Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
Neuvorstellung |
zur Übersicht |
24.02.2008
Rosmarie Welter Enderlin: Einführung in die systemische Paartherapie
|
|
|
Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2007
125 S., kartoniert
Preis: 12,95 €
ISBN-10: 3896704729
ISBN-13: 978-3896704726 |
|
Carl-Auer-Verlag
Tom Levold, Köln:
Im Bereich der Natur versteht man unter einer Essenz einen Auszug, ein Konzentrat einer bestimmten Pflanze, die ihre Duftstoffe, ihr Aroma verdichtet enthalten. Und Rosmarie Welter-Enderlin aus Meilen bei Zürich, die Gärtnerstochter, hat in ihrer beruflichen Geschichte einen reichhaltigen und fruchtbaren Garten angelegt. Sie, die nach ihrem Studienaufenthalt in den USA in den 70er Jahren, wo sie ihre Ausbildung als Familientherapeutin machte, brachte als eine der ersten - und vor allem als eine der ersten Frauen - hierzulande die neuen Konzepte in die Praxis ein. Seitdem setzte sie mit ihren immer bedeutsamen und zum Teil bahnbrechenden Zürcher Kongressen, die sie mit ihren Mitstreitern des Meilener Ausbildungsinstitutes veranstaltete, wichtige Akzente in der Entwicklung des systemischen Diskurses, dabei nie distanziert, oft streitbar, immer sehr persönlich. All dies hat ihr eine große Reputation als Paartherapeutin, Lehrerin, Supervisorin und Coach, nicht zuletzt auch als Publizistin eingetragen, die systemische Ideen auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen konnte, ohne dabei billige Komplexitätsverluste in Kauf zu nehmen. Sie vermag es wie nur wenige im Feld, eingängig und doch anspruchsvoll, elegant und präzise zugleich zu formulieren.
So kann man ihre vorliegende „Einführung in die systemische Paartherapie“ mit Fug und Recht als die Essenz ihres paartherapeutischen Wirkens verstehen. Wer mit den Arbeiten von Rosmarie Welter-Enderlin vertraut ist, erkennt das in jeder Zeile. Dass dieses Buch nicht repräsentativ ist für alles, was unter dem Signum „systemischer Paartherapie“ im deutschsprachigen Bereich zu finden ist, ist dabei kein Manko. Die Literatur hat zu diesem Thema mittlerweile einen beträchtlichen Umfang angenommen und interessanterweise tritt in keinem anderen Bereich die persönliche Note der AutorInnen stärker zutage als im Bereich der Paardynamik und Paartherapie. Offenkundig fällt hier die professionelle Distanzierung am schwersten, sind doch die meisten PaartherapeutInnen mit ihrem Gegenstand nicht nur aus beruflichen Gründen vertraut.
Wir haben es also mit einer Einführung in die systemische Paartherapie zu tun, wie sie Rosmarie Welter-Enderlin praktiziert, und die sich maßgeblich auf das von ihr mit Bruno Hildenbrand gemeinsam entwickelte Konzept des „Fallverstehens in der Begegnung“ stützt.
In einem kurzen einführenden Abschnitt wird der Weg von einer psychoanalytischen Tradition der Paarberatung, die bis in die 70er Jahre weitgehend alternativlos dominierte, hin zu einem system-integrativen Konzept beschrieben. Systemisch-integrativ bedeutet hier, dass Welter-Enderlin auch Kritik an allzu simplifizierenden „systemischen“ Konzepten - wie z.B. dem Beharren auf genauester Auftragsklärung - äußert und für eine Perspektivenerweiterung plädiert: „Leider sind Menschen in Krise durch die Fragen nach ihrem therapeutischen Auftrag wie auch dem Konzept eines Arbeitsvertrages oft verwirrt, weil sie nicht wie Kunden im Lebensmittelgeschäft bereits wissen, was sie kochen wollen und welche Produkte sie dafür brauchen. Im Gegenteil! Es kann ja nicht Zufall sein, das das vage Thema der mangelnden oder leidbringenden „Kommunikation“ bei den meisten Anmeldungen für Paartherapie an vorderster Stelle steht. Wer als Therapeutin auf der Formulierung eines Auftrags besteht und nicht bereit ist, für die oft mühsame Suche nach spezifischen Anliegen Zeit und einen sicheren emotionalen Rahmen anzubieten, kann am ganz gewöhnlichen Chaos moderner Liebe … leicht scheitern“ (S. 17). Zu einer allzu naiven Idealisierung der Ressourcenorientierung schreibt sie: „Die Ressourcenorientierung gängiger systemischer Therapietheorien, wie sie als Kraft positiven Denkens der resignativen Tendenz mitteleuropäischer Theorien entgegengestellt wird (…), zeigt zwar die andere, hoffnungsvolle Seite der Medaille, sie ist aber wiederum bloß eine Hälfte des Ganzen. Wer vor lauter positiver Konnotation Paaren Blicke in den Abgrund verwehrt, fällt leicht selbst hinein“ (18).
