „Achtsamkeit“ für den Bereich der Therapie gibt es einen Beitrag von R. Sollod zur Integration von Spiritualität und Psychotherapie. Der Autor mahnt hier eine saubere Unterscheidung an. Trotz der spirituellen Wurzeln vieler Psychotherapien könnten Methoden können nur dann der Psychotherapie zugeschrieben werden, wenn sie psychologischen Prinzipien entsprechen. Das schließt spirituelle Bezüge nicht aus, weist deren alleinige Begründungskraft jedoch zurück.

Training, Forschung und zukünftige Entwicklungen

In ihrer Übersicht über dieses Thema geben sich Norcross & Halgin ein wenig unglücklich mit dem Begriff „Training“. Sie bevorzugen eher eine Beschreibung im Sinne von: das Kultivieren bzw. das Entwickeln von PsychotherapeutInnen. Ihr Anliegen ist es, AusbildungskandidatInnen zu ermöglichen, sowohl kompetente TherapeutInnen zu werden als auch „better functioning people“ (S.440). Auch wenn ein integratives Trainingsprogramm vorsichtig eingeführt und sorgfältig überprüft werde, so Norcross & Halgin, seien die Effekte dieses Trainings wahrscheinlich komplex und idiosynkratisch. Gute Praxis wie auch gute Forschung beruhten auf systematischen Entscheidungsprozessen, dem Argumentieren auf ausreichender Datenbasis, auf Ambiguitätstoleranz und dem Vermeiden voreiliger Schlüsse. Auf der Basis dieser Annahmen liegt es nahe, wenn die Autoren zu der Einsicht gelangen, die Integration von Psychotherapien sei sowohl ein Ergebnis wie auch ein Prozess (S.454). Es sei „unangemessen (…), von AusbildungskandidatInnen zu verlangen, sich irgendeiner einzigen metatheoretischen Perspektive anzuschließen, ob nun integrativ oder anders. Wir sind ebenfalls davon überzeugt, dass jede einzelne PraktikerIn einen individuellen Stil entwickeln sollte innerhalb der von ihr/ihm gewählten Richtung. Das Ziel jedes Trainingsprogramms sollten kenntnisreiche Ausgebildete sein, mit tiefen und breiten Interessen, die neugierig genug bleiben um weiterzulernen und professionell weiterzuwachsen“ (S.454).

Ergeben sich „Ergebnisse“? – woraus und wem?

Schottenbauer et al. fassen zusammen, was Forschung aus ihrer Sicht bisher zur Psychotherapie-Integration beisteuern kann. Substanzielle Unterstützung durch empirische Ergebnisse liege u.a. vor für: Dialektische VT (Linehan zu Borderline), EMDR und Multisystemische Therapie (Henggeler) (9), Systematische Behandlungsauswahl (Beutler), Transtheoretischer Ansatz (Prochaska). Dem Ansatz von Miller et al. (klientInnenorientiert, ergebnisfokussiert) sprechen die bislang vorliegenden Ergebnisse eine vorläufige, noch nicht substanziell belegte Wirksamkeit zu. Einige der einflussreichsten Ansätze eklektizistischer/integrativer Therapie erhalten wenig empirische Unterstützung, etwa Lazarus‘ Multimodale Therapie.
Wie passen solche Aussagen zum Tenor des Buches? Immerhin durchziehen das gesamte Buch Bemerkungen über die Schwierigkeit, individuell zugeschnittene Vorgehensweisen mit Verfahren zu überprüfen, die individuelle Entwicklungsanzeigen nivellieren bzw. relativieren. Die Aussagen zur Ergebnisforschung bleiben für mich insofern etwas verwirrend. Das erkennbare Bemühen der AutorInnen des Handbuchs, die Legitimität des professionellen Helfens per Transparenz und Sorgfalt des je individuell zugeschnittenen Vorgehens zu begründen, passt für mich nicht recht zu einer Auflistung von empirischer Unterstützung nach Kriterien, die Durchschnittswerte verallgemeinern und aufeinander beziehen. So bleibt für mich der Eindruck, dass der Tenor des Handbuchs zwar deutlich über herkömmliche Wettbewerbsregeln hinausweist, sich jedoch von diesen Regeln (noch) nicht emanzipieren kann. Dem überzeugenden Hinweis auf Möglichkeiten, sich über die Seriosität der Vielfalt von Verfahrenswegen kooperativ zu verständigen steht der irritierende Eindruck gegenüber, die Einfalt kompetetiver Exklusionsideen könne sich weiterhin auch im Namen der Integration betätigen.

