„Man soll vom Familienrat keine Wunder erwarten, aber mit
positiver Verwunderung und mit etwas Wunderbarem
kann man immer wieder rechnen“
(Erika Krause, Myriam Rauch, Kerstin Davies)
Vom 30.9.-01.10.2010
fand das 4. bundesweite Netzwerktreffen zu „Familienrat - Family Group
Conference (FGC)“ in Frankfurt/Main an der Fachhochschule - Fachbereich
für Soziale Arbeit und Gesundheit - statt. Teilgenommen haben über 140
Teilnehmer/-innen aus dem Bundesgebiet. Vertreten waren Kollegen/-innen
u.a. aus dem Main-Taunus-Kreis, Stuttgart und Baden-Württemberg,
Rosenheim, Hamburg, Köln, Kassel, Dresden, Frankfurt/Main, Berlin,
Bremen, Münster, Darmstadt, Nordfriesland, Wuppertal, und Österreich. Das
Netzwerktreffen bietet den bundesdeutschen Praktiker/innen jährlich die
Gelegenheit zum Austausch über gesammelte praktische Erfahrungen und
die Weiterentwicklung des Familienrats in Deutschland. Dem
Netzwerktreffen vorausgestellt war ein Fachvormittag, der rund 150
Interessierten aus der Region erste spannende Einblicke in die Arbeit
mit Familienrat ermöglichte. Zunächst begrüßten die Veranstalter des
Netzwerktreffens: Gerd Nötzel, Leiter des Sozialen Dienstes, Amt für
Jugend, Schulen und Sport, Kreisausschuss des Main-Taunus-Kreises; Josef
Koch, Geschäftsführer der IGFH; Prof. Dr. Eva-Maria Ulmer,
Vizepräsidentin der Fachhochschule Frankfurt a.M. Nach der
motivierenden Eröffnung präsentierten die Kolleginnen Kerstin Davies,
Erika Krause und Myriam Rauch Falldarstellungen von Familienräten im
Main-Taunus-Kreis. Bereits seit 2005 werden im Main-Taunus-Kreis
Familienräte durchgeführt. Quintessenz: Gelebte Partizipation mit
Nachwirkung. Partizipation kann überraschen, verwandelt Hilflosigkeit
und Resignation in aktive Teilhabe, Blickwinkel werden verändert,
Partizipation beschleunigt Veränderung und ist nachhaltig und beschränkt
sich nicht nur auf den Tag des Familienrates. Prof. Dr. Ute Straub
hielt den zweiten Vortrag des Fachvormittages zu den Themen Familienrat
und Netzwerke, internationale und bundesweite Standards und
Einsatzmöglichkeiten außerhalb der (engeren) Kinder- und Jugendhilfe.
Hervorzuheben sind zum einen ein Entwurf zu bundesweiten Standards zum
Familienrat, der von einer Gruppe FR-Aktivistinnen über Ute Straub
eingebracht wurde. Zum anderen wurde die Vielfältigkeit der
Arbeitsfelder deutlich, in denen das Verfahren des Familienrates außer
in der Kinder- und Jugendhilfe eingesetzt werden kann:
Täter-Opfer-Ausgleich, Straffälligenhilfe, Schule, alte/kranke/zu
pflegende Angehörige, Nachbarschaft/Gemeinwesenarbeit. In diesen
Bereichen gibt es noch viele Entwicklungsmöglichkeiten. Zum Abschluss
des Fachvormittages präsentierte Andreas Hampe-Grosser aus Berlin die
ersten beiden deutschen Filme, die das Verfahren des Familienrates
erläutern. In den Filmen kommen Sozialarbeiterinnen aus Berliner
Jugendämtern, Eltern und Jugendliche zu Wort und geben einen Einblick in
das Verfahren und die Wirkungen von Familienräten. Am frühen
Nachmittag eröffnete Prof. Dr. Ute Straub offiziell das 4. bundesweite
Netzwerktreffen. Prof. Dr. Peter Hansbauer, Fachhochschule Münster,
referierte die Ergebnisse aus der Nordischen Untersuchung. Ausgangspunkt
dieser Untersuchung war ein um 2002 herum in Forschung und Praxis
konstatiertes Forschungsdefizit mit Blick auf die Situation von Kindern
und Jugendlichen beim Familienrat. Am Forschungsprojekt beteiligt waren
die Länder Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden. Das