Das zweite Kapitel ist eher praktischen Fragen gewidmet und enthält u.a. die von Rosmarie Welter-Enderlin benutzten Formulare, mit denen sie Anfragenden ihre Vorgehensweise erklärt sowie einen ausführlichen Fragebogen, mit denen schon vor dem ersten Gespräch relevante Lebens- und Beziehungsthemen erfragt werden.
Das dritte Kapitel ist mit „Therapeutische Zugänge zu Paaren“ überschrieben und bietet einen ersten Einstieg in paartherapeutische Perspektiven, die in der Arbeit von Rosmarie Welter-Enderlin immer wieder auftauchen und in Bezug auf ihre praktische Relevanz anschaulich dargestellt werden. Dabei geht es darum, nicht das Paar als isolierte Dyade zu betrachten, sondern die paartherapeutische Konstellation als triadische selbst in den Blick zu nehmen. Die Reichweite der konzeptuellen Verweise ist dabei enorm und kann daher in diesem Band nur in geraffter Form markiert werden. Rosmarie Welter-Enderlin lässt sich von den metaphernanalytischen Arbeiten Michael Buchholz‘ genauso anregen wie von der Ethologie (Norbert Bischof), der Affekt- und Säuglingsforschung (Daniel Stern und Elisabeth Fivaz-Depeursinge), Mehrgenerations- und Motivationstheorien und nicht zuletzt von soziologischen und sozialpsychologischen Konzepten, die die Veränderung der Lebenslage moderner Paare unter Zeit- und Ressourcendruck und auch die Triangulierung von Paaren durch die neuen Technologien beschreiben. Auf der Basis dieser Konzepte entwirft sie ein praktisches Raster, das auf dem Hintergrund einer stabilen und stabilisierenden affektiven Rahmung des therapeutischen Prozesses ermöglicht, konkrete spezifische Regeln und Handlungsschritte zu vereinbaren, Stress zu reduzieren, unerledigte Geschichten zu Ende zu bringen, Entwicklungsperspektiven zu eröffnen, Lebensthemen zu erschließen, Visionen zu entwickeln und auf dieser Basis auf konkrete Entscheidungen hinzuarbeiten (52f.) Innerhalb dieses Rahmens können Krisen als „Vorboten anstehender Entwicklung und nicht als Quittung für ‚falsch gelebtes Leben‘“ verstanden werden, „die therapeutische Orientierung an den Ressourcen eines Paares steht aber nie im Gegensatz zu den ebenso wichtigen Blicken in Abgründe von Schuld, Scham und Angst mit der Frage, wie diese Gefühle nun eingebaut werden ins Leben und wie sie zu Handeln führen“ (54).
Der Zusammenhang von Lebensthemen und Genogrammarbeit wird im vierten Kapitel ausgeleuchtet, das in einem engen Zusammenhang mit der Arbeit von Bruno Hildenbrand („Einführung in die Genogrammarbeit“; vgl. Rezension im systemagazin) zu sehen ist. Genogrammarbeit bedeutet hier eben keine grafische Darstellung von aktuellen und vergangenen Familienstrukturen, sondern „besteht darin, Schritt für Schritt damalige Entscheidungsmöglichkeiten der infrage stehenden Akteure zu rekonstruieren und sie mit ihren tatsächlich getroffenen Entscheidungen zu vergleichen“ (56). Diese, einer qualitativen Praxis der Sozialforschung entlehnte Vorgehensweise erlaubt es, „das bestimmten Menschen Vorgegebene und das ihnen Aufgegebene als Konzepte ihrer Lebensläufe … als zentrale Informationen zum Verstehen einer bestimmten Lebenspraxis“ (58) zu nutzen und in therapeutische Verarbeitungsstrategien zu integrieren. Gerade dieses vierte Kapitel betont, dass die Paartherapie in erster Linie als sozialwissenschaftlich informierte und inspirierte professionelle Praxis verstanden werden sollte und nicht einem „medizinischen“ Behandlungsparadigma unterworfen werden kann.
