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Neuvorstellung zur Übersicht
15.08.2008
Rüdiger Retzlaff: Spiel-Räume. Lehrbuch der systemischen Therapie mit Kindern und Jugendlichen
Retzlaff Spiel-Räume Klett-Cotta, Stuttgart 2008

431 S., gebunden mit Schutzumschlag, ca. 30 Abb.

Preis: 34,00 €

ISBN-10: 3608941584
ISBN-13: 978-3608941586
Klett-Cotta Verlag





Wiltrud Brächter, Köln:

„Systemische Therapeutinnen und Therapeuten, die mit Kindern und Jugendlichen und ihren Angehörigen arbeiten, leben heute in einer spannenden Zeit: Die Systemische Therapie mit Kindern und Jugendlichen wird immer bunter und vielfältiger, tiefgründiger und differenzierter“, schreibt Wilhelm Rotthaus im Vorwort zu Carole Gammer (2007), S.10. Genau so habe auch ich die vergangenen Jahre erlebt. Gab es zu Beginn meiner spieltherapeutischen Tätigkeit (und paralleler Ausbildung in systemischer Therapie) Ende der neunziger Jahre nur vereinzelte Veröffentlichungen zum Thema, kommt man heute mit dem Lesen kaum hinterher. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen scheint mir das Feld zu sein, auf dem innerhalb der systemischen Therapie noch am meisten in Gang ist. In kurzen Abständen werden innovative Ansätze publiziert, die sich zum Teil stark voneinander unterscheiden und noch sehr unverbunden nebeneinander stehen: zur kindorientierten Gestaltung von Familientherapien, zum Elterncoaching sowie – seltener – zu systemischer Spieltherapie. Während einerseits eine Fülle lösungsorientierter, oft hypnotherapeutisch inspirierter Interventionen für die Einzelarbeit mit Kindern präsentiert wird, ohne einen Bezug zur Arbeit mit der Familie kenntlich zu machen, stellen Andere die Frage, ob die Konzeption einer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie innerhalb des systemischen Ansatzes überhaupt wünschenswert ist oder eher eine „Rolle rückwärts“ bedeutet (aus dem Titel eines Workshops auf der diesjährigen Fachtagung der SG). Umso erstaunter war ich, von einem Lehrbuch der systemischen Therapie mit Kindern und Jugendlichen zu hören – impliziert der Titel doch ein hohes Maß an theoretischer Konsolidierung und Geschlossenheit, wo mir noch vieles im Fluss schien.
Noch erstaunter war ich, als ich das Buch in Händen hielt. Nach einigen einführenden Kapiteln (u.a. über Spielen aus systemischer Sicht) las es sich über lange Strecken wie ein gut geschriebenes, theoretisch fundiertes, praxisorientiertes Lehrbuch der systemischen – Familientherapie! Wurde hier nur das Etikett ausgetauscht? Von der Gestaltung des Erstkontakts über das ganze Spektrum von Interviewtechniken und Interventionen traf ich auf das Wissen, das in systemischen Grundausbildungen vermittelt wird. Spricht der Autor von systemischer Kindertherapie, wenn die Indexpatienten in Familientherapien Kinder sind? Und wird damit Kindertherapie im Einzelsetting aus dem Bezugsrahmen systemischer Therapie ausgeschlossen? Da ein Lehrbuch eine gewisse Definitionsmacht besitzt und ich vom Nutzen einer systemisch orientierten Spieltherapie sehr überzeugt bin, fiel es mir zunächst schwer, dem Buch unbefangen weiter zu folgen.
Diese Gedanken beiseite gestellt, vermittelt die Zusammenstellung der „altbewährten“ familientherapeutischen Techniken einen Eindruck davon, wie viel Hilfreiches für Kinder, Jugendliche und Eltern schon vor der „kindorientierten Wende“ in den verschiedenen Schulen der systemischen Therapie zusammengetragen wurde. Die Fallbeispiele illustrieren darüber hinaus, wie stark sich Rüdiger Retzlaff in seiner Arbeit auch wirklich auf Kinder bezieht. Hier findet keine Familientherapie statt, die an Kindern vorbeigeht. Anschaulich beschriebene Therapiesequenzen, am Ende eines Kapitels jeweils ergänzt durch Hinweise zum therapeutischen Vorgehen und konkrete Formulierungsvorschläge, regen dazu an, die vorgestellten Methoden auszuprobieren bzw. stärker auf Kinder auszurichten.
