Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
Neuvorstellung |
zur Übersicht |
07.07.2005
Wolfgang Hagen (Hrsg.): Warum haben Sie keinen Fernseher, Herr Luhmann. Letzte Gespräche mit Niklas Luhmann
|
|
|
Kulturverlag Kadmos
2004, 144 S., fester Einband
Preis: 16,90 €
ISBN: 3931659593
|
|
Kulturverlag Kadmos
Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:
„Es
gibt immer eine andere Seite, die nicht berichtet wird“, sagt Luhmann
an einer Stelle (S.82) und hätte somit vielleicht ein Leitmotiv
angesprochen, das dieses handliche Bändchen so interessant macht. „Die
andere Seite“ – in diesem Fall übersetzt in die Frage: Wer sagt das,
was er da gerade gesagt hat? Luhmann schimmert durch als jemand, der
von sich spricht, und das ist ein anregendes Vergnügen. In zwei
Radiointerviews mit dem Herausgeber, sowie in einem Fernsehgespräch mit
Alexander Kluge äußert sich Luhmann sowohl zu einigen
Bestimmungsstücken seines Theoriengebäudes als auch zu einigen
Ereignissen und Zügen seiner Biographie. Zwar ist das Kernthema dieses
Buches die (vermeintliche) Erfahrung der „Welt“ auf dem Wege der
Massenmedien, sowie diesbezügliche Paradoxien und andere Konsequenzen –
und auch die abschließende Diskussion des Herausgebers mit Dirk Baecker
und Norbert Bolz thematisiert dies – das eigentliche Lesevergnügen
besteht für mich jedoch darin, wie Luhmann das sagt, was er sagt. Und
auch die Möglichkeit, sich anhand der Äußerungen einige Vorstellungen
zu machen, was Luhmann bewegt haben könnte, ist spannend. Wie sich etwa
das Motiv, „Ordnung zu schaffen“ in der Folge von Erfahrungen in der
Kriegsgefangenschaft zur Wahl des Jurastudiums auswirkt (S.17) und
später im Bereich der Soziologie wach hält angesichts „des
zentral-sozialen Problems – viele Menschen erleben und handeln
gleichzeitig (...) Und da gibt es keine Ordnung in der
Gleichzeitigkeit“ (S.45). Die Frage des Ausgeschlossenen und der Wille,
sich darüber klar sein zu wollen, „was ich ausschließen will“
(S.53) korrespondieren wie von selbst mit der Frage der persönlichen
Verantwortung, und das gerade weil eine einseitige Klärung von Ordnung
nicht möglich erscheint. Auf dem Buchdeckel wird Baecker zitiert, der
Luhmann als den wahrscheinlich „größten Humoristen seiner Zunft, wenn
nicht der Wissenschaft überhaupt“ bezeichnet. Da könnte etwas dran
sein, auf jeden Fall zeigt sich ein ausgeprägt trockener Humor, eine
Bereitschaft zur selbstironischen Relativierung, manchmal entsteht der
Eindruck einer beinahe skurillen Lebenstüchtigkeit. Das ist ja das
Tolle: Da mag die Luhmann-Rezeption zu noch so verstiegenen
Sprachungetümen herangewachsen sein, die einem manchmal die eigene
professionelle Erfahrung fremd reden könnte, Luhmann selbst spricht so,
dass es zum Zuhören vollständig einlädt. Auch Baecker und Bolz vermögen
intelligent und witzig zu unterhalten, aber während sie vor Wissen und
Querverbindungen überzuquellen scheinen (so dass man manchmal lieber
„mal einen Punkt machen“ möchte), versprödet Luhmann sein Weltwissen
auf dermaßen witzig-lakonische Art, dass es einen geradezu reinzuziehen
vermag. Man wünschte sich ihn irgendwie als Berater, obwohl er sich
genau dagegen entschieden wehren würde. Befragt nach seiner Präferenz
hinsichtlich Faust und Mephisto: „Also meine Partie ist immer beim
Teufel. Der unterscheidet am schärfsten und sieht am meisten“ (S.77).
