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Veranstaltungsbericht zur Berichtsübersicht
26.02.2005
Kurt Ludewig: Ein Mann sollte... im Leben auch einmal eine Tagung organisiert haben, aber: kann man auf nur einem Bein stehen? Ganz persönliche Nachgedanken zur EFTA-Tagung in Berlin im Herbst 2004
Kurt Ludewig Congress President
Kurt Ludewig

(auf Einladung des Herausgebers für ISS’ES, das Mitteilungsblatt des Instituts für systemische Studien ISS Hamburg, in Dezember 2004 verfasst, für systemagazin im Februar 2005 geringfügig verändert)

Der Kongress „creating futures. Systemic Dialogues across Europe“, den beide deutsche Gesellschaften für systemische Therapie und Beratung für die European Family Therapy Association EFTA vom 29. September bis 2. Oktober 2004 in Berlin ausgerichtet haben, fand schon vor einigen Monaten statt. Er war unglaublich erfolgreich, er kostete viel Geld (ca. 800.000 Euro) und unendlich viel Mühen der Vorbereitung, er füllte Monate meiner Existenz vollständig aus, ohne Nebenbuhler(innen) zuzulassen, er erfüllte mich mit enormer Genugtuung, er ließ mich gelegentlich dem traumhaften Glauben verfallen, er sei zu meinem Abschied aus dem klinisch-universitären Leben ausgerichtet worden, er verband mich mit vielen tollen Menschen, die mit uns in dieser oder jener Form kooperiert haben, er trennte mich von anderen, die keine Lust dazu hatten, er ließ sich öffentlich feiern von Zeitungsjournalisten, Berichterstattern und Dankesbriefen, er wurde selten und meistens unangemessen kritisiert, er hinterließ unlöschbare Spuren in meiner Erinnerung und im Gedächtnis mancher anderer, und: er verging mit der magischen, unumgehbaren Kurzlebigkeit einer jeden Festlichkeit, und zwar auf nimmer wieder sehen.

Und über das alles soll ich hier kurz berichten?

Am liebsten würde ich Luigi Boscolos Beispiel folgen, der es aus gutem Grund vorzog, anstelle einer Gedenkrede über Gianfranco Cecchins Leben eine Liste von wertschätzenden Kondolenzen aus aller Welt vorzulesen. Ich könnte also eine Liste von schmeichelnden Zuschriften von Prominenten über den Kongress anschließen und mir so die Verfassung eines Textes ersparen. (Die Liste liegt mir gut vorbereitet vor - ich werde es mir nicht nehmen, zumindest ein Paar davon zum Schluss anfügen.)

Andererseits: wie ist es eigentlich? wer interessiert sich für Berichte über abgestandene Tagungen? Nun gut, wie dem auch sei: ich folge der Aufforderung und erfülle mein Versprechen.

Der Kontext

Im Jahre 2000 fand das letzte Treffen der “alten” EFTA (European Family Therapy Association) in Prag statt. Die Vorstandswahlen 1997 in Barcelona waren in einem Debakel geendet, als nur Südeuropäer gewählt wurden. Dadurch war diese sich europäisch gebärdende Organisation als fast rein mediterrane Angelegenheit entlarvt  (Es änderte daran wenig, dass Fritz Simon nachträglich als “Anstandsmitteleuropäer” in den Vorstand aufgenommen wurde). Eine drohende Spaltung der EFTA in eine nord- und mitteleuropäische Vereinigung und einen südeuropäischen Rest-EFTA galt es, abzuwenden. Man bildete unterschiedlichste Arbeitsgruppen mit dem Ziel, die EFTA zu einer neuen, angemesseneren Binnenstruktur zu verhelfen. Im Herbst 2000 war es dann so weit. Insbesondere die Arbeitsgruppen der NFTO (National Family Therapy Organisations) hatten ihre Hausaufgaben gemacht und einer Neustrukturierung der EFTA stand nichts im Wege. Um sowohl den Interessen der Südeuropäer, die in der Regel nicht national organisiert sind/waren, sondern sich traditionell lieber als Individualmitglieder beteiligen, als auch den Interessen der vielen Weiterbildungsinstitute, die eine supranationale Organisationsform wünschten, als auch den Interessen der gut organisierten, zumeist mittel- und nordeuropäischen nationalen Verbände Rechnung zu tragen, entschied man sich für ein Kammersystem (meines Wissens, ein Vorschlag von Fritz Simon). Drei voneinander weitgehend unabhängige Kammern sollten diese drei Interessenlagen im Rahmen einer gemeinsamen, europäischen Vereinigung vertreten.

