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09.02.2008
Edelgard Struß: Müssen wir Dich jetzt Siezen? Interaktion und Führung beim Aufstieg im Team
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Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2007
183 S., kartoniert
Preis: 19,95 €
ISBN-10: 3896709046
ISBN-13: 978-3896709042 |
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Carl-Auer-Verlag
Jürgen Wessel, Köln:
Der
Frage nach den Chancen und Risiken einer internen Besetzung von
Vorgesetztenpositionen geht eine empirische Studie von Edelgard Struß
aus dem Jahr 2007 nach. Der Statuswechsel im eigenen Team, das
Aufsteigen von der Rolle des Kollegen in die Rolle des Leitenden wird
in der Managementliteratur bislang konzeptionell widersprüchlich
bewertet (und in der Weiterbildung nach Beobachtung der Autorin
mitunter als Abenteuer dargestellt). Der Gefahr der Verwicklung und der
Bedrohung durch Führungskonflikte werden die Heilsversprechen des
reibungslosen Übergangs und der systemgetreuen Kohärenz gegenüber
gestellt. Die Liste der Ratgeber im Muster „Wie Führung wirklich
funktioniert“ ist umfangreich, allerdings fehlen bislang empirisch
abgesicherte Analysen zum Erleben und Bewerten durch die unmittelbar
Betroffenen, die Leitungskräfte und die Teams selbst. In der Reihe
„Systemische Forschung“ des Carl-Auer-Verlags liefert die vorliegende
Untersuchung einen empirischen Beitrag dazu, diese Lücke zu schließen,
indem sie der Frage nachgeht, wie der Wechsel in die Vorgesetztenrolle
vollzogen wird, woraufhin die Vorgesetzten ihr Verhalten in der neuen
Position ausrichten und welche Interaktionsleistungen die Beteiligten
in diesem Prozess bewältigen. Unmittelbare Interaktion sowie Formen und
Strategien des Handelns im Kontext eines beruflichen Wechsels stehen im
Zentrum des Forschungsinteresses. Struß stellt zu Beginn ihrer
Untersuchung maßgebliche Konzepte und Forschungsergebnisse der Arbeits-
und Organisationssoziologie mit Schwerpunkt auf mikrosoziologische
Fragestellungen vor, entwickelt daraus sehr gut nachvollziehbar ein
qualitatives Forschungsdesign, führt eine Befragung von 16
Führungskräften mittels narrativer Interviews durch und analysiert die
erhobenen Daten mit Hilfe der Grounded Theory. Alle Interviewpartner
sind Führungskräfte mit Erfahrungen mit dem Statuswechsel in der
eigenen Organisation und kommen aus Organisationen und Unternehmen in
Arbeitsfeldern und Branchen, die zum erweiterten Kundenkreis von
Supervisoren, Coaches und Organisationsberatern zählen. Bei der
Auswertung der empirischen Daten fokussiert Struß drei Kernphasen des
Statuswechsels: Die Zeit unmittelbar vor dem Wechsel, der Übergang und
die Zeit danach. Die Zeit vor dem Statuswechsel ist nach Struß durch
eine Reihe von Dilemmata und Unbestimmtheiten gekennzeichnet: Die
Kandidaten zeigen zum Teil ein offensives Bewerberverhalten, zum Teil
ein defensives, bei einigen überwiegen Hoffnungen, bei anderen
Befürchtungen. Struß deutet die ambivalenten Aktionen und Haltungen als
„... entschlossen, aber wenig ambitioniert ...“, in Bezug auf die
eigene Karriere in der Organisation als „Nicht-Ambition“. Allein die
Benennung der nachfolgenden Phase als „Phase des Übergangs“ liefert
einen Hinweis auf die subjektiv wahrgenommene Unbestimmtheit des
Wechsels. Wiewohl es einen Stichtag der Ernennung gibt, beschreiben
viele Interviewpartner einen fließenden Übergang. Das Fehlen
organisationsspezifischer Rituale unterstützt den schleichenden
Statuswechsel. Struß kennzeichnet in ihrer Analyse verschiedene
Strategien der Bewältigung des Statuswechsels. Auch hier vollführen die
Betroffenen vielfach ein kognitives Switchen zwischen den Vorzügen und
Einschränkungen der jeweiligen Besetzungsstrategie (intern – extern). Die
Zeit nach dem Vollzug des Statuswechsels erweist sich nach Struß als
besonders aufschlussreich zur Begründung ihrer Theorie. Während die
Übernahme der neuen Aufgaben und Verantwortungsbereiche in der Regel
nahtlos gelingt, werden Unbestimmtheiten im Umgang mit dem Team oder
mit einzelnen Kollegen überaus deutlich. Struß interpretiert die
zahlreichen Formen uneindeutigen Verhaltens als den Versuch,
gleichzeitig kollegiale Gleichgestelltheit und hierarchische Distanz
darzustellen, und vergleicht dies mit einer „tänzerischen
Kontaktimprovisation“. Dabei belegt Struß eine Widerspiegelung der
Inkohärenz des Verhaltens in der sprachlichen Darstellung im Interview.
Unbehagen, Verlegenheit und Peinlichkeiten ziehen sich in dieser Phase
durch das Interaktionsgeschehen, Konflikteskalation und
affektgeleitetes Verhalten werden wahrscheinlicher. Struß deutet den
Wechsel zwischen uneindeutigem und eindeutigem Verhalten auf Seiten der
Führungskräfte und ihrer Mitarbeiter als Operationsweisen in der
Kommunikation mit dem Ziel, die Interaktion aufrecht zu erhalten, als
Strategie der Beteiligten zur Auflösung des beiderseitigen Dilemmas.
