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Veranstaltungsbericht |
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18.07.2008
"Hinter den Spiegeln". Jahrestagung der SG in Berlin, April 2008
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Der Autor Peter Luitjens (links), bereits tief in die Spiegel-Affäre verstrickt |
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Peter Luitjens, Sudweyhe: „Hinter den Spiegeln“: Jubiläumstagung April 2008 in Berlin: 25 Jahre BIF, 15 Jahre SG
Das Tagungsprogramm kam spät und versprach außer der üblichen Abfolge von Plenar- und Kleingruppenveranstaltungen auch Rätselhaftes: "eine Spiegelaffäre in der Bundeshauptstadt", außerdem gab es erstmalig Kleidungsvorschriften: "schwarz/weiße Kleidung zur guten Bewegung im Freien" sowie "eine verspiegelte Sonnenbrille Ihrer Wahl." Die erschienenen Tagungsgäste bewiesen, dass Instruktionen gegenüber erfahrenen Systemikern nicht gelingen können: man sah wie üblich vorwiegend gedeckte Kleidungsfarben und nur wenig Spiegelscheiben in den Sonnenbrillen. - Aber da damit zu rechnen gewesen war, konnte alles gelingen. Die Spiegelaffäre verlief als gut organisierte Kunstaktion gänzlich ohne Beteiligung von BND oder Polizei, obwohl ein riesiger fahrbarer Spiegel völlig unangemeldet im nachmittäglichen Berufsverkehr mitten durch Berlin bugsiert wurde - vorbei an "Ständiger Vertretung" und Bundestag zum Hauptbahnhof. Während die einen im Overall mit Schutzhelm den Spiegel zogen und schoben, sicherten andere mit Security-Leibchen das Ganze effektiv ab. Ein Teil dessen, was der Spiegel einfing, ist im Internet einzusehen - die Berliner reagierten im Wesentlichen unaufgeregt. Während dies von der SG gesponsorte Happening (was einiges kostete, wie man vermutete) als bewegender Unterbrecher außer gemeinsamer körperlicher Aktivität auch reichlich kalte Ohren brachte, kam man beim vom BIF organisierten abschließenden Tagungsfest in einer Kulturkirche eher in Schweiß. Insgesamt ein tolles Rahmenprogramm - und sogar der Prosecco reichte bis zum Schluss! Inhaltlich sorgte die Tagung vor allem für Möglichkeiten zur Reflexion, was ja die Aufgabe von Spiegeln ist. Methodische Workshop-Angebote fehlten nahezu völlig, was zunächst irritierte. Im Rückblick (durch die Spiegel?) jedoch eine bemerkenswerte Tagung, die aktuelle Diskussionen im Systemischen Feld auf das Podium holte, wobei ich im folgenden einige herausgreife. Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer auf der einen Seite sowie Tom Levold und Wolfgang Loth auf der anderen Seite kamen zum Thema "Richtiges Leben im Falschen - Systemische Therapie als Krankenbehandlung?" zusammen und nahmen vor Ort die Diskussion um das von den Ersteren verfasste Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II erneut auf. Während Arist von Schlippe auf den Einwurf, dies Buch gebe mit der Orientierung an Diagnosen und Krankheitsbildern wesentliche systemische Positionen preis, sichtlich betroffen reagierte und den Entstehungszusammenhang erklärend ins Spiel brachte (Ablehnung des ersten Antrags auf Anerkennung der Systemischen Therapie durch den wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie und Entwicklung einer weiteren Argumentationslinie), zeigte sich im Lauf der Diskussion, dass Systemische Therapie einen Raum umfasst, der inzwischen auch von Vordenkern der Systemischen Szene unterschiedlich vermessen wird. Dazu kommen pragmatische oder auch praxisrelevante Momente, wie z.B. Kurt Pelzer anmerkte: "vielleicht braucht man den Krankheitsbegriff - so wie man manchmal für etwas Begriffe braucht." Auf ganz andere Weise zeigte sich das reflektierende Momentum der Tagung im Workshop von Michael Grabbe und Jim Wilson. Nachdem Grabbe über kooperative therapeutische Prozesse mit Jugendlichen berichtet hatte, bot Wilson mit einigen Praxisreflexionen die perfekte Ergänzung, indem er dem "classroom of concepts" den "playground of practice" zur Seite stellte – und damit auf die notwendige Bewegung des Therapeuten vom "sitting" zum "Movement" und vice versa. Ganz grundlegend hatte Harlene Anderson (USA) die Tagungsgäste bereits mit dem von ihr gehaltenen Eingangsreferat "Beziehungen