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Rudolf Welter: Unterwegs, Teil 7
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Bahnschranke
Unterwegs an meinem Wohnort beobachte ich, wie sich die
Bahnschranke am Bahnübergang just zu dem Zeitpunkt auf die Strasse
senkt, als sich ihr ein Trauerzug nähert. So wurde diesem ein
ungewollter Stillstand aufgezwungen.
Der Trauerzug wird angeführt von zwei schweren, dunkelbraunen Pferden.
Weil es sehr heiß ist an diesem Tag, hängt vor den Köpfen der Pferde
ein Kessel an der Deichsel, in dem Holzkohle verglüht. Dies erzeugt
beißenden Rauch, der Bremsen und Fliegen von den Pferden abhalten soll,
um deren Gang zu beruhigen und damit auch dem gefederten Leichenwagen
zu einer ruhigeren Fahrt zu verhelfen.
Auf dem Leichenwagen ist ein Sarg aufgebahrt. Den Sarg bedecken Kränze.
Kränze hängen auch am offenen Aufbau des Leichenwagens. "Zur letzten
Reise" steht auf einer der Kranzschleifen, in goldenen Lettern von den
Kranzflechtern in Nachtarbeit aufgebügelt. Hinter dem Leichenwagen
gehen die trauernden Menschen, zuvorderst die nächsten Angehörigen,
gefolgt von nahen Freunden, anschließend Leute, die dem Verstorbenen
eher entfernt verbunden sind: Nachbarn, Geschäftsleute,
Vereinsmitglieder oder Sängerfreunde. Es ist ein langer Trauerzug.
Also, denke ich, muss eine bekannte Persönlichkeit in meiner
Wohngemeinde gestorben sein. Wie immer fährt dem Menschenzug eine
Autokolonne hinterher. Es ist Sitte, dass Autofahrer die Trauerzüge
nicht überholen und die im Auto Sitzenden ihre Kopfbedeckung entfernen,
wenn sie einem Trauerzug begegnen.
Der Fuhrmann, mit schwarzem Hut, rutscht oben auf dem Bock während dem
ungewollten Halt verlegen hin und her: Eines der Pferde lässt dampfende
Pferdeäpfel auf den Asphalt plumpsen.
Nachdem der Eisenbahnzug die Schranke passiert hat, setzt sich der
Trauerzug wieder in Bewegung. Etwas schneller als vorher, bemerke ich.
Die Trauernden sollten vermutlich das Ausläuten der Kirchenglocken
nicht verpassen.
Ich habe als Bub ein traurig klingendes Geläute mit einer Abdankung,
ein fröhlich klingendes mit einer Hochzeit in Verbindung gebracht. Oder
war es umgekehrt?
Mit der Absenkung ins Grab endet jede irdische Reise. Und nach der
Abdankungsfeier und einem Gang über den Friedhof treffen sich die
Trauergemeinschaften jeweils in einem der nahe gelegenen Restaurants
zum Leichenmahl. Anschließend lösen sie sich auf.
Kranzschleife unterwegs
Der Kranzflechter Felix Federer bekam von einem Kunden, dem die
Ehefrau verstorben war, den Auftrag, auf der zum Kranz gehörenden
Schleife den Satz 'Ruhe sanft im Himmel' aufzubügeln. Dieser Satz sei
auf beiden Seiten der Schleife anzubringen, und, wenn noch Platz
vorhanden wäre, auf der Schleife dem anzufügen: 'Auf Wiedersehen im
Himmel'. So macht sich der Kranzflechter in hektischer Nachtarbeit
daran, die großen, goldenen Buchstaben auf die Schleife zu bügeln. Aber
die Buchstaben wollen und wollen nicht haften auf der Schleife. Immer
wieder versucht es Felix Federer, ohne Erfolg. Es ist zum verzweifeln.
Bis Federer sich erinnert, dass in einer Schublade des Geschäftes
frisch gelieferte Buchstaben lagern. Schleunigst beginnt er nun, die
jetzt klebenden Buchstaben aufzubügeln. In der Eile führte die
Auftragsformulierung des Kunden allerdings zu einem unverzeihlichen
Missverständnis: Auf dem Leichenwagen hing unterwegs zum Friedhof eine
Kranzschleife, auf der zu lesen war: 'Ruhe sanft im Himmel, auf beiden
Seiten', und 'Auf Wiedersehen im Himmel, wenn noch Platz ist'.
Bahnschranke II
Nicht nur Trauerzüge wurden von geschlossenen Bahnschranken
aufgehalten, sondern auch Radrennfahrer. Und zwar konnte dies einem
Feld von Rennfahrern der Tour de Romandie, der Tour de Suisse, der Tour
de France oder irgendeiner anderen Tour de Force zustoßen. Zuschauer am
Rande der Strasse beobachteten dann jeweils, wie sich Bahnschranken,
ohne Vorwarnung langsam auf die Strassen senkten, früher von Hand
meistens von einer Schrankenwärterin bedient. Die Vordersten des Feldes
passierten die Schranke noch ungehindert, einige Fahrer im Mittelfeld
streiften schon mit seitlich abgedrehtem Oberkörper am Schutzgitter der
Schranke, schmetterten der Schrankenwärterin einige unschöne Worte zu,
und das hintere Feld kam zu einem ungewollten Stillstand. Meistens
lösten einige Rennfahrer die Pedalbügel, stiegen ab und standen hilflos
vor der Schranke. Andere verließen die Gruppe und nutzten den
Zwischenhalt, um sich verschwitzter Leibchen zu entledigen oder die
volle Blase an in der Nähe stehenden Bäumen zu entleeren. Wieder andere
verpflegten sich. Und ein Grüppchen von Fahrern entschloss sich später,
bei der Rennleitung Beschwerde einzureichen wegen unfairer Behandlung
durch die Schrankenwärterin, als ob es in deren Macht gestanden hätte,
statt der Rennfahrer den Zug aufzuhalten. |
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