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13.06.2007
Michael Meuser: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster
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Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2., überarb. und akt. Aufl. 2006
351 S., broschiert
Preis: 34,90
ISBN-10: 3531150170
ISBN-13: 978-3531150178 |
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Verlag für Sozialwissenschaften
Oliver König, Köln:
Endlich! Auch die Männer bekommen in der Soziologie ein Geschlecht, und zwar durch einen Mann. Und dies erweist sich zudem als habilitationsfähig. Die in Bremen von Rüdiger Lautmann betreute Arbeit ist meines Wissens die erste ihrer Art im deutschsprachigen Raum, während in der englischen und amerikanischen Soziologie schon einige ernstzunehmende Arbeiten vorliegen, auf die sich Meuser daher auch stark bezieht. Geschlecht wird, „vorab aller empirische Evidenz“ als relationale Kategorie aufgefasst, als sozialer Verweisungszusammenhang. Meuser stellt jedoch nicht dieses „kategoriale Argument“ sondern ein „empirisches Argument“ in den Vordergrund, den sichtbar werdenden Wandel männlicher Existenzweisen, des Mannseins. Die „Diskursivierung der Männlichkeit als solche“ wird „als Indikator einer schwindenden Fraglosigkeit analysiert“ (13). Von einer „Krise des Mannes“ zu reden, wie dies in der Kulturproduktion und Medienwelt zur Zeit verbreitet ist, erscheint jedoch etwas vorschnell und diese These wird auch zum Ende des Buches als zu undifferenziert zurückgewiesen. Dennoch, die „Erschütterung von Ordnungsgewissheiten“ ist unübersehbar. Im ersten, theoretisch orientierten Teil der Arbeit sucht Meuser unter seinem spezifischen Blickwinkel den Anschluss an die soziologische Theoriegeschichte, und hier vorab an drei Klassiker, Tönnies, Simmel und Durkheim, bei denen das Geschlechterthema einen prominenten Platz einnimmt. Sinn einer solchen Rückführung ist es sicherlich auch, das Thema in der Profession zu legitimieren. Es erklärt aber zugleich einige theoriegeschichtlichen Besonderheiten der Soziologie, ihr Schwanken zwischen Analyse und Geschlechterideologie, bzw. Essentialismus, und damit auch insgesamt die ambivalente kulturelle Funktion der Soziologie zwischen Kritik und Apologie. Bei allen diesen frühen Theoretikern steht die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau im Zentrum ihrer Analyse, im dualistischen Ansatz von Tönnies als weiblicher Wesenswille und männlicher Kürwille, etwas weniger explizit auch im makrosoziologischen Ansatz von Dürkheim (hier ließe sich auch Marx anführen). Eine besondere Position nimmt Simmel ein mit seiner Vorstellung vom Wechselwirkungscharakter sozialer Beziehungen und seiner einzigartigen Verknüpfung von mikrosoziologischem (interaktionistischem) Ansatz und kulturtheoretischen Deutungen. Zwar finden sich auch bei ihm einige grundlegende Voreingenommenheiten seiner Zeit bezüglich des Wesenscharakters von Mann und Frau, dennoch arbeitet er klar heraus, dass Geschlecht sozial konstituiert ist, in einer bestimmten sozialen Praxis realisiert wird und in Macht- bzw. Herrschaftsverhältnisse eingebunden ist. Vor allem aber zeigt er auf, wie mit der Objektivierung des Männlichen zum Allgemeinmenschlichen das Thema Geschlecht forthin alleine den Frauen zugesprochen wird, um dann dort als Wesensmerkmal abgehandelt zu werden. Diese Einseitigkeit setzt sich bis in die heutige Frauen- und Geschlechterforschung fort, die erst jetzt, und zum Teil unter heftigen ideologischen Auseinandersetzungen, den Mann als Geschlecht