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Neuvorstellung zur Übersicht
07.05.2008
Thomas Friedrich-Hett (Hrsg.): Positives Altern. Neue Perspektiven für Beratung und Therapie älterer Menschen
Friedrich-Hett Positives Altern transcript-Verlag, Bielefeld 2007

230 S., kartoniert

Preis: 23,80 €

ISBN-10: 3899427998
ISBN-13: 978-3899427998
transcript-Verlag





Tim Schramm, Hamburg:

Band 3 der Buchreihe DiskurSys – Ressourcen zur Beratungspraxis ist der „Beratung und Therapie älterer Menschen“ gewidmet. Dem Konzept der Reihe entsprechend führt der Herausgeber zunächst in einer ausführlichen Ressource in die Thematik ein. Die Aufforderung „Das Alter schätzen lernen“ (so der Titel dieses Teils) richtet sich dabei ausdrücklich und wohl in erster Linie an alle, die in Beratung und Therapie tätig sind – sie sollen das Alter und die Alten sensibel und „inspirierend“ wahrnehmen - , aber dieser Impuls möchte natürlich auch die Alten selbst, die sog. „jungen Alten“ ebenso wie die „Hochbetagten“, erreichen. Hier wie da geht es darum, die weit verbreiteten „negative(n) Stereotypen über das Alter“ zu erkennen und zu überwinden. Der Verfasser will „die Entwicklung neuer, angemessener Altersbilder unterstützen“ und deshalb „Anregungen zu einer dringend notwendigen Rekonstruktion“ geben. Nicht ohne Emphase wird „zu einer wertschätzenden und ermutigenden Perspektive“ eingeladen, „bei der Altern als ein Prozess einzigartiger menschlicher Bereicherung und gesellschaftlicher Förderung gesehen werden kann“. Kurz, das „Defizit-Modell“ soll ebenso wie auf anderen Feldern auch hier dem „Kompetenz-Modell“ weichen.
Gestützt auf eine Fülle von Studien und statistisches Material wird Schritt für Schritt entfaltet, wie „die Wirklichkeiten im Alter“ sich zur Zeit in unserem Kulturkreis darstellen. Schreckensbilder, die das Altern undifferenziert und pauschal als körperlichen wie geistigen Verfall, als Vereinsamung, als Lebensphase ohne Liebe, Sexualität und Glück schwarz malen, werden dabei nachhaltig korrigiert. Altersforschung wie Statistik berechtigen zu einem gewissen „Optimismus“ und zu „positiver Selbsterwartung“. „Die vorgestellten Ergebnisse zeigen ...“, stellt der Verfasser fest, „dass es vielen älteren Menschen ...gelingt, diesen Lebensabschnitt positiv zu integrieren.“ (29)
Allen, die das Alter weniger positiv sehen und sich mit den (nicht zu leugnenden) beschwerlichen Seiten des Älterwerdens nicht anzufreunden vermögen, widmet Thomas Friedrich-Hett nach diesen grundsätzlichen Feststellungen seine Hinweise zu “Beratung und Therapie älterer Menschen“. (30ff)
Ausgangspunkt ist dabei der (beschämende) Tatbestand, dass in Deutschland ähnlich wie in anderen europäischen Ländern die psychotherapeutische Unterstützung Älterer „weit hinter dem Bedarf“ zurückbleibt. Dafür wird posthum immer noch auch der große Sigmund Freud verantwortlich gemacht, aber die Gründe dürften eher in unseren, in den „eigenen Vorurteile(n) in Bezug auf Ältere“, in „paternalistischen Haltungen“ und in dem von der Defizittheorie beeinflussten „ärztliche(n) Denk- und Handlungssystem“ zu suchen sein. Die Situation bessern will der Verfasser, indem er „vor dem Hintergrund eines systemischen, kollaborativen und postmodernen Verständnisses von Therapie- und Beratungsprozessen“ „Prinzipien für eine erfolgreiche Beratung und Therapie älterer Menschen“ vorschlägt. Diese Prinzipien werden zunächst S. 32f. genannt, im Folgenden dann erläutert und hilfreich durch 10 Praxisbeispiele illustriert.
Zentrales Erfordernis ist die „von Respekt vor dem anderen Menschen und seiner Autonomie und von einer aufrichtigen Wertschätzung“ geprägte „Grundhaltung der Berater und Therapeuten“.
