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02.08.2008
Hans Schindler & Arist von Schlippe (Hrsg.): Anwendungsfelder systemischer Praxis. Ein Handbuch
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verlag modernes lernen, Dortmund 2005
352 S., fester Einband
Preis: 24,60 €
ISBN-10: 3938187212
ISBN-13: 978-3938187210 |
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verlag modernes lernen
Thomas Lindner, Rösrath:
Dieses Buch hat in dieser Zeitschrift eine besondere Ankündigung verdient!
Ein verdienter „alter Weinheimer“ (Haja Molter) ist 60 geworden, und zwei
verdiente „alte Weinheimer„ haben Kolleginnen und Kollegen aus diesem
fruchtbaren Umfeld (die Nicht-Weinheimer unter den Autoren mögen verzeihen!)
gewonnen, einmal über ihre Tätigkeitsbereiche unter systemischen
Gesichtspunkten zu reflektieren. Da begegnen uns alte Bekannte, die ihr
Leitthema, mit neuen Ideen anreichert, variieren. Arist von Schlippe wandert in seinen persönlich gefärbten Eingangsüberlegungen in Spannungsfeldern
Systemischer Praxis zwischen Handwerk, Kunst, Wissenschaft und Profession.
Wolfgang Loth schreibt klug und mit Sprachwitz über das Klären von Aufträgen und überrascht mit der Erkenntnis, dass man auch als systemischer Therapeut einmal ohne genaues Ziel losziehen darf. Jürgen Hargens lässt uns teilhaben an seiner Lust am systemischen Spiel mit unterschiedlichen Perspektiven und schlägt die (für mich) neue Spielregel vor, in etwa jeder siebten Frage beim Klienten nachzuforschen, ob man noch auf dem richtigen Weg miteinander ist.
Die beindruckend wertschätzende Arbeit mit süchtig trinkenden Menschen wird
mit einem ausführlichen Transkript eines Erstgesprächs sehr anschaulich von
Rudolf Klein beschrieben. Hans Schindler schildert praxisnah und mit
Prozessbeispielen die systemische Einzeltherapie als eine immer einmalige
Konstruktion von Wirklichkeiten. Michael Grabbe trägt aus seiner langen
Erfahrung im psychiatrischen und Jugendhilfe-Bereich originelle Ideen zur
Kooperation mit Kindern im therapeutischen und beraterischen Kontext bei.
Kurt Ludewig steuert eine ebenfalls (überraschend?) praxisnahe Beschreibung
der stationären Behandlung magersüchtiger Jugendlicher an der
Universitätsklinik Münster bei (die allerdings schon in Psychotherapie im
Dialog veröffentlicht wurde).
Die Mehrzahl der umrissenen Anwendungsfelder findet sich im
klinisch-therapeutischen Bereich. Dazu gehören noch die ambulante Kinder-
und Jugendlichentherapie, die systemische Paartherapie und die Arbeit in und mit (Eltern-)Gruppen. Aber auch angrenzende und nicht-therapeutische
Bereiche werden kompetent abgehandelt. Lesenswert fand ich die
differenzierte und persönliche Wegbeschreibung einer begeisterten
(Familien-)Aufstellerin (Ruth Sander) und die Überlegungen zu einem
systemischen Leitungsverständnis (Wedekind/Georgi).
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen – nach diesem Motto birgt das
auch handwerklich gut gestaltete Handbuch (mit Lesebändchen!) eine Fülle gut durchgearbeiteter Kostbarkeiten. Dank an die Herausgeber und Empfehlung an systemisch geneigte Leser(innen)!
(mit freundlicher Erlaubnis aus systhema 2006)
Eine Leseprobe aus dem Beitrag von Arist von Schlippe (PDF)
Verlagsinformation:
Systemische Praxis hat sich in den letzten Jahren zunehmend in den verschiedensten Anwendungsfeldern etabliert. Hier ist im Laufe der Zeit ein großer Fundus an Praxiswissen entstanden. Dieser geht über das in Lehrbüchern zu vermittelnde wissenschaftlich gesicherte Wissen weit hinaus, wenngleich er sich natürlich auch darauf beruft.
