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23.02.2007
George L. Mosse: Das Bild des Mannes. Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit
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Fischer Verlag, Frankfurt 1997
284 Seiten
Preis: 11,99 €
ISBN 3-10-050605-7 |
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Fischer Verlag
Oliver König, Köln:
George Mosse, Historiker deutsch-jüdischer Abstammung, 1908 in Berlin geboren und 1933 in die USA geflohen, legt kurz vor seinem 90. Geburtstag ein Alterswerk vor, das manche Themen seiner früheren Arbeiten über Faschismus, Militarismus, Nationalismus und Sexualität wiederaufnimmt. Er arbeitet aber diesmal einen Aspekt heraus, der in seinen bisherigen Arbeiten zwar immer vorhanden, doch seiner eigenen Einschätzung nach bislang nur von sekundärer Bedeutung war, die zentrale Rolle des Männlichkeit-Stereotyps für die Entwicklung von Staat und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Er liefert damit einen Beitrag zu der seit den 80er Jahren aktiver werdenden Männerforschung, die sich in einigem Abstand zur Frauenforschung daran macht, die „Konstruktion der modernen Männlichkeit“ zu re- und dekonstruieren. Allerdings stammt das meiste dieser Forschung von Autoren, die für Mosse die Generation der Kinder und Enkel darstellen. Geht man einmal davon aus, daß in unserer eigenen biographischen Erfahrung über unsere Eltern und Großeltern die Vergangenheit in unsere Gegenwart hineinreicht, so wird deutlich, daß für Mosse der Zeitraum, mit dem er sich beschäftigt, nicht nur als historischer Gegenstand, sondern über einen weiten Zeitraum auch als biographische Realität zugänglich ist. Da ihn „vor allem die normsetzenden, nicht die normsprengenden Definitionen der Männlichkeit“ (20f.) interessieren, tritt dadurch seine zentrale These um so schärfer hervor, daß sich nämlich am männlichen Stereotyp in den letzten 200 Jahren nur wenig geändert habe und es erst seit dem 2. Weltkrieg zu einer allmählichen Aushöhlung dieses Stereotyps komme. Der Preis dieser These, der zugleich eine Schwäche des Buches ausmacht, sei hier schon benannt: der Zusammenhang von diskursiv hergestelltem Stereotyp, gelebter Norm und sozialstrukturellen Veränderungen bleibt unklar. Hier wäre sicherlich ein stärker sozialwissenschaftlich-theoretischer Zugang hilfreich gewesen. Ausgewogen wird dies wiederum durch die Breite des Blickes und die Belesenheit von Mosse, auch wenn er für den Kenner des Themenbereiches kein substantiell neues Material aufarbeitet. Die Arbeit ist im Wesentlichen chronologisch aufgebaut und breitet dieses Material entlang der in der Geschlechterforschung umfangreich diskutierten These aus, daß sich gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die Bilder von Mann und Frau inhaltlich und in der Bewertung neu organisieren und es zu einer Verschärfung der Geschlechtergrenzen kommt. Dies wird vor allem an den Entwicklungen in Deutschland, aber auch in Frankreich, England und eingeschränkt auch in Italien aufgezeigt. Für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, die nur im letzten Kapitel kurz gestreift wird, überwiegt dann die kulturelle Hegemonie der USA. Ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts werden die Männerbilder des aristokratischen Lebensstils von Ritterlichkeit und Ehre im Zuge der einsetzenden Verbürgerlichung sowohl systematisiert wie moralisiert. Die aristokratische Ehre wird zur bürgerlichen Tugend und das maskuline Ideal von Stärke und Schönheit zum entindividualisiertem Symbol von Gesellschaft und Staat. Wirkungsvolle Sprachrohre der neuen Geschlechterideologie sind die Wissenschaften, vor allem Anthropologie und Medizin. An Lavaters Physiognomie und Winkelmanns griechischem Schönheitsideal zeigt Mosse dann die Zunahme der Körperkontrolle und die Moralisierung des Diskurses auf durch die Gleichsetzung von Schönheit