Herantasten an ein Fazit

Vielleicht lässt sich das Bemühen um die Integration der vielfältigen Ideen über Psychotherapie als Versuch verstehen, dem postmodern beschworenen „Ende der großen metatheoretischen Geschichte“ doch noch eine plausible Alternative abzugewinnen. Die „große, einigende Theorie“ kann vielleicht nicht mehr formuliert werden, doch was ist mit der Idee der umfassenden Verständigung über die verbindende Qualität der verschiedenen Wege nach Rom? Parfy (1996) hat in seiner profunden Auseinandersetzung mit den Bedingungen einer möglichen Integration psychotherapeutischer Theorien vom „Mythos der ‚Anwendung“ gesprochen (S.92) und darauf hingewiesen, dass die „Beschreibung der Entstehung von theoretischen Strukturen (...) generell mehr Aufmerksamkeit erlangt [hat] als die Analyse des Einflusses dieser Strukturen auf die praktische psychotherapeutische Tätigkeit“ (S.92). Dem stellt er einen Vorschlag entgegen, „die durch die Person des Therapeuten geleistete Überbrückung von (experimentellem) Entstehungszusammenhang und (praxisinhärentem) Verwendungszusammenhang theoretischer Strukturen zu beschreiben“ (S.92). Für ihn folgt letztlich daraus, „daß bei dem Versuch einer Integration von psychotherapeutischen Theorien die Beurteilungskriterien weniger in einer methodisch exklusiven Befragung des Forschungsgegenstandes „Psychotherapie“ zu suchen sind, sondern daß sie eher aus einer Handlungspragmatik hervorgehen, welche möglichst nahe an den konkreten Anforderungen der therapeutischen Interaktion anzusiedeln ist“ (S.97).
In einem solchen Sinn scheint mir die im Handbuch vorgenommene (und mehr oder weniger durchgehaltene) begriffliche Klärung der beiden korrespondierenden Begriffe Integration und Eklektizismus nützlich und erhellend zu sein. Die Idee der „Integration“ kann im weitesten Sinn noch als ein (vielleicht großer) metatheoretischer Entwurf verstanden werden – wenn auch nicht mehr auf der Grundlage eines einigenden inhaltlichen (Theorie-)Bildes. Die Zielrichtung „Integration“ muss sich um den praktischen Alltag weniger kümmern, sondern hat eher das Dach über diesem Alltag im Visier. Der zusammenfassende Begriff „Eklektizismus“ lässt sich dagegen in beliebig viele alltagstaugliche Einzelteile zerlegen. Das Gemeinsame (Integrierende) ist dann vielleicht nicht viel mehr als das Allen gemeinsame Bemühen darum, im Alltag so gut genug zurechtzukommen, dass es noch als angemessen und professionell beschrieben werden kann. Insofern verwundert es nicht, wenn Wachtel und Goldfried in ihrer „kritischen Diskussion“ (s.o.) bemerken, dass sich PraktikerInnen untereinander wesentlich seltener auseinanderdividieren, wenn sie nicht in der Funktion von VertreterInnen einer Organisation argumentieren. Wozu auch? – Professionelle PraktikerInnen „gehen in ihrer Tätigkeit in der Regel von einem Repertoire von Beispielen aus“, wie Reiter & Steiner (1996, S.171) in ihrer grundlegenden professionstheoretischen Diskussion ausführen. Dieses Repertoire basiert darauf, dass professionelle PraktikerInnen „sich beim Auftreten von Problemen, die mit Routine nicht zu bewältigen sind, nicht mehr auf vorgegebene Theorien und Techniken [beziehen], sondern (...) eine neue Theorie für den singulären Fall“ konstruieren (S.170). Dies entspricht auch dem Trend, den Lambert et al. in ihrem abschließenden Überblicksartikel in der neuesten Ausgabe ihres „Handbook of Psychotherapy and Behavior Change“ konstatieren: Mikrotheorien ersetzen Makrotheorien (2004, S.806).
Während Parfy in seiner handlungspragmatischen Herangehensweise an die Frage der Integration auf die „Person des Therapeuten als Mittler zwischen zwei Kontexten“ fokussiert (1996, S.93), tritt in dem im Handbuch vertretenen Ansatz von Miller et al. genau dieser Fokus zurück zu Gunsten der Person der KlientInnen. Der Ansatz dieser Autoren scheint mir auf diesem Weg den Aspekt der Theorie für den singulären Fall nahezu in Reinform zu verwirklichen. Ich möchte ihn daher - als Exkurs – etwas näher beleuchten.

„Der Triumph des Ergebnisses über den Prozess“ – ein radikal klientInnenorientierter Ansatz

