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02.07.2011
III. internationalen systemischen Konferenz 9.-11.6.2011 in Prag
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Sabine Schlotter, Dresden:
Das Thema der Konferenz „Glaubenssysteme und systemische Aktionen“ hat mich sofort berührt. Ich bin seit einigen Jahren als Psychologin in einem diakonischen Epilepsiezentrum in Sachsen tätig und erlebe dort täglich, wie die verschiedenen weltanschaulichen und kulturellen Prägungen von KollegInnen und KlientInnen nebeneinander existieren und mal mehr und mal weniger spürbar miteinander interagieren. Ich habe immer wieder die Vermutung, dass dies unser Handeln und den Erfolg unserer Arbeit mehr beeinflusst als wir uns normalerweise bewusst machen. Außerdem habe ich zu Prag seit langem eine Beziehung, auch wenn ich die Stadt in den letzten Jahren nicht sehr oft besucht habe. Also war ich gespannt darauf, was ich in dieser Umgebung zu diesem spannenden Thema erfahren würde.
Der erste Eindruck von dem Empfang im Tagungszentrum war ein sehr herzlicher. Obwohl ich niemanden persönlich kannte, fühlte ich mich nicht fremd, sondern empfand die lebendige, warmherzige und begeisterte Stimmung und die Mischung aus Engagement und Improvisation irgendwie vertraut. Die Vorträge und Workshops boten eine gelungene Kombination aus theoretischem Input und praktischen Bezügen. Manche ach so ferne Kultur rückte da plötzlich in vertraute Nähe. So bei dem Workshop von Rocio Chaveste vom Kanankil-Institute aus Yucatan/Mexiko, die über die kulturellen Besonderheiten der Arbeit in den Maya-Dorfgemeinschaften berichtete. Die Referentin schilderte die Bräuche um den Dios de los Muertes, den Tag der Toten, an dem jede Familie ihrer Toten gedenkt und kleine Altäre mit Opfergaben für sie herrichtet. Frau Chaveste schien irgendwie behutsam diese uns doch sicher sehr fremden Bräuche zu schildern, daher fühlte ich mich zu dem Statement veranlasst, dass auch ich am vergangen Abend, als ich allein in einer Prager Kneipe war zwei Bier bestellt hätte, eins für mich und eins für meinen toten Vater. Im selben Moment begann ich es zu bereuen, mich zu Wort gemeldet zu haben, da ich spürte, wie ganz unvermutet eine Welle aus Trauer mir die Tränen in die Augen trieb. Aber ebenso unvermutet war auf einmal auch eine Verbundenheit im Raum und die mexikanische Kultur erschien weniger fremd. Beim Abendessen bedankte sich Rocio Chaveste herzlich bei mir für meinen Beitrag und ein Kollege aus Wales unterhielt sich mit mir über die Beziehung zu seinem Vater und sagte, dass er die Geschichte „about the Pint" gut nachvollziehen konnte.
Trotz meiner 49 Jahre bin ich noch verhältnismäßig neu in meinem Beruf, da ich erst nach der Wende mein Abitur nachgeholt und Psychologie studiert habe. Wenn ich meinen beruflichen Alltag oft als überwältigend komplex erlebe und immer wieder darum ringen muss, meine eigene Position in unserem multiprofessionellen Team zu definieren und zu behaupten und mir oft so vorkomme, als müsste ich jeden Tag etwas neu erfinden, um irgendwie die an mich herangetragenen Aufgaben zu erfüllen, dann führe ich das gern auf meine Unerfahrenheit und geringe Kompetenz zurück und hoffe, in ein paar Jahren darüber zu stehen. In Prag habe ich nun von anerkannten Fachleuten etwas über die Kunst der Improvisation in der Psychotherapie gelernt und erfahren, dass es vieler Kompetenzen bedarf, um sich durch den Alltag zu wursteln – „to solve one damn thing after another“ habe das Steve de Shazer einmal genannt. Außerdem ging es um Polyphrenie als Normalzustand und die Absage an allgemeingültige Wahrheiten…
Ich nehme aus Prag die große Ermutigung mit, dass ich nicht die Einzige bin, die sich jeden Tag aufs neue irgendwie mit den ihr gegebenen Talenten durch die verdammten Einzelheiten kämpft. Und die Enttäuschung, dass sich das nicht irgendwann geben wird. Das beinhaltet aber ja auch die Aussicht auf eine stetige Lebendigkeit des Alltags - langweilig wird es so wohl auch nicht!
Ja - und der wunderschönen Stadt der Reiseabenteuer meiner jüngeren Jahre werde ich wohl in absehbarer Zeit auch wieder einen intensiveren Besuch abstatten. Während ich früher dort die Ahnung einer Weltoffenheit und geistigen Aufgeschlossenheit suchte und fand, spüre ich heute an diesem Platz eine besondere Verbundenheit zu meiner eigenen Geschichte und meinen kulturellen Wurzeln. Dieser Perspektivenwechsel hat irgendwie auch etwas systemisches.
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