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Rudolf Welter: Unterwegs, Teil 2
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Mobiles Heim
In einer Gruppe von Reisenden bin ich auf einer langen, geraden
Strasse, die über eine Prärie des Staates Saskatchewan führt,
unterwegs. In großer Distanz sehen wir unverhofft ein schräg stehendes
Haus, mitten auf der Strasse. Eine Sinnestäuschung, eine Luftspiegelung?
Beim Näher kommen erkennen wir, dass es sich um ein Haus handelt,
abgetrennt von seinem Fundament, das von einem Tieflader gerutscht ist
und jetzt bedrohlich schief, teils noch auf dem Tieflader, teils auf
der Strasse aufliegt. Die Besitzer und die Transportleute gehen um das
Haus herum und rätseln, wie sie es wieder auf den Tieflader schieben
könnten.
Wahrscheinlich ist der ungesicherte Hausrat in die unterste Ecke des
Hauses gerutscht, Flaschen und Geschirr sind zerschlagen, die
Puppenstube der Kinder ist umgestürzt, die Vorhänge an den Fenstern,
die Lampen an den Decken und der Haussegen hängen bedrohlich schief.
Die Hausbesitzer haben nicht mit diesem Zwischenfall gerechnet, sonst
hätten sie den mobilen Hausrat bestimmt für den Transport besser
gesichert.
Warum das Haus wohl gezügelt wird? Wir spekulieren: Da könnte eine
Scheidung im Spiel sein, Frau und Kinder sich von Mann und Vater
getrennt und das Haus gleich mitgenommen haben. Oder: Das Haus hat der
nördlichen Kälte von Kanada nicht standgehalten und wird jetzt in
wärmere Gefilde im Süden gezügelt. Dort steht schon der neue Keller
bereit, um das Haus aufzunehmen. Wasser, Gas und Elektrisch sind auch
schon installiert, alles muss nur noch mit den im Haus befindlichen
Nabelschnüren verbunden werden und fertig ist das Haus am neuen Ort.
Oder: Die Besitzer, eine Farmfamilie, konnte am alten Ort nicht
überleben beim kargen Farmen. Auf einer Erkundungsreise haben sie einen
vorteilhafteren Ort gefunden, wo sie ihr Glück nochmals versuchen
wollen. Sie konnten sich aber vom lieb gewordenen Haus nicht trennen.
Also ein scharfer, chirurgischer Schnitt knapp unterhalb des
Erdgeschossbodens durch das ganze Haus und das Oberteil rauf auf den
Tieflader. Die Schrank- und Zimmertüren noch verschraubt und die
Büchergestelle an den Wänden festgemacht.
Und nun dieses Missgeschick! Wir stellen uns vor, wie das Gebälk beim
Abrutschen vom Tieflader geächzt hat. Möglicherweise hat ein starker
Windstoß und das ständige Vibrieren während der Fahrt das Abrutschen
verursacht. Hoffentlich wird am neuen Ort nichts schief gehen!
Schatten überholen Menschen
Die in Dunkelheit gehüllte Dorfstrasse wird in regelmäßigen Abständen
von Lichtkegeln erhellt. Sie entstammen den von Nachtgeziefer
umschwärmten Lampen, die an über die Strasse geneigten Masten
angebracht sind. Sich bewegenden Menschen bemerken, wie ihre von hinten
kommenden und zunehmend deutlicher werdenden Körperschatten sie
einholen und wie sie von ihnen letztlich gar überholt werden: Schatten
überholen Menschen!
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