In Prag war ich zum zweiten Mal bei einem NFTO-Meeting dabei, und zwar als Vertreter der Systemischen Gesellschaft (SG). Die beiden anderen deutschen Verbände - DAF und DFS - wurden jeweils von Marie-Luise Conen und Gisal Wnuk-Gette vertreten. Beim Treffen kam es dann zu unaufhörlichen Diskussionen, die viel an dem vermissen ließen, was eine gute Organisation ausmacht. Dennoch kam man irgendwie zu Ergebnissen, mitunter auch zur Neuwahl eines Interimsvorstands, der bis zur Etablierung der neuen Struktur bei nächsten Kongress 2001 im Amt bleiben sollte. Während dieser Übergangsphase blieb Deutschland aus verschiedenen Gründen ohne Präsenz im Vorstand. Dies wurde von vielen anderen als Ding der Unmöglichkeit bewertet. Immerhin ist Deutschland das bevölkerungsreichste Land Westeuropas, und die hiesige systemische Szene ist alles andere als unbedeutend. So gesehen, war schon bei dieser Wahl ein erster Stein für die Vergabe des Kongresses 2004 nach Deutschland gelegt worden. Es galt nämlich unter anderem, Deutschland wieder einzubinden. Man wusste eben von den Schwierigkeiten, welche die systemische bzw. Familientherapie in Deutschland zu ertragen hatte, und man fürchtete ein Überschwappen auf andere Länder.

Die Entscheidung

Im Juni 2001 trafen wir nun in Budapest zu einem großen EFTA-Kongress zusammen. Neben den Dingen, weshalb man üblicherweise Kongresse besucht, etwa Neues lernen, Altes auffrischen, Leute treffen, läuft bei solchen von Verbänden ausgerichteten Tagungen die politische Schiene nebenher. Auf dieser Schiene fahren eben die Funktionäre. (Manchmal wünschte ich mir, ich könnte einfach einen Kongress besuchen und Zeit haben, mir die Präsentationen anzuhören.) Aus deutscher Seite waren fast alle anwesend, die in unserem Feld für die unmittelbare Übernahme oder die mittelbare Vermittlung von Entscheidungen zuständig sind. Der Kongress lief ab, die politischen Schienen wurden äußerst intensiv befahren. Bei den Neuwahlen der drei Kammervorstände, die nun für drei Jahre im Amt sein würden, kam es zu unerwarteten Wendungen. Der Vater der EFTA, der marokkanisch-belgische Arzt Mony Elkaïm, kandidierte zur Verwunderung vieler nicht für die Präsidentschaft. Er hatte immerhin die EFTA gegründet und seitdem die Position des Vorsitzenden bekleidet. Nun erschien ihm aber sinnvoll und opportun, einen anderen, bisher nicht im Geklirre interner Streitigkeiten verbrauchten Vorsitzenden zu finden. An Stelle Elkaïms wurde also ein anderer, der spanische Psychiater Juan Luis Linares, ein guter Freund Elkaïms, gewählt. Neben vielen anderen Erneuerungen war alsdann auch Deutschland wieder im Vorstand der NFTO-Kammer vertreten, eben durch mich.

Die noch frische Wunde, die uns der sog. Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie zugezogen hatte, als er den Antrag auf Anerkennung der Systemischen Therapie abgelehnt hatte, war damals noch offen und schmerzlich. Sie wurde zu einem der zentralen Themen bei den internen Diskussionen in der EFTA. Mony Elkaïm hat sogar versucht, eine Delegation europäischer Professoren zusammenzutrommeln, um sich über diesen unguten Zustand gemeinsam beim deutschen Botschafter in Budapest zu beschweren. Das misslang, aber an dessen Stelle entstand ein anderes Ansinnen, nämlich den nächste Kongress in Deutschland stattfinden zu lassen und dabei eindeutig zu demonstrieren, dass Systemische Therapie kein Spleen von einigen Verirrten ist, sondern ein europa- und weltweit anerkannter Ansatz der Psychotherapie.

