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16.05.2006
Oliver König: Familienwelten. Theorie und Praxis von Familienaufstellungen
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Pfeiffer bei Klett-Cotta, Stuttgart 2004
broschiert, 336 Seiten
Preis: 26,00 €
ISBN: 3608897275
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Verlag Klett-Cotta
Ulle Jäger, Basel:
Familienaufstellungen sind genauso beliebt wie umstritten. Die oftmals emotional aufgeladene Diskussion um Nutzen oder Schaden dieser Technik wird mit Oliver Königs Buch endlich ergänzt durch einen sachlich gehaltenen Beitrag, der in beispielhafter Weise Reflexion und Theorie einerseits mit Erfahrung und Praxis andererseits verbindet. König stellt wissenschaftlich fundiert und dennoch allgemein verständlich Hintergrund, Entwicklung, Konzept und sein eigenes Verständnis der Familienaufstellung vor. Für ihn, dessen praktische Arbeit sich auf die Felder Gruppendynamik und Familienaufstellung konzentriert, ist die Aufstellung ein Gruppenverfahren besonderer Art. Die Besonderheiten dieser Methode beschreibt er analytisch clever und mit Rückgriff auf eine Vielzahl von therapeutischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Erkenntnisse über Familie aus Ethnologie und Soziologie fließen ebenso in seine Darstellung ein wie eine Erinnerung an die Traditionen, aus denen sich die Familienaufstellung speist. Er historisiert damit diesen Ansatz und löst ihn von der Person Bert Hellingers ab, dessen Name in der Öffentlichkeit als Synonym für Familienaufstellungen schlechthin steht. So gelingt es ihm, jenseits von Mystifizierung oder Verteufelung eine Technik zu beleuchten, deren Wirkung bislang selten rational begründet wurde. Sein Beitrag gliedert sich in drei Teile. König beginnt mit einer Historisierung des Familienbegriffs unter Rückgriff auf Beiträge aus der Familiensoziologie und Beispiele aus seiner Praxis. Er stellt verschiedene Sichtweisen auf den Gegenstand Familie vor, und schon hier werden erste Unterschiede zu Bert Hellinger deutlich. Bei König geht es anders als bei Hellinger nicht um eine unveränderliche Ordnung der Liebe, sondern um ein System der Familie, dass sich im Laufe der Geschichte gewandelt hat und immer noch im Wandel begriffen ist. Er nimmt damit den systemischen Anteil der Familienaufstellungen ernst und das konstruktivistische Verständnis von Wirklichkeit, das mit diesem Ansatz verbunden ist. Dieses so verstandene Familiensystem und dessen Subsysteme stellt er ausführlich vor und beschreibt Dynamiken und Konflikte, die für die Gegenwart typisch sind. Der zweite und umfangreichste Teil widmet sich Theorien und Praxiskonzepten der Aufstellungsarbeit. Zunächst wird mit Morenos Psychodrama und Satirs Familienskulptur an zwei Ansätze erinnert, die für die Familienaufstellung zentral sind, auch wenn dies in Aufstellerkreisen selten anerkannt wird. Dann stellt König sein eigenes Verständnis der Familienaufstellung vor. Er beharrt dabei auf dem Unterschied zwischen dem Abbild und dem Abgebildeten und begründet die Wirkmächtigkeit der Methode nicht in einem „wissenden Feld“ das auf wunderhafte Weise durch die Aufstellung entsteht und durch den eingeweihten Leiter entziffert werden kann. Statt dessen betont er die Bedeutung der Metaphorik des Raumes, die dazu führt, dass Beziehungen und Strukturen körperlich symbolisiert, wahrgenommen und gefühlt werden. Und zwar von allen Beteiligten. Er setzt an die Stelle einer unveränderlichen Ordnung einen Bedeutungsraum Familie, der historisch entstanden ist, im Hier und Jetzt aber in seiner Bedeutung nicht unendlich variieren kann. So können Zeitgenossen die Symbolik einer Aufstellung lesen und sich an bestimmten Stellen in einer bestimmten Art und Weise fühlen. Seine