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Rudolf Welter: Unterwegs, Teil 5
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Gemächlich, aber nicht ungefährlich
Die Reise auf den Strömungen der über dreihundertundeinundsechzig
Millionen Quadratkilometer großen Wasserflächen der Weltmeere begann
auf dem atlantischen Ozean, auf dem ich vom warmen, nordäquatorialen
Gegenstrom vorerst einmal für längere Zeit in einer riesigen
Kreisbewegung vorangetrieben, dann vom südäquatorialen Strom gegen
Südamerika geschickt wurde.
Im Süden von Südamerika angekommen, verfrachtete mich der kalte
Westwinddrift ostwärts Richtung Australien, von wo ich auf dem kalten
westaustralischen Strom nördlich driftete. Dann, vom wärmeren
südäquatorialen Strom erfasst, wurde ich Richtung Afrika abgetrieben.
Es ging der Ostküste entlang nördlich, von wo aus mich der deutlich
kältere Nordwestmonsunstrom, knapp an der Südspitze von Indien vorbei,
Richtung Sumatra brachte.
An diesem Punkt verspürte ich neuerlich einen Richtungswechsel, dieses
Mal nach Westen, wo ich später vom südäquatorialen Strom, wiederum in
einer Kreisbewegung, wobei der Kreisdurchmesser gut und gern etwa
tausend Kilometer betrug, vorangetrieben wurde.
Dann schaffte ich es auf einer leichten Strömung knapp durch die
Malakka Strasse zwischen Sumatra und Westmalaysia an Singapur vorbei in
den äquatorialen Gegenstrom des pazifischen Ozeans, wo ich um Borneo
herum driftete und nach einer scharfen Wende vor der Insel Mindanao
(Philippinen) auf dem äquatorialen Gegenstrom landete.
Von hier aus ging es so gegen achttausend Kilometer ostwärts in
Richtung der Küste von Mittelamerika, dann der kalifornischen Küste
entlang auf dem kalifornischen Strom bis weit nördlich in den
Alaskastrom und nach einer regelrechten Wirbelbewegung wieder westwärts
auf dem Kuroschiostrom nahe der japanischen Küste entlang. Deren
Brandung konnte ich allerdings nicht hören, weil ein kräftiger Wind vom
Ufer her blies, der meine gemütliche Fahrt (immerhin zweikommafünf bis
achtkommafünf Kilometer pro Stunde) etwas beschleunigte.
Dann ging es nochmals nördlich bis zu einem Punkt, wo mich keine
Strömung mehr sachte vorwärts schob. Es wurde ganz still. Keine Auf-
und Abwärtsbewegungen mehr. Nichts. Nur die Erinnerung blieb an
schwindelerregende Blicke in die Tiefen der Weltmeere: In den etwa
elftausend Meter tiefen Marianengraben, den ebenso tiefen Tongagraben,
den Kermadecgraben und den Atacamagraben, beide etwa achttausend Meter
tief. In allen diesen Gräben fließen Flüsse mit Wasserfällen, hunderte
von Metern hoch. Besonders eindrücklich auch der Blick durch die
dunkelgrünen Wasser auf die "Verlorene Stadt" in der Nähe des
mittelozeanischen Rückens, welche aus bis zu sechzig Meter hohen, auf
dem Meeresgrund stehenden, blendend weißen Türmen besteht, entstanden
aus Ablagerungen von Karbonat- und Silikatmineralien.
Übrigens: Hätte mich am Anfang meiner Reise der nordatlantische Strom
bis in die Gegend zwischen Grönland und Nordnorwegen verfrachtet, wäre
ich zusammen mit rund siebzehn Millionen Kubikmeter Wasser innert
Sekunden auf Nimmerwiedersehen in die Abgründe des Nordatlantiks
gestürzt.
Nicht mehr da, noch nicht dort
Es geht um die Zeit vor einer Abreise. Vielleicht um eine Reise von
einem bekannten Ort zu einem unbekannten oder umgekehrt. Nicht mehr
richtig hier sein, aber auch noch nicht dort sein. Was ist das für eine
Zeit? Was soll man machen während dieser Zeit? Wie soll sie genutzt
werden? Der Abreisende ist am Packen, oder am Aufräumen, oder am
Planen. Sie ist gefüllt mit Herumsitzen, mit Warten auf das Taxi,
Koffer griffbereit. Es ist eine unmögliche Zeit, man sollte sie
schlafend verbringen können, es ist verschwendete Zeit, sie sollte von
der Ferienzeit abgezogen werden dürfen!
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