Der Ansatz von Miller et al. scheint als ein Beitrag in einem Handbuch der Psychotherapie-Integration sowohl maßgeschneidert wie auch ein wenig aufrührerisch. Maßgeschneidert, weil diese Autoren schon vor mehr als 10 Jahren ein „Entkommen aus Babylon“ angekündigt, und den Weg zu einer „einigenden Sprache der Psychotherapie-Praxis“ beschrieben haben (Miller et al. 1997). Sie haben dabei keine inhaltlich-theoretische Idee in den Mittelpunkt gestellt, sondern die radikale Konzentration darauf, wie die Hilfesuchenden selbst den Prozess der Hilfe beschreiben und bewerten. Die Ergebnisse ihrer Überprüfung und Erforschung dieses Vorgehens haben sie kürzlich als „Triumph des Ergebnisses über den Prozess in der klinischen Praxis“ beschrieben (Miller et al. 2004). Aufrührerisch könnte im vorliegenden Fall dabei wirken, dass sie ihren Ansatz kennzeichnen als etwas, das über das Bemühen um Integration hinausweist. Und ihre schlagwortartige Zusammenfassung dürfte auch einigermaßen irritieren: immerhin lässt sich ein gezielt und gewollt erreichtes Ergebnis ohne irgendeine Idee über den Weg dahin nicht so gut vorstellen, wenigstens nicht im professionellen Rahmen. Und haben nicht erst kürzlich Orlinsky et al. (2004) ihren Überblick über 50 Jahre Forschung mit einem Resümee beendet, das auf eine Art versöhnlich und ausgewogen klingt: „Outcome appears to be best understood as a synergistic result of the patient‘s problems and resources, combined with the therapist’s skills and limitations“ (S.363)? So scheint es doch plausibel und „irgendwie“ hätte ein anderes Ergebnis wohl verwundert. Die These von Miller et al. wirkt in ihrem Absolutheitsanschein dagegen zumindest erstaunlich. Doch wenn man von der vielleicht marketingförderlichen Seite der Darstellung absieht, scheint mir auch der Ansatz dieser Autoren ein feines Gespür für „den Prozess“ zu enthalten. Was sie dabei von anderen unterscheidet, ist, dass sie ihre inhaltlichen Ideen über den Prozess völlig den Feedbacks der KlientInnen unterordnen. Sie liefern ein Beispiel dafür, wie radikal das Orientieren an den Vorstellungen der KlientInnen geschehen kann und wie sich das auf das Ergebnis der Zusammenarbeit von KlientInnen und TherapeutInnen auswirkt.
Die Autoren berufen sich dabei auf neuere Forschungsergebnisse. Diese Ergebnisse deuten sie so, dass eine valide Voraussage über den Erfolg einer bestimmten Klienten/Therapeuten-Konstellation oder eines spezifischen Behandlungssystems gemacht werden könne, wenn erfasst und ernst genommen werde, ob und wie die KlientInnen selbst innerhalb der ersten Sitzungen bedeutsame Veränderungen erfahren (S.86). Die Schlussfolgerungen von Miller et al. klingen radikal: Aus einer Perspektive, die sich ausschließlich an den Veränderungen orientiere, die die KlientInnen wahrnehmen und im Sinne ihrer Hoffnungen bewerten, bräuchten „TherapeutInnen nicht zu wissen (…), welchen Ansatz sie benutzen, sondern (sie müssen) wissen (…), ob die aktuelle Beziehung passt - und wenn nicht, in der Lage zu sein, sich früh genug entsprechend umzustellen und anzupassen, um die Chancen für Veränderung zu maximieren“ (S.86). Zur Strukturierung des KlientInnen-Feedbacks wurden Skalen entwickelt („Session Rating Scale“, „Outcome Rating Scale“), die im Laufe der Zeit zunehmend vereinfacht wurden und mittlerweile nur noch 4 Items pro Skala umfassen (Duncan et al. 2003, Miller et al. 2003, Miller et al. 2004).
Miller et al. berichten von Studien, deren Ergebnisse nahelegen, dass eine Vergrößerung der Effektstärke um etwa 60% erreicht wurde [von .5 zu .8], wenn sich das therapeutische Vorgehen ausschließlich an den durch die KlientInnen vorgenommenen Skalierungen orientierte. Wesentlich war dabei: Die verbesserten Ergebnisse wurden erzielt „ohne irgendeinen Versuch, den Behandlungsprozess zu organisieren, zu systematisieren oder anderweitig zu kontrollieren. Die an diesen Studien beteiligten TherapeutInnen wurden weder in neuen therapeutischen Modalitäten, noch in anderen Behandlungstechniken oder diagnostischen Prozeduren trainiert. Stattdessen waren die einzelnen KlinikerInnen völlig frei darin, ihre KlientInnen so anzusprechen, wie sie glaubten, dass es passe. Die einzige Konstante in einem ansonsten ganz verschiedenen therapeutischen Umfeld war die Verfügbarkeit von formalem KlientInnen-Feedback“ (S.89).
Miller et al. widersprechen medizinischen Konzepten von Psychotherapie entschieden, greifen Kernannahmen von Diagnosen, Behandlungsplanungen psychologischer Therapie, sowie Manualisierungsbemühungen frontal an (Duncan & Miller 2005). Die Autoren leugnen nicht, dass es unterschiedliche Qualitäten von Therapieergebnissen gibt. Aus ihrer Sicht ergeben sich diese Unterschiede jedoch nicht aus Vor- und Nachteilen unterschiedlicher Therapiekonzeptionen, sondern aus der Fähigkeit und in dem Ausmaß, in dem sich TherapeutInnen auf das Feedback ihrer KlientInnen einlassen. Damit sind es zwar die Feedbacks der KlientInnen, die als Wegmarkierungen dienen, doch wird deutlich, dass zu einem Erfolg dieses Unternehmens auch eine Vorstellung davon gehört, wie TherapeutInnen mit diesen Wegmarkierungen umgehen. Insofern enthält der Ansatz von Miller et al. (natürlich) auch eine Aussage über die therapeutische Allianz als einem bedeutsamen Wirkfaktor. Zur Illustration benutzen sie das Bild eines dreibeinigen Schemels: „Auf der Basis einer generellen Annahme von Stärken und Ressourcen der KlientInnen steht jeder der drei Beine des Schemels für einen zentralen Faktor der therapeutischen Allianz, so wie sie in der Forschungsliteratur beschrieben wird: (1) miteinander geteilte Ziele, (2) Konsens hinsichtlich Mittel, Methoden, und Aufgaben der Behandlung, (3) ein emotionales Band (…). Was alles zusammenhält ist die Veränderungstheorie der KlientInnen selbst“ (S.87).
Mir fällt auf, dass Michael Lambert, der die entscheidenden forscherischen Grundlagen für diesen Ansatz erarbeitete – und das in der ersten Auflage dieses Handbuchs (Lambert 1992) –außerhalb des Beitrags von Miller at al. diesmal kaum vorkommt. Der Mitherausgeber John Norcross nimmt bei seiner Skizze der „Common Factors“ keinerlei Bezug auf Michael Lamberts Arbeit im ersten Handbuch. Immerhin bildete sie die Basis für eine äußerst fruchtbare Diskussion (10). Auch die inzwischen umfassende empirische Unterfütterung der Bedeutung der Therapeutischen Beziehung verdankt Lamberts Arbeiten entscheidende Anstöße (Lambert & Barley 2002, Norcross 2002, Norcross & Lambert 2005). Vielleicht zeigt sich auch hier ein Hinweis darauf, dass die eklektizistische Seite der professionellen Bezugnahme aufeinander sich als „praktische Anerkennung“ normalisiert, während die integrative Seite dieser Bezugnahme sich weiterhin mit (und als) Fragen einer „formalen Anerkennung“ schwer tut.

