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25.06.2007
Michael F. Hoyt: The present is a gift: mo' better stories from the world of brief therapy
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iUniverse.com, New York 2004
293 S., broschiert
Preis: 19,98 €
ISBN-10: 0595311059
ISBN-13: 978-0595311057 |
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iuniverse - self publishing company
Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:
“Whose Therapy Is It? Whose Story Is It? Whose Life Is It?” – Michael
Hoyts Gesammelte Erzählungen zum Werden und Wirken “Konstruktiver
Therapien”
Einblick Der Kreis derjenigen, denen Michael Hoyt hierzulande ein
Begriff ist, dürfte bislang noch umgrenzt sein, am ehesten zu finden
bei denen, die sich im Bereich ressourcen- und lösungsorientierter
Kurztherapien auskennen. Dies könnte daran liegen, dass sein Wirken
mehr „der Sache“ dient als dem Marketing für eine mit seinem Namen
verknüpfte Schule. Mit geradezu lexikalischem Wissen und nicht
nachlassendem Interesse spürt er Entwicklungen und Tendenzen im Bereich
der Kurztherapien nach, stellt so etwas wie eine Geschichtsschreibung
lösungs- und ressourcenorientierter Verfahren zur Verfügung und
versteht es, diese Geschichtsschreibung nicht apodiktisch zu verfassen,
sondern als ein Zusammenwirken unterschiedlicher Stimmen nachempfinden
zu lassen. Seine Domäne ist der Bereich derjenigen Therapieansätze, die
unter der Überschrift „Konstruktive Therapien“ zusammengefasst werden
können. Was diese Ansätze verbindet, ist „das Entwickeln von Lösungen
auf der Grundlage der Erkenntnis, dass wir unsere psychologischen
Realitäten nicht einfach aufdecken, sondern konstruieren. Mit Bezug auf
die Theorien des Konstruktivismus und des Sozialen Konstruktionismus
beschreibt der Begriff eine Aktivität, die positiv, produktiv und
kreativ ist“ (2004, S.xiii). Sein Hauptaugenmerk, so Hoyt, liegt auf
„der Förderung der Kreativität der KlientInnen und KlinikerInnen, sowie
der Humanität innerhalb der therapeutischen Beziehung; desweiteren auf
der Bedeutung, die dem Fokussieren auf Stärken und Kompetenzen zukommt,
dem Fokussieren auf die größere Bedeutung dessen, was möglich ist
anstelle dessen, was nicht möglich ist; und auf dem sorgfältigen
Gebrauch von Sprache beim Konstruieren bevorzugter Realitäten“ (2004,
S.xix). Michael Hoyt ist als Ph.D. promoviert und arbeitet als
senior staff psychologist in einem Psychiatrischen Zentrum in
Kalifornien, sowie als Dozent an der University of California School of
Medicine. Er hat, neben einer Vielzahl weiterer Veröffentlichungen, das
zweibändige Werk „Constructive Therapies“ (1994, 1996) herausgegeben,
sowie das „Handbook of Constructive Therapies“ (1998). Hier sollen nun
drei weitere – in den letzten Jahren erschienene - Bücher Hoyts
vorgestellt werden. Sie lassen einen vielstimmigen Chor von Erzählungen
zu Wort kommen, in denen sich die Prämissen, Leitmotive und
kontextuellen Rahmungen Konstruktiver Therapien erschließen:
Michael Hoyt: (2000):
Some Stories Are Better Than Others. Doing What Works in Brief Therapy
and Managed Care. Philadelphia PA: Brunner/Mazel, 320 S. (2001): Interviews With Brief Therapy Experts. Philadelphia PA: Brunner-Routledge, 307 S. (2004): The Present is a Gift. Mo’ Better Stories from the World of Brief Therapy. New York: iUniverse, 292 S.