Mir gefiel der Gedanke sehr - wobei ich gestehen muss, dass ich damit schon länger im Geiste gespielt hatte. Es schien ein guter Zeitpunkt zu sein, um europäischen Beistand zu beanspruchen. Die Europäer waren dazu bereit. Und, wir? Erste vortastende Zweiergespräche fanden am Rande der Tagung statt, dann nach und nach im größeren Kreis. Beteiligt waren neben mir Wilhelm Rotthaus, Anni Michelmann und Gisal Wnuk-Gette. Wir begingen uns innerlich in die in Frage kommenden deutschen Städte hinein: Hamburg, München, Frankfurt, Köln. Aber, nein, Berlin müsste es sein! Berlin war nämlich zu einer der interessanten und attraktivsten Hauptstädte Europas avanciert, sie liegt zudem mitten im geographischen Herzen Europas, und sie würde im Jahr der Tagung, im 2004, mitten im politischen Herzen des erweiterten Europas. Also: wo denn sonst?

Wie bei solchen Entscheidungen üblich, sie war getroffen, bevor wir uns einzeln darüber im Klaren sein konnten. Von Seiten der EFTA war der Zuschlag so gut wie sicher; wir müssten nur den Antrag stellen. Es fehlte also nur noch die Bewilligung durch die beiden deutschen Verbände, Systemische Gesellschaft (SG) und Deutsche Gesellschaft für systemische Therapie und Familientherapie (DGSF). Wilhelm Rotthaus hatte es als allseits anerkannter Vorsitzender der DGSF in gewisser Hinsicht einfacher; ich musste hingegen bei Dritten buhlen, zunächst bei Arist von Schlippe, dem Vorsitzenden der SG, damit er es wiederum versuchte, den siebenköpfigen Vorstand der SG dafür zu gewinnen.

Die Organisationsgruppe

Eine erste schwierige Hürde war die Zusammenstellung einer guten, effektiven Gruppe von erfahrenen und opferbereiten Menschen mit einem unzweideutig guten Ruf im Feld - die natürlich auch nett sein sollten; schließlich würden wir mehr als zwei Jahre eng zusammenarbeiten. Arist von Schlippe und Wilhelm Rotthaus waren auf Grund ihrer Position als Vorstandsvorsitzende von SG und DGSF selbstverständliche Mitglieder. Beide hatten zudem vielfältige Erfahrungen im Organisieren von Tagungen. Friedebert Kröger, der Vize-Präsident der DGSF und Organisator einer DAF-Tagung in Aachen, wurde von seinem Vorstand dazu bestimmt. Bedacht darauf, dass der EFTA-Kongress in erster Linie ein Politikum sein würde, galt es, Anni Michelmann, die Gründungsvorsitzende des DFS und später langjährige berufspolitische Referentin von SG und DGSF dafür zu gewinnen. Dazu kam ich, denn ich stellte als Vertreter Deutschlands im Vorstand der NFTO-Kammer schließlich die Verbindung zwischen den deutschen Ausrichtern und der EFTA; zudem hatte ich einige Erfahrung im Organisieren gesammelt, u.a. bei der erfolgreichen DAF-Tagung  1995 in Hamburg.

Nach vielen Telefonaten fand im Dezember 2001 ein erstes vis-à-vis Treffen im Intercity auf der Fahrt nach Berlin statt. Die Vorbereitungen hierzu waren im Rahmen der regelmäßigen Absprachen in der AGST (Arbeitsgemeinschaft Systemische Therapie) getroffen worden, einer noch zu meiner Zeit im Vorstand der SG entstandenen, informellen Vereinigung aller deutschen systemischen Verbände. Die bisher fünf genannten Mitglieder befanden sich auf dem Weg, zwei Kongressagenturen zu besuchen, um eine auszusuchen.

