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Veranstaltungsbericht zur Berichtsübersicht
28.12.2005
Von der Verwirrung zur Verwunderung. Inszenierungen als Orte der Wandlung in Psychotherapie, Theater und Beratung. Gmunden 17.-19.11.2005
Gerda Mehta, Wien:  Reflexionen meiner Wandlungen durch Teilnahme am Kongress

Die vom 17.-19.11.05 in Gmunden inszenierte Tagung trug über die Verwunderung zu einer Art von (Auf)Lösung von etwas mich lange Beschäftigendem bei.
Einige meiner Vorannahmen über Aufstellungsphilosophien sind: In der Tradition der ÖAS stehend war und bin ich Skeptikerin, dass Ordnungen, Muster, Logiken etwas allgemeines, vielem zugrundeliegendes sein sollten und (psychotherapeutisch relevante) Veränderung durch Finden der Ordnungsprinzipien und Ordnungserzeugung zu bewerkstelligen sei. Ich sah nicht nur Inhalte der Ordnungen (wie: Mann kommt vor der Frau) problematisch, sondern auch die Prädisposition von Ordnungsprinzipien an sich einengend, mitunter zu einengend und theoretisch für mich nicht akzeptabel.
Mir entspricht mehr die spielerische, prinzipielle Offenheit, die Heinz von Foerstersche Neigung, fortwährend Möglichkeiten zu vermehren. Meinem Verständnis nach sind Probleme eher Widerspenstiges, Widerstand, Protest. Sie ragen dadurch vom Strom des Alltags, Lebens und Werdens heraus. Das Problematische drängt dazu, dass es beachtet wird und man/frau tut besser daran, es in seiner Wichtigkeit ernst zu nehmen. Diese Hinweise auf etwas, was nicht paßt, „richtig“ zu erkennen und in der Folge evtl. „richtige“ Weichen zu stellen erlaubt in die Vielfalt, Komplexität und in die Anreicherung des Lebensflusses mit Widersprüchen und Paradoxien wieder zurück zu kommen und zurück zu treten. Es ist dann nicht mehr so ernst, so wichtig, so unannehmbar, wie es das Problem erscheinen ließ; es kann dann auch so oder auch so sein, ohne dass etwas unaushaltbar oder unakzeptabel bleiben muss.
Durch psychotherapeutische Hilfe gilt es wieder ins Fließen und Mitschwimmen im Alltag zu kommen, und die Komplexität wieder akzeptieren und ertragen zu können, mit ihr umzugehen, sie hand zu haben oder zu bewältigen. Deshalb glaube ich: für professionelle Begleitung von suchenden Menschen helfen breite Repertoires von reflektierten Erfahrungen, Methoden, Theorien und eine offene Haltung dem (Un)Möglichen gegenüber. Nicht der Universalschlüssel interessiert mich, sondern die Spezifität und Einmaligkeit der Situation mit der/m KlientIn und deren anhaftenden Systemen und deren Traditionen, in denen sich die/der KlientIn befand, befindet und sie/er sich befinden wollte und in Zukunft befinden möchte. Den Schlüssel für ihr/sein Schloß findet die/der KlientIn vielleicht, vielleicht aber auch einfach einen anderen Eingang oder das Schloß wird nicht mehr so interessant bleiben oder was auch immer. Der Universalschlüssel kann somit seine beschränkte Nützlichkeit erweisen.
Aufstellungen fand ich reduktionistisch wie auch manche Formen von Lösungsorientierung und andere Wundermethoden oder zumindest ihre tradierten Handhabungen. Ich selber hielt es mehr mit künstlerischer Freiheit: jede/r hat die Freiheit eine für sich passende Form zu finden und die Umwelt auch ein wenig mitzugestalten. In der Therapie unterstütze ich Menschen bei ihren Möglichkeiten mit ihren anhaftenden Systemen Geschichte und spezielle Ausformungen zu gestalten und damit zu experimentieren, damit die ihnen entsprechen, seien sie traditionell, banal, künstlerisch, kreativ oder wie auch immer.
In der Psychologie wird die Normalverteilung als Referenz immer wieder herangezogen. Diese präformiert, wenn sie auch oft beschreibend wirkt. Grund-Strukturen und Logiken des Veränderungsprozesses präformieren bei Aufstellungen. Aufstellungen zeigen immer wieder ähnliche Formen, als ob auch dort Grundformen „überall“ darüber oder darunter legbar wären.  Normen gelten für die Masse, für viele. Normverteilungen brauchen viele Zahlen, Versuche, Personen, um Geltung zu haben. Wen interessiert schon die Norm, wenn sie/er „nur“ EIN Individuum ist, der/die Hilfe sucht? Und dennoch: ohne normative Orientierungen auszukommen – wer kann das schon? Ist es bei Aufstellungen ähnlich? Sie sind für so viele Menschen faszinierend und auch bereichernd, aber auch einengend und bringen den Beigeschmack des Zwingens leider bei vielen auch mit. Jeder Inhalt hat die Freiheit eine für sich passende Form zu finden und danach zu streben – dies scheint als Verallgemeinerung nur schwer handhabbar zu sein!
