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19.10.2005
Detlev Schoettker (Hrsg): Philosophie der Freude
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Reclam-Verlag Leipzig
233 S., Kartoniert
Preis: 9,90 €
ISBN: 3379200794 |
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Reclam-Verlag
Ludger Kühling, Merseburg:
„Denn Autonomie ist nicht viel mehr als die Fähigkeit, sich um
die Lebendigkeit und Offenheit des eigenen Daseins zu kümmern.“ (S.
205) Die Grundlage von Heiterkeit und Freude ist die Erlangung von
Selbstmächtigkeit, von Steuerungskompetenz für das eigene Leben. Die
von Detlef Schöttker herausgegebene Anthologie stellt
unterschiedlichste Aufsätze zu Elementen einer Philosophie der Freude
für die Gegenwart zur Diskussion. War die Glückseligkeit ein zentrales
Thema antiker Philosophie, so nahm die Moderne kaum auf die praktischen
Ansätze zur individuellen Lebensgestaltung unter der Maxime der
Erlangung der Glückseligkeit Bezug. Der erste Teil thematisiert die
Antike und deren heutige Rezeption. Die Aufsätze zur antiken
Philosophie beschäftigen sich mit den Begriffen der Freude, des Lachens
und Glücks in der Antike, dem Konzept der Selbstsorge bei Epikur und
der Heilwirkung des Lachens in der Therapie der Melancholie. Heiterkeit
wird unter Rückgriff auf Demokrit, Seneca und Plutarch als eine bewusst
hergestellte Haltung vorgestellt, die mit einer veränderten Sicht der
Dinge sich zu einer Form der Lebensführung entwickeln lässt, die die
Erlangung von Selbstmächtigkeit fördert und damit Gelassenheit
gegenüber den Dingen einübt, die nicht in der eigenen Macht stehen.
Heiterkeit geht dabei nicht notwendigerweise mit Fröhlichkeit einher.
Gerade diese Aufsätze bieten philosophisch interessierten BeraterInnen,
TherapeutInnen und SozialpädagogInnen eine große Fundgrube von
Anregungen für ein ressourcen- und lösungsorientiertes Vorgehen in
ihren Arbeitskontexten. Die Auseinandersetzung mit dem Topos der
„Selbstsorge“ und deren Leitsätzen „Erkenne dich selbst“ und „Sorge für
dich“ und ihren Konkretisierungen bietet die Möglichkeit, das eigene
beraterische Tun und therapeutische Handeln zu reflektieren. Die
Beiträge im zweiten Teil setzen sich mit Formen der Heiterkeit des
Mittelalters bis zur Neuzeit auseinander. Die Aufsätze über die
Ausdrucksformen volkstümlicher Lachkultur und die höfische Festkultur
des 17. Jahrhunderts können vielleicht einigen gutbürgerlich situierten
Therapeuten Respekt für ein paar ordinäre Varianten des Vergnügens
gebieten, für mich haben diese Aufsätze wenig Gewinnendes gehabt. Unter
den Analysen für die therapeutische Funktion von Literatur im dritten
Teil habe ich besonders die Abhandlung von Goethes Kunstanschauung und
die These, dass Heiterkeit als ein konstituierendes Prinzip gelten
kann, mit Gewinn gelesen. Goethes Programm, Heiterkeit als aufgeklärte
und distanzierte Sicht auf sich selbst anzueignen, kann von
kulturbeflissenen Klienten sicherlich als Anregung verstanden werden.
Weiterhin beinhaltet die Aufsatzsammlung eine kleine Abhandlung Freuds
über die Grundzüge einer psychoanalytischen Theorie der Freude anhand
des Humors. Lesenswert ist die Abhandlung des Philosophen Martin Seel
über die Hartnäckigkeit von Glückserwartungen mit der Erfahrung ihrer
Uneinlösbarkeit. Seels Feststellung, „im Glück wie im Unglück neigen
die Situationen des Lebens dazu, unser Wünschen und Wollen zu
übersteigen“ (S.199), macht deutlich, dass Glück niemals ein Zustand
ist, der sich einstellt, wenn wir das bekommen, was wir wollen, sondern
uns immer dann widerfährt, wenn wir mit Dingen und Ereignissen
beschenkt werden, die wir nicht zu träumen wagten. Der Kauf des Buches
lohnt sich, auch wenn Sie nur zwei oder drei Aufsätze lesen.
Eine Besprechung des Buches von Franz Schuh für die "Zeit".
Verlagsinfo:
"Ideen zur Lebensfreude von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung in die Kunst der Heiterkeit.
Heiterkeit, Lust, Vergnügen oder Wohlbefinden sind die Stiefkinder der
Philosophie der Gegenwart. Die Auseinandersetzungen mit dem negativen
Spektrum der Gefühle, wie Angst, Sorge oder Melancholie, dominieren.