„Die Idee“ und „viele Wege“

Es scheint, dass die Vielfalt in der Praxis eine gängige – und notwendig erscheinende – Übung darstellt, die in dieser allgemeinen Form als ein verbindendes Element betrachtet werden kann. Doch wird (und bleibt) es offensichtlich problematisch, wenn diese Vielfalt zu einem Markennamen verdichtet werden und als übergreifende Idee für Ordnung sorgen soll. In Kontexten, in denen die Auseinandersetzung „nicht um Ideen, sondern um Anteile am Ausbildungsmonopol und letztlich um Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand geführt wird“ (Wirsching 2002, S.142, s.o.) wird aus der übergreifenden leicht eine übergriffige Angelegenheit. Die eigentlich freundliche Idee der Integration gerät so leicht in den Geruch „feindlicher Übernahmeversuche“, wenigstens dann, wenn sie nicht als optionenerweiternde Möglichkeit ins Spiel gebracht wird, sondern als (wie auch immer motivierte) Forderung. Insbesondere im Ringen um Einfluss (im Vergleich zu anderen Verfahren oder Schulen) könnte die Idee der Integration genau das verlieren, was sie braucht wie die Luft zum Atmen: das Berücksichtigen von Integrität und dies wiederum als Basis für Respekt.
Integrität? Respekt? Es lassen sich viele gute Gründe benennen, die für eine Verständigung über die Qualität und Seriosität der Vielfalt möglicher Wege sprechen. Das geht, wie gezeigt, in der Praxis auch unverzagt seinen Gang. Das Thema bleibt jedoch weiterhin unhandlich im Kontext anerkennungsspezifischer Forderungen, insbesondere dann, wenn Drohungen mehr oder weniger deutlich im Raum stehen, die sich als Begründungen tarnen: Wenn wir eigene Wertvorstellungen oder Grundlagen in Richtung dominierender Prämissen nicht verändern, dann droht der Verlust der Möglichkeit mitzuspielen. Das lässt sich prinzipiell sicher nicht verleugnen, wir leben nicht in idealen Umständen. Doch scheint mir die Frage gerechtfertigt, ob Zwangsanpassung bereits Integration bedeutet. Und auch die Frage, ob eine Anpassung an herrschende Spielregeln nicht eher ein Gegenteil anstößt: Zu Integration gehört – wenigstens dann, wenn man dem Tenor des vorliegenden Handbuchs zustimmt – die Anerkennung des Anderen als potenziellem Verbündeten, als bereichernde Alternative, als notwendiger Anstoß zum Blick über den eigenen Tellerrand. Die „herrschenden“ Spielregeln implizieren jedoch: Unterordnung, Hierarchie, Diktat – wäre dem nicht so, wäre die Angst unbegründet, im Falle der Nicht-Anpassung nicht mehr mitspielen zu dürfen. Zur Förderung von Integration wäre erzwungene Anpassung also kaum geeignet.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Ideen die Vorstellung von etwas Perfektem beflügeln können, während ihre Verwirklichung stets kontingent erfolgt – wenn überhaupt. Das Verwirklichen der Ideen ist stets gleichbedeutend mit der Erfahrung von Kontingenz. Es kann alles auch anders sein, wenigstens ein bißchen. Und welche Folgen das selbstreflexive Beziehen auch kleinster Abweichungen auf sich selbst haben kann, vermitteln neuere Beiträge zur Selbstorganisation auf beeindruckende Weise (Kriz 1997, Haken & Schiepek 2006, Strunk & Schiepek 2006). Das Erkunden eines Geländes, so stelle ich mir vor, ist vermutlich das Gleiche wie die Auseinandersetzung mit den eigenen Spuren, die beim Erkunden entstehen. Ohne die eigenen Spuren ist es kein Gelände, sondern Tohuwabohu. Der Preis dafür, sich nicht im Unendlichen zu verlieren, ist womöglich die Erfahrung, sich beim Finden im Endlichen nur bedingt zufrieden geben zu können. Wer es auf sich nimmt, dies weiterzudenken und sich nicht vorschnell auf vermeintlich sicheren Grund zu retten, kommt nicht ohne weiteres an Erkenntnissen vorbei, wie sie Kurt Ludewig (2002) in seinen „Leitmotiven“ andeutet: die eigenhändige Vertreibung aus dem „Paradies – der fraglosen Gewissheit“ und das Zurandekommen mit „dieser zuweilen erschreckenden Bodenlosigkeit“ (S.225).