Die
in der Überschrift gestellten Fragen stammen aus dem namengebenden
Kapitel des ersten hier vorgestellten Buches (2000, S.56). Sie
verweisen auf drei wesentliche Aspekte der Arbeiten Michael Hoyts: Sein
Interesse und Engagement zielen darauf, Therapie transparent, effektiv
und respektvoll zu gestalten. Das Medium therapeutischen Geschehens
sind Narrative, Geschichten, die Menschen miteinander teilen oder nicht
teilen, sich ergänzend oder konkurrierend damit auseinandersetzen und
einen Fluss des Erzählens herstellen. Aufgabe therapeutischer Hilfen
ist es, dazu beizusteuern, dass dieser Fluss des Erzählens so
konstruktiv wie möglich werden kann. Und schließlich: Leben. Leben ist
die Klammer, das, weshalb Therapie Sinn macht oder nicht, und wenn sie
Sinn macht, ist sie verdichtetes Leben, aber Leben ist nicht
verdichtete Therapie. Leben ist weiter. Therapie dient dem Leben, dient
dazu, die unvermeidliche Veränderung und das Erleben und Gestalten
dieser Veränderung so konstruktiv wie möglich mitzugestalten. Und noch
einmal zu den Eingangsfragen: Zu allen drei Aspekten heißt die Frage
„Wessen ... ist es?“. Alle die genannten Aspekte finden ihren Sinn in
der Person, die den Sinn für sich nachvollziehen mag, den Sinn für sich
akzeptiert und daraus neuen Freiraum für eigenes Handeln findet. Mir
scheint, dass der Kern Konstruktiver Therapien darin besteht, den
Respekt vor der Autorenschaft des jeweiligen eigenen Lebens verbünden
zu können mit der Bereitschaft und Fähigkeit, diese Autorenschaft als
Ko-Autorenschaft zu erfassen. Dies, ohne dass die eigene Autorenschaft
geleugnet oder beschnitten würde, im Gegenteil, sie ist
konstituierender Bestandteil. Dies kennzeichnet sie sowohl als
Ressource, wie auch als Teil einer persönlichen Verantwortung. Hoyt
gelingt es, wie m.E. wenigen anderen, diese Gratwanderungen so
gehaltvoll, vertieft und dabei spannend, lebendig, authentisch zur
Sprache zu bringen, dass es mich beim Lesen immer wieder in seinen Bann
gezogen hat.
Zu den Büchern:
Some Stories Are Better Than Others
Dieses
Buch beinhaltet eine Sammlung von Texten, die bereits in Zeitschriften
und als Buchbeiträge erschienen waren und für die vorliegende Fassung
noch einmal überarbeitet wurden. Die Texte sind teilweise in
Zusammenarbeit mit anderen AutorInnen entstanden (Insoo Kim Berg,
Steven Friedman, Scott Miller, u.a.). Deutlich wird, dass Hoyt keine
Kirchturmpolitik betreibt. Seine Art des Denkens und seine Wege des
Wissens, schreibt er, seien „divergent und synthetisierend,
verschiedene Schulen und Disziplinen übergreifend, und bei der Suche
nach Quellen, Verbindungen und Lösungen nicht eingeengt auf bestimmte
Schubladen“ (S. xii). Bereits die Kapitelüberschriften verschaffen einen lebendigen Eindruck von dem, um was es Hoyt geht. So etwa: „Es ist nicht meine Therapie – es ist die Therapie der KlientInnen“ (Kapitel 1), „Einige Geschichten sind besser als andere: Eine postmoderne Nachahmung“ (Kapitel 3), „Voraussichtlich
zu erwartende Zukunftstrends und begleitende ethische Bedenken im Blick
auf Managed Mental Health Care“ (Kapitel 4) „Lösungsorientierte
Paartherapie: KlientInnen dabei helfen, sich selbst erfüllende
Realitäten zu konstruieren“ (Kapitel 8, zusammen mit Insoo Kim Berg) „Was können wir aus Milton Ericksons therapeutischen Fehlern lernen?“ (Kapitel 11) „Die
Freude des Narrativs: Eine Übung darin, von unseren internalisierten
KlientInnen zu lernen“ (Kapitel 13, zusammen mit David Nylund) „Zum
Stadium der Veränderungsbereitschaft passende Strategien
veränderungsorientierter Kurztherapie“ (Kapitel 14, zusammen mit Scott
Miller), „Die letzte Sitzung in der Kurztherapie: Warum und Wie „Wann“ sagen“ (Kapitel 15). Im
weitesten Sinn versteht sich Hoyt als Kurztherapeut. Er war z.B.
