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Bateson, Gregory
Geist und Natur. Eine notwendige Einheit
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stw 691
Suhrkamp Verlag 2002
Kartoniert, 284 S.
ISBN: 3-518-28291-3
Preis: 12,00 € |
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Wolfram Lutterer, Luzern:
Von Batesons Büchern ist das 1979 veröffentlichte Geist und Natur das letzte, das er vollendet hat. Bateson starb im Jahre 1980. Ein weiteres Buch, Wo Engel zögern,
ist unvollendet geblieben. Dessen Fragmente sind erst Jahre später,
1987, von Batesons Tochter Mary Catherine Bateson zusammengestellt,
kommentiert, ergänzt und veröffentlicht worden.
Dieser späte Bateson, als Autor von Geist und Natur, wie auch von Wo Engel zögern,
unterscheidet sich von seinen früheren Veröffentlichungsgewohnheiten
vor allem darin, dass er damit beginnt, Bücher zu schreiben, nachdem er
jahrzehntelang fast nur Aufsätze publizierte. Denn angesichts einer
Veröffentlichungsdauer von rund fünf Jahrzehnten war seine
Bücherproduktion relativ bescheiden. Im Jahr 1936 veröffentlicht er das
ethnologische Buch Naven. Im Jahr 1951 schrieb er zusammen mit Jürgen Ruesch Kommunikation, jenes Buch, dessen Inhalte so viele über Paul Watzlawicks
Veröffentlichungen zu kennen glauben, und erst 1972 die berühmte Ökologie des Geistes als Sammlung von thematisch geordneten Aufsätzen aus 35 Jahren Veröffentlichungstätigkeit.
Geist und Natur stellt eine
Integration und Weiterentwicklung von Batesons Theorie dar. Seinen
Anfang findet es hierbei in der Reflektion von alltäglichen
Vorstellungen. Bateson listet eine ganze Reihe von fundamentalen
erkenntnistheoretischen und -praktischen Grundannahmen auf, die
gewöhnlich teils unausgesprochen, teils unverstanden bleiben; so wie
etwa der Hinweis, dass bloße Quantität keine Muster determinieren könne
(Geist und Natur, S. 71). Eine
weitere, darauf aufbauende Liste thematisiert den Mehrwert, den die
Kombination von verschiedenen Beschreibungsweisen generieren kann.
Prominentes Beispiel hierfür ist das binokulare Sehen:
Erst durch das Sehen mit zwei Augen wird uns eine neue Qualität
eröffnet, nämlich die Tiefenwahrnehmung, das dreidimensionale Sehen.
Beispiele dieser Art nutzt Bateson, um den für ihn wichtigen Punkt zu
veranschaulichen, dass zwei Beschreibungen nicht bloß mehr, sondern vor allem besser
sind als nur eine. Damit distanzierte er sich zugleich auch von der
üblichen Wissenschaftspraxis, wo für gewöhnlich der jeweils eigenen
Perspektive eine besondere und von konkurrierenden Theorien nicht
erreichte Relevanz behauptet wird. Vielleicht ist diese Sichtweise
Batesons auch Grund dafür, dass er trotz seines hohen Einflusses auf
andere Theorien keine eigene wissenschaftliche Schule von
„Batesonianern“ hinterlassen hat.
Das zentrale Anliegen von Geist und Natur beinhaltet mehr noch als in der Ökologie des Geistes
den Entwurf einer kybernetischen Erkenntnistheorie, einer
Erkenntnistheorie als eine „unteilbare integrierte Meta-Wissenschaft“
(S. 111 f.), die Erkennen, Denken und
Handeln als etwas Zusammengehörendes zu beschreiben versucht. Die
Argumentation hierzu führt zu zwei wesentlichen Einsichten: Zum ersten
zu einer Theorie des Geistes,
worin „geistige“ Phänomene als informationsverarbeitende Prozesse
verstanden werden. Dies hat dann u.a zur Folge, dass auch der
individuelle „Geist“ über die eigenen Körpergrenzen hinausreicht, indem
er auch die Interaktionen mit seiner Umwelt beinhaltet. Denn, so wie
bereits in der Ökologie des Geistes
formuliert: Das System aus Mensch, Computer und Umgebung ein geistiges
in dem Sinne, als dass es sich auf Versuch und Irrtum einlässt; ebenso
wie das System aus dem Holzfäller, seiner Axt und der gehauenen Kerbe
in einem Baum.