Vor vielen Monaten hörte ich in Gesprächen mit den VeranstalterInnen (FAB Organos, College für systemische Beratung), dass sie immer mehr Interesse am Playbacktheater und an Performance generell haben. Ich wurde auch eingeladen, ein Workshop zu halten und irgendwie paßte ich dort auch hin. Ich wurde Mitinszeniererin. Meine WorkshopteilnehmerInnen bestätigten, dass wir mit unserem „tuttisono“, gemeinsam Spielen und Gestalten, anschlussfähig waren und ich Anschluß an „meine“ Gruppe fand. Es ist uns sogar gelungen, in 3 Stunden viele einzelne Versionen des sozialen Experimentierens, Konstruierens und Erlebens in Beziehung aufeinander und gleichzeitig auch nicht in Bezug zueinander zu schaffen- mit dem Einlassen aufeinander durch das Schaffen von einer „Bühne“, die wir gemeinsam entwickelten und an der alle teilhatten, mehr oder weniger: Den TeilnehmerInnen wichtige Geschichten wurden vorbereitet, ein Skript entworfen und dann dargestellt. In der Reflexion war Platz für das Aussprechen von Unterschiedlichkeit im Erleben, Auffassen, Verstehen, Reagieren: in Worte gefaßter Ausdruck, Abweichung, Widerspruch und Feedback und was sonst noch auf die „Bühne der Reflexionen“ drängte. Durch viele Versionen der Teilnehmenden und Teilhabenden konnte Komplexität und Einfachheit, die eigene Version gleichzeitig mit den Versionen anderer im Raum stattfinden – je nach Belieben konnte dann jede/r nehmen, was er/sie braucht. Unter den TeilnehmerInnen fanden sich versierte AufstellerInnen, TrainerInnen, Neulinge und Interessierte, wie ich erst viel später realisierte.
Wieso paßte ich mit meiner Art zu arbeiten in diese Gemeinschaft? Weil die ganze Tagung in ähnlicher Weise aufgebaut war: Es gab einen roten Faden durch die Konferenz – den Sommernachtstraum. Es wurde vielfältiges, unterschiedliches geboten. Richtig und Falsch gab es nicht. Dafür gab es Anregung, Stimulation, Aufregung und Spannung. Eine Playbacktheatergruppe (ARTischicken, 1. Salzburger Improletariat) und ein hervorragender Pantomime sorgten für Verbindung und Übergänge. Zeichen der Zustimmung und der Ablehnung wurden allgemein eingeführt und damit die Wichtigkeit der individuellen Bewertung konnotiert.
Vorträge trugen zur Einordnung des Erlebens bei. Einiges davon möchte ich kurz skizzieren: Siegfried Essen sprach in seinem Vortrag von der schöpferischen Freiheit, wie auch von dem Gewahrsein der Verbundenheit mit Allem, dem Ganzen. Er sprach von dem freien Ich, das in Zonen des aufgeblasenen, gebundenen Ichs ihre befreite Form realisieren kann. Durch die Bewahrung einer leichten Distanz, auch zu sich selber, ist es leichter seine Rollen zu spielen, ohne ganz an sie zu glauben und an ihnen festzuhalten. Dieser Spielraum zwischen Lebendigkeit und tiefer Hingabe ergibt einen Freiraum, einen Gestaltungsraum. Ingrid Lutz beschrieb die ästhetische Distanzierung als zentralen Begriff, durch den die Person die Fähigkeit hat, beobachtend und teilnehmend zugleich zu sein. Astrid Habiba und Peter Hufenus schilderten, wie die Natur und ihre Nützung und Herangehen an sie nützlich werden kann- am Beispiel des Begegnens mit dem Wald. Elektra Tselikas lieferte die Theorie zum Gestalten auf der Bühne und für individuelles Gestalten - ihr Vortrag hatte den Titel: Wir sind aus dem Stoff, aus dem die Träume sind. Varga von Kibed erläuterte das Sicherheitsnetz, das Veränderungen und Regeln für Aufstellungen geben. Dabei hilft die Beachtung dabei, vom allgemeinen Muster zum Spezifischen zu gehen und umgekehrt. Ein/e gute/r Künstler/Künstlerin kann etwas Verallgemeinerungsfähiges erzeugen, das eigene Geschichten und Phantasien bei auch noch so unterschiedlichen Zuschauern anreichert. So ähnlich können auch Aufstellungen wirken.
