Hede Andresen-Kühn, Tübingen: „Marte meo“ und gewaltfreier Widerstand
Am vergangenen Sonntagnachmittag, dem 27.2.05, ging in Heidelberg ein bemerkenswerter
und denkwürdiger Kongress zu Ende: 800 Väter und Mütter, Großeltern,
Lehrer, Erzieher, Sozialpädagogen, Familientherapeuten,
Psychotherapeuten, Psychiater, Ärzte, Juristen, Studenten und
Jugendliche waren drei Tage lang Teilnehmer des internationalen Forums
für Fachleute und Eltern „Coaching für Eltern: Mütter und Väter als
Experten“. Das Helm-Stierlin-Institut Heidelberg unter Führung von
Prof. Dr. Jochen Schweitzer und das Weinheimer Familieninstitut unter
Führung von PD Dr. Arist von Schlippe in Zusammenarbeit mit der
Universität Heidelberg und der Universität Osnabrück hatten dazu
eingeladen.
Drei Tage lang wogten über drei Stockwerke im Innern der Neuen
Universität die Menschenmengen zwischen Tischen mit
Einschreibformularen, Snack- und Getränke-Ausgabe, Garderoben,
Büchertischen, Seminarräumen, Hörsälen und der Alten Aula mit
bemerkenswerter Gelassenheit hin und her. Dasselbe an Orten besonderen
Zuspruchs: Geduld, Freundlichkeit, Abwarten..
Der verschneite Universitätsplatz mit winterlich vermummten, in die
verschiedenen Außenstellen strebenden und von dort zurückkommenden
Teilnehmern gab ein Bild von fast Breughelschem Genre.
Mit gewohnt leichter Hand führte Jochen Schweitzer durch diese Tagung.
Der einführende Vortrag von Arist von Schlippe beeindruckte nicht nur
durch die ihm eigene Mischung von Humor, Leichtigkeit und
konzentrierter Aussage. Es gelang ihm auch brillant die Darstellung und
Verknüpfung der Zustandsbeschreibung heutiger Familienkontexte,
der Verunsicherungen im Erziehungsgefüge, familientherapeutischer
Sicht- und Arbeitsweisen, insbesondere der hier den Kongress
bestimmenden verschiedenen Methodenansätze von Maria Aarts und Haim
Omer, die im Kern das Gleiche meinen und wollen: dass nämlich Eltern
als präsente Eltern ihren Platz in der Mitte der Familie einnehmen.
Als Shooting–Star der Tagung erwies sich Maria Aarts: In allen
Auftritten des Kongresses gewann sie die Herzen der Tagungsteilnehmer
durch ihre freie, unkomplizierte, humorvolle Selbst- und
Methodendarstellung in niederländisch gefärbtem Deutsch. „Marte meo,
Marte meo“ (das von ihr entwickelte und so genannte Programm
ihrer Arbeit in vielen Ländern der Welt) hämmerte sich allmählich in
die Köpfe ein. Entsprechend war der Büchersondertisch von Maria, die
dort auch noch Autogramme gab und - so gut es ging, verkaufend,
schreibend, gehend Rede und Antwort stand, von Menschentrauben
umlagert. Die Botschaft aber, die von dem Programm ausging, fasste eine
Teilnehmerin so in Worte: „Wenn hier in Deutschland Geld dafür
ausgegeben würde, diese Methode der entwicklungsfördernden Interaktion
in pädagogischen Einrichtungen einzuführen und anzuwenden, würde nicht
nur den betroffenen Kindern und ihren Familien effizient geholfen,
sondern es bliebe viel, viel Geld im Staatssäckel. Aber Politiker und
Verwaltungsbeamte sind irgendwie blind.“
Ganz anders Haim Omer. Sein Elterncoaching, wunderbar verständlich
dargelegt in den mit Arist von Schlippe verfassten Büchern „Autorität
ohne Gewalt“ und „Autorität durch Beziehung“, meint die Arbeit mit
Familien, in denen Eltern durch ihre „Ich-bin-der-Boss-Kinder“ ihren
Platz in der Mitte der Familie verloren haben. Seine „Tools“ wie
Deeskalation, Schweigen lernen, das „Eisen schmieden, wenn es kalt
ist“, Sit-in und Versöhnungsgesten stellen hohe Anforderungen an Eltern
und Berater. Sie sind aber eine vielversprechende und erprobte
Möglichkeit, zerbrechende Familien wieder „an einen Tisch“ zu bekommen.
Haim Omer und sein Assistent Uri Weinblatt haben in den letzten 2
Jahren ihre in Israel entwickelte Methode in Deutschland mit
Therapeuten, Beratern und Pädagogen geübt, vertieft und weiter
entwickelt. Hier in Heidelberg konnte sich nun eine sehr große
Öffentlichkeit direkt durch einen großartigen Vortrag, in
Workshops, „Talks“ usw. über diese Art des Elterncoaching informieren.
Haim Omer selbst fand erst am Ende der Tagung zu der ihm eigenen
humorvollen Art zurück: „Wie soll man Kinder erziehen? Es gibt keine
oder 1000 Antworten!“
Ein besonderer Höhepunkt der Tagung waren ohne Zweifel die
Live-Interventionen von Maria Aarts und Haim Omer, in denen sie -
jeweils mit dem gleichen Elternpaar arbeitend - ihre Methoden
eindrucksvoll zum Einsatz brachten.
Ja, und sonst? Ca. 50 Workshops mit renommierten in- und ausländischen
Kursleitern; begleitende Musik (wunderschön die Gongzeichen zu den
Pausenenden!); tänzerisches, musikalisches und kabarettistisches
Beiprogramm der feinsten und ganz besonderen Art; Wort- und Filmreport
zum Forum; bewegende Schlussworte von Helm Stierlin - … eine
große Tagung!
Das ausführliche Programm der Tagung mit allen abstracts ist hier zu finden
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