Doch das Fundament professioneller Praxis ist breiter und bewegt sich zwischen Handwerk, Kunst, Profession, Wissenschaft und der Möglichkeit, spielerisch das eigene Können einzusetzen und in den unterschiedlichsten Kontexten die eigene Beweglichkeit zu wahren.
In diesem Band ist dieses Wissen zusammengeführt. Deutlich wird die Vielfalt der Möglichkeiten, in Anwendungsfeldern kreativ systemisch tätig zu sein und so entsteht ein Kaleidoskop mit vielfältigen Anregungen. Die Autoren waren dabei herausgefordert, ihre Tätigkeit mutig zu beschreiben und zu reflektieren – und die Leserinnen und Leser werden herausgefordert, dies auch mit der eigenen Praxis zu tun.
Systemische Praxis ist schwerpunktmäßig im Bereich Familientherapie entstanden, war aber von Anbeginn nicht auf den klinischen Bereich eingeschränkt. So sind in diesem Buch neben den Bereichen systemische Familien-, Paar-, Gruppen- und Einzeltherapie, auch Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung vertreten.
Inhalt:
Schlippe, Arist von: Zwischen Handwerk, Kunst, Wissenschaft und Profession - Spannungsfelder systemischer Praxis. S. 9-24
Loth, Wolfgang: "Einiges könnte ganz schön anders sein" - Systemische Grundlagen für das Klären von Aufträgen. S. 25-54
Hargens, Jürgen: Das systemische Spiel mit unterschiedlichen Perspektiven. S. 55-70
Klein, Rudolf: Vom Finden des Suchens - die Problem-Lösungs-Balance in der Arbeit mit süchtig trinkenden Menschen. S. 71-90
Schindler, Hans: Systemische Einzeltherapie - eine immer einmalige Konstruktion von Wirklichkeiten. S. 91-116
Grabbe, Michael: Kooperation mit Kindern im therapeutischen und beraterischen Kontext. S. 117-142
Jegodtka, Renate, & Luitjens, Peter: Ambulante Systemische Kinder- und Jugendlichentherapie. S. 143-164
Ludewig, Kurt: Plan schlägt Geist. Stationäre Behandlung magersüchtiger Jugendlicher - ein systemisches Konzept. S. 165-184
Otto, Wiebke: Wenn die Liebe hinfällt - systemische Paartherapie. S. 185-204
Hennecke, Cornelia: … man könnte es systemisch nennen! - Systemisches Arbeiten mit und in Gruppen. S. 205-216
Tsirigotis, Cornelia: Eigentlich sind wir immer unterwegs - systemische Gruppenarbeit mit Eltern hörgeschädigter Kinder aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten. S. 217-234
Molter, Haja: Das Gehen ist der Weg. Perspektiven über Selbsterfahrung in der systemischen Ausbildung. S. 235-244
Sander, Ruth: Stell dich nicht an - stell auf!. S. 245-264
Wedekind, Erhard, & Georgi, Hans: Orientierende Rahmung - Überlegung zu einem systemischen Leitungsverständnis. S. 265-284
Kersting, Heinz J.: Systemische Organisationsentwicklung als paradoxes Geschäft. S. 285-296
Steinhübel, Andreas: Systemisches Coaching. S. 297-330
Pelzer, Kurt: Systemische Politikberatung? S. 331-344
Vorwort von Jürgen Kriz:
Auf die Frage: "Gibt es eigentlich eine gut fundierte systemische Praxis?" lässt sich spätestens nach diesem Band von Hans Schindler und Arist v. Schlippe guten Gewissens antworten: "Nein, viele!". Jedenfalls könnte man dieses Bonmot (in Anlehnung an das Zitat im Beitrag von Cornelia Hennecke) als markantes Kurzprogramm für das Unterfangen der beiden Herausgeber verstehen, ein sehr breites Spektrum aktueller systemischer Praxis im deutschsprachigen Raum zu präsentieren. Üblicherweise findet man dieses Spektrum konkreten systemischen Arbeitens – vom Bereich der Einzeltherapie über Paare und Gruppen bis zu Supervision, Organisationsentwicklung und letztlich sogar Politikberatung – nur über recht viele unterschiedliche Publikationssektoren verstreut.