Spannender wird es für systemisch vorgebildete LeserInnen in der zweiten Hälfte des Buches: Bei der Arbeit mit Metaphern und Geschichten, gestalterischen Methoden, Figur- und Rollenspielinszenierungen schöpft der Autor auch aus entlegeneren Quellen und bringt vermehrt eigene Interventionsideen ein. Beeindruckt hat mich dabei das weite Spektrum von Zugangswegen, über die Retzlaff in seinen Therapien verfügt: passgenau erzählte therapeutische Geschichten, gut anwendbare Externalisierungsvorschläge wie der „Kannichtosaurus“ oder die „biestige Biene“, die Eltern zu ungewünschtem Elternverhalten anstachelt, Fernbedienungen, mit der sich schlecht gelaufene „Szenen“ im Familienleben noch einmal neu drehen lassen, gemeinsam getanzte Krafttänze und Meditationen sind nur einige Stichworte, zu denen sich im Buch viel Anregendes lesen lässt. Durch die fallbezogene Darstellung ist auch hier gut nachzuvollziehen, wie es gelingen kann, Familien zum Mitmachen zu motivieren. Die Fülle an kreativen Interventionen, die Leichtigkeit des Vorgehens im familientherapeutischen Setting und die anschauliche Beschreibung machen das Buch mit zum Besten, was ich in den letzten Jahren zum Thema gelesen habe.
Damit komme ich auf meine anfangs zurückgestellten Bedenken zurück:
„…wie steht es mit der Einzeltherapie von Kindern und Jugendlichen? Ist sie unnötig oder unsinnig? Ist es ausreichend, wenn Systemische Therapie bei Kindern und Jugendlichen auf das Setting Familientherapie bzw. Therapie mit den relevanten Bezugspersonen oder mit dem Problemsystem eingeschränkt wird? Gibt es eine Systemische Einzeltherapie mit Kindern, oder sollte es sie zumindest geben? Was sind ihre Charakteristika und Besonderheiten? Wie wird der Systemische Einzeltherapiekontakt von der systemischen Sichtweise geprägt? Gibt es auch eine Systemische Spieltherapie, oder sollte es sie geben?“ Die Fragen, die Rotthaus 2003 im KONTEXT gestellt hat (S.226), sind in der Zwischenzeit noch nicht wirklich beantwortet worden. Retzlaff klammert sie seinem Buch weitgehend aus. Da es hierzu (noch) keinen Konsens gibt, sondern stark divergierende Einzelpositionen, kann er sie in einem Lehrbuch auch nicht beantworten – jedenfalls nicht als Lehrmeinung „der“ systemischen Therapie.
Ein Manko ist in meinen Augen aber, dass er diese Fragen nicht als offene Fragen kenntlich macht. Indirekt bezieht Retzlaff als Lehrbuchautor – unvermeidlicherweise – doch Position: allein durch die Gewichtung, die er in Bezug auf die verschiedenen Settingvarianten vornimmt. Sein Schwerpunkt liegt dabei eindeutig auf Familientherapie. Elterncoaching sieht er nur in den Fällen als Alternative, in denen es aufgrund des jungen Alters der Kinder oder einer verweigernden Haltung von Jugendlichen keine Möglichkeit der Einbeziehung gibt. Während er diese Sichtweise als eigene Position kenntlich macht, kommen Aussagen über Spieltherapie zum Teil sehr viel allgemeingültiger daher.
Ein Buch, dass so stark wie dieses davon lebt, dass Methoden anhand praktischer Fallbeispiele vermittelt werden, ist natürlich in besonderer Weise von den persönlichen Vorlieben des Therapeuten geprägt. Verstärkt finden Vorgehensweisen Eingang, die ihm liegen und die er gern und häufig verwendet. In einem Feld, das sich – aus meiner Sicht – gerade erst entwickelt, lässt sich ein Überblick über therapeutische Ansätze ohnehin besonders schwer aus einer Außenperspektive vermitteln, ohne eine subjektive Gewichtung einfließen zu lassen, wie dies z.B. beim ersten Lehrbuch über systemische Therapie (von Schlippe/Schweitzer 1996) gelungen ist. Retzlaffs Buch ist gerade deshalb gut, weil die Begeisterung des Autors für seine Art des familientherapeutischen, themenzentrierten Arbeitens zu spüren ist. Als Lehrbuch transportiert es jedoch die Botschaft, dass ein Vorgehen, dass sich am (freien) Spiel von Kindern orientiert, nicht oder nur sehr randständig zur systemischen Therapie gehört.
