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27.04.2007
Günther Horn, Renate Sannwald, Franz Wienand: Katathym Imaginative Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
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Reinhardt Verlag, München 2006
251 S., kartoniert, mit ca. 50 Kinderzeichnungen und einem Vorwort von Karl-Heinz Brisch
Preis: 29,90 €
ISBN (3-497-01873-2) kt
ISBN 13 (978-3-497-01873-4) |
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Reinhardt Verlag
Alexander Trost, Mönchengladbach:
Dies ist ein einzigartiges Werk, das trotz seines für Systemiker etwas
sperrigen Titels gerade in deren Kreisen Beachtung verdient. Zum
besseren Verständnis werde ich zunächst Hintergründe und Methodik des
Therapieverfahrens erläutern, danach erst das Buch vorstellen:
Bereits 1954 führte der Göttinger Psychiater und Psychoanalytiker Prof.
Dr. Hanscarl Leuner (1918 - 96) eine neue Methode in die Welt der
Psychotherapie ein. Er nannte sie „Katathymes Bilderleben“ (KB), oder
auch Symboldrama, und verortete sie als tiefenpsychologisch fundiert.
H. Leuner war immer schon experimentierfreudig gewesen, und verstand es
über Zäune zu gucken: er galt z.B. auch als Pionier bei der
wissenschaftlichen Erforschung und psychotherapeutischen Nutzung
psychoaktiver Substanzen, insbesondere LSD und andere Halluzinogene.
Seine Psychoanalyse absolvierte er bei einem C.G.Jung-Schüler. Sowohl
als Wissenschaftler wie auch als Psychotherapeut wagte sich Leuner
mutig und dabei in sicherem Kontakt mit der Empirie auch in extreme
Grenzbereiche der Bewusstseinsforschung hinein. Es war ihm ein
wesentliches Anliegen, Denkschablonen hinter sich zu lassen und einen
konkurrenzfreien Multilog mit Vertretern aller Disziplinen zu führen,
die an diesen Themen interessiert waren.
Leuner rief die AGKB, die wissenschaftliche Ausbildungsgesellschaft für
die heute im offiziellen Sprachgebrauch so genannte „Katathym
Imaginative Psychotherapie“ (KIP) ins Leben. Die KIP ist in etlichen
Ländern als psychotherapeutisches Verfahren anerkannt. Er war daneben
auch Mitbegründer und erster Präsident des „Europäischen Collegiums für
Bewusstseinsstudien“ (ECBS), das mehrere Kongresse unter dem Titel
"Welten des Bewusstseins" veranstaltet hat. Von 1975 bis 1985 leitete
er die „Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie“, an der
psychiatrischen Universitätsklinik in Göttingen.
Ich selbst hatte das Vergnügen, Anfang der 80er Jahre als junger
Assistent in Psychiatrie und Kinderpsychiatrie das KB bei H. Leuner und
einigen andern „Urgesteinen“ der KIP zu lernen und zwar parallel zu
meiner systemischen Ausbildung, und: ich hatte ihn (katathym empfunden)
immer schon im Verdacht, heimlich ein systemischer Therapeut zu sein.
Hier ein Auszug aus der Darstellung der AGKB: „Mit der KIP ist sowohl
jene spezielle, emotionsnah gestaltete Imagination angesprochen, auf
der das Verfahren basiert, als auch deren Einbindung in einen
psychotherapeutischen Prozess. In diesem Sinne ist die KIP als ein
ausdifferenziertes methodisches Vorgehen zur Handhabung der
Tagtraumtechnik zu definieren, das auf dem theoretischen Fundament der
Psychoanalyse aufgebaut ist, deren wesentliche Parameter wie
Übertragung und Widerstand berücksichtigt, symbolischen Prozessen
besondere Aufmerksamkeit widmet und dabei der Arbeit mit Imaginationen
in Form von Tagträumen einen essentiellen Stellenwert einräumt. Im
Unterschied zu Visualisierungstechniken anderer Methoden zeichnen sich
die katathymen Imaginationen dadurch aus, dass sie nicht nur optische
Eindrücke plastisch vor Augen führen, sondern grundsätzlich alle
Sinnesmodalitäten umfassen und sich in Handlungsvollzügen von
Tagtraumcharakter entfalten. Das Beiwort „katathym“ soll deutlich
machen, dass diese Vorstellungen „aus dem Gefühl heraus“, also nicht
willentlich gesteuert werden. Für den Umgang mit diesen hält die KIP
eine Vielzahl lehr- und lernbarer therapeutischer Interventionen
bereit. Die Methode wird in eine Grund-, Mittel und Oberstufe
eingeteilt. Zu jeder Stufe werden eine Reihe von Standardmotiven (z.B.