ausführliche Analyse dieser Raummetaphorik und der Wirkweise der Aufstellungsarbeit entwickelt er vor dem Hintergrund ausführlicher Falldokumentationen und theoretischer Reflexionen. Die Theorie hilft ihm hier, eine Rekonstruktion seiner Arbeit zu leisten und die eigene Praxis kritisch zu reflektieren. Er bezieht sich auf phänomenologische und konstruktivistische Ansätze, vor allem in den Sozialwissenschaften, und verbindet diese beiden Richtungen durch ein Verständnis von Wirklichkeit, dass Subjektivität und Objektivität gleichermaßen anerkennt. D.h. die phänomenologisch inspirierte detaillierte Beschreibung dessen, „was ist“, wird verbunden mit einem historisierten und damit gesellschaftlichen Verständnis vom Gegebenen. Dieses ist zwar im Hier und Jetzt wirklich, aber es ist kontingent, d.h. es ist wie es ist, es könnte aber auch anders sein. Hier liegt der wesentliche Unterschied zu Hellingers Ansatz, der eine Grundordnung von Familie zu finden glaubt. Wichtig an Königs Ansatz ist die Möglichkeit der Veränderung, die so offen bleibt. Das Spannungsverhältnis zwischen individuellem Erleben und vorgefundenen Strukturen setzt den Rahmen, innerhalb dessen solche Veränderungen möglich sind. Abgerundet wird dieser Teil durch zwei weitere Fallvignetten, die auf erfreulich offene und ehrliche Weise Einblick in Königs praktische Arbeit geben Im dritten und letzten Teil wird noch einmal die konkrete Praxis der Aufstellungsarbeit systematisch als spezifische Methode der Gruppentherapie geschildert. Hier stehen die handwerklichen Aspekte im Vordergrund, d.h. dieser Teil hat - auch wenn er gut zu lesen ist -Lehrbuchcharakter und richtet sich am stärksten an Fachleute. Auch hier ist eine in Bezug auf die eigene Begrenztheit charmante Offenheit anzutreffen, die sicherlich im Kontext der Abgrenzung zum charismatischen Gruppenleiter und Heilsversprecher zu verstehen ist. Das Buch hat mich als Leserin in verschiedenen Rollen angesprochen. Als Tochter und werdende Mutter hat es mich emotional sehr bewegt und mir einen konzeptionellen Rahmen zur Verfügung gestellt, innerhalb dessen ich Themen aus meiner eigenen Familienwelt noch einmal anders betrachten kann. Als Geschlechterforscherin hat es mich gefreut, dass König auf naturalisierende Festschreibungen von Männlichkeit und Weiblichkeit verzichtet, obwohl Geschlecht als zweite Kategorie neben Generation in seiner Analyse die Strukturiertheit von Familie maßgeblich bestimmt. Als Körpersoziologin bin ich begeistert von der detaillierten und differenzierten Analyse von Räumlichkeit und Körper im Aufstellungsgeschehen. Als Theoretikerin begeistert mich die gelungene Verbindung unterschiedlicher Paradigmen (Phänomenologie und Konstruktivismus). Als Supervisorin habe ich meine Vorbehalte gegen Aufstellungsarbeit verloren und einen Bezugspunkt zur Verfügung gestellt bekommen, der es mir erlaubt, auf sachliche und wissenschaftliche Weise über das zu sprechen, was die Aufstellungsarbeit so unter die Haut gehen lässt. Insgesamt ist das Buch interessierten Laien und Fachleuten gleichermaßen zu empfehlen, und ich bin mir sicher, dass es viele Leserinnen und Leser aufgrund seines Facettenreichtums und der Fülle an Material ebenfalls auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Rollen ansprechen wird. Königs Beitrag ist trotz seiner wissenschaftlichen Fundiertheit und der beeindruckenden Vielzahl von Referenzen zu unterschiedlichen Disziplinen gut zu lesen und anschaulich dargestellt. Verweise im Text und umfassende Literaturliste stellen interessierten LeserInnen einen Fundus von Möglichkeiten zum Weiterlesen bereit. Die Verbindung von Theorie und Praxis ist gelungen, und König überzeugt in beiden Bereichen. Nicht nur sind seine Theoriekenntnisse beeindruckend, auch die Beispiele aus der Praxis sind lehrreich und anregend. Familienwelten ist ein Beispiel für die gelungene Reflexion der eigenen Arbeit, die ja eigentlich zum Professionalitätsverständnis beratender Berufe dazugehört. „Was mache ich eigentlich? Warum mache ich es so und nicht anders? Welche Annahmen liegen dem zugrunde? Sind meine bisherigen Annahmen bei genauerem Hinsehen noch aufrechtzuerhalten? Wenn dies nicht der Fall ist, welche neuen Annahmen können an deren Stelle treten?