In einigen Punkten finde ich mich mit meiner Art der Arbeitsweise in diesem Buch nicht wieder:
  1. Retzlaff wertet eine „längere Einzeltherapie mit Kindern ohne Einbeziehung der Eltern“ als „verpasste Gelegenheit, Ressourcen des Familiensystems für die Behandlung zu nutzen“ (S.333). Abgesehen davon, dass auch bei einem klassischen kindertherapeutischen Vorgehen nie ohne Einbeziehung der Eltern gearbeitet wird, setzt er sich nicht damit auseinander, unter welchen Umständen ein eigener Raum der Kindertherapie wichtig sein könnte – auch und gerade unter systemischen Gesichtspunkten (vgl. Katz-Bernstein, 2000). Ich denke hier zum Beispiel an Kinder, die ihre Sorgen über psychisch belastete Eltern oder Gewalt in der Elternbeziehung zurückhalten, an Kinder, die sehr ängstlich an einen Elternteil gebunden sind, oder an die Arbeit bei Traumatisierungen. Retzlaff schlägt kein Konzept vor, wie alternativ zum Familiensetting systemisch parallel mit Kind und Eltern gearbeitet werden kann. Für die Einzelarbeit mit Kindern präsentiert auch er eine Art Methodensammlung. Offen bleibt dabei, wie bei den geschilderten Phasen von Einzelarbeit mit der Grenze zum Eltern- bzw. Familiensetting umgegangen wird.
  2. Trotz seiner Kritik an der „Überbewertung von Sprache“ in einigen radikalkonstruktivistisch geprägten Ansätzen (S.28) setzt Retzlaff auf eine Zielfindung im Erstgespräch. Indem er sich Problemverhalten und gewünschte Lösungen szenisch vorspielen lässt, sind Kinder in diesen Prozess stärker einbezogen als bei einem rein verbal orientierten Vorgehen. Dass Eltern diesen Prozess durch ihre Themenwahl dennoch dominieren, sieht er nicht als Problem: „Bei der Verabredung von Zielen werden die Kinder gehört, die Stimme der Eltern hat größeres Gewicht“ (66). Phasen von Einzelarbeit mit dem Kind werden genutzt, um an den zuvor festgelegten Zielen zu arbeiten, statt Kindern die Gelegenheit zu geben, im Spiel ihre Themen zu formulieren und von dort aus mit den Eltern in einen Aushandlungsprozess zu treten. In seinem Konzept von Allparteilichkeit vermisse ich die therapeutische Funktion, als „Übersetzerin“ für verbal schwer ausdrückbare Bedürfnisse und Gefühlslagen an der Seite des Kindes zu stehen.
  3. Mit Verweis auf Watzlawick (1977) beschreibt Retzlaff die systemische Vorgehensweise in Bezug auf Spiel als „stärker themenzentriert“ und „nicht betont non-direktiv“ (S.30). Man muss sehr lange lesen, um festzustellen, dass in seinem Konzept von systemischer Therapie offenere Spieltherapievarianten überhaupt vorkommen: Im Methodenkapitel über das Spiel mit Minifiguren sieht er es der „therapeutischen Orientierung oder den eigenen Vorlieben“ der Therapeuten überlassen, ob „stärker direktiv oder non-direktiv“ vorgegangen wird (S.332). Wie die Fallbeispiele zeigen, neigt der Autor zu einem eher direktiven Ansatz, der Kindern (oder Familien) an den therapeutischen Zielen ausgerichtete Spielvorgaben macht. Retzlaff schreibt selbst, dass „in Spielszenen … Themen und innere Konflikte gezeigt (werden), die sprachlich nicht leicht ausgedrückt werden können“ (S.329). Spielszenen auf einer Symbolebene zu belassen, ermöglicht Kindern dabei meiner Erfahrung nach eine wesentlich freiere Mitteilung als Spielvorschläge, die sich explizit auf die eigene Familie beziehen. Diese Beschränkung in der Äußerungsmöglichkeit tabuisierter Themen (Misshandlung, Sorge über Elternteile etc.) wird von Retzlaff jedoch nicht reflektiert.