Die erste Kontaktnahme mit der Firma CPO Hanser Service hinterließ den Eindruck einer seriösen, erfahrenen, professionellen Firma, deren Chefin zur gleichen Zeit wie ich in Hamburg studiert und demonstriert hatte, nämlich als Mitglied im SDS. Wir entschlossen uns, dieser Firma den Zuschlag zu geben, und wir verließen Berlin um einiges entspannter, als wie wir dahin gekommen waren. Wir erfuhren, dass das größte Problem, an dem alles drohte zu scheitern, nämlich die Finanzierung, überwindbar sei. Man müsse einen Verein gründen, der als gemeinnützig anerkannte Institution den Kongress ausrichten würde. Sollte es nicht gelingen, die Kosten zu decken, müsste der Verein Insolvenz anmelden. Das Risiko läge somit bei den Geschäftspartnern und Lieferanten und nicht bei uns, sofern wir uns keines Vergehens gegen die guten wirtschaftlichen Sitten schuldig gemacht hätten.

Vor die Wahl gestellt zwischen den beiden einzigen Stätten für den Kongress, die in der Lage waren, mehr als Tausend Menschen in einem Plenarraum unterzubringen, mussten wir uns entweder dem bahnhofsartigen, riesigen und ungemütlichen ICC oder dem wirklich  j.w.d. liegenden Hotel Estrel. Mit einigen Bauchschmerzen entschieden uns für das erstere, das Internationales Congress Centrum. Man hatte mit hohen Kosten zu rechnen, gangbare Alternative hatte man aber nicht. Die erste Planung ging von rund 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus, und wir benötigten einen großen Saal für die Plenarsitzungen. Eine erste Errechnung eines Budgets ergab Kosten um rund 500.000 Euro. Um Plus-Minus Null herauszukommen mussten mindestens 1.500 zahlende TeilnehmerInnen kommen.

Am 14. Mai 2002 kam es dann in Köln zur Gründung des “Vereins zur Förderung der Systemischen Therapie e.V.” Um die vorgeschriebene Mindestzahl von sieben Gründungsmitgliedern zu erfüllen, luden wir Gisal Wnuk-Gette und Tom Levold dazu ein. Gisal Wnuk-Gette war Vorsitzende des DFS gewesen, sie betreibt ein gut gehendes Institut inmitten von no-where (was für ihr Organisationstalent spricht), sie war zudem von Anfang an bei der EFTA dabei, und sie hat 1998 vom DFS aus den Internationalen Kongress der IFTA (International Family Therapy Association) in Düsseldorf mit organisiert. (Nebenbei gesagt, dieser Kongress wurde zur Negativfolie des unseren, zumal er auf Grund einer offenbar unguten Organisation den damals zuständigen Hauptausrichter fast in den finanziellen Ruin gestürzt hat.) Tom Levold ist wiederum ein klar denkender, enorm arbeitsamer und genauer Mensch, der ebenfalls passende Erfahrungen mitbrachte, nämlich in der Organisation eines großen internationalen Kongresses für den Kinderschutzbund in Hamburg. Die Entscheidung für Tom sollte sich im Nachhinein als wahrer Segen erweisen, denn er hat es auf sich genommen, für ein weitaus geringeres Entgelt als die eigentlichen Profis die website des Kongresses www.efta2004.de effektiv und professionell zu gestalten und zu pflegen. Mich wählte man zum Vorsitzenden des Vereins, somit auch zum Kongresspräsidenten. Damit begann eine der auffressendsten - aber auch lohnendsten und erfolgreichsten - Tätigkeiten meines Lebens.

