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Neuvorstellung zur Übersicht
18.03.2005
Heiko Kleve, Britta Haye, Andreas Hampe-Grosser, Matthias Müller: Systemisches Case Management. Falleinschätzung und Hilfeplanung in der Sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien - methodische Anregungen
Kleve Case Management Dr. Heinz Kersting Verlag 2003

220 Seiten

ISBN: 392047-41-8

Preis: 15,00 €
Dr. Heinz Kersting Verlag





Georg Singe, Vechta

Kann Case Management als wiederentdecktes Konzept für Einzelhilfen in der Sozialen Arbeit unter dem ökonomischen Druck der Kommunalhaushalte mehr sein als ein Kosteneinsparungskonzept? Die Orientierung der Sozialen Arbeit an der Ökonomie rückt die Begriffe Effektivität und Effizienz in den Mittelpunkt der Fachdiskussion. Kleve et al. gehen davon aus, dass die soziale Wirklichkeit ein systemisch konstruktivistischer Prozess ist, der sich an den Lebenswelten der Menschen, die am ehesten wissen, was gut für sie ist, orientiert. Die Prinzipien Lebensweltorientierung und Ökonomisierung finden in den Ansätzen des Case Managements und der systemisch-konstruktivistischen Orientierung Sozialer Arbeit ihren Ausdruck. Denn im Sinne der Lebensweltorientierung sind beide Ansätze dialogisch strukturiert und im Rahmen der Zielbestimmung auf Effektivität und Effizienz hin angelegt.
Diese Ausgangsüberlegungen prägen die Struktur des Buches, das in sechs Aufsätze gegliedert ist. Zunächst gibt Kleve einen Überblick über methodische Grundlagen in der sozialen Arbeit (S. 15-40). Diesem Überblick schließt er eine Reflexion an , in der er die methodischen Prinzipien der Lebensweltorientierung und Ökonomisierung auf das Case Management bezieht (S. 41- 58). Dabei verfolgt er die These, dass unter systemischen Gesichtspunkten das Case Management diese beiden „wichtigen Perspektiven Sozialer Arbeit zu vereinen erlaubt“. Aus einem bisherigen „Entweder-oder“ wir ein „Sowohl-als-auch“ (S. 45). Um diese These zu belegen, steht die Ressourcenorientierung im Mittelpunkt der eher klassischen Darstellung des Case Managements in seinen fünf Phasen, ergänzt um die manchmal notwendige Dimension einer anwaltschaftlichen Klientenfürsprache.
Eine genauere Darstellung der Methode, aber auch der geschichtlichen Entwicklung des Case Managements gibt Müller in dem sich anschließenden Aufsatz (S. 59-96), indem Techniken aus dem systemischen Arbeitsansatz in die einzelnen Phasen des Hilfeprozesses integriert werden. Um in der ersten Phase des Case Managements zu einer adäquaten Falleinschätzung (assessment) zu gelangen, ist eine systemisch angelegte Netzwerkanalyse der sozialen Beziehungen hilfreich; im Rahmen der Hilfeplanung (planning) greift Müller in der Operationalisierung der Zielfindung auf systemische Fragetechniken zurück. Für die praxisorientierten Leserinnen und Leser sind insbesondere die im Anhang aufgenommenen Arbeitsbögen für die Dokumentation der Durchführung der Hilfe (intervention), der Kontrolle und Überwachung (monitoring) und der Bewertung und Auswertung (evaluation) sehr anschaulich und nützlich.
Im Weiteren greift Kleve noch einmal die erste Phase des Case Managementsprozesses auf, um die Bedeutung einer systemischen Kontextklärung, in der die instututionellen, historischen, zeitlichen, persönlichen und zielorientierten Dimensionen der professionellen  sozialen Arbeit beleuchtet werden, für den dialogischen Aushandlungsprozess herauszustellen S. 97-109).
Im dem Aufsatz „Systemische Schritte helfender Kommunikation“ (S. 111-135) von Haye und Kleve findet sich der Kern des bisher nur punktuell aufgegriffenen Anliegens des Buches, indem die Phasen des Case Managements systematisch unter den Gesichtspunkten systemischer Kommunikation beleuchtet werden. In Gegenüberstellung zur klassischen Konzeption der Handlungsschritte von Anamnese, Diagnose und Behandlung setzen Haye und Kleve bei der Darstellung der Phasen des Case Managements auf Techniken aus systemischen Beratungsmodellen wie Kontextualisierung, Ressourcenorientierung, Hypothesenbildung und systemische Interventionstechniken. Dabei beziehen sie sich auf bekannte und bewährte Ansätze des systemischen Arbeitens, die gekonnt in das Modell des Case Managements integriert werden. Neugierig ist der Leser natürlich, wie unter den Gesichtspunkten des systemischen Ansatzes das Monitoring und die Evaluation aussieht. Denn gerade diese Bereiche sind geprägt von der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit, die zunächst im Widerspruch zu einer systemisch angelegten ressourcen- und klientenorientierten Sozialarbeit stehen. An dieser Stelle werden die Leserinnen und Leser ein wenig enttäuscht. Außer dem Hinweis, dass die Effektivität des Hilfeprozesses am Vergleich der tatsächlich erreichten Ergebnisse mit den festgelegten Zielen gemessen wird, die Effizienz beschrieben wird und die Phasen jeweils an die anderen Phasen rückzukoppeln sind, findet eine vertiefte systemische Reflexion dieser Phasen nicht statt. Zumal die wichtige Phase im Case Management – das Monitoring – an dieser Stelle gänzlich übergangen wird.
Erfrischend wirkt nach den sich inhaltlich gelegentlich überschneidenden Darstellungen der Theorie und den methodischen Ansätzen des systemischen Case Managements die praxisorientierte Anwendung in der Arbeit des ASD mit Multiproblemfamilien. Hampe-Grosser zeigt in diesem Aufsatz (S. 137-199) anhand eines Praxisbeispiels, dass ein systemischer Blickwinkel in der Ausgestaltung konkreter Hilfeprozesse sehr erfolgsversprechend ist.
Den Autoren ist es mit diesem Buch gelungen, das klassische Case Managementkonzept aus dem engen Interpretationsrahmen einer nur auf Kostenminimierung ausgerichteten Sozialen Arbeit herauszuführen. Die systematische Anwendung des systemischen Blickwinkels auf die einzelnen Arbeitsschritte ermöglichen es, die hohen Standards der professionellen Sozialen Arbeit hinsichtlich der Ressourcen-, Lösungs- und Klientenorientierung zu bewahren.

