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07.07.2005
Niklas Luhmann: Short Cuts
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Verlag Zweitausendeins
160 Seiten
Fadenheftung. Fester Einband.
Preis: 10,00 €
Bestellnummer 18344
ISBN 3-86150-340-9 |
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Verlag Zweitausendeins
Tom Levold, Köln:
„short cut“, das ist im Englischen eine Abkürzung (to cut a long
story short: „der langen Rede kurzer Sinn“), "short cuts" ist der Titel
eines berühmten Films von Robert Altman, der das Leben seiner
Protagonisten in L.A. nicht als durchgehende Geschichte erzählt,
sondern in zahlreiche kleine Episoden zerlegt (short cuts), die jedoch
alle auf irgendeine Weise miteinander zusammenhängen und aufeinander
verweisen.
Der Bücherversand und Verlag Zweitausendeins gibt seit einiger Zeit
eine kleine Reihe mit dem Namen short cuts heraus, in der Aufsätze und
Auszüge aus Werken prominenter zeitgenössischer Theoretiker
publiziert werden, darunter u.a. Heinz von Foerster, Michel Foucault,
Jean Baudrillard - und eben Niklas Luhmann. Programmatisch formulieren
die Herausgeber (Heidi Paris, Peter Gente und Martin Weimann) im
Klappentext: „Short Cuts sind kleine geschlossenen Werke, sondern
Ansätze, Hypothesen, Gedankenblitze und Querpeilungen. Short Cuts sind
Interviews, Textstücke, Essays, Briefe, Manifeste, Kurzprotokolle und
Statements“.
Der erste Band der Reihe liegt mittlerweile in der vierten Auflage vor,
in einem kleinen Format mit festen Einband, guten Papier und angenehm
lesbaren Satz, wie man es von Zweitausendeins schon gewohnt ist.
Auch das Werk Luhmanns ist - wie der Film von Altman - nicht linear
aufgebaut. Man kann an irgendeiner Stelle anfangen zu lesen und muss
dann der internen Verweisstruktur der Theoriekonstruktion (etwa anhand
von Kapitelüberschriften oder Registern) folgen, da sich die
theoretischen Bausteine alle wechselseitig voraussetzen. Für Leser, die
sich mit Luhmann nicht auskennen, wirkt das oft sehr hermetisch und
abweisend. Dennoch sind seine Bücher, Aufsätze und anderen Texte
natürlich unterschiedlich komplex aufgebaut, und wer einen ersten
Zugang zum Denken Luhmanns sucht, ist mit diesem Bändchen gut bedient.
Luhmann hat immer wieder auch die Zeitungen als Medium genutzt und
Artikel geschrieben, die in der Tagespresse schnell dem Vergessen
anheim fallen. Hier sind 10 Beiträge zu ganz unterschiedlichen Themen
(Politik, Ökologie, Kunst, Fußball, soziale Bewegungen) zu finden, die
sämtlich in der FAZ oder der TAZ zwischen 1986 und 1995 erschienen
sind, und in denen Luhmann Gesellschaft beobachtet und die
Selbstbeobachtungen (in) der Gesellschaft kommentiert - mit einem
genauen Blick, manchmal durchaus scharfzüngig, immer überraschend
politisch. Im Aufsatz „Njet-Set und Terror-Desperados“ (von 1988)
rechnet er mit der Vorstellung der linksradikalen und alternativen
Gesellschaftskritik ab, sie könne sich gleichsam als außerhalb der
Gesellschaft denken und ihr von dort eine Alternative aufzudrängen:
„Die Kritik und die Rebellion finden nicht außerhalb der Gesellschaft,
sie finden innerhalb der Gesellschaft statt.… Man kann nicht unschuldig
bleiben. Die Theorie hat nicht das letzte Wort. Wenn sie als
Kommunikation Erfolg hat, verändert sie die Gesellschaft, die sie
beschrieben hatte; verändert damit ihren Gegenstand und trifft danach
nicht mehr zu“ (S. 70). Und wenn die Grünen aufgrund der Erkenntnis,
dass die ökologischen Probleme, die Luhmann nachdrücklich als
„Rationalitätsproblem dieses Jahrhunderts“ einordnet (72) eine
„realpolitische“ Herangehensweise erfordern, ihren Unschuldanspruch
aufgeben, wird auch die Reinheit des Oppositionsgestus verloren gehen:
„Aber so wie die Roten werden auch die Grünen nachdunkeln, wenn sie in
Ämter kommen. Erst in der Organisation werden sie mit einer Realität
von fragwürdiger Realität konfrontiert“ (S. 73). Das Ergebnis ist, 17
Jahre nach der Veröffentlichung dieses Textes, längst allerorten zu
besichtigen.