und Tugend. Der männliche Körper sollte nun „das Bedürfnis der Gesellschaft nach Ordnung und Fortschritt wie auch die Tugenden der Selbstkontrolle und Mäßigung widerspiegeln. Frauen als öffentliche Symbole erinnerten primär an die Vergangenheit, an Unschuld und Keuschheit“ (17). Sport, Turnen und militärische Gymnastik werden zum Transporteur der neuen Tugenden. Zugleich ist Winkelmanns männliches Schönheitsideal unübersehbar von seiner Homosexualität geprägt, ein Thema, das Mosse am Rande anspricht. Diese homoerotische Doppelbödigkeit findet sich in den meisten Formen eines übersteigerten Männlichkeitsideals. Bei Mosse wird dies durch die Schaffung eines „Antitypus“ ausbalanciert, zu der als gesellschaftliche Außenseiter Homosexuelle ebenso gehörten wie Juden, Zigeuner und Verbrecher, so daß das maskuline Stereotyp nicht nur mit Nationalismus und Militarismus, sondern zugleich mit Rassismus und Antisemetismus verknüpft ist. Die Abgrenzung gegenüber den Frauen ist hingegen von anderer Qualität. Sie sind nach Mosse keine Außenseiter im obigen Sinne, haben sie doch ihren festen Platz in der Gesellschaft. Der Mann braucht sie, um sich seiner Männlichkeit bewußt zu werden, legt sie aber damit gleichzeitig auf ein bestimmtes feminines Stereotyp fest. Eine erste Krise erfährt das Männlichkeitsstereotyp in der Dekadenzbewegung der Jahrhundertwende und dann nochmals in den 20er Jahren. „Die Außenseiter verbündeten sich miteinander“ (119) und vor allem Homosexuelle und Lesben entwickelten zum ersten Mal eine Strategie der Provokation, indem sie ihre negativen Stereotype offensiv nach außen trugen. Neben diesen vor allem in der künstlerischen Avantgarde angesiedelten Gruppierungen finden sich Gegenbewegungen auch in Jugendbewegung und Nudismus, die zu dem Gefühl beitrugen, „daß die Moral unter dem Druck der Moderne in Auflösung begriffen war“ (132). Auch nahm die Diagnose nervöser Krankheiten schon seit der Jahrhundertwende zu und sowohl Sexualwissenschaft wie die entstehende Psychoanalyse förderten so einiges zu Tage, wodurch das männliche Ideal unter Beschuß geriet. Mosse sieht das Stereotyp allerdings durch diese Krisenerscheinungen nochmals bestärkt, was sich in einer breiten Gegenbewegung sowohl im Faschismus wie im Bolschewismus gezeigt habe. Deutlich wird dadurch zudem nochmals die Mulitfunktionalität des maskulinen Ideals, da es in ähnlicher Weise in allen politisch-ideologischen Lagern zu finden ist, bei den Faschisten ebenso wie in der Arbeiterbewegung oder beim „neuen Mann“ der Bolschewisten. Der „Opfergedanke“ und die „Läuterung durch Leiden“ werden zum Kernideal des soldatischen Mannes und auch die Kommunisten traten für eine aggressive, kraftvolle Männlichkeit ein. Der angesprochene Mangel des Buches kommt sicherlich nicht zufälligerweise in einem Kapitel zum Ausdruck, daß, eingeklemmt zwischen den Kapiteln „Krieger und Sozialisten“ und „Der neue faschistische Mann“, „Die ‘normale’ Männergesellschaft“ beleuchtet. Es geht hier vor allem um die Institutionalisierung des Ideals z.B. durch Schule und Erziehung und seine Verbreitung unter Arbeiter- und Angestellten. Und ganz nebenbei werden zwei ganz zentrale Probleme benannt: zum einen die Spannung zwischen Maskulinität und Familie, obwohl ja gerade die Faschisten die Familie zur „Keimzelle des Staates“ erhoben, zum anderen die normative Kraft des „Normalen“, wie sie sich nicht zuletzt in der „Sehnsucht nach Normalität“ bei „praktisch allen Minderheiten“ (196) zeigt. Denn „Extreme waren ... in der bürgerlichen Gesellschaft nicht gefragt, außer vielleicht in Krisenzeiten“ (187). Und Mosse hat sich in seinen Arbeiten eben vorrangig der Geschichtsschreibung der Krise gewidmet, so daß sich sein Bild des Mannes eher in Extremen bewegt und die Normalität einer alltäglichen Lebenswelt kaum thematisiert wird, woraus sich insgesamt sein eher monochromes Bild ergibt. So erstaunt es auch nicht, daß das letzte Kapitel „Auf dem Wege zu einer neuen Männlichkeit?