Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
Neuvorstellung |
zur Übersicht |
30.01.2007
Wolfgang Loth: Auf den Spuren hilfreicher Veränderungen. Das Entwickeln klinischer Kontrakte
|
|
|
verlag modernes lernen, Dortmund 1998
223 S., kartoniert
Preis: 20,40 €
ISBN-10: 3808003979
ISBN-13: 978-3808003978 |
|
verlag modernes lernen
Kurt Ludewig, Münster:
Den in der deutschsprachigen Literatur zur Systemischen Theorie und Praxis eingeweihten Leserinnen und Lesern ist der Autor dieses Buches - Wolfgang Loth - kein Unbekannter. Seine Arbeiten der letzten Jahre imponieren als beharrliche Auseinandersetzung mit den theoretischen Prämissen systemischen Denkens und mit deren Wert im Hinblick auf die Umsetzung in Praxis. Das Dilemma des Praktikers - er ist seit nunmehr 20 Jahren Mitarbeiter einer Beratungsstelle - löst er nicht, indem er sich auf die eine oder andere Seite desselben lehnt, sondern indem er sich durchgehend treu bleibt bei seinem Bemühen, Theorie und Praxis zu verbinden, ohne sich dabei selbst zu vergessen. Er bleibt also der zentralen Voraussetzung systemischen Denkens treu, den "Beobachter", also sich selbst, erkenntlich zu machen, ohne sich auf angebliche Vorgegebenheiten auszureden. Mit seinem eigenen Begriff ausgedrückt, verzichtet er darauf, eine überhebliche Position des anleitenden Besserwissers einzunehmen, sondern er bescheidet sich bewusst auf die Funktion eines "Beisteuernden", die über die Kompetenz verfügt, sich erkennbar, verantwortlich und anschlussfähig am Diskurs zu beteiligen. Dies wird in diesem Buch besonders deutlich: Wolfgang Loth spricht in sehr persönlichem Stil zu seiner Leserinnen und Lesern und erzählt in bester narrativer Manier über seine Auseinandersetzungen mit seinem Thema. Das Buch ist daher weder ein Grundlagenbuch noch ein Lehrbuch, sondern die Berichterstattung eines denkenden Praktikers, der sich mit einfachen Abkürzungen nicht zufrieden gibt. Das ist es meines Erachtens, was dieses Buch packend und anregend macht. Man findet an jeder Stelle den Autor als Dialogpartner wieder, und so eben sich selbst als Angesprochene, der angeregt wird, über die eigenen Beunruhigungen und Fragestellungen in sach- und selbstkritischer Weise nachzudenken, vor allem aber über einmal gefundene, endgültig erscheinende Lösungen. Das Buch ist inhaltlich in drei Teile aufgeteilt: Prämissen, Handeln und Evaluation. Die Auseinandersetzung mit den Prämissen seiner Arbeit, also mit kontextuellen Bedingungen der helfenden Tätigkeit, erschien mir am gelungensten. Da spürt man zu jeder Zeit die Gewachsenheit vieler Jahre des Nachdenkens, Überprüfens, Verwerfens, Umdenkens. Dieser Teil, der von einer selbst auferlegten Verpflichtung zur "sauberen" Begrifflichkeit geprägt ist, ist nicht nur für Anfänger besonders empfehlenswert, sondern auch für jeden, der diese Prozesse im Umgang mit dem eigenen Tun ernst nimmt. Theorie und Praxis werden hier sensu Luhmanns als aufeinander angewiesene "Umwelten" füreinander betrachtet, die eben als solche die Bedingung der Möglichkeit füreinander darstellen. Im zweiten Teil des Buches geht es um das Entwickeln Klinischer Kontrakte. Hier steht im Mittelpunkt das systemische Bekenntnis, dass helfende Tätigkeit unter autonomen Menschen geschieht, die sich jeweils selbst und gegenseitig als solche anerkennen. Gespickt mit einer ansehnlichen Zahl von Beispielen aus der eigenen Praxis arbeitet Wolfgang Loth den Begriff des Klinischen Kontrakts als immerwährenden Prozess wandelnder Abstimmungen über Sinn und Zweck der gemeinsamen Arbeit mit Klientinnen/Kundinnen. In chaostheoretischer Diktion handelt es sich beim Kontrakt um einen "Attraktor", der als Ordnungsparameter, als Kontextmarkierung und Orientierung für die Praxis wirkt. Der dritte Teil ist der schwierigen Frage der Evaluation systemorientierter Hilfsprozesse