entdeckt. Der theoriegeschichtliche Streifzug wird fortgesetzt mit der Geschlechtsrollentheorie, wie sie, stark beeinflusst durch die familiensoziologischen Arbeiten von Parsons, in der Sozialpsychologie lange dominant war und eine stillschweigende biologistische Fundierung von Geschlecht voraussetzte bei gleichzeitiger Ausblendung von Herrschaftsverhältnissen. Daran schließen sich ab den 60er Jahren die ethnomethodologischen und interaktionistischen Ansätze an, die letztendlich in die aktuellen sozialkonstruktivistischen Ansätze einmünden; eine besondere Rolle nehmen hier die Arbeiten von Goffman ein. Lesenswert sind diese Streifzüge durch weitgehend bekanntes Terrain durch das gelungene Herausarbeiten des Männlichkeitsthemas und eine fortschreitende theoretische Anreicherung. Neuer Wind kommt durch Frauenforschung und die in zeitlichem Abstand dadurch initiierten Männerstudien auf. Unterschieden werden eine stärker gesellschaftstheoretisch ausgerichtete Tradition, die mit der Kategorie des „Patriarchats“ verbunden ist, und die „Gender“-Perspektive, die auch interaktionstheoretische Analysen integriert. Die Gegenüberstellung von Klasse und Geschlecht, Struktur und Handlung, gesellschaftstheoretischem Entwurf und empirischer Realität durchziehen diesen Auseinandersetzungen. Besondere Beachtung findet das von Bob Connell entwickelte Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“, das „die doppelte Relation, in der die Männlichkeit ihre Kontur gewinnt - zum anderen und zum eigenen Geschlecht -“ (98) berücksichtigt. Grundlage für eine im engeren Sinne soziologische Theorie der Männlichkeit findet Meuser in Bourdieu’s Begriff des „Habitus“ als gesellschaftlichem Orientierungssinn bzw. als inkorporierte Struktur, den Bourdieu selber in seinen frühen ethnosoziologischen Untersuchungen zur kabylischen Gesellschaft am Beispiel der geschlechtlichen Arbeitsteilung entwickelt hat. Der (männliche) Habitus wird als generierendes Prinzip angesehen, das unterschiedliche Ausdrucksformen von Maskulinitäten hervorbringt, die jeweils charakterisiert sind durch ihre spezifische Positionierung in bezug auf soziales Milieu, Generationszugehörigkeit, Entwicklungsphase und familiäre Situation. Damit sind zugleich die Differenzierungsmerkmale genannt, die im empirischen Teil der Arbeit berücksichtigt werden. Dieser beginnt mit einer „Dekonstruktion und Rekonstruktion von Männlichkeit in der Männerverständigungsliteratur“ anhand einer inhaltsanalytischen Auswertung von besonders auflagenstarken Büchern (insgesamt 50, Auflagen bis zu 250.000) die alle als Reaktionen auf die Frauenbewegung zu begreifen sind, und in drei Kategorien aufteilt werden können. Die Defizitkonstruktion des Mannes als Mängelwesen wird anhand des Bestsellers von Winfried Wieck analysiert (Männer lassen lieben, 1987), der pointierte Antifeminismus des „Maskulinismus“ anhand der Bücher von Joachim Bürger (Mann, bist Du gut, 1990), und der „mythopoetische“ Differenzdiskurs vor allem anhand der Bücher von Robert Bly (Eisenhans, 1991). Vor allem in letzterem tauchen, wie in der humanistischen Psychologie und Psychotherapie insgesamt, viele der Kategorien, die schon Tönnies nutzte, in kaum veränderter Form als eine Art kulturkritischer „Jargon der Eigentlichkeit“ auf. Auch wenn ich die Interpretationen von Meuser weitgehend teile, so spielt hierbei auch die Deutungskonkurrenz von Soziologie und Psychologie bzw. vor allem von Psychotherapie eine Rolle und die habituelle Distanz von Soziologen gegenüber dem therapeutischen Diskurs, der sich in der Männerliteratur