(Diese Rezension ist mit freundlicher Erlaubnis des Verlages
Vandenhoeck & Ruprecht der Zeitschrift Kontext, Heft 4/04 entnommen.





Eine weitere Besprechung dieses Buches von Meinolf Westerkamp finden Sie auf der website von socialnet.de.

Heiko Kleve, Britta Heye und Andreas Hampe-Grosser sind auch Autoren des "Gepfefferten Ferkels - Online-Journals für systemisches Denken und Handeln". Unter diesem Link finden Sie das Autorenverzeichnis des "Ferkel", in dem Sie Zugang zu zahlreichen Online-Texten der Autoren haben.

Heiko Kleve ist auch Autor für systemagazin.

In der Online-Ausgabe März 2004 von sozialarbeit.ch gibt es ein Interview mit Heiko Kleve zu seinem neuen Buch über "Sozialarbeitswissenschaft, Systemtheorie und Postmoderne".






Inhaltsverzeichnis:
 
Soziale Arbeit in der Postmoderne
Heiko Kleve

1. Methodische Grundlagen Sozialer Arbeit
Eine fragmentarische Skizze
Heiko Kleve

2. Case Management
Eine methodische Perspektive zwischen Lebensweltorientierung und Ökonomisierung Sozialer Arbeit
Heiko Kleve

3. Verfahren/Techniken und Struktur im Case Management-Prozess
Theorie – Praxis – Handreichungen
Matthias Müller

4. Systemische Kontextklärung
Fragestellungen für die Falleinschätzung (Assessment)
Heiko Kleve

5. Systemische Schritte helfender Kommunikation
Sechs-Phasen-Modell für die Falleinschätzung und die Hilfeplanung
Britta Haye und Heiko Kleve