gewidmet. Hier imponiert noch einmal das Bekenntnis zur Kundenorientierung, allerdings ohne die pragmatischen Vorgaben gesellschaftlicher Natur zu ignorieren. Bewertung und Kontrolle helfenden Tuns sollten sich auf die Erfüllung jeweils vereinbarter Kontrakte stützen, und nicht auf kontextunabhängige Maßgaben wie jene, die traditionell durch z.B. diagnostische Manuale und extern vorgegebene Zielsetzungen verwendet werden. Abgerundet wird der Text mit verschiedenen Schemata in Form von Tabellen, welche die wesentlichen Aussagen in eingängiger Weise zusammenfassen. Die letzte dieser Tabellen enthält am Ende des Buches in klar synthetisierter Form die wichtigsten Schritte hilfreicher Tätigkeit: das KOLB-Schema. Dieses Schema einer Kontrakt-orientierten Leistungs-Beschreibung geht vom ersten Schritt der Basisarbeit (Anlässe und Anliegen eruieren und koordinieren unter Bedingungen "informierter Zustimmung"), über Auftragsentwicklung und auftragsoriertiertes Arbeiten bis hin zur Evaluation-im-Kontext. Das Buch hält sich an die Erwartungen, die sein Titel erwecken. Man begleitet den Autor bei seinem Aufspüren der Wege hilfreicher Veränderungen, und man wird darin durch gut fundierte theoretische Abwägungen - Wolfgang Loth ist ein intimer Kenner der Fachliteratur -, sowie durch anschauliche Schemata und einen narrativen, persönlichen und gut lesbaren Schreibstil unterstützt. Theoriefreaks bietet das Buch erklärtermaßen keinen Neuheits-Kick, dafür aber einen anregenden Reflexionshorizont, der hilfreich ist, um das eigene Denken und Tun wieder einmal zu hinterfragen. Dem eingefleischten Praktiker bietet das Buch eine Fülle von Anregungen mit entsprechenden Fallbeispielen. Dabei können der Theoretiker und der Praktiker je nach Interessenschwerpunkt bei dem einen oder anderen Thema verweilen, dabei das jeweils andere überfliegen und doch zu ihren Zielen gelangen. Dem Neuling auf dem Feld bietet wiederum das Buch eine empfehlenswerte, weil anspruchsvolle Einführung in die Unebenheiten systemischer Theorie und Praxis.
(aus Familiendynamik Heft 4/99)
Cornelia Tsirigotis, Aachen:
Viele Spuren – um im Bild des Titels zu bleiben – legt Wolfgang Loth in seinem Buch: wie psychosoziale Arbeit beschrieben und in ihren Prämissen durchleuchtet werden kann, welche theoretischen Erkenntnisse ihr nutzbar gemacht werden können und in welchen Rahmenbedingungen sie stattfindet.
Auf der Spur des Autors Wolfgang Loths Anliegen kommt aus der Praxis: diese der Reflexion zu unterziehen, Konzepte zu durchleuchten, nach klaren Begriffen und Beschreibungen zu suchen. Damit soll die komplexe Landkarte professioneller psychosozialer Hilfen lesbarer werden. Es wird erkennbar, wann „Wegweiser eher weg oder Wege weisen“ (S. 18). Das geht nicht nur mit rational-logischen Erkenntnissen, es bedarf auch eines „intuitiven Zugriffs“ (S. 193) auf Handlungs-Wissen.
Die Spuren der theoretischen Prämissen Systeme können nicht ohne Umwelt existieren bzw. gedacht werden - so siedelt Wolfgang Loth Wissenschaft und Theorie in der Umwelt für Praxis an und umgekehrt, die in guter Nachbarschaft von einander profitieren. Er zeigt die Anwendungsmöglichkeiten von Luhmanns Theorie sozialer Systeme und des darin liegenden Gedankens, dass soziale Systeme durch Kommunikation funktionieren, für professionelles Handeln auf. Ludewigs Konzept von der Mitgliedschaft in sozialen Systemen durch die Bestätigung eines Themas (oder eines Problems) nutzt er zur Unterscheidung therapierelevanter sozialer Systeme. Den Ansatz des sozialen Konstruktionismus, nach dem Wirklichkeit gemeinsames Herstellen von Bedeutungen ist, durchleuchtet er auf seine Brauchbarkeit zur Erklärung einer Therapie des Möglichkeitenschaffens, die kein gegeneinander Antreten mehr ist von Experten gegen Hilfsbedürftige, sondern gemeinsame, von Respekt getragene Arbeit.