Wen interessiert das? Was haben Hilfesuchende davon, wenn sich diejenigen, die versuchen, Hilfe zum Konzept zu machen, um Reliabilität und Validität ihrer Vorstellungen streiten? Vermutlich ahnen Hilfesuchende nichts davon, dass die Möglichkeit des Streitens schon nichts Selbstverständliches ist. Sie müssen das auch nicht ahnen, geschweige wissen. Doch sollten sie hoffen können, dass diejenigen, die da streiten, das auf der Grundlage der Erkenntnis tun, dass „Streiten verbindet“ (Bach & Wyden 1969). Dies geschieht jedoch nicht ohne weiteres. Das Verbindende am Streiten kann nur dann zu Tage treten, wenn Grenzen vorausgesetzt und geachtet werden. Wie anders wäre es möglich, das eigene Erfahren als bedingt anzunehmen, und diese Einschränkung nicht als Defizit zu werten, sondern als ausreichend sichere Basis für das Erkunden des noch nicht Vertrauten (11)? Streiten wäre somit ein anderes Wort für eine Form des gemeinsam getragenen Risikos im Umgang mit Kontingenz (nicht weniger konstruktiv als ein vereinbartes Zusammenarbeiten). Im Rahmen der vorliegenden Diskussion ergibt sich daraus für mich eine interessante Querverbindung zur bisherigen Rezeption von spezifisch schulenübergreifenden Psychotherapie-Modellen hierzulande. Grawes „Psychologische Therapie“ (1998) und Schiepeks Konzept des Synergetischen Prozessmanagements (z.B. Schiepek 2004, oder Kap. 5 in Haken & Schiepek 2006) stehen in diesem Zusammenhang zur Verfügung. Beide Ansätze spannen einen weiten Raum auf und eröffnen viele Möglichkeiten zur Integration unterschiedlicher Verstehens- und Handlungsideen. Beide bieten eine plausible und themenspezifisch anwendbare Grammatik an, strukturieren Optionen ohne festzulegen. Bei Haken & Schiepek (2006, S.52f.) ist zu ihrem Synergetischen Prozessmanagement ausdrücklich von der Möglichkeit zu lesen, „seine Arbeit so zu gestalten, wie es mit der Beziehung zu seinem Patienten und dessen Motivationslage, mit der jeweiligen Therapiephase und mit seinen eigenen Kompetenzen am optimalsten vereinbar wäre“. Wie kommt es, dass beide allgemeine Konzeptionen nicht die erwartete Fahrt aufzunehmen scheinen? Hat es damit zu tun, dass man sich – bildhaft gedacht – zwar gerne als Europäer (oder vielleicht sogar „global citizen“) bezeichnen mag, doch leben, empfinden, handeln dann doch eher regional, als Rheinländer womöglich (was mir in der Arbeit mit Hilfesuchenden aus Fleisch und Blut häufig mehr Optionen eröffnet als globales Psychotherapiewissen …)? Ludewig (2002, S.9) spricht davon, die professionelle Psychotherapie lebe „von Menschen, die bereit und in der Lage sind, ohne den Bezug zu sich selbst zu verlieren, eine hilfreiche Haltung einzunehmen, Kompetenz auszustrahlen und so Vertrauen zu wecken. Dafür benötigt man ein passendes Konzept, mit dem man sich identifizieren kann“. Das „ohne den Bezug zu sich zu verlieren“ scheint mir dabei von besonderer Bedeutung, das sich Vergewissern-Können innerhalb eigener Grenzen. Das braucht womöglich Symbole des Vertrauten, Hinweise auf „eigenen Grund“, und sei es eine eigene (schulische) Hausnummer. Es könnte sein, dass solche symbolischen Beheimatungen eine größere Anziehungskraft entwickeln als explizite, theoriekonforme „Erlaubnis“ zur idiosynkratisch konstruktiven Gestaltung von Therapiebeziehungen. Womöglich überschneidet sich diese Erlaubnis mit dem sowieso zu beobachtenden eklektizistischen Crossover, während der Eintrittspreis für die integrierend gedachte Theorie der Selbstorganisation (noch) zu hoch erscheint. Auch wenn es paradox erscheinen mag: Noch sieht es so aus, als ob die persönliche Vertrautheit von TherapeutInnen mit den identitätsstiftenden Eigenheiten (Begrenzungen) eines spezifischen Konzepts eher als eine allgemeine Theorie zu der Erkenntnis passt, „dass jedes System – um das anthropomorph auszudrücken – gewissermaßen aus[wählt], mit welcher Art von Anregung es etwas anfangen kann“ (Haken & Schiepek 2006, S.134).