Im fünften Kapitel geht Rosmarie Welter-Enderlin auf ihr Konzept der affektiven Rahmung ein, worunter „alle Interventionen, welche gute menschliche Entwicklung in instabilen Phasen ermöglichen“, gemeint sind (67), was nicht nur für TherapeutInnen gilt, sondern ebenso auch für Eltern, Lehrende oder Führungskräfte. Dabei gilt ihr Blick auch der Persönlichkeit der Therapeutinnen und Therapeuten. In fünf „Wünsche an Kolleginnen“ fordert sie: 1. neben allen Bemühungen um Neutralität sich auf Klienten einzulassen und „vorübergehend Teil ihres Lebens werden“ zu können, 2. Kunst als dritte Dimension neben Wissen und Können in der Paartherapie zu betrachten, 3. Akzeptanz unterschiedlicher Gefühle oder Anliegen bei den Klienten anzustreben, 4. einen freundlichen Umgang mit sich selbst zu praktizieren und schließlich 5. „Liebe“ für die Klienten aufzubringen als etwas, das TherapeutInnen brauchen, „um sich mit Interesse und Anteilnahme auf die Geschichten, Lebensmottos und bildhaften Äußerungen von Menschen in Therapie“ einzulassen (83ff.)
Der 6. Abschnitt streift „typische Themen einer Paartherapie“ (Autonomie und Bindung, Intimität, Sexualität, Treue und Untreue, Kinder bzw. Kinderlosigkeit), wobei hier hervorzuheben ist, dass Rosmarie Welter-Enderlin die Bearbeitung von Fragen der Sexualität als integralen Bestandteil von Paartherapie betont: „Ich verstehe also Sexualität und entsprechende Symptome nicht als Sonderfall, der in die Hand von Experten bzw. Sexualtherapeuten gehört, sondern als wichtigen Fall Bestandteil paartherapeutischer Alltagspraxis“ (96).
Das Schlusskapitel ist dem Thema der Resilienz gewidmet, das die Perspektive über den Stellenwert aktueller Problemlagen hinaus in einen (auch zeitlich) weiteren Horizont stellt.
Während der Lektüre wird einem deutlich, dass es hier zwar immer um Paartherapie geht, aber immer auch noch um etwas mehr, nämlich um den Themenzyklus, für den die Person von Rosmarie Welter-Enderlin steht, und der sich auch in der Wahl der Themen für die bereits erwähnten wichtigen Kongresse in den letzten 20 Jahren niedergeschlagen hat: nämlich der Bedeutung von Lebensgeschichte und Biografie, der Chronifizierung von Problemlagen, von Ritualen und Resilienz sowie des herausragenden Stellenwerts der affektiven Kommunikation. Insofern spiegelt sich in diesem Buch nicht nur die Arbeit der Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin wieder, sondern es scheint auch in verschiedenen Facetten ihr gesamtes veröffentlichtes Lebenswerk auf, was nicht zuletzt aus diesem Grund die Lektüre dieses Buches absolut lesenswert macht, das sich aufs vorzüglichste in die augezeichnete Einführungreihe des Carl-Auer-Verlages einreiht.
