Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
Neuvorstellung |
zur Übersicht |
28.07.2005
Peter Fuchs: Der Eigen-Sinn des Bewusstseins. Die Person, die Psyche, die Signatur
|
|
|
transcript Verlag 2003
kartoniert, 122 S.
ISBN: 3-89942-163-9
Preis: 12,80 € |
|
transcript Verlag
Roland Schleiffer, Bonn:
Wir haben es wirklich
schwer. Das, was uns unsere unverwechselbare Individualität garantieren
sollte, nämlich unsere Psyche und unser Bewusstsein, droht uns nun
vollends abhanden zu kommen. Ließ sich das Unterfangen der
Neurowissenschaften, unseren freien Willen und andere Idiosynkrasien
als eine Illusion zu entlarven, noch als Ausdruck eines letztlich doch
zu simplen biologistischen Reduktionismus abtun, werden diese uns
tragenden Überzeugungen und Hoffnungen nun intellektuell ungleich
anspruchsvoller auch von soziologischer Seite in Frage gestellt.
Peter Fuchs, mit dem Etikett eines vom Meister selbst hochgeschätzten
„Luhmann-Schülers“ versehen, erweist sich – wieder einmal – selbst als
Meisterdenker. Mit den elaborierten theoretischen Mitteln der
differenztheoretischen Systemtheorie Bielefelder Provenienz
konfrontiert er uns mit der Erkenntnis, dass unser Bewusstsein immer
schon durch soziale Prozesse überformt wird. Damit wird aber keineswegs
behauptet, dass sich das Bewusstsein letztlich „nur“ als sozialer
Artefakt verstehen ließe. Im Gegenteil: das Bewusstsein hat durchaus
„Eigen-Sinn“. Wie es sich diesen Eigen-Sinn verschafft, ist Thema des
Buches. Es geht also um die Frage, „wie in einem psychischen System (in
einer Wahrnehmungsorganisation) die Vorstellung reifen und sich
durchsetzen kann, dass ebendieses System eine Art originären Eigentums
sei, die Quelle einer Welt, die eine je besondere und einmalige wäre,
individuell und einzigartig“ (16).
Es handelt sich um ein sehr anspruchsvolles Buch. Bei aller Neigung des
Autors zum Ornamentalen ist seine Argumentation ausgesprochen dicht,
weshalb sich der Inhalt kaum referieren lässt. An anderer Stelle
(Fuchs, Das Gehirn ist genau so doof wie die Milz, Weilerswist 2005,
76) lässt der Autor sich über seine Schreibgewohnheiten aus: „Ich
schreibe Bücher zur linken Hand und zur rechten Hand. Die Bücher zur
rechten Hand, das sind diejenigen, von denen ich behaupte, dass der
Komplexitätsgrad sehr hoch ist. Alle diese Bücher kennen die Lust am
Spiel, an der Assoziation, der Spekulation, aber sie sind dennoch
asketisch, bemüht um jede Formulierung und, wie ich meine, ziemlich
unkonziliant. Die Bücher zur linken Hand, das sind dagegen Versuche,
auch einer breiteren Öffentlichkeit die Wirkung einer solchen Theorie
nahezubringen.“ Das vorliegende Buch ist zweifellos rechtshändig
verfasst. Dementsprechend dürfte seine Lektüre nur etwas für in Sachen
Systemtheorie fortgeschrittene Leser sein.
Der 1. Teil („Die soziale Adresse und die Person“) befasst sich mit der
strukturellen Kopplung zwischen dem psychischen System und der
Kommunikation. Damit Kommunikation funktioniert, benötigt sie zu ihrer
eigenen Irritation die Form Person. Für das Bewusstsein bedeutet dies
allerdings eine Zumutung, handelt es sich bei dem Schema Person doch um
der einzelnen Psyche attribuierte Verhaltensseinschränkungen. Dieser
kommunikativen Adressierung kann sie sich nur schwer entziehen.
Zumindest zeitweise mag ihr dies gelingen unter Zuhilfenahme des
Körpers. Aber auch eigenartiges und eigentümliches (griech. = idios!)
Verhalten ist geeignet, sich des individuellen Eigen-Sinns zu
versichern. In diesem Zusammenhang wäre zu diskutieren, inwieweit
überhaupt psychopathologisch relevantem Verhalten nicht gerade eine
solche Funktion zukommt. Auch in diesem Zusammenhang erweisen sich die
Fuchsschen Ausführungen als ungemein anschlussfähig.
Im 2. Teil („Die Psyche und das Bewusstsein“) geht es um die Folgen
einer internen Differenzierung innerhalb des psychischen Systems.
Unterschieden wird zwischen dem psychischen System, das Wahrnehmungen
prozessiert, und dem Bewusstsein, das als Zusammenhang dezidierter,
nämlich bezeichnender Beobachtungsoperationen im Kontext
nicht-dezidierter Operationen des psychischen Systems begriffen wird.
Da das Bewusstsein zur Bezeichnung seiner Beobachtungen auf sozial
angelieferte und somit nicht singulär zur Verfügung stehende Zeichen
angewiesen ist, erweist es sich auch hier als alles andere als
individuell, sondern höchst konventionell. Mit den Worten des Autors:
„Das Bewusstsein ist durch und durch konventionell und alles andere als
singulär.“ (71) Bewusstsein kommt daher ohne Sprache nicht aus.