Das ist nun eine in allen Facetten der humanistischen Psychologie beschworene Selbstverständlichkeit, kein neues, aber (natürlich) ein bleibend wichtiges Prinzip. (Muss wirklich dazu angehalten und ermahnt werden?)
Auch zu den Stichworten „Gesprächsführung“ und „Beziehungsgestaltung“ wird an sehr Elementares, Selbstverständliches und Bekanntes erinnert - „Mitbestimmungsrecht bei der Wahl der Gesprächsform“, „Grenzen“ der Gesprächsteilnehmer „sensibel“ beachten, „Fachsprache“ vermeiden, „Blickkontakt“, Metakommunikation, ja, auch Humor, Humor als eine „nicht immer ganz einfache Zutat zu unserem `Gesprächsführungsrezept`“.
Alle Asymmetrie in der Kommunikation soll vermieden werden, denn „kollaborativ-dialogisch orientierte ... Praxismodelle betonen“ ... „ein geteiltes Expertentum und die Gleichwertigkeit der Ideen und Wahrnehmungen aller am Prozess beteiligten Personen“. Nur so kommt es zu „transformativen“ Dialogen.
Wenn es im Weiteren dann um eine familien- und „systemintegrierende Sichtweise“, um „Auftrags-, Ziel- und Zukunftsorientierung“ geht, werden die Anregungen konkreter. Jetzt wird die Aufmerksamkeit der Beratenden darauf gelenkt, wie die Klienten, seien es Kunden, Kläger oder Besucher (42f), ihr Problem bzw. ihre Krise sehen, welche Haltung sie dem Leben gegenüber einnehmen und auch welches Alterbild sie bestimmt. In den Beratungsgesprächen, so heißt es, sollten – soweit notwendig - „aktuelle oder vergangene reaktivierte Konflikte, Belastungen oder Traumata“ aufgearbeitet werden – mit dem Ziel der Entlastung durch erfolgreiche kognitive Umstrukturierung. Wo das gelingt, kommt es zu vermehrtem Selbstwerterleben und Selbstwirksamkeitsempfinden der älteren Menschen und im Verbund damit zu mehr Freude am Leben, zu mehr sozialen Kontakten, zum Aufbau von „Beziehungsnetzwerken“.
Das ist und bleibt das hohe Ziel, das freilich nicht immer erreicht wird. Es wird verfehlt, gelegentlich oder womöglich gar oft (?), weil die Beratenden für diese gewiss nicht leichte Aufgabe nicht hinreichend „qualifiziert“ sind. Selbstkritisch spricht der Verfasser über „Stolpersteine in Beratung oder Therapie älterer Menschen“ (57-61). Dabei kommt er auf die weiter oben formulierten Prinzipien zurück und konstatiert: Hindernisse ergeben sich „aus mangelnder Beachtung der vorgeschlagenen Beratungs- und Behandlungselemente“. Aber es gibt auch Stolpersteine „ganz `banaler` Natur“, u.a. „ungenügende Berücksichtigung körperlicher Beschwerden und Einschränkungen“ der Klienten, entwertende Rede von „Somatisierung“, ja, „Langeweile“: „Wir interessieren uns kaum noch für das Gesagte, hören nicht mehr richtig zu, erleben unsere Gesprächspartner als weitschweifig oder umständlich ... beginnen uns zu langweilen ...“ Interessant auch diese Facette der Selbstkritik: „Wenn Schwierigkeiten in Gesprächsprozessen auftauchen, erliegen wir häufig der Versuchung, die Ursachen dafür unseren ... Klienten zuzuschreiben. Wir etikettieren die älteren Menschen als uneinsichtig, unmotiviert, starr oder widerständig.“ (60) Das „Wir“, das sich hier äußert, ist auf dem Wege; es bedarf m.M.n. keiner wie auch immer „postmodernen“ Methode, Abhilfe schaffen könnte z.B. eine gründliche Fortbildung in TZI (Themenzentrierte Interaktion nach R.C.Cohn, die mit Chairperson- und Störungs-Regel zu menschenfreundlichem Umgang miteinander erzieht.
Die „Ressource“ findet ihren Abschluss in einem Ausblick: „Altern als ein relationales Phänomen“ – ganz im Sinne des alten Römers Marcus Tullius Cicero: „Nicht das Alter ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu“. „Positive Altersbilder“ – so die Überzeugung und Hoffnung des für sein Thema überzeugend werbenden Verfassers – werden „langfristig einen wichtigen gesellschaftlichen Wandel unterstützen“; Berater und Therapeuten haben dabei eine „besondere Verantwortung“; darauf werden sie hier mit Nachdruck hingewiesen.