derjenige, dessen Arbeit in Talmons Buch über Ein-Sitzungs-Therapie
beschrieben und diskutiert wurde (Talmon 1990). Im vorliegenden Buch
spürt Hoyt dieser damaligen Arbeit noch einmal nach. Er unterstreicht,
dass der Sinn einer Ein-Sitzungs-Therapie darin besteht, dass sie
möglich ist und sich ergeben kann, aber keine zu erfüllende Norm
darstellt und nur dann „funktioniert“, wenn KlientInnen sich nicht
gedrängt und bedrängt fühlen. In dem Beitrag über die Orientierung an
den Stufen der Veränderungsbereitschaft heißt es: „Effektive Therapie
ist das Ergebnis davon, kooperativ mit Leuten zusammengearbeitet zu
haben, um es ihnen zu erleichtern die nächste Stufe der Veränderung zu
erreichen“ (S. 211). Und schließlich, ebenso lakonisch wie zutreffend:
“Therapie kann kurz sein, weil sie so zugeschnitten ist oder aber weil
sie falsch gelaufen ist“ („by design or by default“/ aus Absicht oder
aus Versäumnis) (S. 238). Der berufliche Kontext Hoyts als
Psychologe in einer Klinik, die sich unter den Prämissen von Managed
Care finanziert, lässt ihn die Chancen entsprechender
Konzentrationsvorgaben genauso spüren wie die Gefahren. Er weist auf
die ursprünglich gesellschaftspolitisch positive Seite hin, dass es
durch Managed Care für wesentlich mehr Menschen (in den USA) möglich
wurde, die Folgen gesundheitlicher Risiken abzufedern. Mit der Zeit gab
es jedoch einen Wandel hin zur Profitorientierung in diesem Bereich,
was Hoyt als „Monetarisierung von Motiven“ bezeichnet (S.78). Die
Pluspunkte von Managed Care seien: Rechenschaftspflicht, Verfügbarkeit,
Betonung von Qualität der Hilfen. „Die Minuspunkte haben mit Geldgier
zu tun“ (S.127). Daher betont Hoyt die Unterscheidung und den
Unterschied von „Managed Care“ und “Managed Costs“. Er plädiert dafür,
tatsächlich zu mehr Managed Care zu kommen, anstelle sich mit
Kostendeckelung zu begnügen. In diesem Zusammenhang unterstreicht
Hoyt auch ganz klar, dass „Kurztherapie“ zwar attraktiv sein mag für
diejenigen, die an Effizienz und Effektivität interessiert sind, „dass
diese Ansätze aber lange vor der Zeit entwickelt wurden, in der der
Druck zur Kosteneindämmung entstand, die nun einen so großen Bereich
der therapeutischen Praxis dominiert“ (S. 25). Hier finden sich bei
Hoyt auch deutliche politische Bezüge, wenn er etwa Minuchin mit der
Aussage zitiert: “Wir müssen KlientInnen helfen, ein Gefühl dafür zu
bekommen, welche Rolle sie selbst in ihren Problemen spielen und welche
Optionen es für sie gibt, aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen,
dass viele KlientInnen in einer schädigenden Welt leben“ (S. 130).
Überhaupt finden sich bei Hoyt viele Anregungen, sich im Gestrüpp
postmoderner Vielfalt nicht zu verstricken. Postmodern steht nicht für
Beliebigkeit, sondern dafür, sich mit der Möglichkeit vielfältiger
sozialer und gesellschaftlicher Realitäten auseinanderzusetzen. Dies
gelingt jedoch erst dadurch, dass sie zur Kenntnis und somit für „wahr“
genommen werden. So warnt Hoyt davor, „sozialen Konstruktionismus nicht
mit harten Realitäten [zu verwechseln]“ (S.3) und bekennt sich zu einem
„bescheidenen Realismus“ (S.32). Als bescheidener Realist kommt er zu
der Auffassung: „Wir sind vielleicht Bedeutungshersteller, die nur
annäherungsweise in der Lage sind zu wissen, was „draußen“ los ist, …
aber es gibt ein Draußen“ (S.23). Der selbst-bewusste Zweifel daran,
dass alles für bare Münze genommen werden müsse, bedeutet nicht, sich
vor Zahlungsverpflichtungen zu drücken, sozusagen. Hoyt bemüht sich
erkennbar um einen fairen Blick auf die Dinge, ohne sich in einer
amorphen Neutralität zu verlieren. Er ringt um praktikable und
sinnvolle Lösungen in auf eigene Weise schwierigen Zeiten: Einerseits
scheinen die Kapazitätsgrenzen erreicht, um sich in einer beliebig
erscheinenden Vielfalt von Ideen über psychosoziale Hilfen noch
zurechtfinden zu können. Andererseits werden die Kapazitätsgrenzen der
Finanzierung dieser Hilfen eindeutiger denn je markiert. Womöglich hat
es die Nehmerqualitäten von Michael Hoyt gestärkt, dass Carl Whitaker
einer seiner (vielen) Mentoren war. Hoyt zitiert ihn mit den Bonmots:
“Keine Sorge! Wofür auch immer Du Dich entscheidest, Du wirst es
bereuen“ (S. 128) und: “Nun, ich schätze, Du wirst selber nachdenken
müssen“ (S. 137).