und Gespräche, die einen Unterschied machen" an das Tagungsthema angeführt, in dem sie ihre grundlegende therapeutische Haltung als philosophische kennzeichnete. Sie begreift ihren Ansatz der "Kollaboration" von Klienten und Therapeuten als einen postmodernen, der der Tatsache der Ungewissheit über das was ist Rechnung trägt. Sie betonte entsprechend die Bedeutung der "with-ness" in der Therapie, des Handelns und Redens „mit“ dem Patienten und seinem Umfeld. Am von ihr verwandten Bild des „story-balls“, den die Patientin der Therapeutin zeigt, machte sie deutlich, was Kollaboration für sie heißt: den „story-ball“ nicht aus den Händen der Patientin entgegennehmen und auf der eigenen therapeutischen Landkarte abrollen, sondern ihn in den Händen der Patientin belassen, beschreiben, was ich (!) erkenne in dem mir dargebotenen Ausschnitt – und gegebenenfalls nachfragen, ob die Patientin mir auch das Umfeld eines mir auffallenden Details am Rande des sichtbaren Ausschnitts zeigen mag. An das von ihr gegründete Galveston-Insitut kommen Klienten auch auf gerichtliche Anweisung, so dass es mich nicht verwundert, wenn sie als wichtige Momente für den therapeutischen Dialog benennt: „social justice, human rights and having a voice in things, that are important in/for their lives“. Das Thema der Haltung in der Therapie, hier des angemessenen menschlichen Umgang mit psychiatrischen Patienten beschäftigte auch die Teilnehmer des Podiums "Systemische Psychiatrie in der BRD - Traum oder Wirklichkeit?" aus unterschiedlicher Blickrichtung heraus. Während Ellis Huber das Gesundheitssystem der BRD mit gewohnter Verve sezierte, berührte mich besonders eine kurze Einlassung von Cornelia Österreich, die von ihren eigenen Erfahrungen in Wunstorf berichtete, wo sie (seit über 20 Jahren?) mit ihrer Familie lebt - und gleichzeitig im LKH arbeitet. Im privaten Alltag begegnet sie häufig ehemaligen PatientInnen – und wird auch von diesen erkannt, wobei der private Schutzraum von beiden Seiten respektiert wird. Und gleichzeitig kann sich im Einzelfall durch Zufall enger privater Kontakt ergeben, weil die Familien am selben Ort leben. - Das gibt es also nicht nur in Finnland! - Im übrigen möchte ich unbedingt auf den teilnehmenden Chefarzt der Psychiatrie in Nauen verweisen (Werner Schütze ) Der rege Zuspruch zum Workshop "Systemisch wird Geschichte" überraschte das Referenten-Duo Tom Levold und Wolfgang Loth sichtlich. So konnte deutlich werden, dass die Zeit des Aufbruchs tatsächlich hinter uns liegt - und das nicht nur Gründungsväter und -mütter, sondern auch Kind und Kegel inzwischen im Zusammenhang mit Systemischem durchaus an Geschichtlichem, an historischer Rekonstruktionsarbeit und natürlich auch an Geschichten Interesse haben. Gleichzeitig wurde die Frage aufgeworfen, welche Rolle die Auseinandersetzung mit Geschichte (der „Großen“ wie der „Kleinen“) in der systemischen Therapie und für Systemische Therapeuten spielt. Die Vorstellung, an einem von den Dachverbänden (SG und DGSF) geförderten Projekt "systoria" (oder so ähnlich) mitzuwirken, faszinierte nicht wenige, so dass man von der weiteren Entwicklung dieser Idee sicher hören/lesen wird. Welcher Eindruck bleibt darüber hinaus von dieser Tagung? Wie steht's um die Systemische Therapie in Deutschland? Und um die SG? Das „playback-Theater“ befragte zum Abschluss der Tagung subversiv die anwesenden Protagonisten der Szene mit erstaunlichen Ergebnissen: „Die Vision bei der Gründung, die Besten zu sein – und jetzt das Gefühl, dass andere sich an der SG orientieren.“ - „Ja wir haben Erfolg.“ „Die SG – eine Gesellschaft, die Angst hat ihren Gründungszweck zu erreichen.“ Eine bekannte Lehrtherapeutin: „Das Glücksmoment dazu zu gehören – aber das Geld wird immer weniger – und jetzt freut's einen nimmer.“ Es gab auf diese Weise viel zu hören (und zu sehen) zu Ambivalenzen mit dem Erfolg. Vielleicht ist das das aktuellste statement zum Stand der Dinge – und sagt das etwas aus über mögliche Reaktionen auf das Ergebnis des Antragsverfahrens auf Anerkennung als wissenschaftliches Verfahren?
(mit freundlicher Genehmigung aus systhema 2/2008)
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