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Rudolf Welter: Unterwegs, Teil 1
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Serviergänge im Tessin
Auf einer Fahrt in den Süden meines Heimatlandes betrete ich mit meiner
Gefährtin ein Restaurant. Wir setzen uns im zweiten Stock auf den mit
Weinreben überdachten Balkon. Kommt der Wirt, nimmt widerwillig unsere
Bestellung auf. Bald darauf sehen wir, wie er, aus dem Keller kommend,
mit einer Axt in der Hand die Küche betritt, damit einen Plastikkübel
mit einer tief gefrorenen Minestrone entzwei schlägt und sie dann in
der Pfanne auf den Herd stellt. Jetzt kommt er mit Käse zu unserem
Tisch zurück, bringt auch noch Brot. Schließlich erscheint er mit der
erhitzten Minestrone, lässt sich ein schwaches Lächeln abgewinnen. Er
vermisse seine Frau, sagt er, die sich bei der Coiffeuse frisieren
lässt. Im Dorf fände nämlich am Abend ein großes Fest statt. Er ist
schon frisiert, bereit fürs Fest, aber nicht fürs Servieren. Jedes Mal,
von einem Serviergang zurückkommend, schmeißt er in der Küche das
schmutzige Geschirr auf die Theke. Weitere Gäste treffen ein, setzen
sich unten im Hof an einen Tisch. Wo seine Frau nur bleibt, wird sich
der Wirt ärgern. Warum jetzt so viele Gäste kommen, ausgerechnet jetzt,
wo er allein ist. Wir hören, dass es Einheimische sind. Denen kann er
in der ihm vertrauten Sprache seine missliche Lage beklagen.
Bilder aus dem Piemont
Nachdem wir am Dorffest teilgenommen hatten, wo wir dem Wirt
wieder begegneten, dieses Mal war er gut gelaunt, fahren wir anderntags
weiter südlich.
Nach dem Passieren der Grenze und einigen Stunden Fahrt über die
Poebene kommen wir in eine Hügelstadt im Piemont. Es ist schon dunkel.
Unübersehbar sind auf dem Turm und auf dem Hauptschiff der Kirche
Neonkreuze angebracht, die weit über das Land leuchten. Mir fallen
Erklärungen ein: Neonkreuze an Banken zeigen den Menschen, wo sie
monetär weiter kommen können; Neonkreuze an Krankenhäusern machen
verletzte oder kranke Menschen auf Hilfe aufmerksam, und Neonkreuze auf
Kirchen weisen verlorenen Seelen den Weg zur Rettung. Ich habe
Verständnis für diese Art von Öffentlichkeitsarbeit der katholischen
Kirche.
Ich stelle mir vor, dass es - nach italienischer - zentralistischer
Manier - im Vatikan ein Versandhaus gäbe. Dort könnten unter anderem
auch Neonkreuze bestellt werden. Der Besteller müsste nur die
Kirchturmhöhe angeben, das vatikanische Versandhaus berechnete dann die
optimalen Ausmaße der Kreuze und lieferte sie samt
Installationsanweisungen dem Besteller. Ich habe es zwar nicht erlebt,
könnte mir aber vorstellen, dass die Kreuze vor der Installation nachts
in einer Prozession durch Dörfer oder Städte getragen würden. Der für
die Beleuchtung notwendige Strom käme von einem mobilen Generator, den
die italienische Armee zur Verfügung stellt. Dann würden die Kreuze mit
einem Helikopter - ebenfalls von der Armee zur Verfügung gestellt - an
die entsprechenden Stellen der Kirche geflogen, und abends das erste
Mal mit Strom versorgt, um von nun an leuchtend den Gläubigen den Weg
zur Gottesstätte zu weisen.
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