Diese Erkenntnis benutzt Bateson für einen zweite These, die ebenfalls an Gedanken anknüpft, die bereits in der Ökologie des Geistes entwickelt wurden: die Betonung von Mustern, von Interaktionen, von Qualität anstelle von Quantität. Es sind die Muster, die verbinden,
die er dabei herauszuarbeiten versucht: analoge bzw. verbindende
Strukturen innerhalb der organischen Welt der Natur ebenso wie das
Verbindende innerhalb der Welt des individuellen wie auch
überindividuellen Welt des Geistes. Also: Geist und Natur als eine programmatische Schrift für das Bestreben nach einer integrierenden, systemischen Sichtweise.
Was mag nun aber heute noch die besondere Bedeutung von Geist und Natur
sein? Schließlich spiegelt das Buch den Erkenntnisstand der 1970er
Jahre wider. Was mag es uns also heute noch sagen im Zeichen der vielen
neueren Entwicklungen und Erkenntnisse im Bereich der Biologie und dort
vor allem der Soziobiologie bzw. der Evolutionspsychologie; was mag es
sagen im Hinblick auf Systemtheorie, Autopoiesis, Beobachtung zweiter
Ordnung und was da noch so derzeit im soziologischen Bereich diskutiert
wird? Vermutlich vor allem eines, nämlich dass sowohl biologische, als
auch soziale und geistige Phänomene komplexer und vor allem auch anders
sind als häufig aufgrund theoretischer Vorannahmen behauptet. Eine
Rezension ist nun sicherlich nicht der richtige Platz, um in eine
fachliche Diskussion einzusteigen, daher beschränke ich mich hier auf
einige Anmerkungen. Warum Soziobiologie? Bateson erwähnt diese nicht
nur in Geist und Natur – wenn
auch nur in einer Fußnote (S. 166) – sondern die Soziobiologie (vor
allem Wilsonscher Prägung) versucht auch ein sehr ähnliches Unterfangen
wie Bateson, nämlich eine Einheit von Geist und Natur herzustellen.
Allerdings beschränkt sie sich dann darauf, Geist (d.h. dort:
Sozialverhalten) auf Natur (d.h. die Gene) zu reduzieren und begreift
schließlich alle sozialen und geistigen Phänomene dann bloß an einer
langen Leine der Gene hängend. Eine Batesonsche Perspektive macht hier
verschiedenes klarer: Zum einen dass Natur zwar Grenzen setzt, aber:
wenn sie direkte Bedingungen
setzte, würde sie den evolutiven Prozess verunmöglichen. Man kann nicht
beides haben: Die menschliche Fähigkeit zu Lernen, welche die soziale und kulturelle Evolution erst ermöglicht hat und zugleich auch eine rigide genetische Zwangsjacke. Bateson diskutiert in Geist und Natur
daher ausführlich auch evolutionsbiologische Probleme, diese sind u.a.
Thema des sechsten Kapitels, „Die großen stochastischen Prozesse“.
Ähnliches gilt übrigens meines Erachtens auch für die Systemtheorie
Luhmannscher Prägung, die deutlich (wenn auch nicht immer auf den
ersten Blick ersichtlich) durch Batesonsche Ideen beeinflusst wurde.
Das systemtheoretische Bestreben nach Klarheit, Stringenz und
wissenschaftlicher Abgrenzung von Beschreibungsdomänen führte nämlich
zu blinden Flecken ganz eigener Art, die dann auch noch durch den
eigenwilligen Umgang Luhmanns mit seinen Ideenlieferanten verstärkt
wurden. So führte etwa die Luhmannsche Interpretation der Autopoiesis
zusammen mit seiner Annahme einer nur strukturellen Koppelung von
Systemen zu einem deutlichen Verkennen des informatorischen Fließ- und
Interaktionscharakters sozialer und geistiger Systeme; eine
Problematik, die auch noch dadurch verstärkt wurde, dass Luhmann im
wesentlichen seine Theorie sogar akausal konstruierte – und eben
umgekehrt Kausalität offensichtlich nur noch als Konstuktion verstand.
Hier fällt er leider deutlich hinter kybernetische Einsichten Batesons
hinsichtlich kausaler Kreisläufe zurück und formuliert als akausale Theorie letztlich auch eher eine Philosophie als eine Soziologie.
