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Neuvorstellung zur Übersicht
07.03.2007
Rainer Schützeichel: Sinn als Grundbegriff bei Niklas Luhmann
Schützeichel Sinn Campus Forschung, Bd. 852, Frankfurt New York 2003

321 S., kartoniert

Preis: 34,90 €
SBN-10: 3593371324
ISBN-13: 978-3593371320
Campus Verlag





Thomas Krumm, Marburg:

Zu den Leistungen der modernen Systemtheorie gehört es, "Sinn" als Grundbegriff soziologischer Theoriebildung fest verankert zu haben. Sinn als Grundbegriff in wissenschaftliches Denken eingeführt zu haben, ist eine relativ junge, moderne Erscheinung. Für die Sozialwissenschaften ist hier insbesondere an die sinnverstehende Soziologie und Phänomenologie zu denken, von der auch die Systemtheorie wichtige Grundlagen, nicht zuletzt den Sinnbegriff, aufgenommen hat. Schützeichel unternimmt in seiner akribischen Rekonstruktion der Luhmann'schen Systemtheorie als Sinntheorie nun keinen strukturgenetischen Rekonstruktionsversuch des Sinnbegriffs, sondern er rekonstruiert theorieimmanent. Der Vorteil einer solchen kohärenztheoretischen Methode liege in der Betonung des Netzwerkcharakters von Theorien, in der Verknüpfung theoretischer Fragen mit methodologischen und explanativen Fragen. Schützeichels Anliegen ist also eine "kohärenztheoretische" Rekonstruktion der (Grund-)Fragen, die die Systemtheorie stellt. "Es wird der Vorschlag gemacht, Theorien nach dem Muster ,Bezugsproblem' und ,Problemlösung' zu rekonstruieren".
Oft würden nämlich die Antworten zu schnell mit denen anderer Theorien verglichen, nur um dann z. B. den "geistigen Flurschaden" der Systemtheorie zu beklagen und ohne zu berücksichtigen, dass die beantworteten Probleme vielleicht gar nicht vergleichbar sind. In dieser Ausgangsüberlegung Schützeichels liegt ein erhebliches Potenzial für vergleichende Theorierekonstruktionen, das zu einem hermeneutisch-individualisierendes Vorgehen bei der Durchführung von Vergleichen führen kann, in letzter Konsequenz aber auch auf einen Verzicht zum Vergleich von unvergleichbaren Problemkontexten. Ein solcher Verzicht auf einen externen Vergleich und externe Vernetzung scheint nach Schützeichel im Falle der Systemtheorie angeraten.
Zunächst beginnt er also, auf vier Problemebenen die Entfaltungslogik (sozialen) Sinns werkimmanent zu rekonstruieren. Die Entfaltung beginnt mit der Problemebene der allgemeinen Sinntheorie, gefolgt von der Problemebene der sachlichen, zeitlichen und sozialen Sinndimensionen und schließlich der Entfaltung dieser Sinndimensionen zu Teiltheorien der allgemeinen Systemtheorie. Die Sozialdimension wird dabei durch die Kommunikationstheorie abgedeckt, die Zeitdimension durch die Evolutionstheorie und die Sachdimension durch die System-Umwelt-Unterscheidung, also durch Systemtheorie im engeren Sinne. Schützeichels starke These ist nun, dass bei allen diesen Teiltheorien auf der vierten Problemebene, "resultierend aus asymmetrischen Problemlösungen auf der Ebene E (3), Konstruktionsfehler aufgezeigt werden" können, die "auch für die methodischen und methodologischen Probleme der Systemtheorie verantwortlich gemacht werden" können. Schützeichel kommt zu dem Ergebnis, dass die Systemtheorie als Sinntheorie zwar über eine entfaltete Strukturlogik, aber nur über eine rudimentäre operative Logik verfügt, was sich wiederum darauf auswirkt, dass sich die drei Teiltheorien auf E (4) nicht zu ausgereiften Forschungsprogrammen entwickeln konnten. So bleibt etwa die Methode der funktionalen Analyse selbstwidersprüchlich, weil sie gerade das erfordert, "was ansonsten in Abrede gestellt wird, nämlich die Stellung von explanativen, also Warum-Fragen". Die Systemtheorie ist nicht nur selbstbezüglich, sondern auch selbstwidersprüchlich aufgebaut.
Das Faszinierende der Luhmann'schen Systemtheorie ist nicht zuletzt ihr Anspruch, "Supertheorie", Universaltheorie zu sein. Dieser Anspruch wird im Kern durch die Grundlegung eines universalistischen Sinnbegriffs eingelöst. Die Beobachtung von "Sinnformen" wird zum zentralen Aufgabengebiet der systemtheoretischen Soziologie. Allerdings gibt Schützeichel zu bedenken, dass der Sinnbegriff von den ersten Ausarbeitungen an zwischen zwei Bedeutungspolen und zwei Beobachtungsformen schwankt: "Der Begriff umfasst sowohl das Moment der Verweisung oder den medialen Charakter von Sinn wie auch den Aspekt der ,Identität' von etwas. In den späteren Ausarbeitungen setzt sich mehr und mehr der mediale Charakter von Sinn durch. Sinn ist Medium. Damit wird der Raum frei für den Begriff der Form, der fortan den Aspekt der ,Identität' bedient". Man könnte also für die innere Differenzierung der Theorie selbst wiederum eine Art funktionaler Differenzierung nahe legen. Diese selbst umfasst aber nur die "Außenbereiche", die Ebenen E (3) und E (4), die Peripherie der Luhmann'schen Sinnentfaltung. Das Zentrum, die Ebenen (1) und (2), sind stark phänomenologisch geprägte Sinntheorie. Während die "Ebenen"-Metapher eine stratifikatorische Ordnung nahe legt, legt die von Schützeichel häufig verwendete Kern-Metapher eine Zentrum/Peripherie Unterscheidung der Luhmann'schen Sinntheorie nahe. Letztlich läuft die Rekonstruktion von Schützeichel auf eine kombinierte Anwendung aller drei Differenzierungsprinzipien auf den systemtheoretischen Sinnbegriff selbst hinaus.
Schützeichels kohärenztheoretischer Rekonstruktionsversuch argumentiert mit Luhmann gegen Luhmann, er versucht, die Systemtheorie gegen sich selbst auszuspielen. In dieser Vorgehensweise liegt sowohl die Stärke wie auch die Schwäche des Unternehmens. Einerseits gelingt es ihm auf diese Weise, Brüche in der Architektur der Theorie sichtbar zu machen, andererseits bleibt er zu sehr jenem Ausdrucksstil verhaftet, der so typisch für systemtheoretisches Argumentieren ist: eine Art hermetischer Abkapselung bzw. Segmentierung der Theorie, eine narzisstische Selbstbeobachtung bis hin zur Selbstverfangenheit ist die Folge. Man hat trotz der kritischen Einwände Schützeichels den Eindruck, dass externe Vergleiche der Theorie vernachlässigt werden, um interne Konsistenzansprüche erhöhen zu können.
Zu prüfen bleibt, ob mit der Hierarchisierung von Problemebenen, die eigentlich zu Ursprungs- bzw. Grundproblemen führen müsste, mit "Kernfigur" und "Aktualitätskern" nicht ein Reimport substanzialistischen Denkens erfolgt, wie er z. B. für rekonstruktionslogisches Vorgehen in anderen Theorien typisch ist. Trotz der dezidierten Hinweise Schützeichels auf die Brüche in Luhmanns Theoriearchitektur gelingt es ihm nicht, sich dem Sog des systemtheoretischen "Wolkenflugs" zu entziehen. Die Diktion (Prohibitivsprache) ist eher mühsam aufzunehmen, und die zahllosen Redundanzen fordern die Geduld des Lesers. Dazwischen gehen die einschlägigen Argumente fast unter. Wie so oft bei systemtheoretischer Diktion drängt sich der Eindruck auf, dass inspirierte Ideen unnötig verkompliziert und verrätselt werden, um die dahinter stehenden Intuitionen mit einem wissenschaftlichen Mehrwert auszustatten. Für den Problembezug dieser übertrieben verkomplizierten Sprache in der Wissenschaft würde sich z. B. eine "funktionale Analyse" anbieten. So aber adressiert das Buch nur an einen kleinsten Kreis von Puristen und fördert die Selbstabschottung der Theorie. Das ist schade, denn das Thema hätte einen größeren Leserkreis verdient.
(Erstveröffentlichung in literaturkritik.de)