Die Vorbereitungen

Im Mai 2002 luden wir rund 30 Kolleginnen und Kollegen zu einem Treffen in Köln ein. Kriterium der Einladung war, neben verbandspolitischer Relevanz über eine gewisse Erfahrung in der Organisation von Tagungen zu verfügen. Nach zwei Tagen intensiver und äußerst kreativer, gemeinsamer Arbeit, die in einer Atmosphäre menschlich warmer Gestimmtheit und kollegialer Zusammengehörigkeit stattfand, lagen auf der Grundlage bereits erstellter Vorplanungen die wesentlichen Elemente, die den Kongress charakterisieren würden, vor: Titel, Themenaufteilung, Ideen zum Logo, Vorschläge zum Beiprogramm und vieles mehr. Die professionelle Umsetzung vieler dieser wertvollen Ideen fand dann nach und nach mit Hilfe von Profis (Designer, Finanziers, Juristen, Steuerberater usw.) statt. Von der Firma CPO Hanser wurde uns eine junge Frau als Projektmanagerin zugeordnet, die  erst dabei war, ihre Sporen zu verdienen: Frau Andrea Kirmse. Vermutlich hat man damals noch gedacht, dass sie bei einer kleinen und überschaubaren low-budget Tagung nichts würde verderben können. Im Nachhinein kann ich aus voller Überzeugung sagen, dass es gut war, jemand zur Seite zu haben, der motiviert ist und großes Interesse hat, ihr Können zu entfalten und zu erweitern. Frau Kirmse war zu jeder Zeit eine großartige Hilfe. In Oktober 2002 ging dann die erste zweisprachige Ankündigung in Form eines Flyers in 40.000er Auflage in alle Welt.

Die inhaltliche Ausgestaltung wurde in mühsamen, regelmäßigen Sitzungen der Orga-Gruppe, meistens in Essen, dem geographischen Mittelpunkt zwischen unseren Wohnstätten, vorgenommen. Schwierig bei der Planung war es, mehreren Herren gleichzeitig zu dienen. Wir mussten zum einen, unter uns Einigkeit erzielen - nicht immer das einfachste, zumindest zu Anfang. Zum anderen mussten wir im Einklang mit den ausrichtenden deutschen Verbände bleiben, des Weiteren mussten finanzielle Aspekte bei allen Überlegungen permanent mitgeführt werden, und schließlich sollten unsere Vorstellungen nicht zu sehr von denen der EFTA abweichen.

Mir war es schon damals klar, dass ich am Ende der Tagung zwar viele neue Freunde, zugleich aber viele neue Feinde haben würde. Nicht alle, die es verdienen (oder so glauben), würde man in angemessener Weise beteiligen können. Allein die Besetzung der Hauptvorträge war enorm heikel. Denn für jeden, den man einladen würde, würde man automatisch eine Unzahl anderer ausladen. Als Lösung zu diesem Problem erwies sich eine der Losungen, die im systemtherapeutischen Treiben des öfteren verwendet werden: weder/noch. Es wurden nur sieben keynote-speakers eingeladen, welche mit Ausnahme vom allseits anerkannten Pionier des Feldes, Helm Stierlin, allenfalls randständige “Systemiker” waren. Die vier Tage wurden jeweils unterschiedlichen Grundthemen zugeordnet. An den ersten drei Tagen wurden jeweils Hauptredner eingeladen, die eher an der Peripherie unseres Faches wirken: Neurobiologie, Entwicklungs- und Erziehungspsychologie, Sozialpsychiatrie und Familienmedizin. Trotz der mir indirekt zu Ohren gekommenen Kritik aus EFTA-Ecken, dass man niemand “von uns” eingeladen hätte, hatte man eigentlich nichts Wesentliches zu bemängeln, und man fand sich damit ab. Nebenher lässt sich feststellen, dass der Kongress durch Einladung von “Fachfremden” an herausragender Stelle an Attraktivität gewonnen hat. Dies alles konnten wir in einem eintägigen Treffen in Berlin mit Vertretern des EFTA-Vorstandes diskutieren und von ihnen absegnen lassen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt war die intendierte politische Relevanz des Kongresses und so auch die Einladung einflussreicher Politiker. Der Umgang hiermit verantwortet nicht wenige von den neu hinzu gekommenen grauen Haare an meinem Kopf, denn es war bis kurz vor Kongressbeginn nicht eindeutig geklärt, wer aus der Politik kommen würde. Eine andere Erschwernis war, dass wir während der Vorbereitungszeit periodisch von Kongressen und Tagungen erfuhren, die zum gleichen Zeitpunkt geplant waren. Einige dieser Konkurrenzsituationen konnten wird aber rechtzeitig abwenden. Nur Jürg Willi in Zürich und die Psychotherapeutenkammer Berlin ließen sich nicht davon abbringen.