Wiese, Haus, Waldrand, Vulkan, …) und spezifischen Vorgehensweisen
angegeben, die in mittlerweile fünf Jahrzehnten beständig
ausdifferenziert und weiterentwickelt wurden“.
Durch das KB werden Konfliktthemen des Unbewussten verbildlicht und
können auf der Ebene des Tagtraumes mit Hilfe des Therapeuten erkannt
und bearbeitet werden. Der Patient soll durch diese Imagination eine
Ich- Stärkung erfahren, sich seinen Problemen gegenüberstellen und
kreative Lösungen und Entscheidungen treffen.
Ein katathymes Bild ist eine Imagination, welche bei einer sich in
leichter Entspannung befindlichen Person, ohne willentliche
Anstrengung, deutlich, dreidimensional und farbig vor dem geistigen
Auge entsteht. Dieses Bild kann sich dann zu einer Bildabfolge,
Szenerie verbinden, die, je nach Veranlagung und Übung, wie lebendig
wahrgenommen werden kann. Der Patient ist sich dabei jederzeit bewusst,
dass er sich im Hier und Jetzt befindet. Anders ist dies i.d.R. bei
willentlichen Vorstellungen, die wir uns nur zwanghaft vor Augen halten
können und die auch in ihrer Intensität meist nicht so lebendig
erscheinen.
Die Methode wird ursprünglich in einem dialogischen Setting eingesetzt,
wobei es sowohl verbale wie nonverbale Aspekte gibt. Der Patient wird
nach einer Entspannungsphase zu einem vom Therapeuten vorgeschlagenen
Motiv geführt. Der Therapeut leitet den Patienten an, sich in seiner
Imaginationswelt umzuschauen. Gleichzeitig soll der Patient dem
Therapeuten über sein Erleben sofort berichten, so dass dieser im
Kontakt mit dem Tagtraumerleben des Patienten bleibt, und dieses
begleiten kann. Interessanterweise reißt dies den Patienten nicht aus
seiner Vorstellungswelt heraus, sondern es vertieft sie noch. Der
Therapeut sollte weder den Patienten suggestiv in seiner Wahl oder
seinem Erleben beeinflussen wollen, noch die notwendige Distanz zu dem
berichteten Erleben des Patienten verlieren. Die Intervention des
Therapeuten an den Patienten sollte daher möglichst breit und allgemein
formuliert sein. Mögliche direkte Nachfragen können nach dem KB an den
Patienten gestellt werden. Die Bilder werden in der Regel
nachbesprochen, signifikante Szenen meist vom Patienten zuhause auch
noch gemalt. Dies vertieft, jenseits von jeglichem künstlerischen
Anspruch das Erleben und die Auseinandersetzung mit den zumindest
partiell unbewussten Themen.
„Auf der Bildebene des Tagtraums kommen neben der aktuellen
Befindlichkeit des Patienten u.a. seine Wesenszüge,
Verhaltenseigentümlichkeiten, Ressourcen, Motivationsstrukturen und
zentralen unbewussten Beziehungskonflikte symbolisch zur Darstellung.
Darüber hinaus verbildlichen sich immer wieder auch die als
„Übertragung“ bezeichneten unbewussten Vorstellungen über die
therapeutische Beziehung und jene Erfahrungen mit anderen Menschen, die
als so genannte „Repräsentanzen“ ihren innerseelischen Niederschlag
gefunden haben. Die kognitiven und affektiven Inhalte des
Tagtraumgeschehens können unter diagnostischen Gesichtspunkten
verstanden und therapeutisch aufgegriffen werden, um sie von
bewusstseinsnahen Oberflächenschichten her langsam und vorsichtig in
die Tiefe unbewussten seelischen Geschehens zu verfolgen.“ (AGKB)
Mir erscheint besonders bedeutsam, dass in der KIP ein ausgesprochen
enger und ressourcenbetonter Feedbackprozess analog dem Pacing und
Leading der Hypnotherapie M.H. Ericksons gegeben ist. Der Therapeut
gibt das Motiv aus seinem Verständnis des gegenwärtigen Prozesses vor,
aber der Patient bestimmt seine Ausgestaltung. In der KIP begleitet der
Therapeut letztlich den Patienten auf dessen innerer Reise und ist
somit mehr Zeuge als Veränderer. Hier drängt sich der moderne Begriff
der affektiven Rahmung als sicherer Basis im Therapieprozess auf. Der
oft beklagte Nachteil der klassischen Psychoanalyse, die verbale
Deutungsmacht des Analytikers, die ja einer Emanzipation und
Individuation des Patienten entgegenstehen kann, entsteht erst gar
nicht, und die affektive Abstinenz, die dem Bedürfnis nach emotionalem
Halt nicht ausreichend Rechnung tragen kann, tritt zurück zugunsten des
empathischen, behutsamen und oft mehr analogen Führens („mmh“, „jaa“,
„und… was gibt es dort noch?“) durch die symbolhafte Seelenlandschaft.