Eine weitere Rezension von Heiko Bichel für IASL-online





Verlagsinformation:

Rainer Schützeichel rekonstruiert die Grundlagen der Systemtheorie von Niklas Luhmann. Er diskutiert damit einen der wichtigsten zeitgenössischen Theorieansätze der Soziologie, von dem immer wieder auch die allgemeine politisch-öffentliche Diskussion profitiert. Im Zentrum der Analyse stehen die Fragen nach dem logischen Aufbau und der Kohärenz dieser Theorie und ihrer verschiedenen Teiltheorien.


Inhalt:

Einleitung

1. Rekonstruktion der Systemtheorie

2. Sinn, Form, Beobachtung
2.1 Sinn
2.1.1 Der "Sinn" der Systemtheorie
2.2.2 Sinndimensionen
2.2 Form
2.3 Operation / Beobachtung
2.4 Die Systemtheorie als possibilistische Theorie

3. Die Sozialdimension von Sinn
3.1 Doppelte Kontingenz
3.1.1 Methodologische Prämissen
3.1.2 Sozialtheoretische Prämissen
3.1.3 Selbstreferentielle Verweisungsverhältnisse
3.1.4 Sozialität, Selektion und Kommunikation
3.2 Handlung und Kommunikation
3.2.1 Handlungstheoretische Grundlagen
3.2.2 Kommunikationstheoretische Grundlagen
3.2.3 Die Selektionen der Kommunikation
3.2.4 Kommunikation und Handlung
3.3 Operation, Struktur und Prozeß
3.4 Die Systemtheorie als operative Soziologie

4. Die Zeitdimension von Sinn
4.1 Evolution
4.1.1 Geschichtstheoretische Prämissen
4.1.2 Sozio-kulturelle Evolution als Selektionsgeschichte
4.1.3 Die Erklärungsprogrammatik der Evolutionstheorie
4.2 Semantik
4.2.1 Semantik und Sozialstruktur
4.2.2 Evolutionstheoretische Erklärungsskizzen
4.3 Soziales Gedächtnis
4.3.1 System und Gedächtnis
4.3.2 Evolution und Gedächtnis
4.4 Die Systemtheorie als historische Soziologie

5. Die Sachdimension von Sinn
5.1 Systemtheorie als Erkenntnistheorie
5.2 Soziologie, Beobachtung und funktionale Differenzierung
5.3 Funktionale Analyse
5.3.1 Kritik des Funktionalismus
5.3.2 Funktionale Methode
5.4 Die Systemtheorie als Modus der Beobachtung zweiter Ordnung

6. Systemtheorie und soziologische Theorie

Literaturverzeichnis


Über den Autor:
Rainer Schützeichel, Dr. rer. soc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der FernUniversität/Gesamthochschule in Hagen.



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