Interviews With Brief Therapy Experts Auch die
Interviews sind verstreut bereits vorher publiziert und finden sich
hier in einer Folge wieder, die sicher auch anders hätte gestaltet
werden können und doch Sinn macht. Die GesprächspartnerInnen, die hier
zu Wort kommen, sind Steve de Shazer, John Weakland, Bill O’Hanlon,
Michael White, Gene Combs, Donald Meichenbaum, Bob Goulding, Paul
Watzlawick, Insoo Kim Berg, Kenneth Gergen, Scott Miller, Barabara
Held, William Matthews, Matthew Carlson, Karl Tomm, Stephen Madigan,
Jeff Zimmerman. Manche kommen doppelt vor (de Shazer, White), einige
Gespräche finden mit mehreren statt. Der rote Faden der Interviews war
im weitesten Sinn das Motiv, „technische, theoretische und ethische
Aspekte in Theorie und Praxis der Kurztherapie zu erforschen, wobei die
Form der „Konversation“ oder des „Interviews“ eine Spontaneität des
Gebens und Nehmens erlaubt die besonders passend ist beim Reden über
‚Miteinander-Reden-Therapien‘“ (S.xi). Hoyt stellt selbst in Frage,
dass sich alle der hier Versammelten als KurztherapeutInnen bezeichnen
würden, geschweige denn als ExpertInnen. Bei aller Unterschiedlichkeit
ihrer therapeutischen Vorgehensweisen sei das Verbindende, so Hoyt,
„dass alle InterviewpartnerInnen auf Möglichkeiten fokussieren, die
Effektivität der Behandlung zu vergrößern – mit sorgfältiger
Aufmerksamkeit für den Gebrauch der Sprache, für das Zusammenspiel von
intrapsychischen und interpersonalen Faktoren, sowie für Fragen der
Beeinflussung, und für den Respekt vor den Kompetenzen und der
Autonomie der KlientInnen“ (S.xv). Die Interviews erlauben einen
Blick auf ein erstaunlich unterschiedliches Gelände, trotz der
Homogenität, die der Titel des Buches zunächst anzunehmen verleitet.
Das hat sicher auch mit den Eigenarten der Menschen zu tun, die hier zu
Wort kommen, aber wohl auch mit den Schwerpunkten, die sie setzen. Hoyt
scheint über die Gabe zu verfügen, sich diesen Unterschieden kongenial
nähern zu können, er beherrscht sowohl den Kurzpass (mit de Shazer und
Weakland z.B.) wie auch den langsamen Aufbau und das weite Spiel in den
Raum (mit White etwa, oder mit Gergen). Jedes der Interviews
gewinnt eine eigene Aura, vielleicht am wenigsten ausgeprägt beim
Gespräch mit dem etwas spröde wirkenden Watzlawick. Dagegen pointiert
und witzig das Gespräch mit de Shazer und Weakland zusammen, ein
Feuerwerk an Ideen und geradezu bärbeißigem Humor und
gesellschaftlicher Wachheit. „Es ist schwer heutzutage, politisch
korrekt zu sein“, sagt Hoyt an einer Stelle (S.23), worauf de Shazer
kontert: „Wir wollen politisch inkorrekt sein“. De Shazer moniert sich
darüber, dass konstruktive Ideen in Europa ein größeres Publikum fänden
als in den Vereinigten Staaten. Beide argumentieren scharf gegen die
Tendenz, Psychotherapie zu sehr dem medizinischen Establishment zu
überlassen. Dabei sind beide fern vom Lamentieren. Weakland stellt
einfach trocken fest, dass der Wendepunkt zu dem Zeitpunkt stattfand,
„als die Dinge weit genug vorangekommen waren, so dass man
Familientherapie verkaufen und seinen Lebensunterhalt damit bestreiten
konnte (...) Das war der Beginn von: „Lass uns schauen, wie wir das gut
verkaufen können. Lass uns Standards festlegen, Zertifikate, das Ganze
einfrieren“. Ich meine, wenn Du es einmal etabliert hast, hast Du es im
Wesentlichen eingefroren, ob Du das nun bewusst gemacht hast oder
nicht“ (S.26). Und de Shazer knurrt nach, vielleicht habe Murray Bowen
recht gehabt, der stets gesagt habe, „wir sollten dieses Feld nicht
organisieren... Don’t do it! Don’t do it!“ (S.27). Bill O’Hanlon
grenzt sich von der minimalistischen, aus seiner Sicht zu wenig den
Kontext berücksichtigenden Form de Shazers ab, unterscheidet
lösungsfokussiert von lösungsorientiert, dies wiederum von orientiert
an Möglichkeiten und skizziert im weiteren Verlauf sein Konzept der
