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Neuvorstellung zur Übersicht
23.05.2008
Martin Lehnert: Gibt es Konflikte? Eine systemtheoretische Beobachtung
Lehnert: Gibt es Konflikte? Carl Auer Verlag, Heidelberg 2006

96 S., broschiert

Preis: 16,95 €

ISBN-10: 3896703633
ISBN-13: 978-3896703637
Carl-Auer-Verlag





Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:

Na ja, vermutlich wird jemand, der den Titel des Buches im Blick auf geläufige Lebenserfahrung für Unsinn hält, sich auch nicht recht darauf freuen, was unter dem Titel an Inhalt so winkt. Es bleibt wohl dabei, wer Luhmann-Spirit spürt, wird auch das spannend finden, was sich aus diesem Werk an weiterführender Diskussion ergibt, wenigstens abschnittweise. Und wem es fremd bleibt, der wird genügend Anlass finden, sich allein durch die elaborierte Sprachform „exkludiert“ zu fühlen, ausgeschlossen also, nicht eingeladen, und die Lektüre dieses Büchleins wäre dann vermutlich eine „dispräferierte“ Reaktion. So dürfte denn auch dessen (Nicht-)Rezeption ein schönes Beispiel für eine Konfliktbeobachtung sein, wenn auch vielleicht keine systemtheoretische, sondern eher eine motivationspraktische. Schade, wenn es dabei bliebe, denn eigentlich stellt Lehnert mit seinen Überlegungen recht gescheite Irritationen zur Verfügung, die Lernen anregen könnten, auch ein Lernen, das über den hier diskutierten Kontext hinausgeht. Denn das wird deutlich: es geht dem Autor tatsächlich ausschließlich um Theorieentwicklung, um Beobachtung, nicht um das Herausarbeiten konstruktiver(er) Lösungsideen. Diese könnten sich jedoch entwickeln, wenn man sich anregen lässt von den angestellten Überlegungen.
Lehnert fasst kurz und prägnant Kernzüge Luhmann’scher Systemtheorie zusammen und diskutiert auf dieser Grundlage, wo und wie Luhmanns Beobachtung von Konflikten weiterentwickelt werden könnte. Für Luhmannkenner ist natürlich vieles redundant, wenn auch einiges immer wieder spannend zu lesen ist, etwa die Überlegungen zu Konflikten als „parasitäres Sozialsystem“. In solchen Passagen blitzt das Erfahrungstaugliche dieser Beobachtungen immer wieder durch. Dass die Konzentration des Konfliktbegriffs „auf einen rein kommunizierten Vorgang“ (35) unter anderen Lebensbetrachtungsblickwinkeln gewöhnungsbedürftig bleibt, ist dann so. Jedenfalls gelingt auf diese Weise auf dem Weg über die Annahme der „doppelten Kontingenz“ das Formulieren von deren Negativversion: „Ich tue nicht, was du möchtest, wenn du nicht tust, was ich möchte“ (55). Wie daraus dann jedoch stabile und womöglich maligne Machtkonflikte werden, wie sich das ausdifferenziert und prozessual entwickelt, ließ Luhmann eher offen. Lehnert greift hier nun auf die Konversationsanalyse zurück, speziell deren Denkfigur des „Umspringens der Präferenzorganisation“, im hier relevanten Fall von „Zustimmung/Übereinstimmung“ auf „Ablehnung“. Der Autor zitiert W.L. Schneider, der schreibt, Konflikte entstünden, „wenn Annahmeerwartungen in der Kommunikation enttäuscht, solche Enttäuschungen nicht akzeptiert und ein solcher Dissens zum Anlagerungspunkt für Folgekommunikation wird“ (70). In Bezug auf „Konflikt als Prozess“ greift Lehnert auf H. Messmers Modell zurück, in dem die Vertiefungsschritte Widerspruch, Konflikt, Opposition und schließlich Struktur sich in vier Zügen entwickeln: Sinn/Gegensinn, vom Gegensinn zum Widerspruch, vom Widerspruch zur Unnachgiebigkeit und von dort zur Negativversion doppelter Kontingenz (s.o.).
Der Autor nennt seine Schrift im Untertitel eine „systemtheoretische Beobachtung“. Er weist im Text selbst darauf hin, dass viele der verwendeten Begriffe, so eben auch „Beobachter“ und „Beobachtung“ nichts mit deren Alltagsgebrauch zu tun haben. Über die Hartnäckigkeit entsprechend folgender Missverständnisse konnte schon Luhmann wunderbar selbstironisch klagen. Vielleicht reicht es, zu wissen, dass mit Beobachten hier ein kontingentes Unterscheiden gemeint ist. Es könnte eben alles auch ganz schön anders sein. Vielleicht reicht das, um sich in anbietenden Theoriekonflikten auf die sportlichen Qualitäten derselben zu begrenzen. Wer etwas anderes will, als feinsinnige Betrachtungen, könnte dann immer noch auf Fußball ausweichen – obwohl… Die systemkonflikttheoretische Übersetzung von „Ein Fußballer schießt den Ball ins Tor“ auf S.49 dürfte bei, sagen wir Podolski zu dauerhafter Ladehemmung führen. Sinn ist hin – oder im Beobachter drin (anstelle im Tor).