Ein wunderschöner Artikel „Borniert und einfühlsam zugleich“ befasst
sich mit der Beobachtung, dass „die moderne Gesellschaft die durch sie
betroffenen Individuen zu entgegengesetzten Einstellungen anreizt: Zu
Empathie und zu Borniertheit“ (114). Es entsteht dann das Problem, mit
welchen Objekten der eigenen Beobachtungen möchte man mitfühlen,
welchen wird sie verweigert? Die Entscheidung für eine bornierte oder
empathische Haltung erscheint als Reaktion auf eine überfordernde
komplexe Gesellschaft, die aber zwangsläufig kontingent ausfallen muss.
Um sie dennoch legitimieren zu können, wird Moral in Anspruch genommen,
„aber es fehlt der Konsens über die Kriterien, die es ermöglichen
könnten, bestimmtes Verhalten als gut oder schlecht zu bezeichnen“
(117). Ironisch weist Luhmann auf das „Zutagetreten massiver
Borniertheiten“ hin: „Dabei ist es nicht das Problem, dass das
Individuum borniert denkt. Das sowieso. Was auffällt, ist die
Kommunikation bornierter Meinungen in der Erwartung von Zustimmung -
wenn nicht von allen, dann doch von Gleichgesinnten“ (116). So bleibt
man unter sich, und dies gilt dann wohl auch für Luhmann-Schüler wie
für seine Gegner.
Im Beitrag „Risiko auf alle Fälle“ geht es um politische Entscheidungen
angesichts der Unmöglichkeit, die unbeabsichtigten Folgen von
Entscheidungen für die Zukunft der Gesellschaft auch nur annähernd in
den Griff zu bekommen. Entscheidungen können daher nicht mehr mit
Autorität, die sich auf Natur, Wissen oder Vernunft stützt, legitimiert
werden, „Kontroversen müssen in der Form der Auflösung von Sicherheit
in Unsicherheit geführt werden. Es gibt keine richtigen Entscheidungen,
sondern nur Möglichkeiten des differenzmachenden Eintritts in die
zirkuläre Bestimmung von Entscheidung und Zukunft, Möglichkeiten des
‚Symmetriebruchs‘ und der Einrichtung von Irreversibilität… Und deshalb
mag es sich empfehlen, Entscheidungen im Probierstil zu entwerfen, sie
unter Revisionsvorbehalt zu stellen, sie an Lernmöglichkeiten
auszurichten oder sie so zu wählen, dass sie mehr Wahlmöglichkeiten
erzeugen als vernichten“ (98).
Diese Beobachtungen weisen weit über die Tagespolitik hinaus und sind
in der derzeitigen Krise des politischen Systems aktueller den je.
Schon aus diesem Grund empfiehlt sich die wiederholte Lektüre.