Inclusive Therapy. Was das bedeuten kann, illustriert ein
beeindruckendes Beispiel einer Arbeit mit einer Frau, die mit sich als
einer Multiplen Persönlichkeit ringt. Das Interview unterstreicht den
Eindruck von Bill O’Hanlon als jemandem, der empathisches Einfühlen und
aktives, strukturierendes Vorgehen zusammen bringen kann. Im
Gespräch mit Donald Meichenbaum, einem der Pioniere
kognitiv-behavioraler Therapie, entsteht ein spannender Eindruck, wie
sich eine Entwicklung vollzogen hat von einer kognitiv-behavioralen
Beeinflussungsagenda hin zu einer narrativ-konstruktivistischen
Perspektive. Meichenbaum beeindruckt nicht nur durch die Darstellung
von Arbeiten im Bereich Posttraumatischer Belastungsreaktionen
(wirklich unter die Haut gehende Beispiele), sondern auch durch die
Klarheit und Verständlichkeit seiner Diktion. Er macht deutlich, dass
die gleichen Worte, wenn sie von TherapeutInnen vorgegeben wurden,
nicht das gleiche sind, wie wenn sie von KlientInnen selbst gefunden
wurden, auch wenn sie dabei von TherapeutInnen unterstützt wurden. „Die
LeserInnen“, sagt Meichenbaum, „sollten sich den Hinweis merken, nicht
der Ersatz-Stirnhirnlappen für ihre KlientInnen zu sein. Sie sollten
ihnen das Denken nicht abnehmen und ihnen nicht die Wörter in den Mund
legen; sie sollten respektvoll sein, unterstützend, und sollten daran
denken, dass die meisten Menschen das Potential für eine Menge
Resilienz und Mut und Tapferkeit zeigen“ (S.113). Die vielleicht
weitreichendsten Erörterungen zu den inneren und äußeren
Rahmenbedingungen von Therapie zeigen sich in den Gesprächen mit
Michael White (einmal zusammen mit Gene Combs, das andere mal zusammen
mit Jeff Zimmerman) und mit Karl Tomm (zusammen mit Stephen Madigan).
Weit entfernt davon, solche Gespräche zusammenfassend beschreiben zu
können, scheint es doch möglich, kennzeichnende Aspekte zu skizzieren.
Ethische Fragen, Fragen der Wahrhaftigkeit, Authentizität und
Begegnungsbereitschaft werden in einer staunenswerten Offenheit zur
Sprache gebracht. Die Begegnung mit Karl Tomm gerät zu einer sehr
persönlichen Auseinandersetzung mit eigenen blinden Flecken und deren
Preis. Sie zeigt aber auch, was möglich ist, wenn jemand sich auf die
Erfahrung der eigenen Begrenztheit einlässt, seine Verantwortung
erkennt und dazu beiträgt, Raum zu schaffen für Versöhnung, Dankbarkeit
und Liebe. In einem ähnlichen Sinn gibt Michael White in einem anderen
Gespräch eine sehr schöne und handlungsrelevante Übersetzung der
Neutralitätsfrage: „Weil die Unmöglichkeit von Neutralität bedeutet,
dass ich nicht vermeiden kann, „für“ etwas zu sein, übernehme ich
Verantwortung dafür, allem zu misstrauen, wofür ich bin – d.h. meiner
Art zu leben und meiner Art zu denken – und das kann ich auf
verschiedene Weise tun“ (S.77), dies mit einem feinfühligen und
ausgeprägten Gespür für die „Verantwortung, die den Einsatz dafür
unterstützt, die realen Effekte oder Konsequenzen eigener Aktionen im
Leben anderer zu identifizieren und anzusprechen“ (S.89). White zieht
selbstkritisch in Erwägung, dass er mit dem Privileg spricht, sein
Gesagtes werde für bare Münze genommen und sich dessen selbst dabei
nicht bewusst zu sein (S.281). Vielleicht lässt ihn das vorsichtig sein
und dagegen Stellung beziehen, Narrative Therapie als eine
gesellschaftspolitische Bewegung zu verstehen (S.288). Die
Gratwanderung zwischen einem Bekenntnis zu
narrativ-konstruktionistischen Perspektiven und der Verantwortung
dafür, aktiv tätig zu sein, kommt vielleicht am lebhaftesten in einer
Debatte zur Sprache, an der neben Hoyt und Scott Miller auch William
Matthews und Barbara Held teilnehmen. Held geht konstruktionistische
Positionen fast frontal an und das Ringen um handhabbare Wege macht das
Gespräch kurzweilig und nützlich zugleich. Hier gibt sich Scott Miller
mit trockenem Humor als Vorzeigebeeinträchtigter zu erkennen, der bei