Spur: Beisteuern als wesentliches Beschreibungsmerkmal professionellen Handelns In diesen theoretischen Prämissen wurzelt Wolfgang Loths Beschreibung des professionellen Anteils der gemeinsamen Arbeit mit Hilfesuchenden als „Beisteuern“. Damit meint er die “Kompetenz, sich erkennbar, verantwortlich und anschlussfähig daran zu beteiligen, Perspektiven zu weiten und Möglichkeiten zu erschließen, ohne das einseitig und allein entscheidend tun zu können“ (S. 41). Ermöglicht wird das durch die entscheidende therapeutische Grundhaltung: den Respekt. Respektieren vollzieht sich in der Begleitung, im zur Verfügung Stellen von Erfahrung, Können und Wissen zur Entdeckung von Ressourcen und zum Markieren von Veränderungen. Nützlich sind dabei das Erkennen der zugrunde liegenden Beziehungen (KundIn~, Klagende(r)~, BesucherIn~), mit dem jeweils anderen Blick auf die unterschiedlichen Ressourcen.
Spur: das Entwickeln Klinischer Kontrakte Die beschriebenen therapeutischen Möglichkeiten entwickeln sich nicht „irgendwie von selbst“, sondern in einem strukturierten Rahmen. Damit kommen wir zu einem entscheidenden Konzept von Wolfgang Loth: auf das Entwickeln von Kontrakten. Das vertrackte am Begriff „Kontrakte“ ist, dass er leicht falsche Assoziationen erwecken könnte, als sei es etwas, das man schließt (dann wäre es ja „abgeschlossen“, also „die Tür zu“) und damit sei die Arbeit fertig. Es geht vielmehr um Miteinander-Geschehen, Zusammen-an-einem-Strang-Ziehen als entscheidenden Teil des Veränderungsprozesses. Seine Säulen sind das Erarbeiten von handhabbaren Aufträgen. Um das im Sinne eines kundenorientierten Geschehens tun zu können, unterscheidet er genau zwischen Anlass (der „behandlungsbedürftigen Störung“) bzw. den das Hilfesuchen veranlassenden „Anlassern“ (als ersten Starthilfen für den Blick auf Ressourcen), und dem Anliegen, das darüber hinaus einen möglichen, in die Zukunft gerichteten Veränderungswunsch auf Ziele und Visionen hin orientiert. Auch hier werden Vision (als allgemeine Bereitschaft, sich auf den Weg zumachen) und Ziel (konkrete Wegweiser in Bezug auf Richtung, Zeit etc) wieder klar begrifflich und hinweisend für das kontraktierende Geschehen unterschieden. Daraus geschieht die Entwicklung des Auftrages, ein wesentlicher Bestandteil im Therapieprozesses, an dem sich das gesamte weitere Geschehen im therapeutischen System zu messen hat und an dem entlang zu prüfen ist, ob, wann und wie das Ziel erreicht, der Auftrag erfüllt (oder als nicht erfüllbar festgestellt) sowie kommunikativ darüber abgestimmt ist, wie ein Verabschieden aus dem Kontrakt möglich ist.
Spur: Evaluation-im-Kontext Evaluation findet zum einen statt im Kontext KlientIn – Hilfeanbieter als Überprüfung des Wie? und Was? der Kontrakterfüllung. Wenn professionelle psychosoziale Hilfe Hilfesuchenden den Rahmen bereitstellen soll, in dem sie (wieder) zu ihren Möglichkeiten finden, geht das jedoch nicht ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen. So entwickelt Wolfgang Loth im Modell der Kontraktorientierten Leistungsbeschreibung (KOLB) ein beeindruckend inhaltlich und qualitativ gefülltes Modell der Analyse und Beschreibung psychosozialer Hilfeleistung. Er gibt sich nicht mit quantitativ messbaren Größen zufrieden, sondern setzt qualitative Beschreibung vor quantitativ gesetzte Normen wie ISO. Was auf den ersten Eindruck sperrig klingen und struktur- und evaluationsscheue PraktikerInnen abschrecken könnte, entpuppt sich als handhabbarer Orientierungsrahmen, innerhalb dessen sich das „lebendige“ Geschehen professionellen Helfens entfalten und der Evaluation-im-Kontext der hilfeanbietenden Institutionen einschließlich ihrer Finanzierer stellen kann. KOLB – bzw. der darin liegende Orientierungsrahmen - ist übertragbar auf andere Arbeitsfelder und darin nutzbar. Das setzt voraus, dass LeserInnen und Spurensucher das Konzept nicht nur in seiner Struktur lesen, sondern in seinen Möglichkeiten und Ressourcen, ihrem professionellem Handeln einen Rahmen zu geben. Damit ist der Wolfgang Loth auch der Spur der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von professionellen psychosozialen Hilfen konsequent und analytisch prägnant gefolgt.