6. Systemisches Case Management mit Multiproblemfamilien
Teil 1: Soziale Arbeit mit Multiproblemfamilien – theoretische Perspektiven
Teil 2: Die Praxis des Sechs-Phasen-Modells aus der Perspektive eines Allgemeinen Sozialpädagogischen Dienstes
Andreas Hampe-Grosser

 

Leseprobe/Einleitung


Heiko Kleve

Soziale Arbeit in der Postmoderne

Ausgangspunkte

Genauso wie die Gesellschaft ist die Sozialarbeit im Wandel. Die sozialen Phänomene, die mit Differenzierung der Lebenslagen, Pluralisierung, Individualisierung und Globalisierung benannt werden, sind in aller Munde und tangieren auch die Sozialarbeit unmittelbar. Die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse verändern alle sozialen Verhältnisse, sie verändern aber auch besonders das Verhältnis der einzelnen Menschen zur Gesellschaft und zu deren Institutionen.
Der Wohlfahrtsstaat sei nicht mehr so finanzierbar wie bisher. Die Sozialarbeit gerät mehr und mehr unter Druck, ihre Hilfeangebote zu ökonomisieren, sie nach Effektivität (Zielwirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit) zu bemessen. Mehr denn je ist Ressourcenorientierung aktuell. Informelle Hilfepotentiale der Lebenswelten sind wieder verstärkt zu fördern. Die Eigenverantwortung der Bürger für ihre Belange ist von der Sozialarbeit zu stützen. Sozialarbeiterische Organisationen werden zu sozialen Dienstleistungsunternehmen umstrukturiert, die mündige Bürger erfordern – Bürger, die wissen, was sie an Hilfe brauchen und diesbezüglich auswählen können. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden in diesem neuen Arrangement zu Managern des Sozialen, die Angebote machen, an Ressourcen arbeiten, Vernetzungen herstellen sowie das informelle und formelle Angebot von Hilfen koordinieren.
Die Frage ist nur, ob sich die veränderten Lebenswelten und die individualisierten Individuen auf diesen Wandel des Sozialstaates und der Sozialarbeit einstellen können. Denn auch in der Lebenswelt ist alles in Veränderung. So differenzieren sich etwa Familienstrukturen aus. Die klassische Kernfamilie, sozusagen die familiäre Normalform, bestehend aus Vater, Mutter und Kind(ern), ist inzwischen ein Familienmodell unter vielen anderen geworden.
Einelternfamilien, bestehend aus allein erziehenden Müttern oder Vätern und deren Kinder oder Stieffamilien, bestehend aus einem leiblichen Elternteil und einem Stiefelternteil und deren Kinder, galten noch vor einem halben Jahrhundert als besondere, eher seltene Familienformen, sie sind heute normal geworden. Parallel zu diesen Veränderungen befinden sich die individuellen Ansprüche an die Familie, an die Liebe allgemein und an die je eigene Selbstverwirklichung im Wandel. Die Geschlechterverhältnisse mischen sich neu, die klassischen familiären Rollenverteilungen verwischen sich. Partnerinnen und Partner stellen häufig hohe Erwartungen an ihre Beziehung, die – wenn überhaupt – nur über kommunikative Dialogfähigkeit eingelöst werden können.
Eingebunden in diese Prozesse ist die Sozialarbeit, die sowohl mit einem veränderten Sozialstaatskonzept als auch mit sich verändernden Lebenswelten, in denen hoch anspruchsvolle Individuen zu Hause sind, konfrontiert wird. Von der Sozialarbeit sind daher Konzepte gefragt, die den beschriebenen Wandlungsprozessen Rechnung tragen, die mit den gesellschaftlichen Veränderungen mitgehen. Solche Konzepte wollen wir in diesem Buch für die Soziale Einzel- und Familienarbeit konstruieren und dazu einladen, diese Konzepte in der Praxis der Sozialen Arbeit auszuprobieren und zu überprüfen, oder sie im Studium sowie in der Fort- und Weiterbildung zu diskutieren.