Und seine Haupteigenschaft: Neugier? Nein: „Bockigkeit“. Eine
empfehlenswerte, kurzweilige Lektüre, nicht nur für zwischendurch!
(mit freundlicher Genehmigung aus systhema 3/2004)
Zitate:
"Also, der Liebesbeweis ist dann eben das Sicheinlassen auf das, was
man in den Augen des anderen ist. - Und das auch zu wissen. Also, nicht
einfach sich zu fügen, sondern das auch zu wollen und der sein, den der
andere oder die andere erwartet, dass man es ist.
Sagen Sie das einmal szenisch an einem Beispiel.
Man tritt ins Haus ein, dreht den Hausschlüssel um, die Frau ist in der
Küche. Man möchte jetzt natürlich erst einmal zum Schreibtisch gehen
und sehen, was die Post gebracht hat. Aber wenn man das tut, weiß man
genau, dass sie darin eine Vernachlässigung sieht. Also geht man in die
Küche. Sie aber weiß, dass man deswegen in die Küche geht, weil sie
andernfalls annehmen würde, sie würde vernachlässigt werden"(54).
"einerseits entsteht Moral ja aus dem Streit; denn wenn man sich
sowieso verständigt, braucht man ja nicht zu moralisieren" (58).
"Ich würde … sagen, dass man die Gegenwart nicht überlasten soll. Dass
man also in Bezug auf Studenten zum Beispiel, oder bei einem Vortrag
nicht so vorgehen darf: Jeder Satz ist gesagt, er kommt nie wieder,
jetzt muss ich es verstanden haben, oder ich werde abgehängt und
verstehe dann überhaupt nichts mehr, wenn ich das hier nicht verstanden
habe. Sondern dass man Wiederholungsaufwand und Arbeitsaufwand
einplanen muss, weil man noch Zeit hat, sich damit gründlicher zu
beschäftigen" (61).
"Wenn Sie nach Ihrer Neugierde gehen,
würden Sie sich da für den Faust interessieren? Würden Sie sich für die
Lemuren interessieren, für den Götterhimmel zum Schluss, oder für den
Mephistoteles?
Wahrscheinlich für Mephistoteles. Also, meine Partie ist immer beim
Teufel. Der unterscheidet am schärfsten und sieht am meisten.
Was würden Sie als eine Ihrer Haupteigenschaften bezeichnen? Neugier?
Bockigkeit" (77).
Weitere Rezensionen im Internet von
Thorsten Stegemann für heise.de
Klaus Taschwer für falter.at
Oliver Pfohlmann für literaturkritik.de
Ein kurzer Hinweis in der Hauspostille der Universität Witten/Herdecke, deren Professor Dirk Baecker auch an den Buch mitgewirkt hat.
Die Website von Herausgeber Wolfgang Hagen
Verlagsinfo:
"Niklas Luhmann ist eine feste Größe in der geistigen
Landschaft der Bundesrepublik Deutschland und mit seinen Werken weit
über deren Grenzen hinaus bekannt. Drei der letzten Interviews mit dem
1998 verstorbenen Wissenschaftler gewähren dem den Lesern ungewöhnliche
Einblicke in seine Biografie und sein Wirken. So lesen sich etwa die
kritische Haltung zu den ersten Studentenprotesten oder die Äußerungen
zu seinen verschrobenen Arbeitstechniken wie persönliche Offenbarungen.
In einem den Band ergänzenden Gespräch zwischen Dirk Baecker, Norbert
Bolz und Wolfgang Hagen steht neben dem Spannungsverhältnis zwischen
Soziologie und Massenmedien die Persönlichkeit Luhmanns im Vordergrund.
Ein Buch, das mit Schlagfertigkeit und Präzision an einen großen Denke
des 20. Jahrhunderts heranführt".
|
|
|