Ursprünglich für die Behandlung der sog. neurotischen Störungen
gedacht, hat sich das Spektrum der Indikationen auch auf andere
psychogene Erkrankungen wie strukturelle Ich-Störungen,
posttraumatische Belastungsstörungen etc. erweitert. Für
psychosomatische Erkrankungen hält das Verfahren schonende und
effektive Behandlungsansätze bereit. Neben der Einzeltherapie eignet
sich die Tagtraumtechnik auch für die Paar-, Familien- und
Gruppentherapie, sowie insbesondere auch für die Behandlung von
Kindern und Jugendlichen. Davon handelt das vorzustellende Buch.
Es gliedert sich in einen Theorie- und ein Praxisteil. Nach einer
aktuellen Bezugnahme zu den heutigen veränderten Sozialisations- und
Entwicklungsbedingungen von Kindern und Jugendlichen wird zunächst die
Theorie und Technik für das Kindes- und das Jugendalter referiert.
Schon hier geht es viel mehr um Entwicklungsimpulse und um imaginative
Zukunftsszenarien, als um ein Eintauchen in die jeweiligen
Konfliktkonstellationen. Dem neurobiologisch interessierten Leser wird
hier der Begriff der Spiegelneurone einfallen, die ja für das Handeln
Als-Ob stehen, die die prägende, und somit auch heilende Kraft der
(guten) Vorstellungen betonen. Im Buch werden mehrfach Bezüge zu den
Ergebnissen der Hirnforschung genommen; ebenso wie, in den Beiträgen
von Franz Wienand, die lösungsorientierte Sichtweise und Technik von
Steve de Shazer ihren Stellenwert im KIP-Prozess gewinnt. R. Sannwald
stellt erfreulich umfassend die speziellen Schwierigkeiten und die
Auswahl der Imaginationsmotive für die oft vernachlässigte Untergruppe
der Jugendlichen vor, mit der sie besonders reichhaltige Erfahrung hat.
Relativ kurze Kapitel widmen sich den Fragen von Setting und
Indikation. Hier wären zusätzlich die Punkte Kontextklärung von
Überweisung, Problem und familiärer Wirklichkeitskonstruktion im Sinne
eines stringenter systemischen Vorgehens hilfreich gewesen.
Im Anwendungskapitel gelingt F. Wienand eine breite Darstellung sowohl
bezüglich der diagnostischen Möglichkeiten der Methode als auch in den
unterschiedlichen Feldern der Behandlung. Auch aktuelle Fragestellungen
erhalten hier eine fundierte Antwort: Die Anwendung der KIP bei
traumatisch geschädigten Kindern, bei Bindungsstörungen, bei geistig
behinderten Kindern, in der Krisenintervention, um nur einige zu
nennen. Kurzzeittherapeutische Varianten, z.B. bei Prüfungsangst
ergänzen das Spektrum. G. Horn berichtet ausführlich von einem
spannenden, evaluierten gruppentherapeutischen Prozess mit
bewegungsunruhigen Kindern, wobei er das Modeattribut ADHS sorgfältig
vermeidet. Ein weiteres Hauptkapitel widmet sich der Durchführung von
Supervisions- und Fallseminaren, also der professionellen
Metareflektion der therapeutischen Prozesse.