  4. Für die Art des Vorgehens in der non-direktiven Spieltherapie stellt Retzlaff kein ausgearbeitetes systemisches Konzept vor. Die Funktion des Therapeuten besteht für ihn darin, „zu begleiten, gelegentliche Anregungen zu geben und dafür zu sorgen, dass der Prozess fließt“ (S.332). Gerade hier sehe ich – neben familientherapeutischer Arbeit – das Kernstück in der Entwicklung einer systemischen Kindertherapie: in der Ausarbeitung einer Vorgehensweise, durch die sich im Spiel selbst Möglichkeiten einer Perspektivenerweiterung ergeben.
  5. Narrative Therapie bezieht Retzlaff auf die Methode der Externalisierung, auf vom Therapeuten erzählte Geschichten, auf die Einladung, als Familie neue Geschichten über sich zu erzählen und ein neues Familienmotto zu erfinden. Eltern unterstützt er dabei, selbst Lehrgeschichten für ihre Kinder zu erfinden, Jugendlichen schlägt er vor, eine Gebrauchsanweisung für sich selbst zu schreiben oder Rezepte für die Zukunft zu entwerfen. All diese Methoden sind jedoch entweder therapeutengeleitet oder beziehen sich auf Familiengeschichten, die in der Regel von den Eltern erzählt werden. Es findet sich kein Ansatz, der an die von Kindern (im Spiel) eingebrachten Geschichten anschließt und mit ihnen arbeitet. Dies setzt sich beim systemischen Rollen- und Theaterspiel fort: Auch hier werden Inhalte thematisch vorgegeben oder im Familienrahmen entwickelt, ohne dem Spiel des Kindes zu folgen und innerhalb dieses Spiels – systemisch – zu intervenieren.
  6. Die systemische Therapie bezeichnet Retzlaff als „ziel- und ergebnisorientiertes Verfahren“ (S.121), die „Vorgehensweise ist symptomzentriert“ (S.22) und sollte „praktisch und handlungsorientiert“ sein (S.131). Die starke Fokussierung der Interaktions- und Handlungsebene bringt es mit sich, dass überwiegend bewusstseinsnähere Themen verhandelt werden: In vielen Fallbeispielen geht es um die Aushandlung von Konflikten oder die Veränderung konkreter, wechselseitig aufeinander bezogener Verhaltensmuster. Dass Veränderungen auf der Ebene innerer Repräsentationen (vgl. Gammer 2007), Affekte und Selbstkonzepte weniger in den Blick genommen werden, liegt vielleicht daran, dass sich ein Zugang zu subtileren, mit Scham oder Schuld behafteten Themen eher in einem einzeltherapeutischen Kontext gewinnen lässt. Die Möglichkeit, sich solchen Themen im Spielprozess zu nähern und sie von da aus sowohl mit dem Kind als auch den Eltern zu bearbeiten, halte ich für eine so wertvolle Ergänzung der bisher dominierenden Zugangswege, dass hierauf bei der Konzeption einer systemischen Kindertherapie nicht verzichtet werden sollte.
Retzlaff referiert in seinem Buch die bisher innerhalb der systemischen Therapie entwickelten Methoden – über Spieltherapie wurde bislang erst wenig publiziert. Dies liegt vielleicht daran, dass das Vorgehen dabei den vom Kind eingebrachten Geschichten folgt und kein Repertoire an Interventionen präsentiert werden kann, die unabhängig vom Spielverlauf eingesetzt werden können. Darüber, wie genau viele Kinder ihre Anliegen auf den Punkt bringen, wenn man sie frei spielen lässt, wie faszinierend die Geschichten sind, in denen sie sich mit ihrer Lebenswelt auseinandersetzen, wie leicht sich dabei oft Lösungen anregen lassen und wie viele Impulse sich (gerade bei tabuisierten Themen) für die Arbeit mit der Familie ergeben können, ist außerhalb spieltherapeutischer Kreise kaum bekannt. Ich denke, dass es an der Zeit ist, solche Erfahrungen verstärkt zu veröffentlichen, damit eine an den Geschichten von Kindern orientierte, narrative Spieltherapie als weitere Variante systemischer Therapie Anerkennung findet und die Optionen erweitert.