“ (König 321). Diese Fragen hat König sich vorgelegt, und er hat sie ehrlich beantwortet. Die damit verbundene kritische Infragestellung der eigenen Arbeit ist dabei nicht ausgeblieben, doch diesem Effekt hat sich König nicht nur bereitwillig gestellt, er fordert ihn geradezu ein. An diesem Beispiel von Reflexivität und damit Professionalität können sich TherapeutInnen und SupervisorInnen gleichermaßen orientieren. Es ist dem Buch zu wünschen, dass es im Feld der Aufsteller die ihm gebührende Aufmerksamkeit finden wird, und dass es den von König für so wichtig erachteten Impuls zur kritischen und wissenschaftlichen Reflexion des eigenen Handelns auslöst. König hat seinen Beitrag zur Versachlichung der Auseinandersetzung auf jeden Fall geleistet. Es bleibt zu hoffen, dass eine kritische Würdigung der Aufstellungsarbeit insgesamt mehr Raum finden wird, wenn sich die (positive und negative) Aufregung um diesen Ansatz einmal gelegt hat. So oder so stellt Familienwelten sicher einen Referenzpunkt für die zukünftige Diskussion im Bereich der Familienaufstellungen dar, der das Potential zum Standardwerk hat.
(mit freundlicher Genehmigung aus: Forum Supervision)
Die Website des Autors Oliver König
Verlagsinfo:
"Das Buch bietet eine kompetente Einführung in sozialhistorische, soziologische, systemische und familientherapeutische Sichtweisen von Familie. Es entwickelt ein darauf aufbauendes Konzept für eine gruppen- und kurzzeittherapeutische Arbeitsweise mit Familienaufstellungen und gibt Einblick in eine methodisch reflektierte Praxis. Jenseits des »Glaubensstreits« um Bert Hellinger stellt der Autor die für die Aufstellungsarbeit zentralen Konzepte von Familie dar, formuliert einen theoretischen Rahmen für diese Arbeitsweise und beschreibt das Vorgehen einer methodisch reflektierten Praxis. Die »Familienaufstellung« nimmt einen Spitzenplatz unter den therapeutischen Interventionsmöglichkeiten ein. Die eigene Herkunfts- oder Gegenwartsfamilie »aufzustellen« bedeutet, mittels Stellvertreter für die Mitglieder einer Familie die Grunddynamik des Familiensystems sichtbar zu machen. Dies eröffnet die Möglichkeit korrigierender Erfahrungen und bietet die Chance, aus der Einsicht in die Bindungen und Prägungen der Herkunftsfamilie frei zu werden für die eigene Zukunft. Eng verknüpft mit dieser Arbeitsweise ist der Name Bert Hellingers, der nicht nur die psychotherapeutische Fachwelt mediengewandt polarisiert. Königs klärende und souveräne Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Verfahrens, seiner Wirkweise und konkreten Durchführung ist in dieser Situation polemischer Zuspitzung dringend nötig; dies um so mehr, als die enge Anbindung an Hellinger historisch so gar nicht gerechtfertigt ist. Der Autor ordnet die Beiträge Hellingers in den Kontext der für die Aufstellungsarbeit relevanten Theorien und Methoden ein und koppelt die Arbeitsweise dadurch von der Person Hellingers ab. Die Aufstellungsarbeit wird als ein spezifisches professionelles Handeln in der Gruppentherapie und anderen Therapieformen dargestellt. Im Mittelpunkt steht die konzeptionelle Einführung in die Methode für alle, die sich informieren wollen oder bereits Erfahrungen mit der Familienaufstellung gesammelt haben. Fallvignetten geben Einblick in die Praxis."