Wir, also Britta Haye, Andreas Hampe-Grosser, Matthias Müller und ich, sind bereits seit mehreren Jahren im Gespräch darüber, wie die oben knapp beschriebenen Wandlungen in den Lebenswelten der Menschen und in der Sozialen Arbeit methodisch bewältigt werden können, und zwar so, dass daraus kein Abbau sozialarbeiterischer Standards resultiert. Vielmehr ist es uns ein Anliegen, innovative sozialarbeiterische Handlungsmethoden zu sichten, praktisch zu testen und gegebenenfalls so weiterzuentwickeln, dass sie den aktuellen Anforderungen gerecht werden. Ein erstes Ergebnis unserer Arbeitsgruppe, die vor allem ich in enger Kooperation mit Britta Haye an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin koordiniere, ist das vorliegende Buch, in dem wir versuchen, Ansätze zum Case Management mit methodischen Vorstellungen einer systemisch-konstruktivistisch orientierten, einer postmodernen Sozialarbeit (s. dazu Kleve 1999; 2000) zu koppeln. Wir wollen den Leserinnen und Lesern also methodische Ansätze vorstellen, die von einer klassischen zu einer postmodernen Sozialarbeit führen könnten, einer Sozialarbeit, die sich bewusst ist, dass sie nicht mehr so weiter machen kann, wie bisher.
Nach unserem Verständnis ist die Gesellschaft und mit ihr auch die Sozialarbeit spätestens jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in eine postmoderne Phase eingetreten. Während die moderne Sozialarbeit noch wusste, anhand welcher Normen die vermeintlich abweichenden Klienten in die Gesellschaft reintegriert bzw. für die Gesellschaft normalisiert werden sollten, geht einer postmodernen Sozialarbeit dieses Wissen mehr und mehr verloren. Die Frage ist dann, durch welche Methoden, professionellen Haltungen und theoretischen Orientierungen dieses Nichtwissen kompensiert werden kann – wir meinen: vielleicht durch ein Case Management, das sich vor allem hinsichtlich der Falleinschätzung und Hilfeplanung systemisch-konstruktivistisch orientiert.
Ein solches Systemisches Case Management geht von vier postmodernen Prämissen aus (vgl. dazu Kleve 2000, S. 59ff.): erstens sieht es die Nichthintergehbarkeit von Kommunikation, also die soziale Tatsache, dass es nur realisierbar ist, wenn es Dialoge, Diskurse, Aushandlungen, kurz: Gespräche zwischen Menschen initiiert, die die soziale Wirklichkeit allererst konstruieren; zweitens akzeptiert es die zu erwartende Möglichkeit der grundsätzlichen Verschiedenheit (Differenz) zwischen den lebensweltlichen Bezügen bzw. subjektiven wie sozialen Wirklichkeitskonstruktionen der SozialarbeiterInnen und der KlientInnen; drittens reflektiert es die Grenzen des sozialarbeiterischen Handelns und anerkennt die Unmöglichkeit instruktiver Interaktionen (s. dazu weiterführend Kersting 1991), vielmehr öffnet es sich für Kontingenz, für die Möglichkeit, dass alles immer auch anders kommen kann, als es geplant, erdacht oder intendiert war; viertens schließlich eröffnet es ein reflexives Vorgehen, das die SozialarbeiterInnen auffordert, dass sie das, was sie tun, permanent – z.B. mittels Evaluationen oder Supervisionen – verantwortungsbewusst hinterfragen, einschätzen und bewerten und sich neue, alternative Handlungsmöglichkeiten überlegen, wenn die bisherigen nicht zum gewünschten Ziel, der erfolgreichen Hilfe für KlientInnen führen.
 