Auf die „Ressource“ folgt der Diskurs. Der vorliegende Band bietet 6 Beiträge, die anschaulich über konkrete Projekte auf dem Feld der Arbeit mit älteren Menschen informieren.
1. Über „Erlebnistherapeutische Methoden in der Arbeit mit älteren Menschen“ und konkrete Erfahrungen in Gruppen u.a. am Westfälischen Zentrum Herten, „einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Fachklinik“, berichten Thomas Friedrich-Hett, Rainer Gotzian, Regina Wolff-Ebel. Da wurde im Team mit verschiedenen Varianten des (pädagogischen) Rollenspiels gearbeitet. Die vielfach auch anderswo erprobten Vorzüge dieser Methode sind dabei behutsam für den psychiatrischen Kontext adaptiert worden und haben sich offensichtlich als hilfreich erwiesen. Instruktiv werden Themenbereiche und häufig gewählte „Spielsituationen aus dem Alltag“ der beteiligten Menschen benannt und bedacht. Die Erfahrungen des Teams (78f) ermutigen zur Nachahmung. Gleiches gilt für Konzept und Praxis der sogenannten „Sinnes- und Wahrnehmungsgruppe“ (79-87) und die Drama- und Theaterarbeit, die in vielen Bereichen der Pädagogik, insbesondere in diversen Sparten der Erwachsenenbildung ja längst etabliert ist. Hier bekommt dieser kreative Weg den Namen „Theatertherapie“, deren Stärken sich nach Meinung der Autoren in generationsübergreifenden Gruppen besonders gut entfalten.
2. Unter der Überschrift „Zwischen Hoffen und Bangen“ macht Michael Vogt „Partnerschaftsberatung im Alter“ zum Thema. Zunächst erfährt man in diesem Beitrag nach Anmerkungen zur „Phänomenologie des Alter(n)s“ Wissenswertes über die aktuelle „Lebenswirklichkeit“ der „Alten“ und speziell über „Partnerschaft im Alter“; die hat sich „im Laufe der letzten 30 bis 50 Jahre“ dramatisch gewandelt, z.B. darin, dass „noch nie zuvor in der Geschichte“ so viele Paare die Möglichkeit hatten, „miteinander `Goldhochzeit` oder gar `diamantene Hochzeit` zu feiern“, aber auch darin, dass sich „die Zahl der Ehescheidungen nach der `Silberhochzeit` seit 1975 verdoppelt hat, „die Zahl der Frauen und Männer, die sich im Alter von 60 Jahren aufwärts von ihrem Partner scheiden ließ, hat sich in der Zeit von 1992 bis 2000 (sogar) mehr als verdoppelt“. (98f)
Die sich daraus ergebenden Herausforderungen wollen angenommen und in einem Konzept der „Ehe-, Familien- und Lebensberatung für lebenserfahrene Paare“ („lebenserfahrene Paare, ein schöner Euphemismus!) bearbeitet sein. (101ff) Dabei muss – sagt Michael Vogt – die „Entberuflichung als kritisches Lebensereignis für die Paarbeziehung“ besondere Beachtung finden, aber auch die „sozioökonomischen Daten der älteren Ratsuchenden“ sind ein wichtiger Faktor, wenn es um die Problembereiche „Ehe und Familie“, „Identität und Sexualität“ oder „Sinnfragen“ geht. Die vom Verfasser vorgeschlagene „Beratungssystematik“ wird anhand von zwei Fallbeispielen veranschaulicht – und mit großem Optimismus vertreten: die Nachfrage auf diesem Feld werde „permanent steigen“ – und: eine entsprechende Beratung für ältere Paare werde dazu beitragen, „neue Optionen und Möglichkeiten für die Paarbeziehung zu eröffnen, `Verzauberung in einer entzauberten Welt`, in der - frei nach Romano Guardini – „`das Selbstverständliche neu wird und mit Staunen erfüllt`“.