Inhalt:
I. Familie: Verschiedene Sichtweisen
1. Fluchtpunkt und Glücksversprechung: Familie heute Eine Fallgeschichte: Vier Generationen aus Sarahs Familie 1.1 Familiäre Verarbeitung von sozialem Wandel 1.2 Die Veränderung von Geschlechterrollen 1.3 Normative Verschreibungen und ihre Wirkungen 1.4 Instabilisierung von Beziehungen
2. Familie als System von Systemen Interdependenz und Grenzziehung als Merkmale eines Systems. Der Systemgedanke in der Aufstellungsarbeit 2.1 Das Paarsystem 2.2 Das Elternsystem 2.3 Das Geschwistersystem 2.4 Das Großelternsystem 2.5 Das Geschwistersystem der Eltern 2.6 Frühere und spätere Paar- und Elternsysteme der Eltern
3. Familie als dynamisches Beziehungsfeld 3.1 Mitgliedschaft und Zugehörigkeit 3.2 Primäre Bindung und Liebe 3.3 Die familiäre Ordnung 3.4 Der Austausch von Geben und Nehmen
4. Konflikte und das Bemühen um Ausgleich Gerechtigkeit und Gewissen 4.1 Bindung und Ablösung: Generationskonflikte 4.2 Eigennutz und Hingabe: Geschlechterkonflikte 4.3 Delegation und Vermächtnis: Systemkonflikte 4.4 Familiäre Binnenmoral und kulturelles Umfeld: - Umweltkonflikte 4.5 Der fremde und der eigene Tod: Existentielle Konflikte II. Theorie und Konzept der Aufstellungsarbeit
5. Annäherungen an ein Konzept 5.1 Stationen einer Lerngeschichte 5.2 Gruppen- und Aktionsorientierung 5.3 Die Externalisierung eines innere Bildes – Jakob L. Moreno 5.4 Familienskulptur und Familienrekonstruktion – Virginia Satir 5.5 Die Weiterentwicklungen der Aufstellungsarbeit 5.6 Die Aufstellungsarbeit als Gruppenverfahren besonderer Art
6. »Ja, ich merk schon, daß dieses Männliche so in denRaum kommt« – Rekonstruktion einer Aufstellungsarbeit 6.1 Annäherungen an ein Thema 6.2 Informationserhebung 6.3 Das erste Aufstellungsbild 6.4 Ergänzung der Aufstellung 6.5 Umstellungen 6.6 Prozeßarbeit 6.7 Nachklänge 6.8 Ein halbes Jahr später
7. Theoretische Hintergründe 7.1 Phänomenologie 7.2 Konstruktivismus 7.3 Der Bedeutungsraum von Metaphern 7.4 Metaphern des Raums 7.5 Der Raum als Ausdruck von Beziehungen 7.6 Der Raum als Handlungsfeld 7.7 Die doppelte Wirklichkeit von Sein und Werden in der Aufstellungsarbeit
8. Fallvignetten 8.1 »Dunkle Gedanken, so schwarz wie meine Bluse« – Angelika 8.2 »Das Schwere, das so nach dem Boden unten Ziehen« – Marianne III.Praxis der Aufstellungsarbeit
9. Rahmungen: Leitungsstil und Gruppenprozeß 9.1 Führen und Geführt werden 9.2 Wissen und Nicht-Wissen 9.3 Mut und Bescheidenheit 9.4 Gegenübertragung und Übertragung 9.5 Gruppenprozeß und Leitungsstil
10. Das Aufbauen einer Aufstellung 10.1 Der richtige Zeitpunkt 10.2 Fokussierung und Ausweitung 10.3 Umgang mit Informationen und Gefühlen 10.4 Auswahl der aufzustellenden Personen 10.5 Auswahl der Stellvertreter und das Stellen 10.6 Die Befragung der Stellvertreter 10.7 Hinzufügungen und Umstellungen
11. Prozessarbeit in der Aufstellung 11.1 Der Übergang zur Prozeßarbeit und das Einnehmen des Platzes 11.2 Begegnungen 11.3 Arbeit mit Sätzen 11.4 Arbeit mit Ritualen 11.5 Umgang mit Widerstand 11.6 Umgang mit Gefühlen 11.7 »Mutti bitte!« – ein Beispiel 11.8 Beendigung
12. Nach der Aufstellung 12.1 Der Protagonist 12.2 Die Stellvertreter und die Beobachter 12.3 Wirkungen und Nachwirkungen
13. Epilog: Auf der Suche nach persönlicher Fundierung – Lösung durch Anerkennung der Bindung
Rezensentin:
Dr. Ulle Jäger, Jg. 1966, wissenschaftliche Assistentin am Zentrum Gender Studies der Universität Basel, Supervisorin (DGSv) im Bereich Wissenschaft und Hochschule. ulle.jaeger@unibas.ch
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