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07.10.2006
Michael Wirsching: Psychotherapie. Grundlagen und Methoden
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Beck Verlag München 1999
126 S.
Preis: 7,90 €
ISBN 3406433197 |
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Verlag C.H. Beck
Tom Levold, Köln:
Ein Einführungsbuch über Psychotherapie zu schreiben, ist ein schwieriges Unterfangen, führt man sich die mittlerweile doch schon recht lange Geschichte der Psychotherapie und ihre zahlreichen theoretischen und praktischen Verzweigungen vor Augen. Diese Aufgabe wird nicht leichter, wenn man ein Buch schreiben möchte, das auch für (womöglich psychotherapiebedürftige) Laien verständlich ist. Sie erfordert die Bereitschaft zur radikalen Reduktion von Komplexität und den Mut zur Einnahme einer Perspektive, die jederzeit auch anders angelegt werden könnte. Zudem müsste sie die Leserinnen und Leser ermutigen können, sich als „Kunden“ von Psychotherapie selbstbewusst auf dem Markt der Möglichkeiten umzuschauen. In der von vornherein auf 128 Druckseiten beschränkten Reihe „C.H.Beck Wissen“ hat sich Michael Wirsching, seit langem Ordinarius für Psychosomatische Medizin an der Universität in Freiburg und vorher Mitarbeiter sowohl von Helm Stierlin in Heidelberg als auch von Horst-Eberhard Richter in Gießen, an genau diese Aufgabe gemacht und – wie ich finde – gut gelöst. In 8 Kapiteln werden nicht nur historische Entwicklungslinien skizziert, schulenspezifische Differenzen erörtert und Ergebnisse der Wirkungsforschung angerissen, sondern vor allem auch symptom- bzw. beschwerdebezogene Vorgehensweisen in der Psychotherapie anhand von Fallgeschichten dargestellt. Dabei legt Wirsching großen Wert auf eine integrative Perspektive. Die unterschiedlichen Therapieschulen sieht er weniger in einer Konkurrenz zueinander als in einer Kooperationsbeziehung, in der jede Schule zu unterschiedlichen Phasen eines Behandlungsverlaufes differenzierte Beiträge beisteuern kann. Das erste Kapitel stellt die Psychotherapie in einen historischen Zusammenhang von Heilung (also Medizin) einerseits, sozialer Sinnstiftung (Religion und Philosophie) andererseits, der in der Entwicklung der Psychoanalyse durch Sigmund Freud kulminierte, die im 20. Jahrhundert durch die Verwissenschaftlichung von Psychotherapie und das zunehmende Interesse an Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit schnell Nebenbuhler bekam, vor allem mit der Verhaltenstherapie. Im Kontext der Selbsterfahrungs- und Selbsthilfebewegung in den 60er und 70er Jahren entstanden dann viele weitere Therapieansätze, als Prototyp erwähnt Wirsching die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, die dann jedoch im weiteren Verlauf der Darstellung sehr zu kurz kommt, was ihrer realen Verbreitung in der Psychotherapieszene nicht gerecht wird. Als Protagonist, der an der Gründerzeit der Familientherapie in Deutschland stark beteiligt war, geht Wirsching natürlich auch auf diese als wichtiges psychotherapeutisches Setting ein. Der Bedeutung der sich aus der Familientherapie in den 80er Jahren entwickelnden Systemischen Therapie schätzt Wirsching jedoch deutlich ambivalent ein: „Einige ihrer methodischen Beiträge, insbesondere die Möglichkeit der Gesprächsgestaltung und der Intervention bei schweren und belastenden Konflikten, werden überdauern. Bezüglich der Zukunft der theoretischen Beiträge der Systemiker sind Zweifel angebracht. … Vieles scheint anregend für Fachphilosophen, jedoch kaum übertragbar auf klinisches Denken, und manches ist oder war längst Bestandteil allgemeiner psychologischer Theorien und Therapien (z.B. Ressourcenorientierung, Selbstorganisation, Subjektivität der Wahrnehmung)“ (S. 21). Hier ist natürlich auch (der im Buch so nicht erkennbare) Umstand in Rechnung zu stellen, dass Wirsching selbst als Psychotherapie-Funktionär und Verbandsvertreter immer eher für Familientherapie und gegen das Modell „Systemischer Psychotherapie“ optiert hat. Dennoch sieht er die heutige Psychotherapie bestimmt von Psychoanalyse, Verhaltenstherapie und Systemischer Therapie – eine Auswahl ihrer jeweiligen Grundgedanken wird im 2. Kapitel präsentiert. Im dritten Kapitel werden die von der Psychotherapie-Forschung untersuchten Wirkfaktoren Beziehungsgestaltung, Einsichtsvermittlung, emotionale Erfahrung, Realisierung und Systementwicklung (Umfeld) vorgestellt, der Idee einer „allgemeinen Psychotherapie“ jedoch eine Absage erteilt: „Allgemeine