3. Marco Pulver, seit vier Jahren im Netzwerk „Anders Altern“ der Schwulenberatung Berlin tätig, berichtet aus der Arbeit mit Senioren (112-131). Seine Anmerkungen zum „geschichtlich-gesellschaftlichen Hintergrund der aktuellen Situation schwuler Senioren“ machen verständlich, warum „besondere Beratungsangebote und psychosoziale Projekte für ältere schwule Männer“ dringend nötig sind. Einsamkeit ist (oft) das zentrale Problem dieser Menschen - und die Scheu, Beratung in Anspruch zu nehmen, deshalb besonders groß. Abhilfe schaffen kann ein möglichst „niedrigschwelliges Angebot“, das mit Freizeitaktivitäten und Gesprächskreisen den Weg in die Beratung erleichtert. Das ist in Berlin – so scheint es – ein Stück weit gelungen. Wenn es dann zu Einzelgesprächen und individueller Beratung kommt, werden neben der sozialen Isolation weitere „Sorgen“ der Betroffenen zum Thema: „Pflegebedürftigkeit und Wohnen im Alter“, „Sexualität, neue Medien, HIV/AIDS, Sucht“. Aus dem „versteckten Umgang mit der eigenen Homosexualität“ und „einer ungenügenden Einbindung in die schwule Community“ resultieren die Schwierigkeiten, aber – so die Erfahrung des engagierten Verfassers – die Beratung hat Chancen, sollte deshalb ausgebaut und vor allem wahrgenommen werden.
4. Mit „Empowerment-Coaching“, einem Konzept für Training und Beratung, beteiligen sich Ulrich Meindl und Adelheid Schramm-Meindl am Diskurs. (132-153) Angesprochen werden dabei Menschen in der nachberuflichen und nachfamiliären Lebenszeit, d.h. in einer Lebensphase, die „keine von der Gesellschaft vorgegebenen Ziele mehr“ kennt und der es zunächst in der Regel an einer fest „formulierte(n) Tages- und Wochenstruktur“ fehlt. Diese Situation – der Verlust vorgegebener Aufgaben und klarer Struktur einerseits, neu gewonnene Freiheit andererseits – ist erfahrungsgemäß durch Ambivalenz geprägt. Hier setzt die Beratung „in Form von Einzelcoaching und Workshops oder Seminaren für Strategien zu erfolgreichem Altern an“.
Erfolgreich nennen die Verfasser dabei ein Alter(n), das die Herausforderungen dieser Lebensphase annimmt, sich selbst Ziele setzt und den Weg zu ihrer Realisierung eigenständig bestimmt. (133) Das Empowerment-Konzept betont nachdrücklich Selbstbestimmung und Autonomie, Alter wird „als ein selbstgesteuerter Prozess“ verstanden – ein hohes Ziel, scheint mir, das vielleicht einer gewissen Relativierung bedarf? (Soweit die Kräfte, die körperlichen, die seelischen, die geistigen Kräfte es erlauben, möchte man ergänzen.) Der Anspruch, „Menschen zur aktiven Gestaltung“ dieser Lebensphase zu motivieren, ist natürlich verdienstvoll - und das Angebot, sie dabei zu unterstützen, „ihre Potenziale auszuschöpfen“, soll nicht in Frage gestellt werden.
Im Empowerment-Coaching wird das „Fünf-Säulen-Modell der Identität“ nach Hammer aufgenommen, Biographie-Arbeit ist ein wichtiges Element der Arbeit, methodisch kommen die Regeln der Themenzentrierten Interaktion (TZI), systemische Beratung und Neurolinguistische Programmierung (NLP) zur Anwendung. Der detailliert ausdifferenzierte „Beratungs- und Trainingsprozess“ wird genau nachgezeichnet - mit Angabe der einschlägigen Themen, Fragen und Schlussfolgerungen (137-151); er gliedert sich in sechs Phasen, wobei Vergangenheit erinnert, Gegenwart bedacht und Zukunft geplant werden soll: Im einzelnen geht es darum, „den Standort (zu) bestimmen“, „Lebensthemen (zu) identifizieren“, „Visionen (zu) entwickeln, „Abschied und Neubeginn“ zu wagen, „Entscheidungen (zu) treffen und Ziele (zu) formulieren“ und schließlich „Sich auf den Weg (zu) machen“.
Ein anspruchsvolles Konzept für den nicht-therapeutischen Bereich, dem man Resonanz wünschen möchte; will es doch dazu verhelfen, die „veränderten Lebensbedingungen“ des Alters zu akzeptieren, die „Begegnung mit dem eigenen Selbst zu suchen“ und dabei die „eigenen Kräfte strategisch (zu) nutzen“. Vor der so umschriebenen Aufgabe stehen – so wahr wir altern und eines Tages alt sein werden - alle Menschen immer schon und überall.
5. Renate Rubin, Gerontologin und Erwachsenenbildnerin, berichtet – inspiriert u.a. von Hilarion Petzoldt - eindrucksvoll über ihre Poesie – und bibliotherapeutische Schreibgruppenarbeit mit alten Menschen, d.h. in diesem Fall mit wirklich alten, nämlich hochbetagten Menschen u.a. im Altersheim Klus Park in Zürich (154-175).