Rudolf Sanders, Hagen:
Für mich gehört dieses kleine Bändchen zu den Perlen paartherapeutischer Fachliteratur. Es bietet die Quintessenz einer langen paartherapeutische beruflichen Identität. Ich merke das an den vielen Unterstreichungen und Ausrufezeichen, mit denen ich beim Durcharbeiten dieses Textes meine Zustimmung ausdrücke. Einfach herrlich, wie sie manche therapeutische "Glaubenssätze" in Frage stellt. So etwa die Forderung, als Grundlage von einem Paar einen klaren Arbeitsauftrag zu bekommen, der dann in einen Arbeitsvertrag mündet. Denn dabei handelt es sich um eine schöne, aber - da einseitig auf Vernunft bezogene - unverhältnismäßige Forderung. Denn Menschen in Krisen sind durch Fragen nach ihrem therapeutischen Auftrag wie auch nach dem Konzept eines Arbeitsvertrages oft verwirrt, weil sie nicht wie Kunden im Lebensmittelgeschäft bereits wissen, was sie kochen wollen und welche Produkte sie dafür brauchen. Und sie macht kritisch aufmerksam dass diejenige, die als Therapeutin auf der Formulierung eines Auftrages besteht und nicht bereit ist, für die oft mühsame Suche nach spezifischen Anliegen Zeit und einen sicheren emotionalen Rahmen anzubieten, am ganz gewöhnlichen Chaos moderner Liebe leicht scheitern kann. Stattdessen gilt es, den therapeutischen Prozess in der Begegnung mit Menschen in instabilen Lebensphase und zu uns kommen zu rahmen. Dabei geht es um eine Struktur des Fallverstehens in der Begegnung. Dazu ist es notwendig, dass die Beraterin als rahmendes System Verantwortung für die Vermittlung von Konstanz und Vorhersehbarkeit und für die Schaffung einer emotionalen sicheren Basis übernimmt. Auf dieser ist es dann möglich, zur Klärung von Anliegen und Aufträgen der Klienten überhaupt erst zu kommen.
Die Autorin kennt das Problem, dass "systemisch" zu einem Modewort geworden ist. Es passt aber deshalb gut der Beschreibung der Paartherapie, weil es sich klar abgrenzt von tiefenpsychologischen Ideen, die aus einem linearen Modell als eine Ursache-Wirkung-Denken abgeleitet werden und in denen die Suche nach Pathologie im Vordergrund steht. Da aber Beziehungen, als das Thema von Paarberatung gelten, in denen das Tun des einen das Tun des anderen voraussetzt und bedingt, nützen Übertragungen aus der individuellen Psychopathologie auf eine Paarbeziehung wenig. So sind Krisen ein Ausdruck von individueller Anlage und von biologisch bedingten Lebensthemen, die den "Ton angeben" dafür, wie jeder der beiden auf die Krise reagiert. Sie sind, als im Körper verankerte Sehnsüchte und Ängste, auch für sexuelle Vorlieben oder Vermeidungen zuständig. (mit freundlicher Erlaubnis aus Beratung aktuell 2007)
Leseprobe aus dem 7. Kapitel
Das Inhaltsverzeichnis
Eine weitere Rezension von Torsten Ziebertz für socialnet.de
Die website von Rosmarie Welter-Enderlin
Verlagsinformation:
ompaktes Wissen für die Praxis: Rosmarie Welter-Ederlin, die "Grande Dame" der Paartherapie, gibt ihier einen detaillierten Einblick in die therapeutische Arbeit mit Paaren. Die kompakte Einführung fasst die wichtigsten Grundlagen zusammen, von der historischen Entwicklung über die präzise Beschreibung von Therapie und Beratung bis zu Überlegungen zur Situation der Therapeuten. Der ausführliche praktische Teil gibt wertvolle Anregungen, etwa für den Erstkontakt, und konkrete Hilfestellungen in Form von Fragebogen und Formularen für die Praxis. An vielen Beispielen vermittelt die erfahrene Therapeutin Ideen zum Therapieprozess und verbindet diese mit konkreten Hinweisen für Handlungsmöglichkeiten.
Über die Autorin:
Rosmarie Welter-Enderlin, MSW, Paar-, Familien- und Organisationsberaterin, Lehrbeauftragte an der Universität Zürich; Autorin zahlreicher Fachartikel und Bücher, darunter "Wie aus Familiengeschichten Zukunft entsteht" (2006) und – zusammen mit Bruno Hildenbrand – "Resilienz: Gedeihen trotz widriger Umstände" (2006), "Rituale – Vielfalt in Alltag und Therapie" (2. Aufl. 2004) sowie "Gefühle und Systeme" (1998). 2003 erhielt sie den "American Family Therapy Academy Award" für herausragende Beiträge zur Familientherapie, im Jahr 2006 ehrten zahlreiche Kollegen Rosmarie Welter-Enderlins Beitrag zur Entwicklung der systemischen Therapie und Beratung mit der Festschrift "Erhalten und Verändern" (hrsg. von Bruno Hildenbrand). |
|
|