Nach dieser Tagung: Ich habe begriffen, dass Ordnung Vielfalt zulässt, ja sogar eine Vorstufe zur Vielfalt ist. Mir wurde plötzlich einsehbar, dass Klarheit und Vielfalt zusammengehören. Den Durchbruch meiner Skepsis und Abwehr brachte ein persönlicher Austausch von wenigen Sätzen mit Mathias Varga von Kibed knapp vor Ende des Kongresses, dem ich vorwerfen wollte, dass Logik wenig mit Psycho-logik zu tun habe.  Er meinte jedoch, dass die Suche nach dem Logischen die Freiheiten erst erscheinen und nützen lässt. Aufregend. Die Beherrschung der Buchstaben z.B. läßt einem so viel Literatur lesen! Dann wollte ich ihn eigentlich noch zur dialektischen Betrachtung führen, aber er war wieder einmal schneller. Die Betonung des anderen, nicht Ausgesprochenen, dem Gespürten und Wirkenden verhilft dem einen auch Gestaltung. Er verwendete andere Wörter, aber bei mir kam das so an oder aus mir kam das so heraus. Intuition und Erleben braucht das andere, das ordnende und logische Gewicht auch, um wirksam zu werden und zu einer Integration, Überwindung des Widerspruchs zu gelangen, um dann wohl wiederum sich neu zu entfalten und entfaltet zu werden. Das ist auch Mathias Varga von Kibed für mich- ein so hervorragender Anwender, Intuition und Analyse in so vielen Nuancen beherrschender Mann, der so einfühlsam ist, aber (nur) über so viel Klarheit und Logik spricht und schreibt.
Mir wurde gewahr: Positionierungen schaffen die Möglichkeit zur Entwicklung und Ausdifferenzierung der Gleichzeitigkeit von vielen Positionierungen. Es braucht vielleicht nur ein paar Begleiterscheinungen- wie das (Aus)Halten Können des Widerspenstigen, des Ärgerlichen, der Abwertung und Abwendung, das Finden von Toleranz, Sein lassen können, das Suchen nach Brücken und Nischen und Sehen des Abgründigen, uvm. Es braucht Achtsamkeit, bestimmte Bühnen und Motive, die nach Ver-Wirk-lichung und einem Ziel drängen. Und damit sind neue Fragen aufgetaucht, die mich weiterhin beschäftigen- nämlich mehr auf Randbedingungen zu schauen.
Der rote Faden durch den Kongress brachte Vielfalt hervor. Besuche im Theater schaffen Möglichkeiten zum Erfassen von persönlichen Dramaturgien. Die Suche nach Vielfalt lässt uns Muster und Wiederholungen finden. Die Erkenntnis des Allgemeinen, des Verstehens von sich selber und von Prozessen, Methoden, Theorien, vom Sozialen und Anderen und Anderem führt immer wieder hin zum Abgrund des doch nicht Wissens und neuen Erkenntnissen und Einsichten. Und: alles ist auf eine so wunderbare Weise ja gar nicht wahr, läßt Janosch die Ente auf einer Ansichtskarte sagen. Vergessen wir nicht, daß wir im Fluß des Werdens und Geworden Seins sind und Erkenntnisse wohl nicht mehr als Ansichtskarteneinsichten, Erkenntnisse im Fluß des Seins sind, nicht für die Ewigkeit gedacht. Selbst Aufstellungen nicht!
Meine Suche nach einer gelebten Dialektik in exkommunistischen Ländern in den letzten 7 Jahren ließ mich dort nur Eindeutigkeit, Klarheit und kaum Spielraum erkennen. Dass aber gerade dadurch Vielfalt zum Leben gebracht wird (allerdings unter bestimmten Begleitumständen), das konnte ich erst mit jedem weiteren Besuch dort ein wenig mehr begreifen. Und dies konnte ich auch auf dem Gmundener Kongreß erleben durch die Vielfalt des Angebots der WorkshopleiterInnen: Schamanen und StrukturaufstellerInnen, Angewandtes Theater und Selbstinszenierungen, Playbacktheater, Körper- und Symptomaufstellungen, Drehbuchstrukturaufstellungen und Imagodrama, Psychodrama und rituelle Körperhaltung in Trance, Choreographien und Reflecting Team, Theater der Unterdrückten und Satzanalysen, Planspiel und Improvisationstheater – sie alle konnten nebeneinander bestehen und Neugierde auslösen, Interesse wecken und zu Nachspüren und Bewertungen führen, ohne Diskurse von besser und schlechter, richtig und falsch, Anordnungen und Zurechtrückungen. Persönliche Stärken, Vorlieben und Möglichkeiten bekamen wie von selbst Platz.
Nicht AbWERTung, sondern Interesse und Spiel, eine spielerische Distanz zu dem Ganzen, aber auch einem selber und generell schienen die Tagung zu tragen. Den VeranstalterInnen ist es offenbar gelungen, „Randbedingungen“ zu schaffen, dass Anregung die Leitlinie war und nicht Aufdrängen von bestimmten Ordnungen. Ich danke den VeranstalterInnen, Teilnehmenden und den AufstellerInnen generell, so hartnäckig drangeblieben zu sein. Sie helfen SystemikerInnen ihrer eigenen Haltungen, ihrer Toleranz von Vielfalt und Koexistenz von anderem und anderen gewahr zu bleiben. Ein spann-ende-s Unterfangen, das nur im Ende Setzen/Ausschließen zum Einfrieren und Einengen und im Apodiktischen endet, das angeblich allem anderen als dem systemischen Gedankengut nahe sein sollte.
PS: Seit kurzem gibt es eine Zeitschrift für psycho-logik, 1. Band zum Thema Praxis und Methode. Positionen. Verlag Karl Alber, Abo 26€, Einzelband 32€)



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