In den einleitenden „Gedanken über Bildung und Alter(n) heute“ werden zunächst gängige „Slogans“ der Altenarbeit kritisch befragt: Lebenslanges Lernen „als gesellschaftlich verordnete Zwangsmaßnahme“? „Aktivierung“ alter Menschen als Maßnahme im Sog des Defizitmodells? Ökonomistische Kopplung von Bildung und Nutzen? - Im Unterschied dazu möchte Frau Rubin, orientiert an einem gleichsam geläuterten Bildungsbegriff (156f), die Entwicklung alter Menschen begleiten – und dabei das Thema „Tod“ ausdrücklich mit einbeziehen, denn: „Dem alten Menschen wird im Kompetenzmodell des Alter(n)s, gerade in der Auseinandersetzung mit dem Prozess des Alterns, ein hohes Maß an persönlichem Wachstum und Entwicklung zugestanden.“ „Entdeckendes Schreiben“ ebenso wie Malen, Auseinandersetzung mit Kunst - „und das sich darin Üben“ kann solches Wachstum und die entsprechende Entwicklung fördern, es ist „mindestens ebenso gesundheitsfördernd wie Sport“, denn der Mensch „ist Körper und Geist und der Geist ist mehr als ein Funktionsrelais“. „Schreiben ist Hand und Seelenarbeit in einem“ (160).
Angeregt zum eigenen Schreiben werden die Teilnehmenden an der Schreibgruppenarbeit durch Prosatexte und Gedichte, auf die sie „Resonanz geben“, indem sie Texte, „Geschichten, die das Leben schrieb“ verfassen und später auch vorlesen. Das ist kreative Erinnerungsarbeit, „Bilder, die Menschen sich in der Gegenwart vom Vergangenen machen“. Mehr dazu in dem Bericht über die „Schreibstube“ einschließlich der Rückmeldungen der Teilnehmerinnen (166-171).
6. Ilona Klaus, deren Beitrag den Band beschließt, arbeitet seit 2001 als Altenheimseelsorgerin im Kirchenkreis Recklinghausen. Sie lässt uns teilnehmen an ihrem Weg zur „Wahrnehmung und Wertschätzung des Lebens alter Frauen“ und erzählt davon, dass die Gestalt der hochbetagten Hanna, Prophetin am Tempel in Jerusalem, sie dazu veranlasst hat, über das eigene „Älterwerden und das Altwerden von Frauen nachzudenken.“
Die kurze Notiz aus dem Lukas-Evangelium (2,36-38) liefert die Stichworte, die in feministisch-theologischer Perspektive bedacht werden. Zum Beispiel diese: „Hanna ist eine Frau – das Altern von Frauen und das Altern von Männern“ ist drastisch unterschiedlich (was so bisher in keinem anderen Beitrag des Buches thematisiert wird). Feministische Befreiungstheologie macht auf den nach wie vor in Kirche und Gesellschaft grassierenden Paternalismus aufmerksam: „Als Frau alt zu sein heißt, doppelt und dreifach und vierfach stigmatisiert zu sein“ (180).
„Es gibt noch mehr Hannas – Bilder von alten Frauen in der Bibel“ – kein Zweifel, die Wiederentdeckung der „unbekannten“ Frauen der Bibel wie etwa der Sara, Naomi, Ruth und anderer war und ist ein „empowerment“ für Frauen. „Hanna verkündet einen Gott, der erlöst ...“ und „Hanna sprach ... von Erlösung“ wird zum Anlass über „Gottesbilder alter Menschen“ nachzudenken und „Aspekte feministischer Seelsorge mit alten Frauen“, ja, „Altenheimseelsorge“ überhaupt zu diskutieren und mit Beispielen zu illustrieren; „Hanna betet“ eröffnet das Thema „Alte Frauen und Spiritualität“.
Der anregende Beitrag mündet ein in ein engagiertes Plädoyer für neue Wege in der kirchlichen Frauenarbeit – Geschlechtsspezifische Seelsorge, Ganzheitlichkeit – u.a. durch Anwendung der Methoden der basalen Stimulation; Neuorientierung mit wertschätzender Wahrnehmung der (alten) Frauen und einem entsprechenden Altersbild.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis, Kommentierte Literaturempfehlungen und knappe Informationen über die Autorinnen und Autoren beschließen den Band, den gründlich gelesen zu haben mich nicht reut. Das Buch sei Jung und Alt – und insbesondere allen, die in Beratung und Therapie mit alten Menschen zu tun haben, zur Lektüre empfohlen.