Literatur:

Katz-Bernstein, N. (2000): Kinderzentrierte Therapie und Systemische Therapie – Paradox, Ergänzung oder Substitution? Beratung Aktuell 2/2000, S. 77-91, Junfermann.
Gammer, C. (2007): Die Stimme des Kindes in der Familientherapie. Heidelberg, Carl-Auer
Rotthaus, W. (2003): Welchen Platz haben Kinder in der Systemischen Familientherapie? Eine kritische Bestandsaufnahme. In: Kontext 34,3 (2003), S. 225-236
Von Schlippe, A. u. Schweitzer, J. (1996): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht
Watzlawick, P. (1977): Die Möglichkeit des Andersseins. Bern, Hans Huber


Wilhelm Rotthaus, Bergheim:

Das erste Lehrbuch der Systemischen Therapie mit Kindern und Jugendlichen - und das voll gelungen! Rüdiger Retzlaff gibt eine umfassende Darstellung der Systemischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Sein Buch folgt einem systematischen Aufbau und beginnt mit der Darstellung der Grundannahmen der Systemischen Therapie und ihrer Anwendung in unterschiedlichen Settings auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und ihren Angehörigen (Kapitel I). Unter der Überschrift "Der Aufbau eines therapeutischen Systems mit Kindern und Jugendlichen" stellt der Autor konkret und praxisorientiert den Verlauf des Erstgesprächs und eine Reihe von Besonderheiten in der Arbeit mit Jugendlichen dar, betont und begründet die Notwendigkeit der Kooperation im psychosozialen Feld und erörtert - nach einer deutlichen Positionierung zur Frage der Diagnostik - den weiteren Verlauf des Therapiegesprächs (Kapitel II ).
In den folgenden zwei Kapiteln beschreibt Rüdiger Retzlaff  Vorgehensweisen, Methoden und Techniken, die sich in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und ihren Angehörigen besonders bewährt haben und die vor allem auch den Zugang zu Kindern und Jugendlichen und ihre aktive gleichberechtigte Mitarbeit ermöglichen. Zunächst werden sprach- und handlungsorientierten Interventionen (Kapitel III) wie der Aufbau der Allianz mit der Familie, paradoxe Interventionen, lösungsorientierte Interventionen, narrative Techniken, Metaphern und Geschichten sowie Rituale und ritualisierte Verschreibungen dargestellt. Anschließend wird unter der Überschrift "Analoge Interventionen" (Kapitel IV) aufgezeigt, wie malerische Gestaltungstechniken, die Arbeit mit Handpuppen sowie Rollenspiele und Theatertechniken ebenso wie Familienskulpturen und Choreografien in der systemtherapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen genutzt werden können. Schließlich werden bewegungs- und körperorientierte Interventionen, Entspannung, Hypnose und Imagination sowie das systemische Elterncoaching thematisiert (Kapitel V).
In dem gesamten Buch gelingt eine bemerkenswert gute Verzahnung von Praxis und Wissenschaft. In allen Kapiteln wird die große Praxiserfahrung des Autors erkennbar, der das Dargestellte immer wieder durch anschauliche Praxisbeispiele verdeutlicht. Die wichtigsten Vorschläge und Anregungen zur Gestaltung des Behandlungsprozesses werden in regelmäßigen Abständen in kurzen, prägnanten Leitsätzen zusammengefasst. Und zugleich hinterlegt der Autor seine Ausführungen mit einer Fülle von Hinweisen auf deutschsprachige und internationale Literatur, was dem Leser den Einstieg erleichtert, wenn er einzelne Themenbereiche vertiefend selbst bearbeiten will.
Die Systemische Therapie hat sich in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen entwickelt. Sie hat sich nicht nur in den letzten Jahrzehnten in der täglichen Arbeit als ungewöhnlich praxistauglich und erfolgreich erwiesen. Sie hat ihre Wirksamkeit auch in vielen Studien nach klassisch wissenschaftlichem Design unter Beweis gestellt. Insofern ist sehr zu begrüßen, dass nun auch ein Lehrbuch vorliegt, das eine gute Basis für Fort- und Weiterbildungen darstellt und auch der schon lange tätigen Therapeutin noch viele Anregungen bietet.