Dass in diesem Band zudem auch die systemische Arbeit mit Kindern- und Jugendlichen einen angemessenen Raum erhält (entgegen der Tendenz, therapeutische Ansätze immer mehr zu zerlegen und auseinanderzudividieren) und auch das heikle Thema der "Aufstellungsarbeit" nicht umgangen sondern mutig und sachgerecht behandelt wird, finde ich besonders erfreulich.
Insgesamt zeigt der systemische Ansatz, dass er das Entwicklungsprinzip in Form von Zirkularitäten ernst nimmt: Vor gut einem halben Jahrhundert war systemisches Arbeiten – fast ausschließlich als "Therapie mit Familien" – zunächst als eine reine Praxeologie entstanden. Erst mit erheblicher Zeitverzögerung wurden dann vom MRI, von Mailänder Team, den Heidelbergern und anderen Gruppen und Einzelforschern entsprechende theoretische Untermauerungen nachgeliefert bzw. wenige bestehende und sich rasch neu entwickelnde systemische Konzepte in die systemtherapeutische Diskussion integriert. Hilfreich war unter dieser Perspektive sicherlich auch, dass ab den 60er Jahren mit der Chaos-Forschung eine Wiederentdeckung von Prinzipien begann, die bald in einen umfassenden interdisziplinären Diskurs mündete. Unter dem Stichwort (naturwissenschaftlich fundierter) "Systemtheorie" beteiligen sich inzwischen tausende von Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Disziplinen (vorwiegend allerdings: Naturwissenschaften) an der Erforschung und dem Verständnis von Phänomenen, die auch für die systemische Therapie von Bedeutung sind: Selbstorganisierte Herausbildung von Ordnungen (Emergenz), bzw. Übergänge von einem Ordnungszustand in einen anderen (Phasenübergang), neue Verständnisse von Konzepten wie "Intervention", "Kausalität", "Autonomie" etc. Auch die "Autopoiese" Konzeption – eine eher geisteswissenschaftlich orientierte Version des Selbstorganisationsprinzips – von Maturana & Varela einerseits und Luhmann andererseits war für die Entwicklung systemischer Psychotherapie bedeutsam. Allerdings ist diese Konzeption bislang noch zu wenig um Anschlussfähigkeit an die interdisziplinären Diskurse bemüht und pflegt stattdessen zu sehr kognitive Abgeschlossenheit. Wichtiger waren da philosophisch bestimmte Strömungen wie die Konstruktivismusdebatte oder die Wiederentdeckung der Bedeutung von Narrationen und Sinnorientierungen. Insgesamt fanden und finden in diesem Gesamtkontext bedeutsame Weiterentwicklungen in der theoretischen Konzeption systemischer Therapie und Beratung (einschließlich Coaching) statt.
Das vorliegende Buch belegt nun, wie sich rückwirkend auch die systemische Praxis weiterentwickelt hat und sich dabei viele Anwendungsfelder erschließen konnte. Der zirkuläre "Umweg" über eine fortgeschrittene Theorieentwicklung zeigt sich daran, dass in den Beiträgen nicht einfach "Interventions-Beispiele", Transkripte oder Handlungsprinzipien vorgestellt werden, sondern dass eine bemerkenswerte Reflexion dieser Praxis stattfindet, die kritisch auf die ihr zugrunde liegenden theoretischen Diskurse Bezug zu nehmen vermag.
Gemäß dem systemischen Kernprinzip, die Denk- und Handlungsoptionen der Beteiligten zu fördern, wird dieser Band sicher dazu beitragen, die Optionen für aktive Teilnahme an unterschiedlichen Praxisfeldern - und innerhalb dieser: die Optionen für unterschiedliche Arbeitsweisen und die Kreativität in der Mitgestaltung erweiterter Handlungsräume - zu erhöhen. Ich wünsche diesem Buch von Hans Schindler und Arist v. Schlippe den Erfolg und die Beachtung, die es als anregende Orientierung in der Vielfalt systemischer Praxisfelder verdient.
Osnabrück, September 2005 Jürgen Kriz
Über die Herausgeber:
Hans Schindler, Bremer Institut für systemische Therapie und Supervision Bremen
Arist von Schlippe, Prof. Dr., Universität Witten Herdecke, Familientherapie Weinheim/A&E
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