Die Heiterkeit steht im Verruf, oberflächlich, falsch und vor allem
gedankenlos zu sein.
Detlev Schöttker regt mit repräsentativen Beiträgen namhafter Autoren
eine neue Debatte zur Philosophie der Freudean: Mit Texten von Theodor
W. Adorno, Michail Bachtin, Karl-Heinz Bohrer, Sigmund Freud, Axel
Honneth, Wilhelm Schmid, Peter Sloterdijk, Harald Weinrich und vielen
anderen."
Inhaltsverzeichnis:
Detlev Schöttker: Philosophie der Freude? Über Heiterkeitsdiskurse in der Moderne
Wilhelm Schmid: Heiterkeit. Zur Rehabilitierung eines philosophischen Begriffs
Dorothee Kimmich: Epikurs Philosophie und das Konzept der Selbstsorge
Peter Sloterdijk: Auf der Suche nach der verlorenen Frechheit
Heinz-Günter Schmitz: Die Heilwirkung von Scherz und Lachen nach den Lehren der Medizin
Michail Bachtin: Die volkstümliche Lachkultur
Franziska Meier: Das Lachen des Hofmanns
Richard Alewyn: Die höfischen Feste
Axel Honneth: Wurzeln des modernen Hedonismus
Wolfram Mauser: Anakreon als Therapie? Zur medizinisch-diätetischen Begründung der Rokoko-Dichtung
Anja Höfer: Heiterkeit auf dunklem Grund. Zu Goethes Kunstanschauung
Karl Heinz Bohrer: Kleists "heiterer" Todesdiskurs
Helmuth Kiesel: Thomas Manns Doktor Faustus. Reklamation der Heiterkeit
Sigmund Freud: Der Humor
Andreas Heinz: Irre Lüste und lustloses Irren. Konstruktionen von Lust und Begierde im 20.Jahrhundert
Dieter Thomä: Vom Glück und seinen Verrätern. Über Utopien im 20.Jahrhundert
Martin Seel: Paradoxien der Erfüllung. Warum das Glück nicht hält, was es verspricht
Harald Weinrich: Was heißt "Lachen ist gesund"?
Autor:
Detlev Schöttker, geboren 1954, ist Professor für Neuere
deutsche Literatur und Medienanalyse an der TU Dresden. Zahlreiche
Veröffentlichungen zur Medienanalyse, Ästhetik und Literaturgeschichte,
darunter: Konstruktiver Fragmentarismus. Form und Rezeption der
Schriften Walter Benjamins, 1999; als Herausgeber: Mediengebrauch und
Erfahrungswandel. Beiträge zur Kommunikationsgeschichte, 2003.
Vorwort:
"In einer seiner Thesen Über den Begriff der Geschichte hat Walter
Benjamin ein Programm skizziert, das bis heute in großen Teilen
uneingelöst geblieben ist, ob man es nun – wie der Autor im Jahr 1940 –
dem Historischen Materialismus oder – mit dem nüchternen Blick auf die
Entwicklung der folgenden Jahrzehnte – lieber den Kulturwissenschaften
insgesamt zuweisen möchte. In der IV. These spricht Benjamin vom "Kampf
um die rohen und materiellen Dinge, ohne die es keine feinen und
spirituellen" gebe. Die aber seien "als Zuversicht, als Mut, als Humor,
als List, als Unentwegtheit in diesem Kampf lebendig" und wirkten
zugleich "in die Ferne der Zeit zurück". Das entsprechende Programm ist
allerdings so orakelhaft und reduziert formuliert, als traute sich der
Autor nicht, es auszusprechen: "Wie Blumen ihr Haupt nach der Sonne
wenden, so strebt kraft eines Heliotropismus geheimer Art, das Gewesene
der Sonne sich zuzuwenden, die am Himmel der Geschichte im Aufgehen
ist. Auf diese unscheinbarste von allen Veränderungen muß sich der
historische Materialist verstehen." Die Sensibilität gegenüber den
positiven Stimmungen, die Benjamin fordert, gehört in der Tat zu den
Defiziten der Wissenschaften, so daß über jene Erfahrungs- und
Ausdrucksformen, die die antike Philosophie unter dem Begriff der
Glückseligkeit zusammengefasst hat, in der Moderne kaum etwas bekannt
ist. Der vorliegende Band versucht, diesem Mangel durch den Nachdruck
von Arbeiten abzuhelfen, die sich mit Formen der Heiterkeit in der
Nachfolge der Antike beschäftigt haben, um Elemente einer Philosophie
der Freude für die Gegenwart zur Diskussion zu stellen".
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