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07.11.2008
Detlef Klöckner: Phasen der Leidenschaft. Emotionale Entwicklung in Paarbeziehungen
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Klett-Cotta, Stuttgart 2007
262 S., fester Einband
Preis: 24,50 €
ISBN-10: 360894432X
ISBN-13: 978-3608944327 |
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Klett Cotta
Hans Georg Pflüger, Bad Wimpfen:
Traditionen geben immer weniger Halt, Paar- und Familienbeziehungen sind kaum noch vorstrukturiert, letztlich ist jeder sich selbst überlassen und somit für sein Befinden verantwortlich. Diese Fakten unserer offenen Gesellschaft fordern in allen Formen von Beziehungen eine fortwährende Diskussion um Wünsche, Bedürfnisse, Aufgaben und Pflichten, denn Beziehungen sind flexibler, veränderbarer und rascher auflösbar geworden. Menschen verändern sich, jeder allein und gemeinsam in der Partnerschaft; das muss nicht in Langeweile enden, sondern kann spannend und aufregend sein, sofern sich die Beteiligten diesen Veränderungen aktiv und bewusst stellen.
Das abendländische Beziehungsklima zugrunde legend beschreibt Klöckner fünf wesentliche Transformationen: vom anfänglichen mentalen Ausnahmezustand der singulären Verliebtheit zur Verschmelzung im dyadischen undifferenzierten WIR und dem folgenden Abstieg vom Olymp der Sinnlichkeit in die Niederungen der Alltäglichkeit mit wiederkehrender Individualisierung. Die Gewöhnung mit gepflegt behüteten Intimdialogen findet dann sein Ende in einem fürsorglichen Finale und Abschied. Er spannt also den Bogen vom Kennenlernen bis zum Tod, vom verführerischen, leidenschaftlich-körpernahen Tango über den Standardtanz und langsamen Walzer bis zur Kraft gebenden rückblickenden Erinnerung, von der herzzerreißenden Verzauberung zur unaufgeregten Zuverlässigkeit.
Dies alles gelingt ihm, sein Werk mit einer Beschreibung der Attribute der Leidenschaft (Leidenschaft und Bewegung, Empathie, Radikalität und Übergangsmerkmalen) beginnend, insgesamt hervorragend, wobei er mit fundiertem Wissen und sorgfältiger Ausarbeitung mit Praxisbeispielen sich einer schönen, oft poetischen Sprache bedient, die das Lesen angenehm macht.
Zugegeben: interessierten Praktikern sind Phasenmodelle über Paarentwicklungen, so wohl auch dieses, bekannt, dennoch: wir schulden dem Intimpartner und auch unserer eigenen Entwicklung gegenüber Wachheit, um die Sehnsucht nach Geborgenheit und seelischer Heimat zu erfüllen. So gesehen regt das Werk an, neue Fragen und Antworten zu entwickeln und somit den gedanklichen und emotionalen Austausch zu fördern – mehr kann ein Buch nicht leisten.
(mit freundlicher Erlaubnis aus systhema 2008)
Verlagsinformation:
Das Buch geht der Liebes- und Krisendynamik von Beziehungen auf den Grund und beleuchtet die Wechselwirkungen zwischen Liebesmotiven, Handlungsmustem und Lebenseinflüssen. Seine Perspektive setzt an der komplexen Struktur gegenwärtiger Beziehungen an und konzentriert sich auf Veränderungen der Beziehungsdynamik. Damit verschafft es Paar- und Eheberatungen neue Optionen für selbstverantwortliche Konfliktlösungen. Die fünf Phasen der Leidenschaft in langfristigen Beziehungen: Phase Verzauberung - Beginnende Verliebtheit, die multioptionale Lebenswelt schränkt sich auf eine Person ein. Phase Ozeanien - Begegnung der Liebenden in größtmöglicher Intensität, das Alltägliche tritt in den Hintergrund. Phase Einschlüsse und Ausschlüsse - Liebe und Erotik bleiben zwar wichtig, aber das Partnerschaftliche und Alltägliche dominieren. Phase Intime Dialoge - Beziehung in Gewohnheit erstarrt, das freundschaftliche Gespräch spielt eine entscheidende Rolle. Phase Fürsorgliches Finale - die altersbedingte Komplementarität der Partner nimmt zu, ihre Leidenschaft ist weniger erotischer als existentieller Natur. Der Autor beschreibt fünf Entwicklungsphasen in langfristigen Partnerschaften und die Veränderungen, denen Paare zwangsläufig unterliegen. Wir erfahren, welcher Stärken es bedarf, die dabei entstehenden Konflikte, Stagnationen und Krisen in anstehende Lösungsschritte umzuwandeln. Eine differenzierende Paarberatung unterstützt daher das Selbstbewusstsein, Vertrauen und die Verhandlungsbereitschaft der Partner und in besonderem Maße die Geduld mit der Veränderlichkeit der Beziehung und der Andersartigkeit des Anderen. Traditionelle Schnittmuster von Beziehungen wie Ehe und Familie haben in der heutigen Zeit viel von ihrer Kraft eingebüßt. Es fehlt ein allgemeingültiges und bindungssicheres Beziehungsmodell, das Paare stabil durch die Zeit lotst. Wir leben in einer âra der Leidenschaften, intensiv geteilte Erregungszustände erscheinen vielen als einziger Sinn ihres Zusammenseins. Diese emotionale Dominanz macht heutige Liebesbeziehungen ungewiss und störanfällig.