Debatten, die zu sehr ins Theoretisieren kommen, abdrifte und nichts
mehr verstehe. Natürlich versteht er es doch, aber er „begnügt“ sich
damit, die Debatte auf die Füße zu stellen und etwa mit einem schönen
Beispiel deutlich zu machen, wie er einmal dabei war, eine
Demo-Therapie in China durch konsequentes Befolgen einer
konstruktivistischen Vorgehensweise an die Wand zu fahren, weil er
nicht berücksichtigte, dass sein Vorgehen kulturgebundende Annahmen zur
Voraussetzung hatte, die in China nicht passten (S.223). Eine
Ausweitung der Diskussion mit dem Publikum, das dieser Diskussion
beiwohnte, zeigt dann sehr schön, wie aus der umgrenzten Welt der
Podiumsideen wunderbare Missverständnisse und Widersprüche entstehen
können, wenn Zuhörer das Gesagte auf sich beziehen und sich damit
auseinandersetzen. Es ist nicht auszuschließen, dass auch auf Podien
(und vielleicht sogar in Therapieorganisationen) gilt, was Michael Hoyt
in einem anderen Gespräch mit Steve de Shazer und Insoo Kim Berg so
schön auf den Punkt bringt: „Ich denke, wenn manche Menschen nervös
werden, ersetzen sie gerne Imagination durch Präzision“ (S.181).
The Present is a Gift In
diesem, dem bislang neuesten Band versammelt Hoyt wieder eine Reihe von
Buch- und Zeitschriftenbeiträgen, darunter auch wieder einige
Interviews. Der in den bisher vorgestellten Bänden zum Tragen gekommene
Geist setzt sich nahtlos fort und lässt eine ungemein ansprechende und
anregende tour d’horizon zu Fragen narrativer Therapien entstehen.
Selten habe ich so einleuchtende – ich möchte fast sagen: befreiende -
Beiträge über Gegenübertragung oder Rehabilitation gelesen wie hier.
Gegenübertragung diskutiert Hoyt unter der Überschrift „Beziehung: das
zweischneidige Geschenk der Präsenz“. Das ursprüngliche „Vorsicht!“ des
Gegenübertragungskonzepts wird ergänzt durch einen Blickwinkel, der die
Möglichkeiten der Humanität und Kreativität in helfenden Beziehungen
betont. Und wie könnte ein narrativ-konstruktionistischer Beitrag über
Rehabilitation besser überschrieben sein als mit „Einige Dinge, die ich
von FreundInnen und KlientInnen über Empowerment und Rehabilitation
gelernt habe“?! Hier entwickelt sich ein in sich stimmiger,
ermutigender und glaubwürdig das Zusammenwirken beschreibender
Gedankengang. Allein diese beiden Beiträge lohnten das Buch. Andere
Beiträge erweisen sich als kluge Essais in denen etwa
lösungsfokussierte Paartherapie oder die Vor- und Nachteile
postmoderner Positionen für die Psychotherapie diskutiert werden
(letzterer zusammen mit Phillip Ziegler). Diese Beiträge sind sehr
ergiebig, lesen sich allerdings wegen der Menge ausführlicher
Originalbelege nicht so flüssig wie etwa die Interviews oder die
überarbeiteten Podiumsbeiträge. Während die beiden letzteren Formen
einen Geist authentischer Selbstüberprüfung im Blick auf ein komplexes,
nicht-triviales Geschehen atmen, verweisen die thematischen Essais doch
eher auf „Reden über…“, für’s Nachschlagen auch dies jedoch immer ein
Gewinn. Immer wieder blitzt ein ausgeprägter Humor auf. So wird etwa am
Beispiel einer „Frühen Krankenakten-Notiz“ über Jesus von Nazareth
deutlich, welche Absurditäten entstehen, wenn diagnostische Kriterien
(in diesem Fall DSM-IV) kontextfrei angewendet werden. Ein
Gespräch mit Tapio Malinen über „Aufrichtigkeit und Schönheit in der
Kurztherapie“ könnte man durchaus als eine Art zusammenfassendes
Pointieren von Gedanken lesen, die sich wie ein roter Faden durch die
hier vorgestellten Bücher ziehen (siehe die deutsche Übersetzung dieses
Gesprächs im vorliegenden Heft). Hoyts nachhaltiges, immer wieder
waches, so konzentriertes wie spielerisches Nachspüren von
Möglichkeiten, wie sich im therapeutischen Geschehen wirkkräftiges,
schönes und respektvolles Handeln entwickeln kann, wie dazu
beigesteuert werden kann unter den Prämissen eines partizipativen
Leitgedankens, finde ich schon sehr beeindruckend.