Ich möchte allerdings umgekehrt auch nicht den Eindruck erwecken, man
müsse bloß Bateson lesen und hätte dann alles verstanden. Auch Geist und Natur
hat seine deutlichen Grenzen und dies an verschiedener Stelle. So hat
dem Buch sicherlich nicht gut getan, dass es zumindest teilweise in
ziemlicher Hast geschrieben wurde: Inmitten seiner Niederschrift
erkrankte Bateson inoperabel an Lungenkrebs, der sich dann jedoch
offensichtlich spontan wieder zurückbildete. Und so gibt es zumindest
kleinere Ungereimtheiten, so etwa bei Batesons Auflistung von sechs Kriterien für „Geist“, deren vielleicht mögliche Reduzierbarkeit er anspricht, um gleich danach von bloß noch fünf
Kriterien zu sprechen (vgl. S. 260 f.). Des weiteren verbleiben
verschiedene theorierelevante Bereiche unausgelotet. So ist es Bateson
nicht mehr gelungen, seine Analyse des „Mythos Macht“, die er in Ökologie des Geistes begann und am Ende von Geist und Natur
wieder aufgreift, auch tatsächlich zu einem befriedigendem Ende zu
bringen. Ähnliches gilt auch für seine Analyse von Bewusstsein, die
zwar immerhin noch in den Manuskripten zu Wo Engel zögern wiederaufgegriffen wird, dort jedoch unabgeschlossen – und dann auch unveröffentlicht – bleibt.
Anders hingegen verhält es sich mit einer weiteren Diskussion, die in Geist und Natur eröffnet wird. Die Erörterung eines nichtreligiösen Begriffs eines Heiligen bzw. des Sakraments wird in Wo Engel zögern
noch ein wichtiges Stück fortgeschrieben, eingebunden in den
Gesamtzusammenhang von Batesons Analysen zu pathogener Kommunikation. Geist und Natur
aber bleibt noch kurz vor dieser Frage stehen, auch wenn diese in einem
abschliessenden Metalog bereits deutlich anklingt. Und schließlich: Es
gibt Gedanken in Geist und Natur, die sich zumindest meinem Verständnis nicht so ganz erschliessen. Dies gilt insbesondere für die Skizze von Form und Prozeß, die im siebten Kapitel erfolgt.
Bleibt abschließend folgendes: Auch heute noch, inmitten des
sogenannten Informationszeitalters und dem Wiederaufleben
verschiedenartiger reduktionistischer Theorien und Ideologien bleibt
die Lektüre Batesons befreiend. Man mag zu seinen einzelnen Gedanken
stehen, wie man will, er eröffnet zumindest neue Horizonte und er tut
dies in redlicher und selbstkritischer Art. Sein Denken steht dabei für
die Überwindung allzu enger System- und Perspektivgrenzen und damit
zumindest für die Anfänge eines theoretischen Instrumentariums für eine
systemische Theorie von etwas, das man vielleicht mit der Wendung
einer „Naturgeschichte des belebten Geistes“ umreissen könnte. Bateson
steht damit aber für ein weiterhin unabgeschlossenes und vielleicht
auch unabschließbares Projekt. Man findet bei ihm viele wichtige
Gedanken und Einsichten, aber keine in sich geschlossene große Theorie.
Aber dies hätte er sicherlich auch gar nicht gewollt.
Wolfram Lutterer hat zwei Bücher über Gregory Bateson geschrieben. Eine
Einführung in sein Werk ist im Carl-Auer-Verlag erschienen unter dem
Titel "Gregory Bateson. Eine Einführung in sein Denken". Ein weiteres
Buch ist (als book on demand) unter dem Titel "Gregory Bateson. Auf den
Spuren ökologischen Bewußtseins" erhältlich. Die Einleitung ist online zu lesen, ebenso eine anschauliche Biografie von Gregory Bateson.
Desweiteren existiert ein Gregory-Bateson-Archiv, das sich in erster Linie an Bateson-Forscher richtet.
Eine Seite mit Originaltexten und Interviews von Bateson, unter anderem
dem Bericht über seine letzten Lebenstage von seiner Tochter Mary
Catherine Bateson ist hier zu finden, deren ihren Eltern Gregory Bateson und Margaret Mead gewidmetes Institute for Intercultural Studies eine eigene Website hat. Die deutsche Übersetzung des genannten Beitrages ist übrigens unter dem Titel "Sechs Tage Sterben" in Heft 3/2000 der Zeitschrift systhema erschienen (PDF).
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