Weiter sind in diesem Band ein Vortrag vom Heidelberger Symposium
„Lebende Systeme“ aus dem Jahre 1986 („Was ist Kommunikation“) sowie
zwei Interviews zu finden. Das erste (von Rainer Erd und Andrea
Maihofer) ist dem Band „Archimedes und wir“ aus dem Merve-Verlag
entnommen, trägt die Überschrift „Biographie, Attitüden, Zettelkasten“
und enthält interessante Statements über seine Arbeitsweise und seine
wissenschaftliche und politische Haltung. Ein zweites Interview von
Dirk Baecker (dem gleichen Buch entnommen) kreist um das Thema Liebe
und die Problematik, inwiefern die Aufrichtigkeit, die ja Bestandteil
jeder Liebessemantik ist, überhaupt kommuniziert werden kann. „Wenn man
sagt, ‚ich liebe dich aufrichtig‘, so ist schon ein Zweifel angebracht.
Und das kann man nicht durch Ausdrucksmöglichkeiten nochmals
verstärken. Das ist einfach eine Frage der Überzeugungsgewinnung, die
sich nicht ohne weiteres in Kommunikation auflösen lässt“ (140). Und:
„Dagegen sind … heute therapeutische Vorschriften in Mode, die
demgegenüber außerordentlich flach wirken, die einfach besagen: Seid
aufrichtig, und dann wird schon alles gut werden. Diese Rezepte im
Visier, möchte ich eine Art Gegenappell oder einen historischen
Gegenbeweis führen“ (139).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Short Cuts“ ein Luhmann-Buch
ist, das nicht nur Luhmann-Fans auf ihre Kosten kommen lässt, sondern
sich auch gut für Einsteiger eignet. Es enthält eine Fülle von
Anregungen, lässt sich gut lesen und ist, da wirklich preiswert, auch
als kleines Geschenk geeignet.
Da Zweitausendeins ein Direktversand ist, kann das Buch auch nur dort gekauft bzw. bestellt werden.
Eine weitere Rezension von Oliver Pfohlmann für Literaturkritik.de
Eine Rezension von Richard Kämmerlings für die FAZ
Verlagsinfo:
"Der Soziologe aus Bielefeld ist eine Legende. Er zaubert mit
hochgewichtigen Begriffen mit der Leggerezza brasilianischer
Fußballathleten. Wenn alle Welt nur noch Risiken berechnet, denkt
Niklas Luhmann darüber nach, weshalb über das Wünschbare zu reden
meistens scheitert. Luhmann stellt spitze Fragen: Kann ein Unternehmen
wie Shell von Greenpeace etwas lernen? Wirft ein: Wird bei Wahlen
gewählt oder gewürfelt? Verteilt Pillen: Was hat Einfühlsamkeit mit
Borniertheit zu tun? Hat Kommunikation einen Zweck? Oder er plaudert
aus dem Nähkästchen über die wahrhaft ewigen Probleme: Wie legt man
einen vernünftigen Zettelkasten an? Wie wird man mit der Füllmasse
überflüssiger Worte in wissenschaftlichen Texten fertig? Aus dem
Inhalt: Was ist Kommunikation? Njet-Set und Terror Desperados,
Statistische Depression, Borniert und einfühlsam zugleich,
Konzeptkunst, Darum Liebe, Lesen lernen."
Inhaltsverzeichnis:
005 Wer überhaupt spricht
007 Biographie, Attitüden, Zettelkasten. Interview
041 Was ist Kommunikation?
064 Njet-Set und Terror-Desperados
075 Alternative ohne Alternative. Die Paradoxie der neuen sozialen Bewegungen
081 Dabeisein und Dagegensein. Anregungen zu einem Nachruf auf die Bundesrepublik
088 Der Fußball
091 Risiko auf alle Fälle. Schwierigkeiten bei der Beschreibung der Zukunft
099 Wie haben wir gewählt? Aber haben wir wirklich gewählt - oder hat das Volk gewürfelt?
107 Statistische Depression. Zahlen in den Massenmedien
113 Borniert und einfühlsam zugleich. Schön, dass wir so ungeniert plaudern.
120 Chirurg auf der Parkbank. Des Wählers Freiheit, eine Illusion
127 Konzeptkunst. Brent Spar oder Können Unternehmen von der Öffentlichkeit lernen?
135 Darum Liebe. Interview
150 Lesen lernen
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