Ausblick Hoyt
ist ein ungemein belesener Autor und er lässt die LeserInnen daran
ausgiebig teilhaben. Die Menge seiner Fußnoten ist ebenso Legion wie
ihre Qualität herausragend. Es gibt viele Querverweise, und Hoyt gibt
den vielen die Ehre, auf deren Schultern er steht. Das geht bis ins
Detail, etwa wenn er darauf hinweist, dass der mittlerweile
sprichwörtliche „Unterschied, der einen Unterschied macht“ von Gregory
Bateson zwar popularisiert wurde aber nicht geprägt von ihm, sondern
von William James (2000, S. 33). Ein langer Atem wird deutlich,
Verwurzelung in gutem Grund. Wenn’s drauf ankommt, werden auch Freud
oder Winnicot zitiert, wird auf ihre und anderer Vor-Arbeiter
wegweisende Leistung hingewiesen. Dabei gibt es nicht nur Querverweise
zu Fachliteratur. Hoyt erweist sich als profunder und inspirierter
Kenner der Belletristik – er zitiert amerikanische ebenso wie
europäische und fernöstliche AutorInnen. Und manchmal, so zeigt sich an
einer Stelle, kann auch eine gewisse Textsicherheit im Rock’n’Roll zu
hilfreichen Begegnungen beitragen, wenn es das Leben heavy meinte. Möglicherweise
wird die Detailtreue und Akribie, mit der Hoyt die Verästelungen der
Profession aufspürt, nachzeichnet und miteinander in Beziehung bringt,
manchen LeserInnen auch ein wenig quer kommen. Ich fand es allerdings
oft recht hilfreich. Insbesondere in Interviews kommt es vor, dass Hoyt
ganze Passagen aus Schriften der Interviewpartner zitiert – nicht nur
in Fußnoten -, um den Bezug deutlich zu machen, um den es im Gespräch
gerade ging. Und da finden sich oft kleine Preziosen und erhellende,
auch persönliche Bemerkungen, die ein selbstkritisches
Auseinandersetzen mit der eigenen Neigung zur Perfektion nicht
ausschließen (z.B. 2001, S.252). Mir scheint, man kann Hoyts
Bücher auch als so etwas lesen wie „Denktagebücher“, als
Dokumentationen einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den
Prämissen, Theorien, Techniken konstruktiver Therapien und den
Erfahrungen damit. Die darin zum Ausdruck kommende Authentizität und
spürbare persönliche Involviertheit des Autors rührt natürlich auch an
das oben erwähnte „zweischneidige Geschenk der Präsenz“. Auf der einen
Seite fühlt sich das Ganze gut an. Auf der anderen Seite könnte die
Schärfe überlesen werden, das Herausfordernde, das Hoyts Arbeiten eben
auch auszeichnet. Während Hoyt die heuristischen Qualitäten
postmoderner Perspektiven immer wieder zu Wort kommen lässt und
unterstreicht, setzt er in praktischen Fragen immer wieder nach.