Der nächste Punkt war die Besetzung der Subplena. Diese sollten vor großem Publikum in Form von Vortragsreihen zu einem Thema stattfinden. Erneut vor die Verantwortung gestellt, einige einzuladen, andere nicht, beschlossen wir, uns auf die Bestimmung der jeweiligen Leiter (chairs) der einzelnen Veranstaltungen zu beschränken. Sie sprachen dann nach eigenem Gutdünken die Einladungen an ihre Redner aus; wir waren dafür nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Wir haben uns nur hier und da zur Hilfe gemeldet, wenn es darum ging, hierzulande unbekannte Nicht-Deutsche einzuladen. Ähnlich verlief es mit den nachmittäglichen Symposien. Allein ein Symposium mit nur österreichischen ReferentInnen haben wir nachträglich eingeführt, um die Kollegenschaft von dort anzulocken.

Bezüglich der finanziellen Erwägungen legten wir viel Wert darauf, das sog. “Aldi-Konzept” zu verwirklichen (= beste Qualität zu niedrigen Preisen bei starkem Umsatz). Schon aus berufspolitischen Gründen war es besonders wichtig, viele Menschen zum Kongress anzuziehen. Nur so würde man demonstrieren können, dass systemische Therapie und systemische Praxis ernstzunehmende Ansätze sind. Ein wichtiger Aspekt war hierbei, die Weiterbildungsinstitute zu mobilisieren. Denn sonst nicht so sehr an Tagungen interessierten, zumal finanziell gebeutelten WeiterbildungsteilnehmerInnen wurde angeboten, zu einem besonders niedrigen Preis teilzunehmen, wenn sie sich in Gruppen aus dem gleichen Institut und über das Institut anmelden lassen würden. Diese Maßnahme hat nicht weniger als 1.149 TeilnehmerInnen mobilisiert, ein Drittel aller TeilnehmerInnen.

In Dezember 2002 war das zweisprachige Vorprogramm in 17.000er Auflage gedruckt und in alle Welt verschickt worden. Die ersten Anmeldungen trudelten ein. Nun galt es, zu beten und abzuwarten, Hamburgisch umgewendet, zumindest nach meinem Vater: “Abwarten und Tee trinken!”.

Die Anmeldungswelle

Bei den Vorbereitungen gingen wir von rund 1.600 zahlenden Teilnehmern aus, in meinen kühnsten Fantasien, sogar von 2.000 - keiner glaubte mir, und man hielt mich für einen Träumer. Am 24. Februar 2004, also kurz vor Ablauf der ersten Gebührenphase, hatten wir nur 622 registrierte TeilnehmerInnen, darunter 559 zahlende. Das entsprach allenfalls unseren worst-case Erwartungen, und das war alles andere als erfreulich und beruhigend. Zwei Wochen später aber, am 11. März 2004, hatten wir bereits 2.189 registrierte TeilnehmerInnen, darunter 2.115 zahlende. Die Tagung war finanziell gerettet, und CPO Service kurz vor dem Zusammenbruch. Zwei Wochen lang hatte das Fax-Gerät ununterbrochen gerattert. Die meisten Institute hatten wohl bis zuletzt gewartet, um möglichst viele ihrer WeterbildungsteilnehmerInnen noch zu einer günstigen Gebühr anmelden zu können. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits 1.037 WB-Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und in geringerem Umfang aus einigen anderen Ländern Europas registrieren lassen. Man kann zu Recht behaupten, dass die WB-TeilnehmerInnen und ihre Institute den Kongress ermöglicht haben.

Die Anmeldungen gingen dann bis zum Kongressbeginn weiter. Einschließlich der TeilnehmerInnen mit Tageskarten nahmen insgesamt 3.462 Personen am Kongress teil, davon 3.247 zahlende. Über die Kongressgebühren nahmen wir insgesamt rund 800.000 Euro ein. Das reicht trotz der enormen Menge zu nichts mehr als zur Deckung der Ausgaben. Noch liegt die endgültige Abrechnung nicht vor, es sieht aber so aus, als hätten wir es ohne eigene Kosten geschafft. Sollte Geld übrig bleiben, soll es zur teilweise Bezahlung der Erstellung einer neuen Übersicht zur wissenschaftlichen Fundierung der systemischen Therapie eingesetzt werden.