Zur Website von Rüdiger Retzlaff





Verlagsinformation:

Dieses Lehrbuch stellt die gesamte Bandbreite an Techniken und Interventionen vor, die sich für die systemisch-therapeutische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Eltern als nützlich erwiesen haben. Prägnante Fallbeispiele und übersichtliche Anleitungen erleichtern die praktische Umsetzung. Neben der ressourcenorientierten Perspektive und einer besonderen Haltung zeichnet sie sich durch einen reichen Schatz handlungs- und erlebnisorientierter kreativer Methoden aus. Das Buch vermittelt einen praxisnahen Leitfaden für den Aufbau und die Durchführung von Therapien, angefangen vom Erstkontakt über die mittlere Behandlungsphase und den Umgang mit Therapiefortschritten und -krisen bis zur Beendigung von Therapien. Ein weiterer Schwerpunkt des Buches ist die anschauliche Darstellung der großen Fülle von systemischen Methoden und Interventionen. Neben Standardinterventionen wie der Arbeit mit Aufgaben und Verschreibungen werden kreative Techniken, die Arbeit mit Geschichten und Metaphern, Rituale, Skulpturen und Ausdruckstechniken ausführlich dargestellt. Abschließend wird auf den Einsatz von Entspannungsverfahren, Imagination und Hypnose im Kontext von Familien und auf Verfahren des systemischen Elterncoachings eingegangen. Die übersichtliche Darstellung und der reiche Fundus an Techniken und kreativen Interventionen machen das Buch zu einem unentbehrlichen Werkzeug für alle Praktiker.


Inhalt:

Vorwort von Jochen Schweitzer
Vorwort des Autors
I Einleitung

1 Kinder und Jugendliche im Kontext systemischer Therapie
1.1 Einführung
1.2 Ätiologische Modelle
1.3 Grundprinzipien der systemischen Therapie
1.4 Therapeutische Haltung und Beziehungsgestaltung
1.5 Spielen aus systemischer Sicht

2 Rahmenbedingungen der systemischen Therapie
2.1 Flexible Gestaltung des Settings
2.2 Räumliches Setting
2.3 Ausstattung des Therapiezimmers
2.4 Regeln im Therapiezimmer
2.5 Besondere Settings der systemischen Therapie

II Der Aufbau eines therapeutischen Systems mit Kindern und Jugendlichen
3 Das Erstgespräch
3.1 Vor dem ersten Gespräch
3.2 Phasen des Erstgesprächs – die Begrüßung
3.3 Die Eröffnungsphase
3.4 Die Phase der Problemexploration
3.5 Die Interaktionsphase
3.6 Kooperative Planung der Behandlungsziele
3.7 Die Abschlussintervention
3.8 Die Phase der Therapieabsprachen und Kontrakte
3.9 Nach dem Erstgespräch

4 Besonderheiten der Arbeit mit Jugendlichen
4.1 Einführung
4.2 Gesprächsführung mit Jugendlichen

5 Kooperation und Netzwerke
5.1 Einführung
5.2 Kooperation mit dem medizinischen System
5.3 Kooperation mit dem Schulsystem
5.4 Kooperation mit dem Jugendhilfesystem
5.5 Medikamente

6 Diagnostik und systemische Therapie
6.1 Einführung
6.2 Individuelle Diagnostik
6.3 Symptombezogene Diagnostik
6.4 Familiendiagnostik
6.5 Die Resonanz des Therapeuten als diagnostische Information
6.6 Symbolisch-metaphorische Techniken
6.7 Ziel-Skalierungen
7 Der weitere Therapieverlauf
7.1 Folgegespräche
7.2 Umgang mit Fortschritten
7.3 Teilerfolge
7.4 Stagnation im Therapieprozess
7.5 Kooperationsprobleme
7.6 Therapeutische Sackgassen und Krisen
7.7 Aufbau und Struktur von systemischen Therapien
7.8 Therapieabschluss