allerdings auch in einer stark ideologisierten Form präsentiert. Den eigentlichen Kern des empirischen Teils bildet die Auswertung von Gruppengesprächen mit Männergruppen, deren Ziel es ist „das fraglos Gegebene zum Sprechen zu bringen“. Angelegt als komparatives Verfahren, das der methodischen Erzeugung von Distanz dient, werden die Gruppendiskussionen nach dem Verfahren der dokumentarischen Methode der Interpretation ausgewertet, wie sie von Ralf Bohnsack in Anschluss an Karl Mannheim entwickelt worden ist. Befragt wurden u.a. ein Stammtisch von Facharbeitern, eine Freizeitfußballmannschaft, eine Gruppe von Footballspielern, eine studentische Wohngemeinschaft, eine „Männergruppe“, eine Gruppe von Zeitsoldaten, eine Gruppe von jungen Facharbeitern. Leider fehlt ein Überblick zu den befragten Gruppen. Trotz der vielfältigen Aufbereitungsprobleme, die mit solchem qualitativem Material häufig verbunden sind, worauf Meuser auch hinweist, gelingt ihm eine dicht am Material entlang entwickelte und zugleich theoretisch fundierte Interpretation, die die ca. 100 Jahre alten Kategorien und Analysen von Simmel und Tönnies in zum Teil verblüffender Weise lebendig werden lässt. Herausgearbeitet werden: Eine in Tradition und habitueller Sicherheit verankerte Männlichkeit, die sich gleichermaßen im bürgerlichen Milieu wie im Arbeitermilieu zeigt, und sich durch Strategien der Normalisierung und Nihilierung die Anfechtungen gegen das fraglos Gegebene vom Leibe hält; die prekäre Sicherheiten von jungen Männern, die mit den Forderungen der Frauenbewegungen aufgewachsen sind; die Verunsicherung der auf Dauerreflexion ausgerichteten (therapeutischen) Männergruppen mit ihrer ambivalenten Sehnsucht nach „wahrer“ Männlichkeit; und die pragmatischen Arrangements einer Generation von jungen Männern (Facharbeiter und eine Gruppe von Zeitsoldaten!), die in ihrem Alltag die Geschlechterdifferenz in einer individualistischen und leistungsorientierten Weltsicht für sich aufzulösen vermögen. Ergänzt wird dies durch die Analyse der Frauenbilder der befragten Männer, dem Einfluss von ehelichen Beziehungen, von milieu-, entwicklungs- und generationsspezifischen Besonderheiten. Diese Ausarbeitungen bieten eine Fülle von relevanten Anschlussfragen sowohl allgemeinsoziologischer wie spezifisch auf den Gegenstand bezogener Art, was auf die Qualität von Meusers Arbeit verweist. Zwei Fragen möchte ich hervorheben. Meuser behandelt den Kontext der Gruppe als einen Ort, an dem sich normative Wirklichkeiten im Diskurs der Teilnehmer erzeugen, mit der Tendenz der Männer, in der gegenseitigen Kontrolle ein „konservativeres“ Bild von sich als Mann abzugeben, als es in der Praxis umgesetzt wird. Auf diese Kluft zwischen Diskurs und Verhalten weist der Autor häufig hin. In den gängigen Einzelbefragungen z.B. zur familiären Arbeitsteilung geben wiederum die Männer in der Regel ein „fortschrittlicheres“ Bild von sich ab, als sie es im Verhalten umsetzen. Dies plaziert das Verhalten der befragten Männer irgendwo zwischen Gruppen- und Individualdiskurs, was dazu auffordert, die Untersuchungssituationen selber stärker für die Analyse zu nutzen, d.h. in diesem Falle den gruppalen Charakter der Situation. Dies würde mehr Informationen über die Gruppen und den prozesshaften Charakter der Erhebungssituation erfordern und das Gruppendiskussionsverfahren müsste durch gruppendynamische bzw. gruppenanalytische Sichtweisen ergänzt werden. Es ist ohnehin überfällig, dass die SoziologInnen zumindest in qualitativ ausgelegten Forschungen ihre Scheu bzw. Abwehr