Besonders illustrativ für den Leser sind die lebendigen, und die eigene
Imagination anregend geschriebenen Kasuistiken, angereichert mit einer
Fülle von Zeichnung der Kinder und Jugendlichen. Hier wird die Methode
auch zwischen den Buchdeckeln zum Leben erweckt und es wird deutlich,
wie sinnvoll und synergetisch die katathymen Imaginationen mit
bindungstheoretisch fundierten, strukturgebenden, und
systemisch-familientherapeutischen Ansätzen zu verbinden sind. Einige
Themenbeispiele: Die Katathym Imaginative Kindertherapie eines
achtjährigen Jungen mit Trennungsangst — Kurzzeitpsychotherapie mit
einer elfährigen Patientin — Ein 14-Jähriger mit einer
Körperbehinderung und einer schweren Selbstwertproblematik — Eine
selbstverletzende 15-Jährige: Therapeutische Beziehungserfahrung als
strukturbildender Prozess — Kurzzeitpsychotherapie eines schwer
somatisch erkrankten Jugendlichen.
Ein ausführliches Literatur- und Stichwortverzeichnis schließen dieses rundum gelungene Werk ab.
Ich finde das Buch, ganz im erlebten Sinn der Methode, ausgesprochen
ressourcen- und lösungsorientert. Ich würde den Dreisatz P. Fürstenau’s
hier abgewandelt anwenden: „Psychoanalytisch verstehen, systemisch
denken, …und mit katathymen Imaginationen intervenieren!“
Schade, dass Hanscarl Leuner es nicht mehr lesen konnte,… aber, wer weiß es?
Weitere Quellen:
Leuner, H.: Halluzinogene - Psychische Grenzzustände in Forschung und Psychotherapie. Huber, Bern 1981
Leuner, H.: Lehrbuch des Katathymen Bilderlebens, Huber, Bern 1985
Fürstenau, P.: Psychoanalytisch verstehen, systemisch denken, suggestiv intervenieren. Stuttgart (Klett-Cotta) 2001
Nähere Informationen zur KIP
Das ausführliche Inhaltsverzeichnis
Verlagsinformation:
Kinder und Jugendliche geben sich gerne Tagträumen und
Phantasievorstellungen hin. Die Katathym Imaginative Psychotherapie
(KIP) macht sich dies zunutze: Sie gibt Motive vor (z. B. „Im Garten“,
„Mein Traumzimmer“, „Begegnung mit einem Raubtier“), die bestimmte
Konfliktfelder ansprechen. Vor dem „inneren Auge“ der jungen Patienten
erscheinen diese Motive als farbige Bildabfolgen, bei welchen sie von
Therapeuten oder der Therapeutin begleitet werden. So lassen sich
unbewusste Konflikte durch die Imagination direkt beeinflussen. Einfach und verständlich führen die Autoren in Theorie und Technik der
Katathym Imaginativen Psychotherapie ein. Sie stellen verschiedene
Settings vor und zeigen die Chancen und Grenzen in der
psychotherapeutischen Praxis auf. Spannende Behandlungsbeispiele, illustriert mit zahlreichen Kinderzeichnungen, machen die Anwendung des Verfahrens anschaulich.
Inhalt
Kindheit heute -- veränderte Sozialisation und Entwicklungsbedingungen
Was ist Katathym Imaginative Psychotherapie?
Theorie und Technik der Katathym Imaginativen Psychotherapie mit Kindern
Theorie und Technik der Katathym Imaginativen Psychotherapie mit Jugendlichen
Das Setting
Indikationen und Kontraindikationen
Anwendungen der Katathym Imaginativen Psychotherapie
Katathym Imaginative Gruppentherapie mit bewegungsunruhigen Kindern
Überlegungen zur Durchführung von Supervisions- und Fallseminaren
Kasuistiken: Die Katathym Imaginative Kindertherapie eines achtjährigen
Jungen mit Trennungsangst -- Kurzzeitpsychotherapie mit einer
elfjährigen Patientin -- Ein 14-Jähriger mit einer Körperbehinderung
und einer schweren Selbstwertproblematik -- Eine selbstverletzende
15-Jährige: Therapeutische Beziehungserfahrung als strukturbildender
Prozess -- Kurzzeitpsychotherapie eines schwer somatisch erkrankten
Jugendlichen
Die Autoren
Günther Horn, Dipl.-Soz.-Päd., Karlsruhe, Analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut
Dr. med. Renate Sannwald, Berlin, Fachärztin für Kinderheilkunde,
Kinder- und Jugend- psychiatrie und -psychotherapie und
Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse, in eigener Praxis
Dr. med. Franz Wienand, Dipl.-Psych., Böblingen, Facharzt für Kinder-
und Jugendlichenpsychiatrie und -psychotherapie, Psychoanalyse, in
eigener Praxis. |
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