Inhalt:
I. Attribute der Leidenschaft 13
1 Leidenschaft und Bewegung 13
1.1 Einflüsse 20
2 Leidenschaft und Empathie 36
2.1 Der selbstverantwortliche Einzelne 43
2.2 Leidenschaft zwischen Einsamkeit und Zweisamkeit 48
3. Leidenschaft und Radikalität 54
3.1 Eine Landkarte des Paares 57
3.2 Aufgestöberte Leidenschaften: Ein Fallbeispiel 64
4. Leidenschaft und Übergänge 74
4.1 Zur Logik des Übergangsprozesses 81
4.2 Übergänge können missraten 91
4.3 Ein Paar übersteht das Chaos 94
II. Phasen der Leidenschaft 99
5. Phase I: Verzauberung - Singulare Verliebtheit 102
5.1 Fallvignetten zur Phase I 108
5.2 Vorübergehend oder entschieden Single? 110
5.3 Ambivalenzen (1) : Entweder - Oder 115
5.4 Verliebtheit als mentaler Ausnahmezustand 128
6. Phase II: Ozeanien - Dyadische Verliebtheit 133
6.1 Fallvignetten zur Phase II 138
6.2 Kleines Brevier der leidenschaftlichen Anarchie 141
6.3 Kanalisierte Anarchie 146
6.4 Hermetische Sprachen 151
6.5 Intime Identifikationen 157
7. Phase III: Einschlüsse und Ausschlüsse - Das Paradox der Liebespartnerschaft 162
7.1 Fallvignetten zur Phase III 170
7.2 Balanceakte 173
7.3 Leidenschaftliche Berechnungen 176
7.4 Vertrauen und Misstrauen 187
7.5 Sexualität, Sittsamkeit und Treue 194
8. Phase IV: Intime Dialoge - Gewohnheiten und Umbrüche, Freundschaft 198
8.1 Weitere Fallvignetten zur Phase IV 209
8.2 Gewohnheit und Treue 211
8.3 Ambivalenzen (2) 218
9. Phase V: Fürsorgliches Finale - Komplementäre Vertrautheit und dyadische Dämmerung 232
9.1 Fallvignetten zur Phase V 238
Aussicht 245
Einleitung:
Aus Sicht …
Never just theorize, but allow the object »to speak back.«
(Mieke Bals)
Dieses Buch ist ein Plädoyer für die Leidenschaft und damit auch eine Verteidigung der Paarbeziehung. Wie die Liebe ohne die Anwesenheit der Leidenschaft nicht vorstellbar erscheint, so ist das in Liebe verbundene Paar eine moderne Erfolgsformel, das soziale Glücksversprechen, zu dem es vorerst noch keine wirkliche Alternative gibt. Ferdinand Fellmann spricht deshalb vom Paar als der erotischen Rechtfertigung des Menschen (Fellmann 2005), Arnold Retzer von der Sinnstiftung der Liebe (Retzer 2004).
Leidenschaften stehen im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, in Verbindung mit Lebensgemeinschaften, die vom Paar ausgehen, bilden sie aber keine selbstverständliche Kombination. Die Betonung der Leidenschaft ist ein relativ junger Zusatz der Sozialgeschichte. Was in uns heute Sehnsucht und Verlangen auslöst, wird woanders missverstanden, eventuell gar nicht begriffen. Wir verlangen nach Erregung und erregenden Beziehungen, wie es frühere Generationen nicht beansprucht haben und in vielen Gesellschaften auch heute noch wenig Gewicht besitzt (Türcke 2002). Deswegen passiert die leidenschaftliche Liebe nicht mit jeder und mit jedem überall gleich, es gibt Bedingungen, die sie gedeihen und solche, die sie verderben lassen. Leidenschaftliche Erfahrungen hängen von Lebensumständen ab.