Thesen des Buches

Wir haben bereits festgestellt, dass sich die Sozialarbeit nicht mehr problemlos auf eine gegebene moralische Einheit der Gesellschaft beziehen kann, um von dort aus integrierende Normanpassungen ihrer vermeintlich abweichenden, devianten Klienten vorzunehmen. Vielmehr müssen nun, quasi losgelöst von jeder einheitlichen moralisch-gesellschaftlichen Verankerung, in – z.B. durch das Rechtssystem gerahmten – Ver- und Aushandlungsprozessen die Problem-, Reflexions-, Handlungs- und Zielbezüge sozialarbeiterischer Hilfen im Spannungsfeld sozialer (etwa politischer, wirtschaftlicher, familiärer etc.) und individueller Erwartungen immer wieder neu geschaffen, konstruiert werden. Das Soziale muss von der Sozialarbeit alltäglich neu hergestellt werden. Kaum etwas ist noch selbstverständlich. Fast alles ist hinterfragbar geworden, kann immer auch anders beschrieben, erklärt und bewertet werden. Unsere soziale Situation ist so ambi- oder polyvalent, so mehrdeutig wie vielleicht nie zuvor.
Trotz dieser postmodernen Situation sind wir der Ansicht, dass ein Bezug der Sozialarbeit weiterhin – womöglich sogar radikaler als je zuvor – erhalten bleiben wird und erhalten bleiben muss, nämlich der Klientenbezug.
Dieser Bezug wird gerne mit der Floskel umschrieben, dass die Klienten dort abgeholt werden müssen, wo sie stehen. Dieser Klientenbezug, der typisch ist für die Sozialarbeit, bildet auch die Basis für die These, welche wir den folgenden Texten voranstellen wollen. Diese These lautet, dass es in konkreten Hilfeprozessen die Klienten Sozialer Arbeit selbst (und nicht die Helfer) sind, die am ehesten wissen, was gut für sie ist. Dieser Orientierung fühlen sich die Autorin und die Autoren dieses Buches verpflichtet. Insbesondere um diese Idee in die Praxis umzusetzen, bieten sich unserer Ansicht eben die beiden methodische Richtungen an, die wir in diesem Buch kombinieren: die systemisch-konstruktivistische Perspektive und das Case Management.
Unserer Ansicht nach sind systemisch-konstruktivistische Orientierungen und das Case Management sozialarbeiterische Ansätze, in denen zwei wesentliche Postulate, die aktuelle sozialarbeiterische Ansätze prägen sollten, aufgenommen werden: nämlich einerseits die Lebensweltorientierung und andererseits die Ökonomisierung.
Im Sinne der Lebensweltorientierung sind die beiden Methoden dialogisch orientiert. Mit Hilfe dieser Methoden können Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zusammen mit den Klienten versuchen, in kommunikativen Aushandlungsprozessen Lösungen zu initiieren. Die Klienten werden dabei – ganz im Sinne unserer oben genannten These – als Experten für die Realisierung der Problemlösungen bewertet. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter gehen also nicht klassisch normativ vor, sondern verstehen sich als Experten für die prozesshafte Konstruktion von Zielen und für das prozesshafte Anregen der Klienten hinsichtlich der Zielerreichung. In diesem Sinne sind die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter Kommunikationsexperten, die das kommunikative, das dialogische Erschließen von Zielen und Lösungen, die in der Lebenswelt der Klienten sinnvoll und sinnhaft sind, anregen, ja ermöglichen.
Im Sinne der Ökonomisierung sind beide Methoden – mit den oben genannten Einschränkungen bezüglich der Grenzen des sozialarbeiterischen Handelns – an Effektivität und damit fast zwangsläufig an Effizienz orientiert. Sie sind an Effektivität ausgerichtet, weil sie die Ergebnisse der Hilfe anhand der Ziele messen, die zuvor, d.h. während des Hilfeprozesses, zumeist immer wieder erneut ausgehandelt wurden. Nur wenn Ziele definiert wurden, kann zielwirksam, also effektiv gearbeitet werden, und nur wenn die Ergebnisse mit diesen Zielen verglichen werden, ist es möglich, die erreichte Effektivität zu messen.
Unabhängig von den konkreten Zielvereinbarungen in jeder Hilfe, kann als das grundlegende Ziel jeder Sozialarbeit – im weitesten Sinne – die "Hilfe zur Selbsthilfe" angegeben werden. Mit anderen Worten, sozialarbeiterische Hilfe soll bewirken, dass die Klienten in absehbarer Zeit sich wieder selber helfen können, oder dass Personen aus dem lebensweltlichen Netzwerk (z.B. Familienangehörige, Nachbarn, Freunde, ehrenamtliche HelferInnen) unterstützend wirken, sodass die professionelle Hilfe überflüssig wird.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist das "zentrale Hilfeparadoxon" (Wolff 1990, S. 22) zu reflektieren, das darin besteht, dass Hilfe immer auch zur Nicht-Hilfe im negativen Sinne führen kann, das heißt zur Abhängigkeit der Klienten von den Helfern. Beide Methoden – sowohl die systemische Beratung als auch das Case Management – versuchen gerade diese Abhängigkeit zu verhindern, indem sie die Wahrscheinlichkeit, dass diese Abhängigkeit überhaupt erst entstehen kann, verringen, und zwar durch einen kritischen Einbezug des Faktors Zeit.
Hilfen sollen so lange wie nötig, aber so kurz wie möglich dauern. Die These ist, dass Abhängigkeit mit der Verfestigung von Strukturen über einen längeren Zeitraum entsteht. Mit anderen Worten, je länger eine Hilfe dauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Klienten von dieser – wie auch immer – abhängig werden; und um so teurer werden die Hilfen dann, was dazu führt, dass deren Effizienz sinkt. Wir können sehen, dass sich die Beachtung des Zeitaspektes auf das bezieht, was wir Effizienz nennen, nämlich auf die Wirtschaftlichkeit. Hilfen, die ("nur") so lange wie nötig, und so kurz wie möglich durchgeführt werden, sind – so ist zumindest zu vermuten – kostengünstiger (wirtschaftlicher, effizienter) als Hilfen, die diesen Aspekt nicht beachten. Aus diesem Grund sollte in der Sozialen Arbeit verstärkt systemisch-lösungsorientiert im Sinne von Steve de Shazer (1988; 1991; 1996) gearbeitet werden. Dies würde dann vermutlich auch effiziente zeitsensible Hilfen ermöglichen, die innerhalb von Case Management-Prozessen begleitet und evaluiert werden könnten.