Forschungsprojekt dauerte von 2003-2007 und wurde 2009 in einem
Forschungsbericht veröffentlicht (Nordic Research Report). Einige
Forschungsergebnisse in der Zusammenfassung: Je älter das
Kind/Jugendliche, desto stärker die Präsenz im Familienrat. Kinder und
Jugendliche beteiligen sich üblicherweise beim Follow up Gespräch
wesentlich stärker als beim Erstgespräch. Generell scheint die
Unterstützungsperson sehr wichtig zu sein. Das Netzwerktreffen bot
den Teilnehmern /innen dann die Möglichkeit, einen Überblick über die
Entwicklung von Family Group Conference/Familienrat in den jeweiligen
deutschen Regionen, insbesondere zu den wichtigsten Herausforderungen,
Hindernissen, praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen
Erkenntnissen zusammentragen. Wie im vergangenen Jahr vereinbart,
erfolgten Kurzberichte aus den Regionen: Süd-Ost (z.B. Augsburg,
Bamberg, etc.), Süd-West (Stuttgart etc.), Mitte (z.B. Main-Taunus-Kreis
etc.), Nord-Ost (z.B. Berlin, Dresden, etc.), Nord-West (Köln etc.) und
Nord (z.B. Nordfriesland, Hamburg, Bremen usw). Insgesamt hat sich
die Anwendung des Verfahrens in Deutschland im vergangenen Jahr weiter
verbreitet. Nach wie vor bestehen Unterschiede. So ist die
organisatorische Verortung von Koordinatoren/-innen und deren
Berufshintergrund unterschiedlich: Fachkräfte freier Träger, Fachkräfte
aus dem Jugendamt, die nicht fallzuständig sind oder geschulte
Bürger/-innen. Unterschiedlich sind auch die Finanzierungsgrundlagen.
Allerdings gibt es klare gemeinsame Vorgaben, wie zum Beispiel, dass die
„Private Familienzeit“ unabdingbar ist, dass die Bedürfnisse der Kinder
und Jugendlichen nachdrücklich berücksichtigt werden müssen und dass
ausreichend Zeit zur Vorbereitung zur Verfügung stehen muss. Den
Abschluss des 1. Tages bildete für einen Großteil der Teilnehmer/-innen
die Stadtführung „Die Frankfurter Skyline“. Im Mittelpunkt des
zweiten Tages des Netzwerktreffens stand der fachliche Austausch zu
verschiedenen Themen: 1. Familienrat in der Schule, 2. Die Formulierung
der Sorge im Familienrat, 3. Bedarfe und Bedürfnisse im
Fortbildungsbereich, 4. Standards und Abgrenzung zu anderen Verfahren,
5. Bürgerkoordinator/-innen. Im Plenum wurde aus den Workshops von
den Diskussionen berichtet. Prof. Ute Straub präsentierte
abschließend die Diskussion zu den Standards für Familienrat. In einer
Abstimmung im Plenum wurde beschlossen, die erörterten Standards als
Handlungsorientierung und Diskussionsgrundlage anzunehmen und sie in die
Regionen und Einrichtungen weiterzutragen. Die Weiterentwicklung der
Standards ist für kommendes Jahr vorgesehen. Deutschland ist im
Bereich von Familienrat ähnlich wie Russland, Slowakei oder Polen noch
in der Anfangsphase dieser Entwicklung. Die skandinavischen Länder
Norwegen, Finnland, Dänemark, Schweden oder die Länder England, Wales,
Schottland, Belgien, Holland haben mehrjährige Erfahrungen in der
Organisation von FGC und sind in der politischen und juristischen
Auseinandersetzung bereits soweit vorangeschritten, dass FGC als Merkmal
für die jeweilige Rechtssprechung diskutiert werden. Im November 2010
findet das Europäische Netzwerktreffen in Brighton (England) statt. Das
nächste bundesweite Familienrat/FGC-Netzwerktreffen findet im Herbst
2011 in Husum statt.
Verfasser/in:
Heike Hör Hohentwielstrasse
124 70199 Stuttgart heikehoer@gmx.de
Andreas
Hampe-Grosser Turnstraße 6 14482 Potsdam AHaGro@t-online.de http://www.wantalunga.de
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