Die Etymologie gibt uns Hinweise, dass die ursprüngliche Bedeutung von Leidenschaft begrifflich weiter gefasst war als die heute geläufige. Das mittelhochdeutsche liden hat seine Konnotation von weggehen, erfahren, vergehen und sterben zu verlangen und erleiden gewandelt. Die alte Verwendung zieht äußere Bewegung und innere Bewegtheit als einen ganzheitlichen Prozess der Selbstveränderung zusammen. Das Verb liden war Ausdruck eines Weltverständnisses, welches dem Menschen einst einen bescheidenen Platz inmitten diesseitig und jenseitig wirkender Kräfte zugewiesen hat. Es war ein schmaler Korridor, zwischen kosmischen Mächten eingeklemmt das Leben zu balancieren, ein endloser Passionsweg, der häufig nur um den Einsatz der eigenen Seele gemeistert werden konnte. Ich gebrauche die Metapher Leidenschaft durchgängig sowohl nach dem alten als auch dem modernen Verständnis, meine sowohl den Übergangsprozess als auch die (be)drängende Emotionalität.
Dieses Buch widmet sich vor allem der Leidenschaft aus der Sicht der Paarbeziehung. Im Mittelpunkt steht daher die leidenschaftliche Liebe zwischen zwei gegengeschlechtlichen oder gleichgeschlechtlichen Partnern in einer exklusiven Form. Ein Paar verändert im Laufe der Jahre seine Ästhetik, das heißt seine Kommunikationsformen und seine Erlebensweisen. Aufgrund der gegenwärtigen sozialen Freiheiten sind wir aber kaum in der Lage, zu prognostizieren, wie weit ein Paar gemeinsam gehen wird. Es mangelt an machtvollen Konventionen, wie es noch bis vor kurzem die Ehe und die Familie waren, um sichere Voraussagen machen zu können. Der Geltungsbereich einer Beziehungsform ist momentan begrenzt und ihre Halt gebende Sicherheit gering.
Es fehlen verbindliche Schnittmuster, die einwandfrei durch das Liebesleben führen und festlegen, welche Wandlungen für ein Paar vorgesehen sind, was eine gute/richtige, was eine schlechte/falsche Beziehung ist. Permanent fügen sich neue Lesarten der Leidenschaft und des Paares ein, kommen neue Beziehungsästhetiken hinzu. Wer der Paarkultur durch sein Handeln ein endgültiges Gesicht geben möchte, schreibt nur die Geschichte ihrer Spielweisen fort. So gebärt die Praxis der Liebe ständig neue Variationen des Gelingens und Scheiterns. Leidenschaften lassen sich weder völlig ignorieren noch beherrschen. Sie sperren sich erfolgreich einer letzten Umarmung. Darum erfinden wir das scheinbar Ewige durch unser Handeln immer wieder neu. Wer von der Liebe berichtet, spricht also nur über einen schmalen Erfahrungsausschnitt, seine eigene Leidenschaft und seine eigene Geschichte.
Es ist mein vordringliches Anliegen, Wandlungsprozesse der Paarbeziehung darzustellen. Da Entwicklungen aber nicht in einem neutralen Vakuum stattfinden, ist es unumgänglich, das Buch mit einigen zeitdiagnostischen Hinweisen auf die Begleitumstände leidenschaftlicher Beziehungen zu beginnen. Ich schließe mich damit der Mahnung George Balandiers an, der davon spricht, dass eine Ethnologie, welche die gegenwärtige Situation ihres Untersuchungsgegenstands übersieht, auf die Welt pfeift, in der sie existiert (Balandier 1976). Augenblicklich drängen sich extreme psychosoziale Unterschiede auf engem Raum. Dieser Hintergrund lässt sich berücksichtigen, wenn zwei Blickrichtungen zur Anwendung kommen. Ich veranschauliche und diskutiere deshalb einmal aus Sicht der modernen westlichen Lebenspraxis und -philosophie und zum anderen aus der Richtung traditionaler Gesellschaften, repräsentiert durch die Brille der Kulturanthropologie. Die Dehnung und Verschiedenartigkeit des Bezugsrahmens entspricht den gegensätzlichen Beziehungsmustern, die in modernen Gesellschaften heute aufeinander prallen.
So entwickeln die bestehenden Verhältnisse manche erwärmenden und manche grellen Kontraste und der einzelne Mensch ist angehalten, die Farben seines Soziallebens selbst zu mischen. Aber nicht nur das: Wo das demokratische Grundprinzip der Wahlfreiheit Ernst genommen wird, können Leidenschaften im selben Umfeld auf historisch Überholtes, auf aktuelle soziale Moden und auf ungewohnte, zukünftige Optionen treffen. Das macht die Leidenschaft risikoreich und das Nachdenken über sie nicht einfach.