Psychotherapie ist keine neue Supertherapie. Diesen Anspruch erheben jetzt nur noch die zuallerletzt zum Kreise der Schulengründer hinzugetretenen, aus der Familientherapie herausgewachsenen ,Systemiker‘“ (47). Auch mit der Überschrift „Systemische Höhenflüge“ wird die Skepsis von Wirsching deutlich, dennoch bleibt er in seiner Darstellung fair und wohlwollend, indem er auch anerkennt, wie sehr andere Schulen vom systemischen Ansatz profitiert haben. Zu Recht schreibt er: „Die systemische Therapie als Verfahren ist heute entweder sehr speziell (eine unter 400 Schulen) oder sehr allgemein als systemische Orientierung, die sehr viele teilen. Wer möchte schon als pathologisierend, reduktionistisch, in mechanischen linearen Kausalkonzepten gefangen erscheinen?“ (51). Vielfalt und Integration sind daher das Credo dieses Buches. Die Kapitel 4 bis 7 sind verschiedenen Störungsbildern gewidmet, die der Autor durch hervorragend konzipierte, sehr einfühlsam erzählte und stilistische gelungene Fallgeschichten abseits der Tradition klinischer Lehrbücher zum Leben erweckt: Angst und Depression, Psychosomatische Störungen („Körperbeschwerden ohne Körperbefunde“), Essstörungen und „schwere Persönlichkeitsstörungen“. Die Fallgeschichten plausibilisieren trefflich die Chancen eines positiven Zusammenwirkens unterschiedlicher psychotherapeutischer Perspektiven im Fallverlauf und widerspiegeln vielleicht auch die Konzeption der Universitäts-Klinik, die der Autor leitet, allerdings kommt dabei auch ein wenig zu kurz, dass in der Praxis leider immer noch – trotz schöner Ausnahmen – eine Schulen-Konkurrenz vorherrscht, die die Herstellung von Kooperationsbeziehungen erschwert. Ein zweiter Kritikpunkt, der vielleicht den gleichen Begründungszusammenhang wie der erste aufweist, liegt für mich darin, dass in den Fallgeschichten zu sehr die Perspektive des Chefs einer psychotherapeutischen Fachklinik eingenommen wird. Das zeigt sich einerseits darin, dass der Eindruck entsteht, Psychotherapie sei doch in erster Linie eine ärztliche Aufgabe - auch wenn dieser Eindruck vielleicht nicht beabsichtigt ist. Andererseits liegt der Fokus bei der Auswahl von Fallgeschichten auf der Behandlung von PatientInnen, die sich aufgrund der Gewichtigkeit ihrer Probleme mit gutem Grund in stationärer Behandlung befanden. Repräsentativ für das, was Menschen zu Psychotherapie-Kunden macht, ist das wahrscheinlich nicht. Die Mehrzahl der Klienten dürfte weniger gravierende Probleme aufweisen und mit Psychotherapeuten zu tun haben, die sich selbst stärker einer bestimmten Richtung zugehörig betrachten. Es stellt sich auch die Frage, inwiefern sich potentielle Therapieklienten durch die dramatischen Fall-Schilderungen in ihrem eigenen Klärungsbedarf angesprochen und unterstützt fühlen können. Andererseits wird aber auch deutlich, dass gerade die zugespitzten Problemlagen von PatientInnen das Optieren für eine integrative und pragmatische, nicht schulengebundene klinische Vorgehensweise stark forcieren kann. Das 8. und letzte Kapitel ist neben weiteren praktischen Informationen über psychotherapeutische Behandlungen der Frage gewidmet, wie Psychotherapie-Interessenten herausfinden können, was eine für sie passende Psychotherapie-Methode und welche(r) Therapeut(in) für sie richtig sein kann und wie Klienten auch auf schlecht verlaufende oder gar übergriffige Behandlungsprozesse reagieren können. Alles in allem: ein dichtes, informatives, gut geschriebenes und sehr erschwingliches Buch, das sowohl für potentielle Klienten (mit den genannten Vorbehalten) als auch für Angehörige benachbarter Professionen eine gewinnbringende Einführung in die Psychotherapie bietet. Empfehlenswert.
Die website von Michael Wirsching
Verlaginformation: "Die Psychotherapie hat sich gerade in jüngster Zeit stark verändert. Neue wissenschaftliche Ergebnisse und praktische Erfahrungen haben vor allem die Verbindung zwischen Psychoanalyse, Verhaltens- und Familientherapie zu einem der gegenwärtig wichtigsten psychotherapeutischen Ansätze werden lassen. Das Buch führt in die zentralen Grundlagen und Methoden der heutigen Psychotherapie ein und erläutert an zahlreichen Beispielen die psychotherapeutische Behandlung häufiger seelischer Störungen."
Über den Autor:
Prof. Michael Wirsching lehrt an der Universität Freiburg i. Br. und ist Ärztlicher Direktor der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsklinik Freiburg i. Br.
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