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systemagazin-Adventskalender: "Von Klienten lernen"
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Ruppert Heidenreich: Ich bin die glücklichste Frau der Welt! Oder: Das wirklich Wichtige findet außerhalb der Supervision statt
„Lieber Ruppert, ich bin die glücklichste Frau der Welt!“ Wer wünscht sich nicht – vor allem als Mann -, so einen Satz zu hören. Er stand auf einer Postkarte aus Australien. Eine ehemalige Supervisandin hatte ihn mir geschickt. Ich war junger Supervisor, hatte gerade meine Ausbildung beendet und war seit etwa drei Jahren als Supervisor tätig. Durch meine Erfahrungen als Supervisor hatte ich bereits gelernt, dass jeder Prozess anders war und dass die klassischen Lösungswege, wie wir sie in der Ausbildung erprobt hatten, nicht immer so reibungslos funktionierten. Trotzdem hatte ich den Anspruch, dass am Ende einer Supervision eine brauchbare und tragfähige Lösung stehen sollte. Und ich war immer wieder maßlos enttäuscht, wenn die Supervisandin oder der Supervisand zwar mehrere Lösungen gefunden hatte, aber keine verwirklichen wollte. Ich hatte dann das Gefühl, gescheitert zu sein, nicht professionell genug gearbeitet oder etwas übersehen zu haben: „Habe ich die Supervisandin oder den Supervisanden nicht genügend unterstützt oder gar daran gehindert, die wirklich beste Lösung zu entwickeln?“ Und mehr als einmal habe ich in meiner Balintgruppe solche Versagenssituationen thematisiert. Die Kolleginnen und Kollegen haben mir dann zurückgemeldet: „Du setzt wenig Vertrauen in die Supervisandinnen und Supervisanden! Wieso weißt Du besser als die Supervisandinnen und Supervisanden, was ihre beste Lösung für sie ist? Geht es um deine oder um ihre Ziele? Mit was für überhöhten Ansprüchen gehst Du an die Supervision heran?“ Allein, es überzeugte mich nicht wirklich. Da war immer wieder dieses Gefühl, ich sei doch verantwortlich für das Finden einer brauchbaren Lösung und es läge an meiner Supervision, dass die Supervisandinnen und Supervisanden keine der erarbeiteten Lösungen umsetzen konnten und wollten. Dann kam diese Postkarte. Ich hatte mit der Supervisandin fast 18 Monate gearbeitet. Sie war Lehrerin an einer Gesamtschule, 35 Jahre alt, hatte einen 5-jährigen Sohn und war allein erziehend. Sie kam zu mir mit der klaren Ansage: „Schule ist schrecklich! Manchmal hasse ich sogar die Kinder. Ich gehe Morgen für Morgen widerwillig in die Schule. Ich mache schlechten Unterricht, weil ich mich jeden Tag davor drücke, die Vorbereitungen zu erledigen. Korrekturen liegen wochenlang auf meinem Schreibtisch, bis die Schüler mich nerven mit ihren Fragen, wann sie denn ihre Klausur zurück bekämen. Ich will raus aus der Schule. Das halte ich nicht ein Leben lang durch!“ Wir klärten die möglichen Ziele, arbeiteten an beruflichen Alternativen, überprüften die konkreten Schritte. Irgendwann begann der Prozess, sich im Kreis zu drehen. Es gab nicht viele brauchbare und tragfähige Alternativen. Bei allen gab es viele Wenn und ebenso viele Aber. Als Lehrerin hat man ja nur Lehrerin gelernt. Alle halbwegs attraktiv erscheinenden beruflichen Alternativen verlangten eine zusätzliche Ausbildung. Wovon bezahlen und wie neben dem vollen Beruf organisieren? Und das stärkste aller Argumente war der Beamtenstatus: An jedem Monatsersten kommt verlässlich Geld aufs Konto. Keine der Alternativen konnte diese Sicherheit garantieren. Für eine allein erziehende Mutter ein unschlagbares Argument! Sie konnte sich für keine Lösung erwärmen. Sie schien resigniert, dass es für sie keine Alternative gab. Nicht einmal ansatzweise war sie bereit, etwas auszuprobieren. Und ich wollte doch gerne den Supervisionsprozess erfolgreich abschließen! Meine Kollegen in der Balintgruppe rieten mir, den Prozess zu beenden und die Entscheidung der Supervisandin zu akzeptieren. Es fiel mir verdammt schwer. „Lieber Ruppert, ich bin die glücklichste Frau der Welt!“ Gut zweieinhalb Jahre nach Abschluss der Supervision bekam ich diese Nachricht aus Australien. „Ich bin vor einem halben Jahr mit meinem Sohn nach Australien ausgewandert, habe dort ein Taxigeschäft eröffnet. Phillip geht zur Schule. Ich habe lange gebraucht, mich zu entscheiden. Aber es war am Ende einfacher als ich dachte. Wir hatten in der Supervision mal über eine Tätigkeit als Lehrerin im Ausland gesprochen. Irgendwann hatte ich den Mut, die alten Zelte abzubrechen. Jetzt habe ich hier ein Taxigeschäft, verdiene mal viel, mal wenig, aber immer genug. Danke für die Supervision! Es war eine gute Entscheidung. Erika.“ Jetzt auf einmal hatte ich das Gefühl, dass die Supervision sich ja doch gelohnt hatte. Natürlich hatte ich das alles schon mal gelesen und von den Kolleginnen und Kollegen in der Balintgruppe gehört, hatte es anderen erklärt, dass Supervision ein Prozess ist, bei dem das wirklich Wichtige außerhalb der Supervision passiert. Aber ich hatte keine konkrete Erfahrung, keinen unmittelbaren Bezug zu diesem Satz. Zum ersten Mal stimmte auch mein Gefühl mit dieser Botschaft überein. Ich konnte endlich akzeptieren, dass die Lösungen der Supervisandinnen und Supervisanden ihre eigenen Lösungen sind und dass ich nicht für sie verantwortlich bin, dass ich Vertrauen in die Dynamik und langfristige Wirkung eines Supervisionsprozesses haben kann. Wie oft kam mir im Verlauf meiner nun fast 25-jährigen Erfahrungen als Supervisor diese Postkarte aus Australien in Erinnerung und verschaffte mir selbst Gelassenheit und neues Vertrauen in die Ressourcen der Supervisandinnen und Supervisanden und bewahrte mich vor Ungeduld und Versagensfantasien.
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