Vielleicht so: Damit sich die Vielfalt der möglichen Perspektiven nicht
im Unendlichen verlieren, bringt er immer wieder die Notwendigkeit von
tragfähigem Grund unter den Füßen zur Sprache. Und die heuristisch
gewonnene Vielfalt der Perspektiven enthält auch die
(gesellschafts)politische Wachheit für Umstände, die nach mehr als
veränderter Bedeutungsgebung verlangen. Ein Markt für kontextfreies
Streben nach Glück wäre nicht in Hoyts Sinn, so wie ich das verstehe. Mir
imponiert die ungemein fundierte Qualität der Diskussion, das immer
wieder zu Tage tretende Ringen darum, die praktische Brauchbarkeit von
Hypothesen und Konzeptionen zu überprüfen. Mir scheint auch, dass sich
die von Hoyt narrativ vermittelten Positionen mit den strenger
wirkenden Ausformulierungen zur Klinischen Theorie systemischer
Therapie verbinden lassen. Wenn etwa Kurt Ludewig in seiner
Weiterentwicklung des Auftragskonzepts einen Auftrag durch die
Formulierung kennzeichnet: „Unser gemeinsames Ziel ist es...“, dann
passt das m.E. genau (Ludewig 2005, S.82). Und auch zu synergetischen
Perspektiven therapeutischen Handelns (Haken & Schiepek 2006)
lassen sich m.E. tragfähige Querverbindungen ausmachen. So habe ich
denn aus der Lektüre der hier vorgestellten Bücher eine Ermutigung
gezogen, mich von Tendenzen, unsere Profession zum
Schmetterlingssteckkasten zu machen, nicht mehr schrecken zu lassen als
nötig ist, um motiviert zu bleiben, die Ausnahmen wahrzunehmen, das,
was es lohnt auszubauen. Hoyts Bücher, so kommt es mir vor, sind wie
Festschriften gegen das Festschreiben. Bleibt noch die Frage, wie es
denn kommt, dass einige Geschichten besser sind als andere. Die Antwort
ist nicht wirklich überraschend, doch sie nutzt sich auch in der
Wiederholung nicht ab: „Ästhetik, Effekt und Ethik sind alle
miteinander wichtig. Wir mögen Geschichten, die gut erzählt sind; die
anschaulich und eloquent sind; die die Herstellung und Auflösung einer
gewissen Spannung beinhalten; aus denen die ProtagonistInnen
erfolgreich hervorgehen, vielleicht sogar triumphierend. Eine „gute“
Geschichte macht mehr, als „Fakten“ zu berichten, eine „gute
Geschichte“ macht einen stärker“ (2000, S.22).
Literatur Hoyt, M. (Hg) (1994). Constructive Therapies. Vol. I. New York: The Guilford Press. Hoyt, M. (Hg) (1996). Constructive Therapies. Vol. II. New York: The Guilford Press. Hoyt, M. (Hg) (1998). The Handbook of Constructive Therapies. San Francisco: Jossey-Bass. Hoyt,
M. & T. Malinen (2006). „Burn In, Not Out!“ – Über Aufrichtigkeit
und Schönheit in der Kurztherapie. Tapio Malinen im Gespräch mit
Michael Hoyt. Systhema 20(2) Ludewig, K. (2005). Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme. Haken,
H. & G. Schiepek (2006). Synergetik in der Psychologie.
Selbstorganisation verstehen und gestalten. Göttingen: Hogrefe. Talmon,
M. (1990): Single-Session Therapy. Maximizing the Effect of the First
(and Often Only) Therapeutic Encounter. San Francisco: Jossey-Bass.
Während
im Englischen der Plural für Therapie möglich und gängig ist, ist er im
Deutschen nicht geläufig und wohl auch etwas irritierend. Ich habe mich
dennoch entschlossen, hier den im Original benutzten Plural
beizubehalten, weil er auf die Vielfalt möglicher Formen verweist und
dem Geist der Vielstimmigkeit eher entspricht als der erratisch
wirkende Singular. alle Übersetzungen: WL
Ein oben zitiertes Interview mit Michael Hoyt von Tapio Malinen: „Burn In, Not Out!“ - im englischen Original aus brieftherapynetwork.com
Über Michael Hoyt:
Michael F. Hoyt ist senior staff psychologist am Kaiser Permanente Medical Center in San Rafael, California und Mitglied der Klinischen Fakultät der University of California School of Medicine in San Francisco. Er ist Autor zahlreicher Bücher und wurde als "Distinguished Continuing Education Speaker" sowohl von der American Psychological Association and auch der International Association of Marriage and Family Counselors ausgezeichnet.
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