III Sprach- und handlungsorientierte Interventionen

8 Einfach anfangen
8.1 Aufklärung und Information
8.2 Das systemisches Modell vermitteln
8.3 Aufgaben, Anregungen und Verschreibungen

9 Organisationsberatung mit Familien
9.1 Einführung
9.2 Offene Kommunikation
9.3 Eltern als Ressource
9.4 Die Bindung stärken
9.5 Rechte und Pflichten
9.6 Grenzen stärken
9.7 Die Partnerschaft stärken
9.8 Die Eltern stärken
9.9 Systemische Streitkultur
9.10 Netzwerke stärken

10 Paradoxe Interventionen
10.1 Einführung
10.2 Paradoxe Symptomverschreibungen
10.3 Paradoxe Umdeutungen
10.4 Weitere paradoxe Techniken

11 Lösungsorientierte Interventionen
11.1 Einführung
11.2 Lösungsorientierte Fragetechniken
11.3 Weitere lösungsorientierte Techniken

12 Narrative Techniken, Metaphern und Geschichten
12.1 Einführung
12.2 Externalisierung des Symptoms
12.3 Weitere narrative Techniken
12.4 Metaphern
12.5 Anekdoten
12.6 Therapeutische Geschichten

13 Rituale und ritualisierte Verschreibungen
13.1 Einführung
13.2 Ritualisierte Verschreibungen
13.3 Therapeutische Ritualtechniken

IV Analoge Interventionen

14 Systemische Gestaltungstechniken
14.1 Einführung
14.2 Malen und Gestalten in der Anfangsphase der Therapie
14.3 Problembilder
14.4 Therapieanlass-Bilder
14.5 Bilder der Familie
14.6 Gemeinsame Familienbilder
14.7 Lösungsbilder
14.8 Weitere systemische Gestaltungstechniken

15 Handpuppen
15.1 Einführung
15.2 Systemische Handpuppen-Techniken

16 Systemische Rollenspiel- und Theatertechniken
16.1 Einführung
16.2 Techniken des systemischen Rollenspiels
16.3 Theater- und Improvisationsspiele
16.4 Sprechchöre
16.5 Familien-Opern

17 Familienskulpturen und Choreografien
17.1 Einführung
17.2 Skulpturentechniken
17.3 Familienkonstellationen
17.4 Choreografien
17.5 Zeitlinienarbeit

18 Mini-Figuren
18.1 Einführung
18.2 Techniken der Mini-Figurenarbeit

V Weitere Interventionen

19 Bewegungs- und körperorientierte Interventionen
19.1 Einführung
19.2 Körper- und bewegungsorientierte Techniken

20 Entspannung, Hypnose, Imagination
20.1 Einführung
20.2 Entspannung
20.3 Hypnose in der Familientherapie
20.4 Imagination
20.5 Träume

21 Systemisches Elterncoaching
21.1 Einführung
21.2 Videounterstützte Beratung und Arbeit mit der Einwegscheibe
21.3 Marte meo
21.4 Familien-Spieltherapie
21.5 Theraplay
21.6 Eltern als Team
21.7 Elterliche Präsenz

22 Ende gut, alles gut
22.1 Einführung
22.2 Techniken für das Therapieende
22.3 Therapieabschlussritual

Ausblick
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister



Über den Autor:

Rüdiger Retzlaff, Dr. sc. hum., Diplom-Psychologe, Psychotherapeut und Kinder- und Jugendpsychotherapeut, ist Leiter der Ambulanz für Paar- und Familientherapie der Universitätsklinik Heidelberg; er ist als Lehrtherapeut für systemische Therapie, Hypnotherapie und Verhaltenstherapie, psychodynamischer Therapeut und Lehrtherapeut am Helm-Stierlin-Institut sowie in der Postgraduierten-Ausbildung von Kinder- und Jugendpsychotherapeuten tätig.



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