Struktur des Buches

Unser Buch ist – eher klassisch – deduktiv aufgebaut, wir gehen also vom Allgemeinen zum Konkreten.
Zunächst wird Heiko Kleve eine kurze Skizze der methodischen Grundlagen Sozialer Arbeit zeichnen. Dabei klärt er die Frage, was überhaupt unter Methodik der Sozialen Arbeit zu verstehen ist und ordnet die sozialarbeiterische Methodenentwicklung in den historischen Prozess gesellschaftlicher Entwicklung ein. Des weiteren stellt er knapp die klassischen Arbeitsformen Sozialer Arbeit dar und erläutert drei psychologische/psychotherapeutische Schulen, die die Soziale Einzelfallhilfe ausgesprochen stark geprägt haben und wohl immer noch prägen: die Psychoanalyse/Tiefenpsychologie, die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie/nicht direktive Beratung und die systemische Familientherapie. Diese Skizze der methodischen Grundlagen Sozialer Arbeit erscheint vor allem in diesem Zusammenhang sinnvoll, weil auch ein Systemisches Case Management nicht losgelöst ist von den historischen Prozessen und Einbindungen der sozialarbeiterischen Methodik, es bietet höchstens eine neue Perspektive auf dem Hintergrund des klassisch Sozialarbeiterischen.
Diese neue Perspektive des Case Managements wird im zweiten Beitrag thematisiert. Heiko Kleve vertritt dort die These, dass Case Management eine aktuelle, in der heutigen Sozialen Arbeit sehr ausgeprägte Ambivalenz anzugehen erlaubt: die Ambivalenz von Lebensweltorientierung und Ökonomisierung. Case Management ermöglicht es Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, auf beiden Seiten der Ambivalenz zugleich zu stehen, also sowohl lebensweltorientiert als auch ökonomisch reflektiert zu handeln. Um dies zu begründen, werden zunächst einige grundsätzliche Postulate beider Orientierungen beschrieben, um sodann anhand des Case Management-Prozesses zu zeigen, welche lebensweltorientierten und ökonomisch ausgerichteten Möglichkeiten des methodischen Handelns Case Management bietet.
Auf den Case Management-Prozess geht Matthias Müller in seinem Beitrag vertiefend ein. Zunächst reflektiert er die geschichtliche Entstehung des Case Managements und leitet daraus die Möglichkeiten dieser Methode ab: Desintegrationen von KlientInnen hinsichtlich sozialarbeiterischer und anderer Hilfen sowie Diskontinuitäten im Hilfeprozess entgegenzuwirken. Wie dies gelingen kann, wird erläutert anhand der Darstellung eines Fünf-Phasen-Modells zum Case Management. Besonders wichtig sind in diesen Phasen Verfahren und Techniken, die erst ihre Ausgestaltung (z.B. die Erarbeitung und Operationalisierung von Zielen) ermöglichen. Solche Techniken und Verfahren stellt Matthias Müller vor und lädt PraktikerInnen ein, diese sogleich für ihre Case Management-Arbeit zu nutzen. Am Ende des Textes werden eine Reihe von Werkzeugen angeboten, die ebenfalls sofort in der Praxis genutzt werden können.
Werkzeuge bietet auch Heiko Kleve im nächsten Text. Er vertritt die These, dass in der Phase der Falleinschätzung die Kontexte des Falls insbesondere und der Hilfe allgemein gründlich zu klären sind. Nur wenn man die Rahmenbedingungen der Arbeit von Anfang an im Auge behält, ist zielwirksames und für KlientInnen sowie HelferInnen erfolgreiches Arbeiten möglich. Für die Klärung dieser Rahmenbedingungen werden unterschiedliche Fragekomplexe angeboten.