Spuren : die therapeutische Ethik Bei aller beeindruckenden Analyse ist mir das wichtigste an dem Buch die grundlegende respektvolle Haltung zur professionellen psychosozialen Arbeit, die sich durchgängig durchzieht und in allen Kapiteln ihre Spuren hinterlässt. Sie liegt im Prinzip der Kundenorientierung, begründet, theoretisch eingebettet und für die LeserIn nachvollziehbar. Respekt wird deutlich auch in Wolfgang Loths anschlussfähigen Beschreibungen und Metaphern über seine therapeutisch-ethische Haltung, die im Bild des Beisteuerns ihren klarsten Ausdruck findet. Und: aus den Fallbeispielen – respektvoll erzählten Geschichten - lässt sich ganz deutlich Respektieren und Authentizität spüren.
Spurensuche Mit seinem theoretisch-praktisch vermittelten Ansatz, dem fundierten Konzept und der brillanten bilderreichen Sprache hat das Buch in der Reihe systemische Studien als deutschsprachiges Werk seinen Platz verdient. Wegen seiner Vielschichtigkeit ist es für viele verschiedene LeserInnen interessant. Es ist möglich, beim Lesen jeweils einer Spur zu folgen oder alle in den Blick zu nehmen. Gewinn und Nutzen stellen sich so oder so herum ein. Es ist ein Buch
- für PraktikerInnen, von einem Praktiker, der theoretische Reflexionen nutzbar macht und der praktischen Arbeit zur Verfügung zu stellt und darüber hinaus eine Fülle von Anregungen bietet.
- für theoretisch Interessierte. Wolfgang Loth gelingt, komplexe Sachverhalte in Bilder zu reduzieren, verdeutlichen und einfach zu machen: mit Beispielen und assoziativen Metaphern, in anschaulichen, mit Flussdiagrammen verdeutlichten Ableitungen, in einer faszinierend bilderreichen und klaren Sprache.
- auch und besonders für diejenigen, die sich auf der Suche nach der eigenen Haltung in ihrem professionellen Handelns befinden. Sie können sich von den vielfältigen Bildern, Metaphern inspirieren und in die therapeutisch-lebensphilosophischen Betrachtungen hineinziehen lassen.
- Last not least: auch über zwei Jahre nach seinem Erscheinen ist das Buch ungebrochen aktuell. Im kälter wehenden Wind der Diskussion um Qualität und Finanzierbarkeit von Hilfeangeboten ist es gut, sich mit einem qualitativen und fundierten Konzept von Leistungsbeschreibung einen „atmungsaktiven Windbreaker“ anzuziehen.
Ich wünsche dem Buch ein starke Verbreitung, es kann für LeserInnen aus den verschiedensten Arbeitsfeldern eine große Hilfe für die Klärung der eigenen professionellen Position sein.
(mit freundlicher Genehmigung aus ZSTB 1/2001)
Die reichhaltige website "kopiloth" des Autors Wolfgang Loth
Verlagsinformation:
Wie organisieren Fachleute
hilfreiche Arbeit? Wie beschreiben Fachleute das, was sie tun? Wie
beurteilen und evaluieren Fachleute ihr Handeln? Wie halten Fachleute
einen hilfreichen Rahmen aufrecht? In diesem Buch beantwortet der Autor solche wesentlichen und
weitreichenden Fragen, indem er grundlegende Prämissen eines
systemischen und ressourcenorientierten Vorgehens reflektiert und ein
Handlungskonzept entwirft, das er mit vielen Beispielen illustriert.
Darüber hinaus zeigt Wolfgang Loth Möglichkeiten auf, das eigene Tun im
Kontext zu evaluieren. Dabei gelingt ihm die Gratwanderung,
Anforderungen der Praxis und theoretisch fundiertes Handeln einsichtig
und nachvollziehbar zu verknüpfen. Viele praktische Beispiele,
Vignetten und Flussdiagramme helfen der Orientierung und
veranschaulichen das Vorgehen. Therapeutisches und beraterisches
Handeln, so eine Kernaussage, lässt sich nicht einseitig steuern –
Fachleute und KlientInnen steuern ihre jeweiligen Kompetenzen bei, um
einen Rahmen zu schaffen und aufrechtzuerhalten, der hilfreiche
Veränderungen begünstigt.