„Grad wie im richtigen Leben“ – ungewiss, also noch nicht am Ende

Zurück zum Handbuch: In ihren abschließenden Überlegungen zu künftigen Entwicklungen im Bereich der Psychotherapie-Integration fassen Eubanks-Carter et al. die bisherige Entwicklung zusammen. Einerseits vermitteln ihre Überlegungen, welche immense Arbeit bislang geleistet wurde, wie sich – vielleicht gerade wegen der grandiosen Schwierigkeiten, nicht-triviales Geschehen angemessen zu beschreiben – die Bereitschaft entwickelt hat, gemeinsam mit Wasser zu kochen anstelle das Primat des eigenen Gebräus zu fordern. Und doch ist ein warnender Unterton zu hören: Das Verbleiben im Nachdenken berge das Risiko, dass andere für uns entscheiden. Da wäre er dann wieder, der Misston, der aus dem notwendigen, neugierig machenden Thema so etwas wie die Schutzreaktion einer bedrohten Art macht.
Schutzreaktionen nähren sich aus anderen Motiven als das selbstbewusste Erkunden des eigenen „Systems“ - was immer bedeutet: des eigenen Systems in Bezug zu Umwelten. Die Erkenntnis, dass Kooperieren uns miteinander weiterbringt, geht mit völlig anderen Wirkungen einher als Erkenntnisse im Rahmen von Gewinner-Verlierer-Modellen. Das geht nicht voraussetzungsfrei und macht Arbeit. Vom Wert der Vielfalt auszugehen und das Zusammenwirken in der Vielfalt als notwendige Konsequenz zu betrachten, hat pragmatische, aber auch normative Bezüge: „Es geht dabei nicht zuletzt um die menschlichen Grundwerte der Gerechtigkeit und der Toleranz“ (Reiter & Becker 1977, S.167). Und so könnte es vielleicht weiterhelfen, die Unterscheidung zwischen Expertentum und Professionalität gründlicher zu treffen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu berücksichtigen. Expertenwissen kann als „moralisch neutral“ angesehen werden, während „die ‚Scientia’ des Professionellen eine Bindung an das Wohl des Klienten und an gesellschaftlich hochbewertete Ziele“ aufweist (Reiter & Steiner 1996, S.173). Die gängigen Evaluationskriterien der „big science“ beziehen sich eher auf Fragen des Expertentums. Sie suchen somit „Wissen“ zu erfassen, im Sinne der Unterscheidung von richtig und falsch. Solches Wissen könnte dann womöglich auch manualisiert und spezifisch abgefragt werden.
Demgegenüber verweisen Ergebnisse der Professionsforschung eher auf die Unwägbarkeiten des Helfens in menschlichen Krisen. Es könne „bei dieser Tätigkeit keine problemlose ‚Anwendung wissenschaftlichen Wissens’ geben“, so Reiter & Steiner (1996, S.177). Sie verweisen auf „Intuition, Urteilsfähigkeit, Risikofreudigkeit und Verantwortungsübernahme“ als wesentliche und notwendige Kompetenzen beim Handeln in nicht-trivialen Konstellationen. Die Notwendigkeit für diese Kompetenzen lässt sich beziehen auf eine Differenz zwischen der nicht erfassbaren „Wirklichkeit“ (als dem das menschliche Erfassungsvermögen übersteigenden Kosmos an Wechselwirkungen vorhandener „Gegebenheiten“ unterschiedlichster Art) und der zugeschriebenen „Realität“ (als der bis auf Weiteres so herausgefundenen und plausiblen Beschreibung von Wirklichkeit) (12) . Entscheidend scheint mir dabei, dass diese Kompetenzen nicht in paternalistisches Handeln übersetzt werden, sondern in eine Haltung und ein Verhalten des Beisteuerns. Hilfe wäre aus dieser Sicht das partizipative Herstellen von Rahmenbedingungen, unter denen sich neue Möglichkeiten ergeben, etwas Sinnvolles zu tun für das Lindern von Leiden, das Lösen von Problemen und das Aufbauen erwünschterer Lebensumstände - und dies mit einer fairen Chance auf Realisierung.
Dies ist kein einseitiges Geschehen. Ich gehe davon aus, dass auf beiden Seiten, sowohl auf Seiten der Hilfesuchenden wie auf Seiten der HilfeanbieterInnen, Fragen und Wünsche nach Selbstwirksamkeit eine zentrale Rolle spielen – wie reflektiert auch immer. Praktisch lässt sich dabei von einem weiten Feld profitieren, eklektizistisch, wenn man so will. Theoretisch, als Beschreibung dieser Möglichkeiten, kann von der Vielfalt abstrahiert und auf einen Rahmen verwiesen werden, der das vielleicht integriert. Die Abstraktion von der Vielfalt sollte jedoch das „den Bezug zu sich nicht verlieren“ (s.o.) nicht zu sehr strapazieren. Vielleicht macht es daher Sinn, den verbindenden Rahmen im gemeinsamen Streben nach Selbstwirksamkeit zu sehen (13).
Auf der Seite der Profession schließt dies sowohl das Bekenntnis zum Nutzen für die KlientInnen ein, als auch das Bekenntnis zur Verpflichtung, zu diesem Nutzen angemessen und respektvoll beizusteuern. Darüber hinaus verweist der integrative Rahmen „gemeinsames Streben nach Selbstwirksamkeit“ auch auf eine Haltung, in der kollegialen Auseinandersetzung um geeignete Wege der Realisierung nicht nur bei sich, sondern auch bei den Anderen Kompetenz, Interesse und „good will“ zu unterstellen. Alles andere könnte sich erweisen und als „Evolution von Kooperation“ beschrieben werden – eines Tages (14).
Und nun? Mir scheint, eine aus der Not geborene Integration ist nicht dasselbe wie eine aus Kenntnis, Selbsterkenntnis und Anerkennung geborene Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, voneinander zu lernen, sich einander zur Verfügung zu stellen. Integration, so denke ich, kann nicht als Forderung und nicht als Erpressungsergebnis funktionieren. Sie hätte vielleicht eine Chance als Wagnis zwischen dem Wunsch nach Integrität und der Bereitschaft zu kooperieren. Das hat Konsequenzen sowohl für den individuellen, als auch für den überindividuellen Bereich. Im individuellen (Einzel-)Fall ist es die persönliche und besondere Aufmerksamkeit füreinander, die Hilfesuchenden und HilfeanbieterInnen die Möglichkeit eröffnet, ihre Vorstellungen über das, was helfen könnte, zu integrieren, also zum gemeinsamen, aufeinander abgestimmten Wirken zu bringen. Im überindividuellen („Schulen“-)Fall ist es die Bereitschaft, sich die erarbeitete Selbsterkenntnis, das jeweils erarbeitete Profil gegenseitig zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise anzuerkennen, dass eine weitere Entwicklung nur in einem Spannungsfeld möglich wird, das sich aus dem Zusammenwirken von Eigenem und Anderem ergibt. Integration wäre dann ein anderes Wort für die Bereitschaft, gemeinsam ein Risiko einzugehen, das Risiko, das jeweils Eigene dem notwendigen Anderen gleichzeitig zuzumuten und anzuvertrauen. Liegt das auf der Hand? Möglich, doch nicht garantiert. Es bleiben Voraussetzungen. Unter anderem die, dass aus solcher Sicht Integration zu keinem dekretierten Ende kommen kann. Integration bleibt dann tatsächlich „Vision“ (s.o.), eine ständige Aufgabe für „Pioniere“, die auf dem Weg der Verständigung darüber, was gangbare Wege dahin sein könnten, zunehmend Terrain erschaffen, auf dem die „menschlichen Grundwerte der Gerechtigkeit und der Toleranz“ (s.o.) den Ton angeben, „work in progress“, im besten Sinne.