Eine weitere ausführliche Rezension von Hans Goldbrunner für socialnet.de

Und noch eine Rezension von Thomas Keller

Eine Leseprobe aus dem einleitenden Kapitel von Thomas Friedrich-Hett

Das Inhaltsverzeichnis als PDF





Verlagsinformation:

Ältere Menschen sind in Beratung und Psychotherapie deutlich unterrepräsentiert. Zurückzuführen ist dies weniger auf deren Vorbehalte als vielmehr auf Berührungsängste von Beratern und Therapeuten. Mit der Perspektive des "Positiven Alterns" lädt dieser Band zu einer Rekonstruktion unserer Altersbilder ein. Ausgehend von einem systemischen Ansatz werden Grundelemente der beraterischen und therapeutischen Arbeit mit älteren Menschen formuliert und in ergänzenden Beiträgen praxisnah dargestellt. Themen sind dabei u.a. Partnerschaftsberatung im Alter, Beratung homosexueller Senioren, Schreibgruppen und erlebnistherapeutische Methoden, Empowerment-Coaching sowie feministische Seelsorge.


Vorwort von Klaus Deissler:

Eine Mittachtzigerin kommt weinend
zum Arzt und sagt schluchzend:
»Ich bin seit mehreren Jahren glücklich
mit einem jungen Mann verheiratet,
wir haben jeden Tag drei Mal Sex
miteinander, wir sind sehr
glücklich...«.  »Ja, aber warum sind Sie
dann so verzweifelt?«, fragt der Arzt.
Die Frau antwortet: »Ich habe
vergessen, wo ich wohne...«.

(Kubanischer Witz über positives Altern)