Vorwort von Jochen Schweitzer:
Wenn ich müsste, würde ich die These dieses Buches so zusammenfassen: Gesundheits- und Sozialfachleute sollten schwerpunktmäßig nicht mehr Anlässe abarbeiten, sondern bei der Verwirklichung von Anliegen helfen. Sie sollten ihr Tun weniger an den Klagen, Beschwerden, Problemen und Krankheiten, sondern mehr an den Wünschen, Hoffnungen und Zielen ihrer Klienten orientieren. Angenommen, diese von Wolfgang Loth aufgegriffene und weiterentwickelte Idee würde in Diagnostik, Beratung, Therapie und Evaluation breiten Einzug halten, woran würde man das erkennen? Ich erlaube mir folgende Spekulationen dazu: Zunächst einmal würden Therapeuten und Berater sich wahrscheinlich seltener über ihre Klienten ärgern können. Denn je enger sie ihre Arbeit am Anliegen der Klienten statt an eigenen oder institutionellen Normvorstellungen orientieren, um so weniger "Widerstand" ernten sie und um so kooperativer arbeiten die Klienten mit. Da dies oft Zeit braucht - denn wer weiß schon, was genau sie will? - würde die Klärung dieser Anliegen in jeder Therapie oder Beratung weit mehr Raum einnehmen; was danach kommt, ginge dafür oft um so schneller. Ferner würden die diagnostischen Konzepte in Medizin, Psychotherapie und Sozialarbeit vom Kopf auf die Füße gestellt. Die Achsen von ICD und DSM inklusive ihrer geschichtlich verdienstvollen Vorläufer würden dramatisch an Bedeutung verlieren, würden abgelöst von "Anliegens-Typologien". Auch die Evaluation würde weniger mit Problem-, Beschwerde- und Symptomlisten arbeiten, statt dessen mehr mit Zielerreichungs-Skalen. Langfristig würden Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens nicht dafür bezahlt, wieviele Krankheiten oder Probleme sie mit wieviel Interventionen behandeln, sondern wieviele Anliegen ihrer Klienten sie erfolgreich realisieren helfen. Wolfgang Loth gehört zu den Belesenen unter den systemischen und lösungsorientierten Therapeuten; umfangreiche erkenntnistheoretische und behandlungsstrategische Kontroversen hat er in diesem Buch verarbeitet. Er geht den Worten auf den Grund, sucht ihre lateinischen Wurzeln, tastet ihr konnotatives Umfeld ab. Gleichwohl oder deshalb hat er ein sehr alltagssprachliches Buch geschrieben - oft meint man, Kollegen oder Klienten aus dem Buch herausreden zu hören. Er tastet sich an Fragen und Lösungsvorschläge heran, arbeitet widersprüchliche Trends heraus und verzichtet auf Rezeptausstellungen, bleibt aber dennoch sehr konsequent an seinem Programm dran. In gewisser Weise kann man KOLB, die "kontrakt-orientierte Leistungs-Beschreibung" in Abbildung 14, als das kondensierte Gesamtergebnis des Buches als erstes lesen, und dann, im Buch rückwärtsgehend, KOLB verstehen lernen. Ein besonderes Verdienst des Buches scheint mir, daß es den Freiheitsduft, wie er aus lösungs- und kundenorientierten Beratungsansätzen oft herausweht, in die rauhe Luft finanzpolitischer Kostensenkungsdebatten hinausbläst und auch deren Deodorants wie etwa "Qualitätsmanagement" dabei kräftig durchpustet. "Ist der Ruf erst ruiniert, spart sich's gänzlich ungeniert" - auf eine so prägnante Formel ist die Qualitätsdiskussion im Gesundheits- und Sozialwesen bisher noch selten gebracht worden. Ich bin gespannt, welche Entwicklungen die in diesem Buch kondensierten Ideen anstoßen werden.
Heidelberg, im August 1997 Jochen Schweitzer
Über den Autor:
Wolfgang Loth, Diplom-Psychologe, seit 1978 berufstätig, 1978-1980 in Kinder- und Jugendheimen, seit 1980 in einer Familienberatungssstelle sowie freiberuflich: Supervision, Konsultation, Fortbildung. 1984 Familientherapeut (Institut für Familientherapie Weinheim), 1990 Klinischer Psychologe/Psychotherapeut (BDP), 1998 Zertifikat Systemische Therapie und Beratung (Systemische Gesellschaft), 1999 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut, 2003 Europäisches Zertifikat für Psychotherapie (ECP). im Vorstand des Instituts für Familientherapie Weinheim - Mitgliederverein - (1994-1998). in der Redaktion der Zeitschriften "Systhema" (Weinheim) und "systeme" (Wien). zahlreiche Veröffentlichungen zu Theorie und Praxis Systemischer Therapie (seit 1987), u.a. auch im systemagazin.
|
|
|