Der Kongress

In der Annahme, dass viele der LeserInnen und Leser sowohl der Institutszeitschrift als auch des Online-Journals entweder persönlich in Berlin waren oder darüber von Freunden und Kollegen unterrichtet wurden, und eingedenk der Tatsache, dass ich von insgesamt rund 360 Beiträgen ganze drei Vorträge hören könnte, verzichte ich auf eine Auseinandersetzung mit den Inhalten. Hier und da war allerdings im Nachhinein zu hören, dass bei allem Lob über die Organisation einiges an Kritik über die Beiträge geäußert wurde. Vieles war bekannt, Anderes veraltet, Sonstiges zu fachfremd oder langweilig wissenschaftlich, alles in allem aber, weder schlecht noch überflüssig. Wir als Organisatoren waren aber aus der Schusslinie, denn die aktive Teilnahme an solchen großen, eher professionell als wissenschaftlich ausgerichteten Kongressen folgt einer eigenen Logik, die wir nicht zu verantworten hatten. Da kommen veraltete Koryphäen zusammen mit jungen Anfängern, inhaltlich Interessierte mit Gern-Reisenden, Innovatoren mit Bewahrern zusammen; da kann nicht alles attraktiv sein.

Interessanter als der Inhalt erscheint mir aus meiner Organisatorperspektive die Tatsache, dass, obwohl Einiges nicht ganz so funktioniert hat, wie man es sich gewünscht hätte, es dennoch kaum Klagen gab. Als ob alle, die guten Willens nach Berlin gegangen sind, erkannt hätten, dass es nicht auf Perfektion ankam, sondern vielmehr darauf, einen guten, aufbaufähigen Eindruck von unserem Fach und unserem “systemischen Volk” zu hinterlassen. Und das ist - bei Gott! - gelungen!

Zum Schluss

Zum Schluss drucke ich die Reaktionen von vier TeilnehmerInnen ab, die alles sagen, was ich hierüber gern höre. Es handelt sich um eine griechische, dort sehr bekannte Kollegin und alt gediente EFTA Funktionärin, Kyriaki Polychroni, um einen der bestbekannten britischen Denker und Forscher der Familientherapie, Peter Stratton, um einen allseits bekannten belgischen Suchtspezialisten, Luc Isebaert und, last not least, um eine ehemalige Teilnehmerin aus einem Münsteraner Kurs, die ich hier anonym zitiere:
  • Dear Kurt,
    After returning home, I wanted to again express my thanks to you and your team for all your work in organizing this gigantic event.  After experiencing the scope and number of participants, I realize, even more, how much time and effort was involved.  I hope that this was as rewarding for you as it was for us.  I now look forward to again working together with you on the EFTA Board.
    Kyriaki Polychroni (Griechenland), EFTA-TIC Board
  • Dear Kurt,
    Once again, thanks so much for providing us all with such an amazing conference. It will pass into the legends of EFTA.
    Peter Stratton (Großbritannien) EFTA-TIC Board
  • <>Lieber Kollege,
  • <>Ganz, ganz herzlichen Glückwunsch mit dem wunderbar gelungenen Kongress! Die Organisation war total erstaunlich gut, bei so einer Unmenge von Teilnehmern! Anscheinend ist die systemische Bewegung noch bei Langem nicht tot. Es war eine Freude bei Ihnen in Berlin zu sein.<>Nochmal herzlichen Dank,
    Luc Isebaert (Belgien)
  • Lieber Kurt,
  • <>... Für mich persönlich war er eine wertvolle Bereicherung, von der ich noch lange zehren werde. Es war alles dabei, was das systemische Herz begehrt, was mein Herz begehrt, sogar zur Entspannung ein wunderbares Klassik-Trio während der Eröffnungsveranstaltung und zum Abschluss systemisches  Kabarett aus Köln. Und was mich am meisten gefreut hat, ist, dass ich unter 3500 (überwiegend) "Gleichgesinnten" ein Gefühl hatte, hier bin ich zu Hause, was ich in meiner "Ursprungsfamilie" nie hatte.... Vielen Dank für dieses große reichhaltige Geschenk.
    U.K. (Münster)
Was könnte man da noch sagen als: Danke! Ich bin froh, es hinter mich gebracht zu haben, es war ein toller Erfolg, es hat sich gelohnt!



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