(mit freundlicher Erlaubnis aus systhema 2006)





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Verlagsinformation:

"Gibt es Konflikte?" – Eine Frage, die auf Grund der Allgegenwärtigkeit von Konflikten absurd erscheint. Beobachtet man jedoch die große Zahl an Literatur gerade zum so genannten ,Management' von Konflikten, so besitzt sie große Relevanz. Wer sich mit Gruppen, Organisationen und Gesellschaft als Praktiker oder auch als Theoretiker beschäftigt, bekommt es mit Sicherheit über kurz oder lang mit Konflikten zu tun, sei es moderierend oder auch als involvierte Konfliktpartei. Zum Terminus ,Konflikt' lassen sich unzählige theoretische Positionen finden oder auch Anleitungen, wie mit diesen umzugehen sei. Was aber genau zeichnet einen Konflikt aus? Was genau kann unter einem Konflikt verstanden werden? In diesem Buch geht Lehnert der Frage nach, ob es möglich ist, das soziale Phänomen ,Konflikt' empirisch greifbar zu machen. Dabei greift er den von Luhmann geforderten Neubeginn in der Konflikttheorie auf Basis von Systemtheorie auf und verbindet diese mit systemtheoretischen und konversationsanalytischen Weiterentwicklungen.


Vorwort von Juliane Sagebiel:

Martin Lehnert betitelt sein Buch: "Gibt es Konflikte?" Eine Frage, die für einen Absolventen des Studiums der Sozialen Arbeit schon ziemlich vermessen anmutet. Für Mitglieder der Profession liegt die Antwort auf der Hand: Natürlich gibt es Konflikte!
Da ist der nicht enden wollende Konflikt der Anerkennung der Sozialen Arbeit als wissenschaftliche Disziplin und Profession, es gibt die Anerkennungskonflikte, die Sozialarbeitende in interdisziplinären Kooperationskontexten haben, und die vielen Konflikte, mit denen die AdressatInnen der Sozialen Arbeit konfrontiert sind, die Ausdruck von gesellschaftlichen Werte- und Verteilungskonflikten sind, für deren Milderung und Lösung Soziale Arbeit zuständig ist, wenn die Betroffenen nicht über ausreichend eigene Ressourcen verfügen.
Wenn es denn Konflikte gibt und diese real sind, wie auch soziale Systeme und Bewusstseinssysteme (Personen) real sind (Luhmann), und Individuen an Konflikten leiden, als Folge von Inklusions- und Exklusionsprozessen, stellt sich die Frage, welchen Sinn hat eine ausschließliche Beobachtung und Beschreibung von Konflikten, ohne auf deren Veränderungspotentiale hinzuweisen.
Die Antwort lautet: Es hat viel Sinn, denn jeder professionellen Intervention geht eine Diagnose der konflikthaltigen Situation voraus, mit den Fragen:
Was ist los? Um was handelt es sich? Wer ist beteiligt und nach welchen Mustern verläuft die Kommunikation? In welchem Kontext ist der Konflikt angesiedelt und wie hat sich der Konflikt über welchen Zeitraum entwickelt? Erst wenn die WAS-Frage, soweit möglich, mit Hilfe des relevanten Beschreibungs- und Erklärungswissens beantwortet ist, kann über Zielvorstellungen und Veränderungsmöglichkeiten nachgedacht werden.
Martin Lehnert unternimmt hier den Versuch, Konflikte als soziales System vor dem Hintergrund der funktional-strukturellen Systemtheorie zu beschreiben. Er stellt damit eine Deutungsfolie zur Verfügung, die eine Betrachtung auf der Metaebene ermöglicht, um auf diese Weise Konflikte als ein Phänomen zu verstehen, dass über Eigenlogik und Eigendynamik verfügt, quasi über eine "Interpunktion der Ereignisfolge" (Watzlawick).
Das Beobachten und Beschreiben dieser Interaktionsketten und ihres Struktur generierenden Potentials für das Konfliktsystem selbst und das gastgebende soziale System, in dem der Konflikt angesiedelt ist, ermöglicht eine funktionale Analyse, die psychologische Erklärungsmodelle (individuelle Erwartungen und Enttäuschungen) sinnvoll und hilfreich ergänzt. Soweit die fachliche Begründung, dieses Buch als lohnenswerte Lektüre zu empfehlen.
Doch eine persönliche Einladung an die Leserinnen und Leser sollte nicht fehlen:
Die folgende Beobachtung und Beschreibung über das Phänomen Konflikt sucht kommunikativen Anschluss an den Erwartungshorizont der Leser und Leserinnen, die in ihrer Entscheidungspräferenz: lesen/nicht lesen, einem wissenschaftstheoretischen Interesse folgen, einen spezifischen Ausschnitt sozialer Wirklichkeit mit den Augen der Systemtheorie Luhmanns kennen zu lernen. Nehmen wir an, Ihnen geht es wie mir:
Sie haben sich aus der Wahl des Möglichen, aber nicht unbedingt Notwendigen, entschieden, dieses Buch zu lesen und Ihre Zeit zu investieren. Dann werden Sie den Erwartungsnutzen Ihrer Entscheidung kalkulieren. Was bringt mir die Lektüre dieses Textes und was nicht. Der Enttäuschung vorbeugend: Wie Sie Ihre Konflikte demnächst lösen könnten, das erfahren Sie nicht - trotz Ihrer Zeitinvestition. Doch verlieren Sie nicht den Mut, Sie werden sehen, Ihr Widerspruch ist schon die Annahme des Kommunikationsangebotes, selbst wenn Sie an dieser oder jener Stelle dem Autor nicht zustimmen sollten.
Ist dies der Fall, dann reiht sich Ablehnung an Ablehnung und es bildet sich ein soziales System: eben ein Konflikt - vorausgesetzt Sie brechen die Lektüre nicht ab, das würde die Auflösung des sozialen Systems Konflikt zur Folge haben.
Welches Risiko gehen Sie ein mit ihrer Leseentscheidung? Sie versäumen, in dieser Lesezeit anderes zu lesen, zu tun oder zu denken. Ob das eine Gefahr sein könnte, wird dann von Ihrer relevanten Umwelt - Ihrem/Ihrer Partnerin, Kindern, Freunden und ArbeitskollegInnen - als solche beobachtet und beschrieben, wenn man mit Ihnen nicht mehr wie früher "vernünftig" reden kann, weil Sie nach der Lektüre durch einen funktionalistischen Blick auf Konfliktsituationen Erwartungen enttäuschen - Sie erkennen die Spielregeln und Muster - Sie werden zum Spielverderber. Spätestens an dieser Stelle sind Sie Mitglied im sozialen System Konflikt. Ob Sie mitmachen oder aussteigen, das entscheiden Sie selbst. Tragen Sie es mit Humor, es wäre eine systemtheoretisch verträgliche Lösung, und spätestens jetzt wissen Sie: Ja, es gibt Konflikte!

München im April 2006
Prof. Dr. Juliane Sagebiel


Über den Autor:

Martin Lehnert, Diplomsozialpädagoge, studierte soziale Arbeit (Schwerpunkt: betriebliche Sozialarbeit, Sozialmanagement) an der Fachhochschule München und ist heute als Personalreferent/-entwickler in Wirtschaftsunternehmen tätig. Zudem ist er freier Trainer für ein Beraternetzwerk in München und Gastdozent an der Fachhochschule München.





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