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27.03.2007
Franz Xaver Kaufmann: Zukunft der Familie im vereinten Deutschland. Gesellschaftliche und politische Bedingungen
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C.H. Beck, München 1995
282 S.
Preis: 27,50 €
ISBN-10: 3406387233
ISBN-13: 978-3406387234 |
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C.H. Beck
Oliver König, Köln:
F.X. Kaufmann (Prof. emer. aus Bielefeld) legt hier eine Neubearbeitung des Buches „Zukunft der Familie“ (1990) vor, das noch kurz vor der Öffnung der DDR-Grenzen abgeschlossen worden war und die Transformationsprozesse der deutschen Vereinigung noch nicht hatte berücksichtigen können. Klingt der Titel auf den ersten Blick etwas pathetisch, so beschreibt er doch, zusammen mit dem Untertitel, recht präzise den besonderen Blickwinkel Kaufmanns. Denn hier wird nicht nur eine gute Übersichtsdarstellung zum gegenwärtigen Stand familiensoziologischen Wissens geliefert, sondern es werden auch die besonderen Bedingungen untersucht, die eine Familien- und Sozialpolitik schaffen muss, will sie der von Kaufmann aufgezeigten „strukturellen Rücksichtslosigkeit“ gegenüber Familie etwas entgegensetzen bzw. diese abbauen helfen. Diese Ausrichtung auf sozialpolitische Handlungsoptionen zeigt sich nicht nur daran, dass etwa ein Drittel des Buches den „Perspektiven der Familienförderung“ gewidmet ist, sondern sie ist generell spürbar in der Art, wie hier sozialwissenschaftliches Wissen aufbereitet wird. Dabei bleibt sich Kaufmann, der als stellvertretender Vorsitzender der Sachverständigenkommission am Fünften Familienbericht der Bundesregierung (1994) beteiligt war, der Diskrepanz zwischen politischem und wissenschaftlichen Handeln bewusst, verfällt also nicht einem naiven Interventionismus. Im Gegenteil betont er gerade die „Politikresistenz“ der Familie und dass sie sich als Privatraum auch aktiv z.B. gegen staatliche Einflussnahme geradezu abgrenzen muss, will sie ihre spezifischen Leistungen erbringen. Es sind dies: Kohäsion und emotionale Stabilisierung der Familienmitglieder, Fortpflanzung, Pflege und Erziehung der Kinder, Haushaltsführung, Gesundheit und Erholung, sowie die wechselseitige Hilfe vor allem zwischen den Generationen. Zugleich erfüllen Familien einen eminent politischen Zweck mit der Erbringung dieser Leistungen, da ihre akkumulierten Ergebnisse, Nachwuchssicherung, Schaffung von Humanvermögen und Solidarität zwischen den Generationen, sowohl sozialstrukturell als auch kulturell von besonderer Bedeutung sind und in dieser Art von keinem anderen gesellschaftlichen Teilsystem erbracht werden können. Es ist vor allem die in Familien emotional wie physisch erbrachte Arbeit, die das Teilsystem Familie eng mit den diversen Versorgungssystemen (Rente, Gesundheit) sowie dem Arbeitsmarkt verkoppelt, ohne dass dieser Leistung der Familie ein adäquater Ausgleich gegenüber stände. Zugleich ist „das öffentliche Interesse an familialen Leistungen ... vom Interesse der Beteiligten notwendigerweise verschieden“ (63), da alle diese Leistungen allein „um der betroffenen Familienangehörigen willen“ erbracht werden und gesellschaftlich relevante Wirkungen ausgeblendet bleiben. Aufgabe der Politik kann es daher nur sein, die Rahmenbedingungen dahingehend zu gestalten, dass sich die Selbststeuerungskräfte der Familie optimal entfalten können. Dass dabei das gesellschaftliche Fundament selber berührt wird, wird vor allem an den sich verändernden Geschlechterrollen sichtbar, denen die Rahmenbedingungen vor allem des Arbeitsmarktes, aber auch z.B. in Erziehungs-, Bildungs- und Gesundheitssystem Rechnung tragen müssen, wollen sie das Krisenszenario der Familie entschärfen. Nach einer kurzen Skizzierung der gesellschaftlichen wie der politischen Problemlage im Eingangskapitel folgt ein kurzer historischer Rückblick auf die Entstehung der modernen Familie, bei dem nicht nur auf die Entwicklungen in der frühen Neuzeit eingegangen wird, sondern der Blick weiter zurück auf die antiken Stadtkulturen und den Einfluss des Christentums geworfen wird, bevor auf die Eigenarten der modernen Familie als einer „sich selbst auflösenden Gruppe“ und eines „auf Kinder spezialisierten Lebenszusammenhangs“ (27) eingegangen wird. Der Zugang ist dabei immer ein doppelter: einmal auf die Familie als konkretem Lebenszusammenhang einer Gruppe, die vom Individuum als Herkunftsfamilie oder „Zielfamilie“ erfahren wird, zum anderen auf die Familie als Institution, d.h. als „System von Regeln, nach dem die vorkommenden Familienverhältnisse beurteilt werden“ (13), wobei Kaufmann Wert darauf legt, die institutionelle Sichtweise vom konservativen Beigeschmack zu befreien, der ihr durch das rückwärtsgewandte Krisenbewusstsein z.B. von Helmut Schelsky, einem Hauptvertreter dieses Ansatzes in der deutschen Nachkriegssoziologie, anhaftet. In einem weiteren Kapitel wird „die Entstehung der modernen Familie im Prozess struktureller und funktionaler Differenzierung von Gesellschaft“ (30) herausgearbeitet, besonders ihre „relative Verselbstständigung“. „Dieser doppelte Autonomiegewinn – der Individuen und der familialen Lebensformen – bewirkt jedoch auch Konflikte neuer Art und einen Plausibilitätsverlust herkömmlicher Familienleitbilder“ (34). Im weiteren werden dann die eingangs schon genannten (institutionell definierten) Aufgaben und die faktisch erbrachten Leistungen von Familien aufgezeigt, und die besonderen Belastungen, die dies für Familien unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen bedeutet. Hier wie auch im folgenden Kapitel zur Familienentwicklung in Ost- und Westdeutschland werden die relevanten Ergebnisse empirischer Forschung zu Ehe, Geburtenentwicklung, Scheidung, Haushaltsführung, Arbeitsteilung, Berufstätigkeit in einer gut aufbereiteten und sorgsam diskutierten Form präsentiert. Der dazu parallel laufende Prozess der kulturellen Liberalisierung von Ehe und Familie wird als Optionserweiterung beschrieben, die zugleich ein „Übermaß an Entscheidungszumutungen“ (102) mit sich bringt, die sich in Überforderung und Orientierungslosigkeit niederschlagen können. Besondere Beachtung findet die Rolle der Familie in der Pflege und Erziehung von Kindern, die nur in diesem Kontext sicherzustellen sind. Aufgrund der generellen Optionserweiterung, vor allem auch für die Frauen, wird die Entscheidung zur Elternschaft immer voraussetzungsvoller, da sie sich immer auch als eine Entscheidung gegen andere mögliche Lebensformen darstellt und zudem „die Normen der Elternschaft in diesem Jahrhundert nicht an Verbindlichkeit eingebüßt, sondern eher noch an Gewicht gewonnen haben“ (128). „Die Wahrnehmung der Elternrolle ist also in den letzten Jahrzehnten anspruchsvoller und schwieriger geworden“ (135). Eine ihrer zentralen Aufgaben sieht Kaufmann darin, zunehmend komplexer werdende Umwelteinflüsse zu kanalisieren und eine Internalisierung von Leitbildern und Moralität als Voraussetzung von Identitätsentwicklung zu ermöglichen, ohne dass er dabei unterschlagen würde, dass Familie sowohl fördernd wie schädigend sein kann. Direkte Interventionen auf der Mikroebene, die Kaufmann nur am Rande anspricht, behandelt er aber ebenso vorsichtig wie mögliche politischen Interventionen auf der Makroebene. Zugleich wird Familie, bzw. die Entscheidung zur Elternschaft aufgrund vielfältiger damit verbundener Benachteiligungen nicht nur für die unteren, sondern auch die mittleren Bevölkerungsschichten immer mehr zu einem Medium bzw. Transporteur sozialer Ungleichheit, und dies paradoxerweise während die Chancen zuweisende Kraft von „Stand“ und „Klasse“ ihre Wirkung zunehmend einbüßt. Diesem Problem bzw. wie ihm zu begegnen ist, ist das letzte Kapitel über Familienförderung gewidmet, in dem die „strukturelle Rücksichtslosigkeit“ von Wirtschaft, Staat und Bildung gegenüber der Familie herausgearbeitet wird. Drei Verteilungsprobleme werden aufgezeigt: „Zwischen den Generationen, zwischen den Kinderlosen und den Kinderreichen und zwischen den Geschlechtern“ (196). Politik kann hier jedoch nur die institutionellen Voraussetzungen und Opportunitätsstrukturen bereitstellen, denn die Wirkungen sozialpolitischer Maßnahmen entstehen nicht direkt, quasi deterministisch, sondern „aus der Reaktion der Betroffenen auf diese Maßnahmen“ (191). Wie Kaufmann, aufbauend auf dieser Erkenntnis bzw. Grundhaltung, dennoch rechtliche, ökonomische, ökologische und pädagogische Interventionsmöglichkeiten formuliert, macht das Buch gerade für Therapeuten interessant. Zum einen entspricht dies weitgehend ihrer eigenen Arbeitssituation und -haltung, zum anderen kann es dem therapeutischen Interventionshorizont nicht schaden, wenn ihm ein gesellschaftspolitische Sichtweise an die Seite gestellt ist.
(Erstveröffentlichung in Familiendynamik 3/1997)
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