“, in dem er für die letzten Jahrzehnte eine „beispiellose Aushöhlung des maskulinen Stereotyps“ (245) konstatiert, nur eine kurze Skizze bleibt. Vielleicht steht ja auch schon wieder eine Gegenbewegung vor der Tür, denn „nach wie vor ist die Schlacht noch im Gange, und die Frage ist nicht, ob die ‘wahre’ Männlichkeit entthront wird, sondern wieweit sie modifiziert werden kann“ (250). Hier wird nun ein Paradox sichtbar, daß auch in den Anfängen der Frauenforschung wirksam war. Wird in kritischer Absicht ein zugespitztes Bild des Geschlechterverhältnisses beschrieben, dann wird eine Veränderung meist nur als Utopie denkbar, ablesbar an einer Überbetonung der Rolle von Emanzipationsbewegungen im gesellschaftlichen Wandel, so auch bei Mosse. Sozialstrukturelle Rahmenbedingungen und ihre Veränderungen erscheinen dann nur noch als Epiphänomene gegenüber einem aufgrund seiner Stabilität fast schon wieder naturalisiertem Bild von Geschlecht. Aber mit dem Kontext verändert sich auch die Bedeutung von Geschlechtsstereotypen, selbst wenn sie im Erscheinungsbild gleich geblieben sein mögen. Und vor allem verändert sich das Verhältnis zwischen Diskurs einerseits, Sozialstruktur und Lebenswelt andererseits. So bleiben viele Fragen nicht nur unbeantwortet, sondern auch ungestellt. Neben der Tatsache, daß es sich trotzt mancher Redundanzen um ein gut geschriebenes Buch handelt, liegt die Wichtigkeit einer Arbeit wie dieser wohl auch woanders. Denn hier wird, wie schon in der Frauenforschung, die Kategorie „Geschlecht“ ins Zentrum einer Gesellschaftsgeschichte gestellt, und zwar in ihrer Ausprägung als „Maskulinität“ und zudem durch einen „grand old man“ der Zunft. Und auch wenn Mosse manchen trotz seiner Bekanntheit als ein akademischer Außenseiter gilt (z.B. Ute Frevert in der Zeit v. 20.6.97), verdeutlicht dies, daß diese Sichtweise im Zentrum allmählich Fuß zu fassen beginnt.
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Eine Dissertation von Andrea Kottow: "Der kranke Mann. Zu den Dichotomien Krankheit/Gesundheit und Weiblichkeit/Männlichkeit in Texten um 1900"
Ein kurzes Portrait von George L. Mosse von Julius H. Schoeps anlässlich der Autobiografie von Mosse für die Zeit 2003
Information über den Autor (Quelle: Wikipedia.de, 22.2.07)
George Lachmann Mosse (* 20. September 1918 in Berlin; † 22. Januar 1999 in Madison, Wisconsin) war ein US-amerikanischer Historiker deutscher Herkunft. Als Sohn der Verleger Hans und Felicia Lachmann-Mosse wuchs er behütet in Berlin auf. Er war ein Enkel des Berliner Zeitungsverlegers Rudolf Mosse und Großcousin des Historikers Werner E. Mosse. Die Nationalsozialisten zwangen ihn aufgrund seiner jüdischen Herkunft zur Emigration, und Mosse floh zunächst nach Frankreich, dann nach England. Er studierte 1936–1939 in Cambridge, später am Haverford College in Haverford (Pennsylvania) in den USA, wo er 1941 seinen Bachelor ablegte. In dieser Zeit wurde Mosse US-amerikanischer Staatsbürger. In Harvard promovierte er 1946. Anschließend übernahm er Lehraufträge und eine Assistenzprofessur an der University of Iowa. 1955 wurde er Professor für Europäische Geschichte an der University of Wisconsin-Madison und für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1993 war er zudem A. D. White Professor-at-Large der Cornell University. Als Historiker beschäftigte er sich besonders mit dem 20. Jahrhundert. Bekannt geworden ist er mit seinen Studien über die Geschichte des europäischen Judentums, des Rassismus und des Verhältnisses von Nationalismus und Sexualität. Für seine Arbeit wurde er mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit der Goethe-Medaille des Goethe-Instituts (1988) und der Leo-Baeck-Medaille (1998) des Leo-Baeck-Instituts New York.
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