In Umkehrung: Das Nichtsprachliche des psychischen Systems ist das
Nicht-Bewusste. Und: Nur dem Nicht-Bewussten lässt sich Individualität
zusprechen.
Der 3. Teil, euphemistisch unter der Überschrift „Aparte Theoriestücke“
angekündigt, hat es in sich. Er dürfte wohl ausschließlich rechtshändig
verfasst sein. Der Autor verknüpft die komplizierten
Spencer-Brown´schen Denkfiguren des paradoxalen „re-entry“ sowie des
„unwritten cross“ mit der nicht minder anspruchsvollen Derridaschen
Denkfigur der „différance“ in kreativer Weise. Dabei kommt er zu dem
Ergebnis, dass Individualität nur als Imagination möglich ist. Grund
hierfür ist der Sachverhalt, dass das Bewusstsein als beobachtende
Instanz immer im Akt des Beobachtens verschwindet und sich daher immer
verfehlt, wenn es sich selbst zu beobachten versucht. Für dieses, dem
Selbst nicht, sondern lediglich für andere Beobachter Erfassbare führt
Fuchs den Begriff der Signatur ein, welche als etwas für das
Bewusstsein Unbeobachtbares und nicht zu Kontrollierendes die
Individualität ausmacht. Beispiele für diese Figur der Signatur wären
etwa der rhetorische Stil oder das Charisma. Dennoch entkommt das
Bewusstsein der Supervision durch die Kommunikation nicht, ist es doch
in seinem Bemühen um Individualität immer auf die nachträgliche soziale
Gegenzeichnung angewiesen. Dabei kann es mit einer „Generalakzeptanz
für Signaturen“ rechnen und auf eine Toleranz für das Idiosynkratische
von Seiten des Sozialen vertrauen. Notfalls stehen dann wir
Psychotherapeuten parat, um diesem „Syndrom der Individualität“ zum
Erfolg zu verhelfen.
Eine Leseprobe des Verlages (PDF)
Eine Audio-Datei eines Vortrages von Peter Fuchs zum Thema "Soziale Signatur des Bewusstseins" (Quelle: institut für theorie der gestaltung und kunst Zürich, Real Audio Player erforderlich)
Die Website von Peter Fuchs
Verlagsinfo:
"Es ist kein Geheimnis, daß das, was wir so alltäglich
Person, Bewußtsein, Psyche, Individuum etc. nennen, in den avancierten
Theorien der Soziologie und der Philosophie zu verdunsten scheint.
Immer deutlicher wird, daß das Bewußtsein, dem die Tradition einen
Eigenwert zugeschrieben hatte, überformt wird durch soziale Prozesse.
Es kann sich nicht selbst beobachten, ohne sich als individuelle
Allgemeinheit zu entdecken. Der instruktive Essay von Peter Fuchs setzt
sich mit diesem Problem auseinander. Er erkundet das Terrain der
Bewußtseinsfrage – im Zusammenhang mit wichtigen Anrainerbegriffen wie
eben Person, Psyche, Individuum – auf dem Niveau und mit den Mitteln
der Systemtheorie, also einer der Theorien, die den Eigenwert des
Bewußtseins massiv zu bedrohen scheinen. Der Begriff der individuellen
Signatur und ihrer Gegenzeichnung wird in aller Vorläufigkeit
herangezogen, um den Raum der Diskussion des Problems zu öffnen."
Autor:
Peter Fuchs ist seit 1992 Professor für
Allgemeine Soziologie und Soziologie der Behinderung an der FH
Neubrandenburg. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. "Reden und
Schweigen" (mit Niklas Luhmann), Frankfurt a.M. 1989, zuletzt "Die
Metapher des Systems. Studie zur allgemein leitenden Frage, wie sich
der Tanz vom Tänzer unterscheiden lasse", Weilerswist 2001, "Der
Eigen-Sinn des Bewußtseins. Die Person – die Psyche – die Signatur",
Bielefeld 2003, und "Theorie als Lehrgedicht. Systemtheoretische Essays
I", Bielefeld 2004.
Peter Fuchs ist auch Autor von systemagazin.
Inhaltsverzeichnis:
A. Die soziale Adresse und die Person 15
1. Der basale Mechanismus der Adressenbildung (18)
2. Inklusion/Exklusion – ein Theoriemanöver (24)
3. Die Form der Person (30)
4. Die reziproke Unentbehrlichkeit der Person (33)
5. Der Körper: allein (37)
6. Die Person – ein Multiplex (42)
B. Die Psyche und das Bewußtsein (47)
1. Die elementare Einheit des Bewußtseins (48)
2. Die Differenzierung des psychischen Systems (52)
3. Dezidierte Operativität (54)
4. Die Funktion des Bewußtseins (57)
5. Konditionierte Koproduktion (61)
6. Die Zeichen (64)
7. Das konventionelle Bewußtsein (69)
C. Aparte Theoriestücke (73)
1. Der Chorismos des Beobachters (74)
2. Die Figur des Wiedereintritts und das unwritten cross (79)
3. Die Sinndimensionen und eine nachträgliche Anordnungsbegründung (84)
4. Das Individuum (89)
5. Selbstbeschreibungen zum ersten (93)
6. Selbstbeschreibungen zum zweiten (100)
7. Signatur und Gegenzeichnung (103)
8. Zwischenmenschliche Interpenetration (107)
|
|
|