Für die Umsetzung in der Praxis bietet auch der nächste Aufsatz von Britta Haye und Heiko Kleve viele Möglichkeiten. Es wird nämlich ein Sechs-Phasen-Modell zur Strukturierung der Kommunikation in der Fallarbeit angeboten, das sich im Rahmen des Case Managements insbesondere für die Falleinschätzung und die Hilfeplanung eignet. Ausgehend vom klassischen methodischen Dreischritt der Sozialen Arbeit mit Einzelnen und Familien wird ein erweiterter Sechs-Schritte-Rhythmus angeboten und die Ausgestaltung der Schritte thematisiert. So schlagen die Autorin und der Autor vor, dass SozialarbeiterInnen während der Falleinschätzung insbesondere kontextualisieren, Probleme klar definieren, Ressourcen gründlich analysieren und Hypothesen über die Problembedingungen entwickeln sollten. Die Hilfeplanung zeichnet sich dadurch aus, wie auch Matthias Müller in seinem Text zeigt, dass Ziele benannt und die Schritte zu den Zielen genau entwickelt werden (Handlungsplanung, Operationalisierung).
Schließlich zeigt Andreas Hampe-Grosser wie die systemischen Sechs-Schritte helfender Kommunikation im Rahmen eines Case Managements im Jugendamt, im Allgemeinen Sozialpädagogischen Dienst (ASD) realisiert werden könnten. Da sich die Arbeit des ASD häufig auf "Multiproblemfamilien" bezieht, ja hier gerade die Herausforderung der Sozialen Arbeit liegt, beschäftigt er sich vor allem mit der Frage, wie derartigen Familien erfolgreich geholfen werden kann. Dazu stellt er – im Teil 1 seines Beitrags – zunächst theoretische Überlegungen an, die ein systemisches Verständnis von den KlientInnen Sozialer Arbeit ermöglichen und eine Haltung der SozialarbeiterInnen herausfordern, die genau dazu passt. Mit vielen Beispielen und Schaubildern wird deutlich gemacht, wie ein lösungs- und ressourcenorientiertes Arbeiten im Jugendamt gelingen kann, ohne zu vernachlässigen, dass gerade in diesem Bereich Sozialer Arbeit Hilfe und Kontrolle häufig zusammenfallen. Im Teil 2 bespricht er einen konkreten Fall und strukturiert diesen mit Hilfe des von Britta Haye und Heiko Kleve beschriebenen Sechs-Phasen-Modells für die Falleinschätzung und Hilfeplanung. Der Beitrag von Andreas Hampe-Grosser stellt gewissermaßen die Synthese dessen dar, was in den Texten zuvor erläutert und vorgestellt wurde."



Heinz Kersting: "Ich hoffe, dass die Beiträge dieses Buches dazu einladen, die vorgestellten Konzepte auf ihre praktische Brauchbarkeit zu testen. Denn die Autoren sind der Meinung, dass gerade die systemisch-konstruktivistische Orientierung in der Sozialen Arbeit kombiniert mit einem strukturierten Case Management-Prozess das ermöglicht, was SozialarbeiterInnen anstreben: erfolgreich zu helfen – nämlich so, dass KlientInnen im Sinne von Empowerment ermächtigt werden, ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände zu nehmen".



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