Des Weiteren belegt Struß für diese Phase eindrucksvoll
Vermeidungsrituale und Unterlassungshandeln, ein soziales Handeln, das
zwar erwartet wird und erwartbar ist, jedoch nicht stattfindet. Schließlich
diskutiert Struß im Kernkapitel ihrer Arbeit die Ergebnisse der
Datenauswertung und verdichtet sie in einer eigenen Hypothese. Dazu
analysiert sie das Verhalten der Interviewpartner im Hinblick auf die
zeitliche Dimension (hier z.B. die „Zerdehnung“ des Wechselprozesses),
die Performativität (die Entstehung von Sinn aus vermeintlich
nicht-sinnhaften Phänomenen), die Angemessenheit des Führungshandelns
(die Gratwanderung zwischen angemessenem und unangemessenem Verhalten
gegenüber den Interaktionspartnern) sowie die Ziele und
Bewältigungsstrategien bei der Darstellung des Wechsels. Struß bestimmt
hier das Bestreben, Abstand und Autonomie zu gewinnen, die Vermeidung
von Dominanzgebaren sowie die Entwicklung von Routine in der
Interaktion zwischen Führungskraft und Team. Die Untersuchung endet mit praktischen Hinweisen für am Aufstieg Beteiligte. Edelgard
Struß leistet mit der vorliegenden Untersuchung insofern einen
wertvollen Beitrag zur Managementforschung, als sie den Wechsel in die
Vorgesetztenrolle mikrosoziologisch analysiert und dadurch eine im
Sinne der Grounded Theory datengeleitete „Theorie mittlerer Reichweite“
entwickelt. Vermeintlich unsicheres und strategisch inkonsequentes
Verhalten interpretiert sie als professionelle Kompetenz, als bewusste
und notwendige, sach- und zieldienliche Entscheidung im Sinne der
Organisation zur Bewältigung eines Übergangs. Die Arbeit besticht
durch eine klare Gedankenführung, eine sichere methodische Durchführung
(der Verzicht auf Triangulation wird wie auch in anderen qualitativen
Studien durch die Präzision der Datenanalyse und das Hinzuziehen vor
allem soziologischer und interaktionstheoretischer, darunter
zahlreicher empirischer Quellen ausgeglichen) und eine vielschichtige
Diskussion unter Hinzunahme maßgeblicher Konzepte und aktueller
Forschungsergebnisse. Der feinsinnige Umgang mit der Sprache der
Interviewpartner sowie das hohe Maß an eigener sprachlicher Präzision
bis hin zum spürbaren Vergnügen an differenzierter sprachlicher und
gedanklicher Auseinandersetzung bieten Leseanreiz und stellen zugleich
Anforderungen an den Leser. Struß liefert Führungskräften,
Organisationen und Unternehmen mit ihrem Beitrag eine vielschichtige
Argumentations- und Interventionsbasis bei der Entwicklung von
Führungskonzepten. Externen Beratern bietet die Arbeit eine
differenzierte Grundlage zur eigenen Perspektiverweiterung sowie der
von Beratungskunden. Die Ergebnisse sollten vor allem in
Beratungsprozessen mit Mitarbeitern von Unternehmen und Organisationen
von großem Nutzen sein, die den hier untersuchten Wechsel für sich
erwägen oder anstreben bzw. ihn bereits vollzogen haben.
Zur website der Autorin
Das Inhaltsverzeichnis des Buches
Verlagsinformation:
Der
Wechsel aus dem Team in die Vorgesetztenposition erscheint auf den
ersten Blick als ein einfacher Vorgang, der in der Organisation
entschieden, verkündet und vollzogen wird. In der unmittelbaren
Interaktion zwischen den neuen Vorgesetzten und den ehemaligen Kollegen
und Kolleginnen erweist sich der Wechsel jedoch als
voraussetzungsreiches und eher störanfälliges Geschehen. Das Buch ist
ein mikrosoziologischer Beitrag zur Interaktionsforschung in
Organisationen. Es nimmt den praktischen Vollzug des Wechsels unter die
Lupe: In welcher Form vollzieht er sich? Worin besteht der besondere
Beitrag der Vorgesetzten? Was genau macht den Wechsel zu einem
nicht-einfachen Geschehen? 16 Personen aus unterschiedlichen Berufen
wurden über ihre Erfahrungen mit dem Wechsel befragt. Das Datenmaterial
wurde nach der Methode der Grounded Theory ausgewertet und zu einer
"materialen Theorie" verdichtet. Alle Befragten schildern ein Dilemma,
das den Beteiligten besondere Interaktionsleistungen abverlangt.
Unbestimmtes Verhalten erweist sich dabei als notwendig für das
Gelingen des Übergangs in die neue Rolle. Das Buch schließt mit
praktischen Tipps für die Beteiligten in ihren unterschiedlichen Rollen.
Über die Autorin:
Edelgard Struß,
Diplom-Pädagogin, Gärtnerin; langjährige Leitung verschiedener
Einrichtungen für gesundheitliche, soziale und berufliche Bildung und
Eingliederung (Psychiatrie, Beschäftigungs- und Integrationsförderung).
Supervision, Lehrsupervision (SG, DGSv) und Coaching in eigener Praxis
seit 1996 in Köln-Nippes.
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