Vielleicht passen dazu drei Überlegungen zum Abschluss:
  • Die Idee der Psychotherapie-Integration macht leichter Sinn, wenn die Integrität eigenständiger Ansätze geachtet und gewährleistet wird. Und wenn diese eigenständigen Ansätze sich nicht unter der Überschrift „Aus- oder Abgrenzung“ konturieren, sondern unter der Überschrift: Beisteuern zu einem umfassenderen Phänomen auf der Basis transparenter (und somit diskutierbarer) Bevorzugungen/ Entscheidungen. Integration als Bereicherung der Diskussion, als Vision, die motiviert, und nicht als Diktat, das festschreibt.
  • Die Idee der Integration könnte gewinnen, wenn nicht die (berufs-)politischen Erwägungen unterschiedlicher Provenienz im Vordergrund stehen, sondern die Bereitschaft, auf die Einschätzung des Geschehens durch die Hilfesuchenden selbst zu hören. Dann würde klarer, dass Integration nichts mit Hierarchien therapeutischer Konzepte zu tun hat, sondern mit der Fähigkeit, sich beim Hören auf die Hilfesuchenden gegenseitig zu unterstützen.
  • Und schließlich scheint es auch notwendig, dass zur Integration auch die Person der HelferIn gehört. Das Hören auf die KlientInnen geschieht nicht als beliebige Variante eines automatisierten Vorgangs. Die Person der HelferIn in ihrer jeweiligen Aufmerksamkeit für das Geschehen ist das Pendant zu der Expertise und den Selbstheilungskräften der Hilfesuchenden. Das Team besteht nicht aus Störung und Maßnahme. Das Team besteht aus denen, die Hilfe suchen und denen, die dabei helfen, dass Hilfe erlebt wird. Vielleicht macht es daher Sinn, das Motto von Miller et al., das Ergebnis habe über den Prozess triumphiert, umzuwandeln in: Integration ist möglich als Triumph von Kooperation über Kolonisation.

Kapitel des Handbuchs (15)

Part I. CONCEPTUAL AND HISTORICAL PERSPECTIVES
1. Norcross JC: A primer on psychotherapy integration, pp. 3-23
2. Goldfried MR, Pachankis JE, Bell AC: A history of psychotherapy integration, pp. 24-60
Part II. INTEGRATIVE PSYCHOTHERAPY MODELS
A. Common factors
3. Beitman BD, Soth AM, Bumby NA: The future as an integrating force through the schools of psychotherapy, pp.65-83
4. Miller SD, Duncan BL, Hubble MA: Outcome-informed Clinical Work, pp.84-102
B. Technical Eclecticism
5. Lazarus AA: Multimodal therapy, pp.105-120
6. Beutler LE, Consoli AJ, Lane G: Systematic treatment selection and prescriptive psychotherapy, pp.121-143
C. Theoretical Integration
7. Prochaska JO, DiClemente CC: The transtheoretical approach, pp.147-171
8. Wachtel PL, Kruk JC, McKinney MK: Cyclical Psychodynamics and integrative relational psychotherapy, pp.172-195
9. Ryle A: Cognitive analytic therapy, pp.196-217
D. Assimilative Integration
10. Stricker G, Gold J: Assimilative psychodynamic psychotherapy, pp.221-240
11. Castonguay LG, Newman MG, Borkovec TD, Holtforth MG, Maramba GG: Cognitive-Behavioral assimilative integration, pp.241-260
Part III. INTEGRATIVE PSYCHOTHERAPIES FOR SPECIFIC DISORDERS & POPULATIONS
12. Wolfe BE: Integrative psychotherapy of the anxiety disorders, pp.263-280
13. McCullough, Jr JP: Cognitive behavioral analysis system of psychotherapy (CBASP) for chronic depression, pp.281-298
14. Heard HL, Linehan MM: Integrative therapy for borderline personality disorder, pp.299-320
15. Ivey AE, Brooks-Harris JE: Integrative psychotherapy with culturally diverse clients, pp.321-339
Part IV. INTEGRATIVE TREATMENT MODALITIES
16. Clarkin JF: Differential therapeutics, pp.343-361
17. Feldman LB, Feldman SL: Integrating therapeutic modalities, pp.362-381
18. Pinsof WM: Integrative problem-centered therapy, pp.382-402
19. Sollod RN: Integrating spirituality with psychotherapy, pp.403-416
20. Beitman BD, Saveanu RV: Integrating pharmacotherapy and psychotherapy, pp.417-436
Part V. TRAINING RESEARCH, AND FUTURE DIRECTIONS
21. Norcross JC, Halgin RP: Training in psychotherapy integration, pp.439-458
22. Schottenbauer MA, Glass CR, Arnkoff DB: Outcome research on psychotherapy integration, pp.459-493
23. Wachtel PL, Goldfried MR: A critical dialogue on psychotherapy integration, pp.494-502
24. Eubanks-Carter C, Burckell LA, Goldfried MR: Future directions in psychotherapy integration, pp.503-521