Es kann bei der Behandlung des Themas nur darum gehen, die Variationsbreite zu durchforsten und sich die Arbeit zu machen, verschiedenartige Beziehungsentwürfe und Umsetzungen wieder holt zu erforschen. Richard Rorty nennt das Vorgehen, bereits beschriebenen Sachverhalten einen zusätzlichen Standpunkt abzuringen, imaginative redescreptions (Rorty 2000). Ich veranschauliche und diskutiere daher mit unterschiedlichen Brillen. Das hat dazu geführt, zwischen dem Ganzen und seinen Details, zwischen allgemeinen Hintergründen und konkreten Geschichten hin und her zu wechseln. Die einzelnen Kapitel sind so aufgebaut, dass sich thematische Haupt- und Nebenstränge verfolgen lassen und es dem Leser überlassen bleibt, auf der breiten Hauptader zu reisen oder, je nach Interesse, auch die inhaltlichen Abzweigungen zu nehmen. Auf diese Weise rege ich an, über veränderliche und unveränderliche Eigenschaften der Leidenschaft nachzudenken. Das setzt das Verständnis voraus, Liebesbeziehungen als Subsysteme einer mehrfach gestalteten Umwelt zu reflektieren und die Spielarten der Leidenschaft als Teile eines Kaleidoskops der Lebenskunst (Schmid 1998).
Collagen sind bekanntlich zusammengesetzt und brüchig. Je nach angespieltem Thema laufen Aussagen gegeneinander, kommt es zu Wiederholungen und manche Passagen widersprechen sich sogar. Trotz der Redundanzen und des fragmentarischen Charakters der einzelnen Kapitel hoffe ich, sinnvolle Betonungen zu setzen, die zum Verständnis der Leidenschaft beitragen. Ich möchte betonen, dass mein Blick auf menschliche Tiefen und Untiefen nicht, wie es von einem Psychotherapeuten vielleicht erwartet wird, auf Pathologien gerichtet ist. Mein Interesse gilt nicht den beschädigten Opfern und hässlichen Tätern, sondern wendet sich Abenteuern zu, die von Zweien kreiert werden. Die Exkurse bevölkern daher Menschen wie Du und Ich, die auf ihre Art am Leben arbeiten, von Sehnsüchten erfüllt, lebenskundig und phantasievoll, in einigem dumm, faul und unverlässlich. Vielen ist ein Happy End vergönnt, viele erleben Glückliches und Schlimmes, viele gehen schlampig mit ihren Möglichkeiten um und viele wissen es nicht besser. Das Meiste, was Menschen an Erlebnissen im Kontext der Paarberatung kommunizieren, auch mancher furiose Vergriff, erscheint mir tolerabel. Meine Akzeptanzversuche geraten regelmäßig da ins Schlingern, wo selbstgerechte Teilnahmslosigkeit herrscht.
Der Text präsentiert viele Sachverhalte nebeneinander und verschlungen und ist deshalb assoziativ und nur passagenweise geordnet. Ich bin auf eine sprunghafte Form ausgewichen, weil dem Thema Trennschärfe nicht bekommt, habe anschauliche Bilder und Geschichten eingerückt, wo es notwendig erschien und hoffe, dass dies über inhaltliche Unzulänglichkeiten hinweghilft. Auf diese Weise konnte ich mit und gegen den Strom sachlicher Strenge schwimmen. Deshalb noch ein kurzer Hinweis zu Sprache und Aufbau des Textes. Marcel Proust hat einmal darauf hingewiesen, dass Literatur nicht Erleben ersetzen kann, aber aus Erfahrungen in kondensierter Form gespeist wird. Literatur pointiert, wenn sie lebendig bleiben will, und konstruiert dadurch, welche Bilder sie für die Dinge des Lebens findet, einen Mangel des Ungesagten und Unerfahrenen. Dieses Paradox der Konzentration versuche ich nicht zu überwinden. Zwischen den Zeilen soll aber immer vorrangig bleiben: Auch die schwerfällige Schildkröte wird von der Gewalt der Liebe hingerafft, wie Remy de Gourmont in seiner Physik der Liebe schreibt (de Gourmont 1990).
Über den Autor:
Detlef Klöckner, Dipl.-Psych., arbeitet als freier Supervisor und als Psychotherapeut in der Psychotherapeutischen Ambulanz des Gestalt-Instituts Frankfurt/ M. und leitet dort Fortbildungsseminare. Er ist maßgeblicher Redakteur der Gestalt- Zeitung und Redaktionsmitglied der Zeitschrift GESTALTTHERAPIE (Fachorgan der Deutschen Vereinigung für Gestalttherapie).
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