Positives Altern - was soll das heißen?
Der Begriff »Positives Altern« lässt vielfältige Assoziationen anklingen - so muss es, wenn es positives Altern gibt, auch negatives Altern geben. Unter »Negativem Altern« kann man all das verstehen, was Menschen daran hindert, einen Prozess wahrzunehmen, der das Leben unvermeidlich prägt, und konstruktiv damit umzugehen.
Wir sollten uns also bemühen, den Prozess des Alterns zu verstehen, wenn wir wissen wollen, wie wir ihn positiv gestalten und nutzen können. »Altern« heißt - frei aus dem Lateinischen übersetzt - »sich wandeln« (1). Mit anderen Worten: Wenn wir leben, altern wir - und indem wir altern , bleiben wir die, die wir sind, indem wir (uns) wandelnd durchs Leben gehen. Das ist mehr als ein Wortspiel: Ich möchte vorschlagen, »positives Altern« als positiven Lebenswandel zu verstehen. Damit ist eine Tugend definiert, die uns nicht in den Schoß fällt. Wir müssen sie erlernen und als Haltung dem Leben und unseren sozialen Beziehungen gegenüber pflegen.
Da das Leben jedoch begrenzt ist, verbinden wir mit dem Altern vielfach einen eng begrenzten Betrachtungsfokus; dieser bezieht sich auf den 3. Lebensabschnitt - nämlich die Zeit, in der wir uns beschleunigt dem Ende unseres Lebens und damit dem Tod nähern. Wir nennen diesen Lebensabschnitt verkürzend »Alter« und suggerieren damit, dass wir in den anderen Lebensabschnitten nicht altern.
Der dritte Lebensabschnitt ist aber nur ein Teil des Lebenswandels - insofern ist er nichts Besonderes. Er wird erst dadurch besonders, dass wir uns gewöhnlich erst in diesem Lebensabschnitt mit der Frage des Sterbens auseinandersetzen. Sterben bedeutet in diesem Zusammenhang dann nicht nur den Abschied von körperlicher Gesundheit und Abschied von Beziehungen und Lebenszusammenhängen: Sterben ist auch mit der Frage des Leidens verbunden. Nachdem wir die »Selbstvergessenheit der Gesundheit« (Gadamer, 1993) genießend durchs Leben gewandelt sind, schreckt uns dann die Vorstellung des Todes, die wir mit Sterben- und Leidenmüssen verbinden. Folgen wir jedoch Sokrates und verstehen »philosophieren« als »sterben lernen«, können wir sagen, dass sich sterben lernen nicht nur mit der Nähe zum Tod einstellen muss, sondern dass dies eine »Übung« ist, die wir von Kindesbeinen an vollziehen (sollten).
Was bleibt dann noch vom Schrecken des Alterns, wenn wir darunter die Tugend des philosophierenden Lebenswandels verstehen, der Haltung also, die uns erlaubt, Prozesse des Alterns positiv zu werten? Er besteht in der Bewältigung von Detailproblemen, mit denen der »alternde Mensch« im Alltag nicht zurecht kommt und die er nicht zu handhaben weiß. Genau an diesem Punkt setzt das vorliegende Buch an - der Beratung älterer Menschen in bestimmten Problemsituationen. Mit all den dazugehörigen Themen beschäftigen sich Thomas Friedrich-Hett und seine Mitautoren. Sie räumen dabei mit vielen Mythen, die sich um das Altern ranken auf. Des Weiteren stellen die Beiträge für Berater einen unschätzbaren Fundus an Ideen, Wissen und Beratungshaltungen dar. Damit dürfte dieses Buch der erste deutschsprachige Sammelband für Fachleute sein, die im Kontext der Beratung im Bereich des Positiven Alterns tätig sind.
Ich freue mich sehr, dass ich Thomas Friedrich-Hett als Herausgeber dieses Bandes der Diskur-Sys-Reihe gewinnen konnte (2). Mit seinem eigenen ideenreichen und kompetenten Beitrag ist es ihm gelungen, Mitautoren anzusprechen, die ihrerseits praxisrelevante und spannende Aufsätze beigesteuert haben. Ich wünsche dem Buch den Erfolg, den es aufgrund seiner Sachkompetenz, Praxisrelevanz und Haltung gegenüber dem Lebenswandel als Tugend verdient hat.
Klaus G. Deissler, Herausgeber Diskur-Sys Montpellier, im August 2007
Anmerkungen
(1) alter, lat. = der andere; alternare, lat. = abwechseln usw.
(2) Er hat sich bereits als Gastherausgeber der »Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung« im Bereich des Positiven Alterns einen Namen gemacht (ZSTB 2005, 23/4: Positives Altern - eine neue Haltung gegenüber einem alten Thema).


Über die Autorinnen und Autoren:

Klaus G. Deissler, Dr. phil., Dipl.-Psych., ist Herausgeber der Reihe »Diskur-Sys« im transcript-Verlag. Darüber hinaus ist er als Herausgeber der »Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung« und als Verfasser zahlreicher Aufsätze und Bücher im Bereich Beratung und Therapie publizistisch tätig. Neben seiner Tätigkeit als Psychotherapeut in freier Praxis arbeitet er als Supervisor, Coach und Berater von Familienunternehmen.
Thomas Friedrich-Hett, geb. 1966, Dipl. Psych, und Exam. Krankenpfleger, Lehrtherapeut für Systemische Therapie und Beratung (viisa, SG), tätig an der Fliedner Klinik Gevelsberg, Tagesklinik und Ambulanz für psychologische Medizin, seit 21 Jahren in psychiatrischen Kliniken tätig. Seit 1997 freiberuflich als Referent, Moderator, Berater und Supervisor tätig, Gründungsmitglied des Projektes »Qualität durch Dialog«, Mitausrichter versch. internationaler Tagungen, 2. Vorsitzender von viisa - Verband internationaler Institute für systemische Arbeitsformen (Marburg), sowie 2. Vorsitzender des Langenfelder Instituts für systemische Praxis und Forschung e.V.
Rainer Gotzian, geb. 1957, Ergotherapeut und Theaterpädagoge, Theater u. Dramatherapeut i.A. (Deutsche Gesellschaft für Theatertherapie, DGFT), angestellt in der LWL-Klinik Herten mit den Schwerpunkten Gerontopsychiatrische Tagesklinik, Station für Psychotherapie sowie forensische Psychiatrie. Seit 1985 in verschiedenen psychiatrischen Kliniken und zeitweise als Dozent für Ergotherapie tätig. Langjährige Bühnenerfahrung als Amateurschauspieler in mehreren Theatergruppen.
Ilona Klaus, geb. 1961, aufgewachsen im östlichen Ruhrgebiet, Studium der Evangelischen Theologie in Münster, Heidelberg und Hamburg, ab 1990 als Vikarin und danach als Pfarrerin in verschiedenen Gemeinden wie auch im Ev. Jugendpfarramt in Gelsenkirchen tätig, ab 2001 Altenheimseelsorgerin im Kirchenkreis Recklinghausen. Schwerpunkte: Arbeit mit jungen und alten Frauen.
Ulrich Meindl, Dipl. Psych., Mediator und Coach (DVNLP). Langjährige Erfahrung in psychologischer Beratung und Training in der Tradition der humanistischen Psychologie sowie der Praxis von Planung und Durchführung von Veränderungsprozessen (Change Management).
Marco Pulver, Dr. phil., M. A., geb. 1961 in Berlin, Erziehungswissenschaftler, Dozent am FB Erziehungswissenschaften und Psychologie der Freien Universität Berlin in den Bereichen Sozialpädagogik, Philosophie der Erziehung, Historische Anthropologie, Wissenstheorie, sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden. Trainer für klientenzentrierte Beratung. Sozialpädagogischer Mitarbeiter der Schwulenberatung Berlin (Gesundheitszentrum für schwule Männer, Berlin-Charlottenburg). Mitgründer des schwulen Besuchsdienstes »Der Mobile Salon« und des »Netzwerks Anders Altern Berlin«, Redaktion und Lektorat der Schriftenreihe »Forum Anders Altern«.
Renate Rubin, Gerontologin und Erwachsenenbildnerin, Weiterbildung in integrativer Poesie- und Bibliotherapie, sowie im Bewegungs- und Theaterbereich. Tätigkeit bei Pro-Senectute im Kanton Zürich und Dozentin für Sprache und Gerontologie am Zentrum für medizinische Bildung in Bern, sowie langjährige Leitung von Schreibgruppen. Früher als Buchhändlerin tätig.
Dr. Adelheid Schramm-Meindl, Dipl. Psychologin, Psychodrama-Leiterin und systemische Organisationsberaterin. Langjährige Erfahrung in psychologischer Beratung und Training in der Tradition der humanistischen Psychologie sowie der Praxis von Planung und Durchführung von Veränderungsprozessen (Change Management).
Dr. Michael Vogt, Diplom-Pädagoge, Dipl. Sozialarbeiter, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberater, Psychotherapeut, Supervisor (BAG), Suchtberater, Diözesanreferent für Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Bistum Essen, Vorsitzender der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) und des Landesarbeitskreises für Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Nordrhein-Westfalen (LAK), Vorstandsmitglied der Katholischen Bundeskonferenz für Ehe-, Familien- und Lebensberatung.
Regina Wolff-Ebel, Jg. 1955, Dipl. Sozialarbeiterin und Erzieherin, seit 1985 angestellt im Westfälischen Zentrum in Herten, ab 1990 schwerpunktmäßig in der Tagesklinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie Schlaunhaus. Ausbildung zur Anwendung des Pädagogischen Rollenspiels als übendes Gruppenverfahren (APR e.V.), seit 2003 Weiterbildung zur Systemischen Beraterin und Therapeutin (viisa Marburg).




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