Anmerkungen:

(1) Ludwig Reiter zum 70. gewidmet
(2) von lat. integer bzw. griech. entagros = unberührt, unversehrt, ganz; sämtliche Zitate in diesem Absatz zu „Integra-tion“ aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Integration [Zugriff: 26.12.2007]
(3) Siehe Internet: http://www.cyberpsych.org/sepi/ [Zugriff: 15.12.2007]
(4) vgl. dazu eine neuere Studie von Schindler & von Schlippe (2006) zu Ausbildung und Praxis hierzulande.
(5) Alle Übersetzungen in dieser Diskussion: W.L.
(6) im Original: „‘pure‘ systems psychotherapists“: Norcross wird hier nicht an System- oder systemische Therapeu-tInnen gedacht haben, sondern an diejenigen, die ihr System der Therapie in Reinform erhalten wollen.
(7) Dollard und Miller widmen ihr Buch „To Freud and Pavlov and Their Students“. Damals konnte eine solche Formulierung noch ein ganzes Feld zusammenfassen, heute wäre das – wenn man es wörtlich nähme - nur noch die Würdigung eines Ausschnitts. Als bildhafte Analogie erlaubt sie jedoch wieder das Öffnen des Rahmens: es werden sowohl diejenigen geehrt, die etwas begründet haben, als auch diejenigen, die das aufgreifen und etwas anderes, womöglich Neues daraus machen.
(8) zur weiteren Begriffsklärung und Auseinandersetzung mit möglichen Missverständnissen siehe Lampropoulos (2000).
(9) Eine deutschsprachige Übersicht aus neuerer Zeit: Swenson & Henggeler (2005). Bei der Lektüre sollte deutlich werden, dass es sich bei der MST nicht einfach um einen „integrativen“ Methodenmix handelt, sondern um einen Ansatz, der nur dann funktionieren kann, wenn zusätzlich zur methodologischen Zielfokussierung auch ein Rahmen bereitgestellt werden kann, der die erheblichen, das übliche Maß bei weitem überschreitenden Anforderungen für alle Beteiligten auch organisatorisch und - nicht zuletzt - finanziell trägt. MST eignet sich definitiv nicht zu oppor-tunistischen Zwecken: weder zum finanzierungspolitischen, noch zum integrativ-modischen Schnellschuss.
(10) Lamberts Arbeit wurde zur Grundlage der Patientenfokussierten Forschung (Lambert 2001, Lambert et al. 2001, Lambert & Barley 2002, Lambert & Ogles 2004) und unterstützt weitgehend solche Konzepte von Therapie, die der Autonomie der KlientInnen hohe Bedeutung zusprechen.
(11) Anklänge an die dynamische Beziehung von Bindungssicherheit und Explorationslust sollen hier nicht ausgeschlossen, doch auch nicht weiter vertieft werden.
(12) „Wirklichkeit“ und „Realität“ hier gemäß Sprachgebrauch des „Konstruktiven Realismus“ (vgl. Wallner 1994, 2004, Wallner & Agnese 1999). Umgekehrt geht’s auch (vgl. Choe 2005, S.49). Inwieweit Anregungen aus dem Konstruktiven Realismus, etwa zur „Verfremdung“ im Sinne eines kulturellen Perspektivenwechsels die klinische Praxis bereichern können, wäre m.E. eine interessante und weiterführende Frage.
(13) In der vorliegenden Diskussion mag es bei dieser eher spekulativ wirkenden Überlegung zum verbindenden Rahmen bleiben. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass Bandura, der Pionier in diesen Fragen, bereits 1977 Selbstwirksamkeit als „unifying theory of behavior change“ konzipiert hat. Selbstwirksamkeit wird auch in der konzeptionellen Grundlegung einer „Positiven Psychologie“ (Snyder & Lopez 2002, vgl. Loth 2003) zentral gewichtet (z.B. Maddux 2002), ebenso von Grossmann für das Wirkverständnis systemischer Therapien (2005). Für die hier geäußerte Gewichtung eines gemeinsamen Strebens nach Selbstwirksamkeit könnten sowohl Überlegungen zur „collaborative influence“ sprechen (Strong 2000), wie auch neuere Überlegungen zur „collective efficacy“ (Maddux 2002, S.284f., Goddard et al. 2004), ebenso Überlegungen zu einer „Positiven Ethik“, die die Frage eines angemessenen Selbstinteresses bei der Arbeit thematisieren (Handelsman et al. 2002, S.736f.).
(14) Prinzipiell ist das natürlich schon geschehen, siehe Axelrod (1984).
(15) Die in der vorliegenden Diskussion ausführlicher erwähnten Kapitel sind hier kursiv gesetzt.

Weitere Literatur:

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(mit freundlicher Erlaubnis aus systeme 2008)





Verlagsinformation:

Seasoned psychotherapists realize that no single theory or unitary treatment can ever suffice for all patients, disorders, and situations. This volume provides a comprehensive description and illustration of psychotherapy integration by leading proponents. Replete with clinical vignettes, this unique handbook will be invaluable to practitioners, researchers, and students alike.


Über die Herausgeber:

Edited by John C. Norcross, Professor of Psychology, University of Scranton , and Marvin R. Goldfried, Professor of Psychology and Psychiatry, State University of New York at Stony Brook



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