gegenüber solchen methodischen Ansätzen aufgeben und sich auf entsprechende Kooperationen einlassen. Reflexivität ist eben, in einer ihrer vielen Bedeutungen, eine durchaus praktische Tätigkeit, die erlernt sein will, und nicht nur eine theoretische Idee. Die führt sogleich zum zweiten Punkt. Der modernisierungstheoretische Ansatz, dem auch Meuser weitgehend folgt, ist durch seine Ergebnisse stärker in Frage gestellt, als er das selber zaghaft formuliert. Der modernisierungstheoretische Glaube an die reflexive Entzauberung aller Selbstverständlichkeiten hat auch etwas von einer Größenphantasie. Empirisch beschränkt sich diese reflexive Moderne zudem nur auf eine kleine akademisch gebildete Schicht von Männern, und ist auch dort sicherlich mehr Idee als Praxis. Vor allem aber sind es nach Meusers Analyse gerade die pragmatisch ausgerichteten jungen Facharbeiter, denen es gelingt, eine ansatzweise andere Form von Männlichkeit zu leben, anscheinend gerade weil sie sich nicht in eine Dauerreflexion über sich als Männer hineinbegeben. Wenn Geschlecht eine derart identitätsrelevante Kategorie darstellt, wie dies auch Meuser konstatiert, dann mag sie zwar im Diskurs wie Knetgummi zu behandeln sein, das gelebte Leben scheint sich aber nur bedingt danach zu richten. Reflexivität ist so gesehen nicht die Lösung des Problems, sondern eben auch das Problem selber, was die Modernisierungstheoretiker auch irgendwie wissen. Dies fordert die Soziologie in der Bearbeitung der Geschlechterfrage dazu auf, die Kluft zwischen Erfahrung bzw. Praxis und wissenschaftlicher Reflexion bzw. Analyse dieser Erfahrung stärker zu berücksichtigen. (aus: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1999, H. 3, S. 601-603)
Ein online verfügbarer Vortrag von Michael Meuser über "Die widersprüchliche Modernisierung von Männlichkeit. Kontinuitäten und Veränderungen im Geschlechterverhältnis"
und ein weiterer Text: "Männerwelten. Zur kollektiven Konstruktion hegemonialer Männlichkeit"
Verlagsinformation:
Das Buch diskutiert zunächst soziologische Konzepte für eine Theorie der Männlichkeit. Das Konzept des männlichen Geschlechtshabitus wird entwickelt. Anschließend werden in einem empirischen Teil kulturelle Deutungsmuster von Männlichkeit und kollektive Orientierungen von Männern auf der Grundlage einer Literaturanalyse und von Gruppendiskussionen rekonstruiert.
Aus dem Inhalt:
Theorie: Geschlecht und Männlichkeit im soziologischen Diskurs - Geschlecht: Soziale Rolle oder soziale Konstruktion? Frauenforschung und Männerstudien - Empirie: Geschlecht und Männlichkeit in den Diskursen der Männer - Multioptionale Männlichkeiten? - Kollektive Orientierungen und existentielle Hintergründe - Freisetzung aus Traditionen? ,Krise' des Mannes?
Über den Autor:
PD Dr. Michael Meuser studierte Erziehungswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft an der Universität Bonn und promovierte dort. Er habilitierte an der Universität Bremen und ist dort Privatdozent für Soziologie. Nach seinem Studium arbeitete er an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Koblenz sowie an den Universitäten Bremen, Dortmund, Siegen und Essen. Zurzeit lehrt er an den Universitäten Basel und St. Gallen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Methoden der qualitativen Sozialforschung, der Soziologie der Geschlechterverhältnisse, der politischen Soziologie und der Wissenschaftssoziologie. Seine Kooperation mit dem iFQ bezieht sich auf qualitative Verfahren empirischer Sozialforschung. |
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